Leitsatz:
Eine Mieterin hat ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 553 Abs. 1 BGB, einen minderjährigen afghanischen Flüchtling, um den sie sich schon einige Zeit persönlich gekümmert hat, als Untermieter bei sich aufzunehmen.
AG Tempelhof-Kreuzberg vom 18.11.2016 – 9 C 140/16 –
Mitgeteilt von RAin Andrea Klette
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Mieterin hatte im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Deutschlehrerin Herrn S. kennengelernt. Herr S. ist ein Flüchtling aus Afghanistan und wohnt in einer Notunterkunft – Mehrbettzimmer – im ehemaligen Rathaus Friedenau. Er ist bei den Behörden als volljährig – Geburtsdatum 1.1.1997 – registriert, wurde aber nach den Angaben der Mieterin erst am 10.4.1999 geboren.
ln der Notunterkunft ist nach Aussage der Mieterin weder ungestörter Schlaf noch Lernen möglich.
Die Wohnung der Mieterin verfügt über 2 Zimmer, Küche und Toilette bei einer Wohnfläche von circa 65 Quadratmetern.
Mit Schreiben vom 24.5.2016 bat die Mieterin den Vermieter um Genehmigung der Untervermietung eines Zimmers an Herrn S.. Der Vermieter lehnte dies ab. Unter anderem erklärte er, dass lediglich wirtschaftliche, persönliche oder familiäre Verhältnisse des Mieters ein anerkanntes Interesse an der Untervermietung begründen könnten. Ein Fremdinteresse genüge nicht.
Das Amtsgericht entschied anders.
Es liege ein vernünftiger Grund vor, vergleichbar mit dem Wunsch, mit einem Dritten eine Wohngemeinschaft zu bilden. Dabei reichten für das berechtigte Interesse auch rein humanitäre Beweggründe aus. Der vorliegende Sachverhalt sei dem Sachverhalt vergleichbar, wenn ein Mieter seine in Wohnungsnot geratene Schwester aufnehmen wolle. Selbst wenn in der Mietrechtsliteratur teilweise das Interesse aus rein humanitären Gründen abgelehnt und auch ein ausschließlich öffentliches Interesse als nicht ausreichend angesehen werde, liege hier ein anderer Sachverhalt vor. Die Mieterin habe nicht lediglich aus einem öffentlichen Interesse an der Aufnahme eines Dritten heraus um die Untervermietungsgenehmigung gebeten, sondern habe ein eigenes persönliches Interesse an einer bestimmten Person, zu der sie eine Beziehung aufgebaut habe. Sie fördere aktiv den Lebensweg des Herrn S. und sei gegebenenfalls, sollte dieser minderjährig sein, bereit, für diesen als Vormundin oder Betreuerin zu wirken. Dies stehe der in den oben genannten Vergleichsfällen bestehenden verwandtschaftlichen Bindung gleich.
Sollte die Mieterin als Vormundin des Herrn S. bestellt werden, wäre unzweifelhaft eine Untervermietungsgenehmigung zu erteilen. Allein, das es hierzu – noch – nicht gekommen sei, andererseits aber eine durch die Förderung und Begleitung des Lebenswegs ebenfalls starke Bindung bestehe, könne nicht zu einer völlig anderen Prüfung und Entscheidung führen.
Urteilstext
Tatbestand:
Die Klägerin ist aufgrund Mietvertrags vom 16.09.1988 Mieterin der im Tenor genannten Wohnung; die Beklagten sind aufgrund Eigentumserwerbs im Jahr 2000 als Vermieter in das Mietverhältnis eingetreten.
Die Wohnung verfügt über 2 Zimmer, Küche und Toilette bei einer Wohnfläche von ca. 65m².
Die Klägerin hat im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Deutschlehrerin Herrn S. J. kennengelernt Herr S. J. ist ein Flüchtling aus Afghanistan und wohnt in einer Notunterkunft – Mehrbettzimmer- in dem ehemaligen Rathaus Friedenau. Er ist bei den Behörden als volljährig – Geburtsdatum 01.01.1997- registriert, wurde aber nach den Angaben der Klägerin erst am 10.04.1999 geboren.
ln der Notunterkunft ist weder ungestörter Schlaf noch Lernen möglich.
Zwischen den Parteien kam es in der Vergangenheit wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten. …
Mit Schreiben vom 24.05.2016 bat die Klägerin die Beklagten um Genehmigung der Untervermietung eines Zimmers an Herrn S. J. und erläuterte diesen Wunsch mit Schreiben vom 30.05.2016. …
Vorgerichtlich waren die Beklagten mit der Aufnahme des Herrn S. J. als Gast oder ggf. mit der Vermietung einer frei werdenden Wohnung im Haus einverstanden.
Die Klägerin behauptet, sie bemühe sich um die Registrierung des Herrn S. J. als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling und um die Vormundschaft bzw. Pflegschaft für ihn. Herr S. J. besuche derzeit einen von ihr finanzierten Deutschkurs sowie, da er beabsichtige, Physik und Geologie zu studieren, ein Intensivseminar an der Humboldtuniversität (Einführung in die Naturwissenschaften inklusive Lebenswissenschaften und Sozialwissenschaften). Sie habe seit 1988 bis auf die letzten 5 Jahre immer die Wohnung mit einer weiteren Person – Untermieter, Ehemann – bewohnt. Dies sei den Beklagten bekannt. Ihr Lebenspartner wohne nur zur Untermiete in zwei kleinen Zimmern. Am 01.06.2016 habe der Beklagte zu 2. Herrn S. J. am Hauseingang abgefangen und ihm mitgeteilt, dass es ein Problem und nicht gut für ihn sei, wenn er bei der Klägerin zu Gast sei. Diese für Herrn S. J. bedrohliche Situation habe ihn stark verunsichert und zu Problemen geführt.
Die Klägerin ist der Ansicht, das Interesse an einer Untervermietung gemäß § 553 BGB umfasse über den Erhalt der Wohnung hinaus sämtliche weiteren nachvollziehbaren Gründe, so auch den Wunsch, nicht mehr allein zu wohnen oder humanitäre Gründe.
Die Klägerin beantragt, wie erkannt.
Die Beklagten, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, die Aufnahme des Flüchtlings führe zu einer Überbelegung der Wohnung. Herr S. J. könne auch in der Wohnung des Lebenspartners der Klägerin, der eine größere Wohnung habe, untergebracht werden. Es sei bereits zu Konfrontationen zwischen dem afghanischen Flüchtling und dem Beklagten zu 2. gekommen, so dass damit zu rechnen sei, dass die Aufnahme des Flüchtlings zu weiteren Eskalationen führe. Im Mietverhältnis komme es seit 2000 immer wieder zu Spannungen, so dass der Beklagte zu 2. persönlich psychischen und körperlichen Schaden genommen habe. Dadurch würde bei einer erzwungenen Untervermietung das Mietverhältnis weiter belastet. Kürzlich sei seine 10 Jahre alte Tochter in die Wohnung geflüchtet, weil acht Afghanen sich im Hof aufgehalten hätten. Die Beklagten sind der Ansicht, lediglich wirtschaftliche, persönliche oder familiäre Verhältnisse des Mieters würden ein anerkanntes Interesse an der Untervermietung begründen können. Ein Fremdinteresse genüge nicht. Zudem bedürfe die Aufnahme eines minderjährigen afghanischen Flüchtlings und der Abschluss eines Mietvertrages der Zustimmung der Behörden. …
Entscheidungsgründe
Der Klägerin steht ein Anspruch gegen die Beklagten auf Gestattung der Untervermietung eines Zimmers ihrer Wohnung an Herrn S. J. gemäß § 553 BGB in Verbindung mit dem Mietvertrag zu.
Die Wohnung verfügt über zwei Zimmer bei einer Wohnfläche von ca. 65 m² und ist damit auch für den dauerhaften Aufenthalt von zwei Personen geeignet. Eine Überbelegung ist nicht festzustellen.
Diesbezüglich hat die Klägerin auch unwidersprochen vorgetragen, dass sie in den vergangenen Jahren mit Kenntnis der Beklagten bereits mit einer weiteren Person die Wohnung bewohnt hat. Ein berechtigtes Interesse gemäß § 553 BGB ist gegeben.
Die Klägerin hat im Einzelnen geschildert, aus welchen Gründen sie die – vorübergehende – Aufnahme des Herrn S. J. in die Wohnung wünscht und für erforderlich hält. Die Aufnahme des bzw. Fürsorge für Herrn S. J. stellt dabei ein wesentliches Moment in ihrem Leben dar, zu dessen Verwirklichung sie die Möglichkeit der Unterbringung des Herrn S. J. in ihrer Wohnung benötigt.
Es liegt ein vernünftiger Grund vor, vergleichbar mit dem Wunsch, mit einem Dritten eine Wohngemeinschaft zu bilden (vgl. zu letzterem BGH NJW 85, 130; OLG Hamm NJW 82, 2876). Dabei reichen für das berechtigte Interesse auch rein humanitäre Beweggründe aus (Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht Kommentar, 11. Auflage, Rn. 4 zu § 553; m.w.N.). Der vorliegende Sachverhalt ist dem Sachverhalt vergleichbar, wenn ein Mieter seine in Wohnungsnot geratene Schwester aufnehmen will (LG Berlin GE 91, 879) oder ein türkischer Mieter seinen Bruder aufnehmen will, damit dieser sich in Deutschland eingewöhnen kann.
Selbst wenn teilweise das Interesse aus rein humanitären Gründen abgelehnt und auch ein ausschließlich öffentliches Interesse als nicht ausreichend angesehen wird (Schmidt-Futterer a.a.O.), liegt hier ein anderer Sachverhalt vor. Die Klägerin hat nicht lediglich aus einem öffentlichen Interesse an der Aufnahme eines Dritten heraus um die Untervermietungsgenehmigung gebeten, sondern hat ein eigenes persönliches Interesse an einer bestimmten Person, zu der sie eine Beziehung aufgebaut hat. Sie fördert aktiv den Lebensweg des Herrn S. J. und ist gegebenenfalls, sollte dieser minderjährig sein, bereit, für diesen als Vormundin oder Betreuerin zu wirken. Dies steht der in den o.g. Vergleichsfällen bestehenden verwandtschaftlichen Bindung gleich.
Sollte die Klägerin als Vormundin des Herrn S. J. bestellt werden, wäre unzweifelhaft eine Untervermietungsgenehmigung zu erteilen. Allein, das es hierzu – noch – nicht gekommen ist, andererseits aber eine durch die Förderung und Begleitung des Lebenswegs ebenfalls starke Bindung besteht, kann nicht zu einer völlig anderen Prüfung und Entscheidung führen.
Eine Untervermietung an den behördlich als volljährig geführten Herrn S. J., zumindest jedoch eine Gebrauchsüberlassung mit Zustimmung der Behörden, ist der Klägerin ohne Weiteres möglich.
Das Interesse der Klägerin ist unstreitig erst nach Vertragsabschluss entstanden.
Dem Interesse der Klägerin stehen auch keine überwiegenden Interessen der Beklagten gegenüber bzw. entgegen. Der von dem mit der Klägerin im gleichen Haus wohnenden Beklagten zu 2. Vorgetragene Sachverhalt vermag dabei kein überwiegendes Interesse an der Nichterteilung der Untervermietgenehmigung zu begründen.
Dass das Verhältnis des Beklagten zu 2. zu der Klägerin angespannt ist, kann selbst dann, wenn dies zutrifft, nicht zur Beurteilung dieses Sachverhalts herangezogen werden. Aus den eingereichten Unterlagen über einen langen Zeitraum lässt sich nicht entnehmen, dass das Mietverhältnis nicht tragbar wäre; zumindest hätte dies nur Auswirkungen auf das Mietverhältnis mit der Klägerin selbst.
Dass darüber hinaus eine weitere Erschwernis des Mietverhältnisses durch die Aufnahme des Herrn S. J. in die Wohnung eintreten würde, ist nicht zu erkennen; zumindest ist nicht zu erkennen, dass dies der Klägerin oder Herrn S. J. anzulasten wäre. Herangezogen werden könnte dafür allenfalls der Vorfall am 01.06.2016. Der Beklagte zu 2. hat nicht in Abrede gestellt, Herrn S. J. darauf hingewiesen zu haben, dass seine Besuche bei der Klägerin ein Problem seien und dies nicht gut für ihn sei. Die Bitte der Klägerin, dies zu unterlassen, da es Herrn S. J. verunsichere, wurde in adäquater Weise vorgetragen. Anlass hierfür war das Verhalten des Beklagten zu 2.; bei Unterlassung dieses Verhaltens sind keine weiteren Probleme erkennbar.
Weitere schwerwiegende Gründe für die Versagung der Untervermietgenehmigung, die das Interesse der Klägerin an der Untervermietung überwiegen würden, wurden nicht vorgetragen und sind auch aus der Korrespondenz der Parteien nicht ersichtlich. Eine Störung des Hausfriedens ist nicht zu erkennen. Dass die Tochter des Beklagten zu 2. den Hof wegen der Anwesenheit von acht Afghanen verlassen hat, kann unterstellt werden. Es wurde jedoch nichts vorgetragen, das auf ein unbotmäßiges Verhalten der Afghanen schließen ließe.
Dass Herr S. J. lediglich als Gast bei der Klägerin oder bei dem Lebenspartner der Klägerin unterkommen könnte, wurde von der Klägerin mit nachvollziehbaren Gründen verneint.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.
Hinweis: Das Urteil ist rechtskräftig.
16.09.2017