Berlin soll reicher werden und sexy bleiben. So fasste der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit in Abwandlung seines eigenen Bonmots („arm, aber sexy“) das Ziel des von ihm geführten neuen rot-schwarzen Senats zusammen. Die Begeisterung über die zwischen SPD und CDU geschlossene Koalitionsvereinbarung hält sich in Grenzen. Kritiker halten das Regierungsprogramm für zu unkonkret und zu wenig ambitioniert. Auch im Bereich Wohnen überwiegt bei den Fachverbänden die Enttäuschung.
„Wir wollen eine Stadt der bezahlbaren Mieten“, heißt es in der Präambel der Koalitionsvereinbarung. SPD und CDU haben erkannt: „Bezahlbares und attraktives Wohnen in der Innenstadt ist Grundlage dafür, dass Berlin eine Stadt für alle bleibt.“ Doch in der Koalitionsvereinbarung hat die Wohnungspolitik keine große Bedeutung: In der 98-seitigen Vereinbarung nimmt das Kapitel „Bau-, Wohnungs- und Mietenpolitik“ nicht einmal vier Seiten ein.
Die Koalition will einen Stadtentwicklungsplan Wohnen (StEP) aufstellen, mit dem die wohnungspolitischen Ziele und die Maßnahmen zur Umsetzung für die nächsten zehn Jahre definiert werden.
Das Hauptziel für die kommende Legislaturperiode lautet, 30.000 neue Wohnungen zu bauen, also im Schnitt 6000 Wohnungen jährlich. Beim Streit zwischen SPD und CDU darüber, ob städtische oder private Unternehmen die neuen Wohnungen bauen sollen, einigte man sich darauf, man wolle „unterschiedliche Akteure gewinnen“. Den Genossenschaften und den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften komme dabei „besondere Bedeutung“ zu – eine Formulierung, die alles offen lässt. Zur Förderung des Neubaus sollen landeseigene Grundstücke kostenlos oder ermäßigt vergeben werden.
Landeseigene Grundstücke für Neubau verbilligt
Die Gesamtzahl der Wohnungen in städtischer Hand will der Senat bis 2016 auf 300.000 steigern. Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften werden angehalten, bei den Bestandsmieten und bei Neuvermietungen „ihre preisdämpfende und sozial integrierende Funktion konsequent wahrzunehmen“ und sich bei Mieterhöhungen an der Steigerung der Lebenshaltungskosten zu orientieren. Nach energetischen Modernisierungen soll die Einsparung an den Betriebskosten der Maßstab für die Erhöhung der Nettokaltmiete sein. Bei Neuvermietungen werden die städtischen Gesellschaften in die Pflicht genommen, einen „verträglichen Anteil der frei werdenden Wohnungen“ vorrangig an Geringverdiener und andere Personen, die auf dem Wohnungsmarkt wenig Chancen haben, zu vermieten. Die übrigen freien Wohnungen sollen aber an Leute vergeben werden, die „in der Lage und bereit sind, auch höhere Neuvermietungsmieten zu zahlen“.
Rot-Schwarz will sich, wie schon Rot-Rot, im Bundesrat dafür einsetzen, dass die Mieten nur noch um 15 Prozent in vier Jahren erhöht werden können und die Modernisierungsumlage von elf auf neun Prozent abgesenkt wird.
Ob gegen die ausufernde Zweckentfremdung von Wohnungen als Ferienwohnungen vorgegangen wird, will der Senat ebenso prüfen wie die Frage, ob man nach Hamburger Vorbild in Milieuschutzgebieten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen unterbinden möchte. Das Berliner Denkmalschutzgesetz wird aufgeweicht, um bei Baudenkmalen energetische Sanierungen, barrierefreie Umbauten und den Dachgeschossausbau zu erleichtern.
Die Sicherung des sozialen Zusammenhalts wird in der Vereinbarung als „zentrale Aufgabe“ bezeichnet. Die Koalition bekennt sich zur Fortführung des Quartiersmanagements auf dem bisherigen finanziellen Niveau und zu den fünf „Aktionsräumen plus“, in denen die Soziale-Stadt-Maßnahmen gebündelt werden.
„Beim Wohnen und Mieten ist keine Besserung in Sicht“, stellt der Berliner Mieterverein (BMV) enttäuscht fest. Die Koalitionsvereinbarung enthalte wenig substanzielle Vorschläge, um die Wohnungsmarktsituation für Mieter zu verbessern, kritisiert BMV-Geschäftsführer Reiner Wild: „Die neue Regierung duckt sich weg, wie immer soll es der Markt richten.“ Die Ankurbelung des Neubaus wird vom Mieterverein begrüßt, er warnt aber vor der Fehleinschätzung, damit seien die Wohnungsmarktprobleme gelöst. Neubau ist und bleibt teuer. „Wir brauchen dringend eine Beschränkung der Mieten bei Wiedervermietung“, fordert Wild. Doch hierzu wird in der Koalitionsvereinbarung kein Wort verloren. Es fehlen auch konkrete Maßnahmen, um Heizkosten durch energetische Gebäudesanierung einzusparen.
Kritiker vermissen die politischen Ziele
Zum Umgang mit den Sozialwohnungen schweigt die Koalition ebenfalls. Weil auch die dringend erforderliche Anhebung der Richtwerte für die Wohnkostenübernahme von Arbeitslosen und Grundsicherungsempfängern nicht in Aussicht gestellt wird, befürchtet der BMV eine fortschreitende soziale Spaltung.
Enttäuscht wurde auch die Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL), deren Arbeitsgruppe Wohnungsbaupolitik eine umfassende Liste von Erwartungen an die neue Landesregierung zusammengestellt hatte. „Berlin hat seit mehr als einem Jahrzehnt die Wohnungspolitik schleifen lassen“, erklärt die SRL. „Stadtentwicklung muss ein politisches Programm und politische Ziele haben.“ Ihre Forderungen nach einem aktiven Milieuschutz mit einem wirksamen Schutz vor Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, nach der Wiedereinführung eines Zweckentfremdungsverbots, der Wiederaufnahme von Förderprogrammen zur Modernisierung und Instandsetzung des Wohnungsbestandes sowie nach Anpassung der Hartz-IV-Regelsätze zur Mietkostenübernahme prallten an den Koalitionären ab.
Unzufrieden ist auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND): Das Ziel, Berlin bis zum Jahr 2050 zur klimaneutralen Metropole weiterzuentwickeln, sei nur unzureichend mit entsprechenden Maßnahmen und Finanzierungsmitteln unterfüttert. Zwar wird der vom BUND Berlin, dem BMV und der Industrie- und Handelskammer erarbeitete Stufenplan zur energetischen Gebäudesanierung in der Koalitionsvereinbarung erwähnt, doch ein zur Umsetzung nötiges Klimaschutzgesetz ist nicht vorgesehen. Berlin drohe damit „weitgehender Stillstand bei der ökologischen Gestaltung der Stadt“, so BUND-Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser.
Die Initiative Berliner Wassertisch, die per Volksentscheid im Februar 2011 ein Gesetz zur Veröffentlichung und Prüfung der Berliner Wasserverträge durchgesetzt hat, ist ebenfalls unzufrieden. SPD und CDU wollen über eine Nachverhandlung des Teilprivatisierungsvertrages den Einfluss des Landes auf die Wasserbetriebe stärken und die Verhandlungen über den Rückkauf privater Anteile ergebnisoffen fortsetzen. Der Berliner Wassertisch lehnt einen Rückkauf ab und fordert die Anfechtung und Rückabwicklung der Verträge zur Teilprivatisierung.
Die Koalitionsvereinbarung ist zunächst nur eine Absichtserklärung. Ob und wie sie in die Tat umgesetzt wird, muss der neue Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) in den nächsten fünf Jahren zeigen. Dass drängende wohnungspolitische Fragen mit einem Prüfauftrag in die Zukunft verschoben werden, erinnert allerdings fatal an die Amtsführung seiner Vorgängerin Ingeborg Junge-Reyer, die alle problematischen Entwicklungen immer wieder nur sehr genau beobachten wollte, letztlich jedoch nichts dagegen unternommen hat.
Jens Sethmann
MieterMagazin 1+2/12
30.000 neue Wohnungen will die neue Regierung bis zum Ende ihrer Legislaturperiode vorweisen
Foto: Christian Muhrbeck
Zweckentfremdung von Wohnraum, energetische Sanierung und absurde Mietobergrenzen für Hartz-IV-Empfänger: Die Lösung vieler wohnungspolitischer Probleme lässt der Senat im Ungefähren
Fotos oben:
Christian Muhrbeck
Foto unten: Sabine Münch
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Wohnungswirtschaft in den Startlöchern
Die Vermieterverbände reagierten erfreut auf die Einigung von Rot-Schwarz. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) freut sich vor allem über die in Aussicht gestellte Unterstützung des Wohnungsneubaus, für die der BBU lange die Werbetrommel gerührt hat. „Es ist sehr positiv, dass sich die neue Koalition klar zum Wohnungsneubau bekennt“, erklärt BBU-Vorstandsmitglied Maren Kern. Ein „wichtiges Startsignal“ dafür sei die angekündigte Erarbeitung eines StEP Wohnen, in dem, so der BBU, festgelegt werden müsse, für wen wie viel, wo, bis wann und zu welchen Preisen Wohnungen vorgehalten werden sollen.
Auch der Bundesverband freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) und der Eigentümerverband „Haus & Grund“ in Berlin begrüßen den beabsichtigten Wohnungsneubau und fordern zügige und rechtssichere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Beide Verbände zeigen sich erfreut über die Abschaffung des Straßenausbaubeitragsgesetzes und verärgert über die Fortführung der Bundesratsinitiative zur Änderung des Mietrechts. Eine „Verengung von Mieterhöhungsspielräumen“ sei „das falsche Signal“, sagt Haus & Grund-Landesvorsitzender Carsten Brückner. Er kritisiert auch die Erhöhung der Grunderwerbsteuer auf fünf Prozent, denn dadurch würde „die wünschenswerte Schaffung von Eigentum unnötig erschwert“.
js
03.03.2018