Stand: 3/22
Genehmigungsvorbehalt bei Modernisierung, Umwandlungsschutz und bezirkliches Vorkaufsrecht sind die Stichworte, wenn es um „Milieuschutzgebiete“ geht.
Folgende Fragen behandelt dieser Artikel:
- Die Instrumente der Milieuschutzverordnung
- Die maßgeblichen Akteure
- Die Liste der Berliner Milieuschutzgebiete
- Genehmigungspflichtige „allgemein übliche“ Maßnahmen
- Festlegung von Mietobergrenzen durch den Bezirk
- Das Verhältnis von Mietrecht (BGB) und Städtebaurecht (BauGB)
- Verfahren zur Festlegung eines Milieuschutzgebietes
- Wohnungspolitische Bewertung von Milieuschutzverordnungen
- Umwandlungsverordnung
- Vorkaufsrecht
„Milieuschutzgebiete“ sind Gebiete, für die eine soziale Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BauGB gilt. Als Begriff für das soziale Erhaltungsgebiet hat sich die Bezeichnung „Milieuschutzgebiet“ etabliert. In den Flächenstaaten wird die Regelung für das Erhaltungsgebiet als Satzung erlassen, in den Stadtstaaten als Verordnung (§ 246 Abs. 2 BauGB, § 30 S. 1 AGBauGB).
Ziel einer Milieuschutzverordnung ist es, im Hinblick auf zu erwartende Modernisierungsmaßnahmen möglichst zu verhindern, dass die Zusammensetzung der Gebietsbevölkerung völlig verändert wird, insbesondere die wenig durchsetzungsfähigen Bevölkerungsgruppen aus dem Gebiet verdrängt werden, weil dies zu städtebaulichen Problemen sowohl im Gebiet als auch in anderen Gebieten führen kann.
Schutzobjekt ist nicht der individuelle Bewohner, sondern die Struktur der Bevölkerung im Gebiet. Milieuschutz ist kein Mieterschutz, sondern ein städtebaulich begründeter Gebietsschutz. Der Erlass von Milieuschutzverordnungen entfaltet allerdings mittelbar auch Wirkungen in Richtung eines sozialen Mieterschutzes (siehe hierzu Punkt 6.)
1. Die Instrumente der Milieuschutzverordnung
- Die Milieuschutzverordnung statuiert einen Genehmigungsvorbehalt für bauliche Vorgänge (Rückbau, bauliche Änderung, Nutzungsänderung).
- Nach § 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB hat der Bezirk darüber hinaus ein gesetzliches Vorkaufsrecht in Erhaltungsgebieten (siehe Punkt 10.).
- Sofern durch Landesregierung in Form einer Rechtsverordnung eingeführt, erstreckt sich der Genehmigungsvorbehalt auch auf die Umwandlung in Wohnungseigentum in den Milieuschutzgebieten (siehe Punkt 9.).
2. Die maßgeblichen Akteure
Die Zuständigkeit für den Erlass von Milieuschutzverordnungen liegt in Berlin bei den Bezirken. Das Bezirksamt beauftragt die erforderliche Untersuchung und legt auf Grundlage der Ergebnisse der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eine Vorlage zur Beschlussfassung über den Erlass der Verordnung mit der erforderlichen Begründung vor. Nach dem Beschluss der BVV erlässt das Bezirksamt die Verordnung und macht sie amtlich bekannt.
Im Genehmigungsverfahren sind Mieter keine Beteiligten. Sie können die Genehmigung einer Baumaßnahme nicht gerichtlich überprüfen lassen. Gemäß § 173 Abs. 3 Satz 2 BauGB sind sie lediglich von der bezirklichen Genehmigungsbehörde „anzuhören“. Daraus erwächst Mietern das Recht, dem Bezirksamt auch von sich aus Verstöße gegen die Milieuschutzverordnung anzuzeigen.
3. Die Liste der Berliner Milieuschutzgebiete
Milieuschutzgebiete gibt es über 70 in Berlin.
Die Liste der Milieuschutzgebiete ist in Info Nr. 79 abgedruckt. Darüber hinaus verfügt der Berliner Mieterverein über eine hausnummerngenaue Liste derjenigen Gebäude, die in den Berliner Milieuschutzgebieten liegen (BMV-Info 79 „Umwandlungsverordnung“).
Milieuschutzgebiete nach Straßen und Hausnummern auf
Weitere Informationen zum Thema:
Straßenliste Milieuschutzgebiete in Berlin
4. Genehmigungspflichtige „allgemein übliche“ Maßnahmen
Nach § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 und 1a BauGB darf die Genehmigung nicht versagt werden, wenn die baulichen Änderungen lediglich die Anpassung an den heutigen Wohnmindeststandard bezwecken.
So sind beispielsweise (zu genehmigen:
- Ersteinbau einer Sammelheizung (incl. Wasserversorgung)
- Ersteinbau eines Badezimmers einschließlich der Verfliesung
- Einbau einer Einbauküche
- Ersteinbau eines Balkons bis zu 5 m² Nutzfläche
- Grundausstattung mit Sanitär-, Frischwasser-, Abwasser- sowie Elektroinstallationen
- Einbau von Doppel- bzw. Isolierglasfenstern
- Einbau von Antennen-, Kabelfernseh- und Gegensprechanlagen
- Maßnahmen zur Wärmedämmung (soweit sie aus rechtlichen Gründen zwingend erforderlich sind)
- Einbau von Aufzügen
Nicht genehmigt werden:
- Grundrissänderungen zur Schaffung großzügiger Wohnungsgrundrisse
- Zusammenlegung von Wohnungen
- Nutzungsänderung von Wohnraum in Gewerbe oder zu Ferienwohnungen
- Schaffung von zur Wohnung gehörigen Stellplatzanlagen
Ebenfalls nicht genehmigt wird der Einbau
- eines Zweitbades
- eines Badezimmers mit getrennter Dusche und Wanne
- einer Gästetoilette
- einer Klimaanlage
- eines Innenkamins
- einer Loggia
- eines Balkons mit mehr als 5m² Nutzfläche
- einer Terrasse
- eines Wintergartens
- einer Fußbodenheizung
- von Elektrogeräten wie Geschirrspüler, Kühlschrank, Waschmaschine
Die Genehmigungskriterien in den Bezirken sind ähnlich, aber nicht identisch. Bei den Antragsprüfkriterien der Bezirke handelt es sich lediglich um interne Verwaltungsvorschriften, die verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich überprüfbar sind.
5. Festlegung von Mietobergrenzen durch den Bezirk
Mietobergrenzen sind im Rahmen einer einvernehmlichen Regelung (öffentlich-rechtlicher Vertrag, § 11 BauGB) denkbar, indem die Maßnahmen reduziert werden und/oder der Eigentümer einen (teilweisen) Mietverzicht ausspricht. Kann hingegen kein Einvernehmen erzielt werden, scheidet ein Bescheid mit einer entsprechenden Nebenbestimmung („Mietobergrenze“) aus. Denn das Bundesverwaltungsgericht (v. 17.12.2004 – BVerwG 4B 85/04 -) hat für alle Modernisierungsmaßnahmen, die den durchschnittlichen Wohnstandard herstellen, eine auflagenfreie Genehmigung vorgeschrieben.
6. Das Verhältnis von Mietrecht (BGB) und Städtebaurecht (BauGB)
Erhaltungssatzungen nach § 172 BauGB vermitteln keinen Drittschutz. § 172 BauGB dient ausschließlich öffentlichen, namentlich städtebaulichen Interessen und ist grundsätzlich kein geeigneter Anknüpfungspunkt für Individualrechtsschutz. Gleichwohl wirkt sich das Städtebaurecht manchmal indirekt auch mietrechtlich aus, wie folgende Fallbeispiele zeigen:
- Über die (unter Punkt 9. dargestellte) Umwandlungsverordnung wird die Verdrängungswirkung durch Eigenbedarfskündigungen mindestens indirekt verringert.
- Die Durchführung entsprechender Maßnahmen ohne die nach § 172 BauGB erforderliche Genehmigung stellt gemäß § 213 Abs. 1 Nr. 4 BauGB eine bußgeldpflichtige Ordnungswidrigkeit dar. Mietrechtlich besteht für Maßnahmen, die dem Vermieter aus baurechtlichen Gründen nicht erlaubt sind, kein Duldungsanspruch. Dies ist der Fall, wenn die angekündigten Baumaßnahmen als bauliche Änderungen im Sinne einer Erhaltungsverordnung des Bezirksamts einem Präventivverbot mit Erlaubnisvorbehalt unterliegen und genehmigungspflichtig sind, der Vermieter jedoch unbestritten keine Genehmigung hat (LG Berlin v. 30.1.2017 – 65 S 462/16 -; LG Berlin v. 4.4.2018 – 65 S 5/18 -; LG Berlin v. 16.12.2019 – 65 S 124/19 -). Hat der Vermieter keine Genehmigung, will diese aber später nachreichen, muss der Mieter eine Duldung nicht „unter dem Vorbehalt einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung“ erklären, um dem Vermieter so eine umgehende Umsetzung seiner Baupläne im Fall der Genehmigung zu ermöglichen. Denn diesem Bedürfnis wird auch entsprochen, wenn der Mieter umgehend nach Erteilung der Genehmigung die Duldung erklärt (LG Berlin v. 5.7.2017 – 66 S 88/17 -).
- Eine zwischen dem Hauseigentümer und dem Bezirksamt vereinbarte Mietobergrenze (siehe oben Punkt 5.) führt im Verhältnis der Mietvertragsparteien nur dann zu einer mietzinsändernden Regelung, wenn das zwischen diesen (mietvertraglich) vereinbart wird (AG Mitte v. 12.8.2002 – 20 C 118/02 -).
- Ist zur Verwirklichung des Eigenbedarfs eine bauliche Maßnahme zwingend erforderlich, können den Nutzungsabsichten des Eigentümers in zulässiger Weise Grenzen durch eine Milieuschutzverordnung gesetzt sein, die dem Räumungsanspruch des Vermieters entgegenstehen (LG Berlin v. 12.8.2015 – 65 S 531/14).
Mietertipp: Wer einer Modernisierungsankündigung erhält, sollte zunächst prüfen, ob das bewohnte Gebäude in einem Milieuschutzgebiet liegt (siehe oben Punkt 3). Falls ja, sollte beim Bezirksamt – Abteilung Stadtentwicklung – nachgefragt werden, ob ein Antrag auf bauliche Änderung nach dem Recht der Erhaltungssatzung des Vermieters bzw. Gebäudeeigentümers gestellt, bewilligt oder abgelehnt wurde. Auch wenn das Bezirksamt die beantragten Maßnahmen des Eigentümers bewilligt, heißt das noch nicht, dass der Mieter aus mietrechtlicher Sicht zur Duldung der Maßnahmen verpflichtet ist oder die angekündigte Mieterhöhung auch tragen muss (siehe Info Nr. 13). Der gut organisierten Mieterschaft einer Wohnanlage kann es im Übrigen auch gelingen, durch Protest und Öffentlichkeitsarbeit den Vermieter von bestimmten Maßnahmen abzubringen. Mitunter finden die Mieter beim Bezirksamt dabei auch Unterstützung. Sogar von zunächst verpflichtenden Energieeinsparmaßnahmen kann der Gebäudeeigentümer auf Antrag vom Bezirksamt befreit werden.
7. Verfahren zur Festlegung eines Milieuschutzgebietes
Die Möglichkeit der Einflussnahme von Mietern oder Mieterinitiativen auf den „Milieuschutz“ beginnt bevor das Bezirksamt bzw. die Bezirksverordnetenversammlung das Thema auf der Tagesordnung haben und endet mit der Bekanntmachung der Milieuschutzverordnung. Ob der Erlass einer Milieuschutzverordnung geprüft werden soll, ist eine politische Entscheidung, welche Mieter durch Einflussnahme auf Bezirksverordnete oder Stadträte vorantreiben können.
7.1 Gutachterliche Untersuchungen
Soweit ersichtlich beauftragen die Berliner Bezirke Institute mit der vorbereitenden Untersuchung eines Gebietes zum Milieuschutz.
- Ergibt die Untersuchung, dass keine Verdrängungsprozesse drohen und somit der Erlass einer Milieuschutzverordnung abgelehnt wird (wie 2017 im Lichtenberger Weitlingkiez geschehen), ist der Bezirk zwar nicht gehindert trotzdem eine Milieuschutzverordnung zu erlassen, riskiert dann aber nach § 47 VwGO die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit der Verordnung. Folgt der Bezirk dem Ergebnis der Untersuchung und bricht er das Verfahren zum Erlass einer Milieuschutzverordnung ab, haben Bürger hiergegen keinerlei Rechtsbehelfe.
- Ergibt die Untersuchung, dass die Verdrängungsprozesse schon weitgehend abgeschlossen sind, droht bei Erlass einer Milieuschutzverordnung ebenfalls die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit (§ 47 VwGO).
- Wird ein stattfindender oder demnächst drohender Verdrängungsprozess festgestellt, wird der Bezirk in der Regel eine Milieuschutzverordnung erlassen, wenngleich er trotz des Untersuchungsergebnisses hierzu nicht verpflichtet ist und von Mietern auch nicht verpflichtet werden kann.
7.2 Erlass der Milieuschutzverordnung
Der Bezirk kann nach Bekanntmachung der Absicht zur Aufstellung einer Milieuschutzverordnung (nach Beauftragung der vorbereitenden Untersuchungen) für 12 Monate die Zurückstellung von Baugesuchen oder die vorläufige Untersagung baulicher Vorhaben anordnen (§ 172 Abs. 2 i.V.m. § 15 Abs.1 BauGB). Dadurch wird der Milieuschutz auf den Beginn des Verordnungsverfahrens vor verlagert. Die ortsübliche Bekanntmachung der Rechtsverordnung erfolgt in Berlin durch Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.).
8. Wohnungspolitische Bewertung von Milieuschutzverordnungen
Der aktuelle Regelungsgehalt des § 172 BauGB reicht nicht aus, Verdrängungsprozesse zu verhindern. Die in § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 und 1a BauGB genannten zur Genehmigung führenden Standards haben zur Folge, dass die Handlungsspielräume der Genehmigungsbehörden stark eingeschränkt worden sind. Der damit zu genehmigende Maßnahmenumfang führt in vielen Fällen zu Modernisierungsmieterhöhungen, die das Ziel des Erhalts der angestammten Gebietsbevölkerung konterkarieren. § 172 BauGB muss durch den Bundesgesetzgeber dringend reformiert werden.
9. Umwandlungsverordnung
Für Milieuschutzgebiete enthält § 172 BauGB einen besonderen Schutz vor Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen: Nach § 172 Abs. 1 Satz 4 BauGB kann die Landesregierung eine Umwandlungsverordnung jeweils auf fünf Jahre befristet – erlassen. Die Verordnung stellt die Umwandlung unter Genehmigungsvorbehalt. Denn die Modernisierung des Altbaubestandes ist wohnungswirtschaftlich besonders lohnend für die Verwertung als Eigentumswohnungen.
Im Land Berlin ist eine Umwandlungs-Verordnung gem. § 172 Abs. 1 Satz 4 BauGB in Kraft seit dem 15.3.2015 und gilt für alle Milieuschutzgebiete.
Bei der Anwendung der Umwandlungsverordnung stellen sich viele Rechtsfragen, die in unserem Info Nr. 79 („Umwandlungsverordnung – Die 20 wichtigsten Fragen“) beantwortet werden.
Achtung: Bis zum 31.12.2025 wird die Anwendung des § 172 Abs. 1 Satz 4 BauGB durch § 250 BauGB verdrängt! Siehe Info 193 („Die Umwandlungsbremse des § 250 BauGB“)
10. Vorkaufsrecht
§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB räumt dem Bezirk ein Vorkaufsrecht für Grundstücke ein, die im Bereich einer Erhaltungsverordnung nach § 172 Abs. 1 BauGB liegen. Der Bezirk tritt also bei einem Verkauf eines bebauten oder unbebauten Grundstücks an die Stelle eines Dritten – des (potentiellen) Käufers – zu Gunsten der Allgemeinheit ein. Das Vorkaufsrecht ist selbstverständlich nur möglich, wenn ein Eigentümer verkaufen will.
Das Vorkaufsrecht hat immense Bedeutung für diejenigen Mieter, deren Haus zum Vorkaufsfall wird. Als neuer Vermieter tritt dann meist eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft ein, die u.a. an die mieterfreundlichen Regelungen des Wohnraumversorgungsgesetzes gebunden ist. Gut für die betroffenen Mieter ist es auch, wenn statt des Vorkaufs eine Abwendungsvereinbarung (siehe Punkt 10.3) mit dem Erwerber getroffen werden kann.
Insgesamt wurden in Berlin über das Vorkaufsrecht zwischen 2015 und Dezember 2021 durch Genossenschaften und landeseigene Unternehmen 2.674 Wohnungen für insgesamt knapp 530 Millionen Euro gekauft.
Allerdings ist nach dem Urteil des BVerwG vom 9.11.2021 die Anwendung des Vorkaufsrechts wohl in den meisten Fällen (vorerst) ausgeschlossen (vgl. hierzu Punkt 10.1 am Ende).
10.1 Die Voraussetzungen des Vorkaufsrechts
- Vor Beurkundung jedes Kaufvertrages muss vom Notar beim Bezirksamt ein Negativbescheid (§ 28 Abs. 1 BauGB) eingeholt werden, demzufolge die Gemeinde von ihrem gesetzlichen Vorkaufsrecht keinen Gebrauch machen wird. Durch die Beantragung dieses Negativbescheides, erfährt das Bezirksamt von einem Grundstückskaufvertrag, der möglicherweise das bezirkliche Vorkaufsrecht auslöst.
- Das Vorkaufsrecht ist innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Monaten auszuüben (§ 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Aktuelle Fälle zeigen, dass diese kurze Frist eine Bezirksverwaltung überfordern kann.
- Das Vorkaufsrecht darf nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. D.h. wenn durch den Kaufvertrag Erhaltungsziele beeinträchtigt werden. Nicht ausreichend ist hierfür die Vermutung, die Höhe des Kaufpreises rechtfertige die Annahme einer unzulässigen Modernisierung oder Umwandlung in Wohneigentum (LG Berlin v. 26.4.2017 – O 2/15 Baul -). Zur weiteren Stärkung des kommunalen Vorkaufsrechts hat der Gesetzgeber nunmehr (ab 23.6.2021) in § 24 Absatz 3 Satz 2 BauGB klargestellt, dass auch die Deckung eines Wohnbedarfs in der Gemeinde zu den Gründen des Wohls der Allgemeinheit gehört, der die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen kann.
- Das Vorkaufsrecht bezieht sich auf den Verkauf eines gesamten Hauses. Der Verkauf von Eigentumswohnungen fällt nicht unter das Vorkaufsrecht des Bezirks (§ 24 Abs. 2 BauGB). Der Verkauf der Gesellschaft, die das Haus besitzt, möglichst noch als share deal, löst ebenfalls kein Vorkaufsrecht aus, stellt potenziell aber eine Umgehung eines Grundstückskaufvertrages dar, weshalb die Behörde regelmäßig einen Auskunftsanspruch zur Erforschung des Sachverhalts hat, um beurteilen zu können, ob die Transaktion möglicherweise als eine Umgehung des Vorkaufsrechts einzuordnen ist (VG Berlin v. 13.12.2019 – VG 19 L 566/19 -).
- In der Regel übt der Bezirk das Vorkaufsrecht über einen Dritten aus (vgl. § 27a Absatz 1 Satz 1 BauGB). Als Dritte in Frage kommen realistischer Weise nur die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften, ihre Tochterunternehmen und ggfs. auch Genossenschaften sowie Stiftungen mit regionalem Bezug bzw. Beständen in dem jeweiligen Bezirk in Frage.
Aber nach derzeitiger Rechtsprechung gibt es eine schwerwiegende Ausnahme zur Zulässigkeit des Vorkaufsrechts:
Nach dem klaren und nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 26 Nr. 4 BauGB ist die Ausübung des Vorkaufrechts ausgeschlossen, wenn das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Baubauungsplanes oder (nicht: und) den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut und genutzt wird und errichtete bauliche Anlagen keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 BauGB aufweisen (BVerwG v. 9.11.2021 – BVerwG 4 C 1/20 -).
Nach dieser Rechtsprechung bleiben so gut wie keine zulässigen Vorkaufsrechtsfälle mehr übrig.
Der Deutsche Mieterbund und der Berliner Mieterverein e.V. fordern deshalb eine baldige Änderung des Baugesetzbuches dahingehend, dass das Vorkaufsrecht in „Milieuschutzgebieten“ wieder verbreitet Anwendung finden kann. Einen dahingehenden Prüfauftrag enthält auch der Koalitionsvertrag 2021-2025 der neuen Bundesregierung.
10.2 Der angemessene Preis bei der Ausübung des Vorkaufsrechts
Grundsätzlich hat der Vorkaufsberechtigte den Preis zu zahlen, den Verkäufer und Käufer im Kaufvertrag vereinbart haben (§ 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB i.V.m. § 464 Abs. 2 BGB).
Nur wenn der Kaufpreis den tatsächlichen Verkehrswert „in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet“ (vgl. dazu LG Berlin v. 26.4.2017 – O 2/15 Baul -), konnte bis Mitte 2021 der Bezirk das preislimitierte Vorkaufsrecht nach § 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB zur Anwendung bringen. In diesem Falle musste „nur“ der Verkehrswert nach § 194 BauGB gezahlt werden.
Mit dem zum 23.6.2021 in Kraft getretenen Baulandmobilisierungsgesetz (BGBl. 21, S. 1802) wurden die Worte „in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich“ gestrichen. Damit hat der Gesetzgeber jedoch keine Preislimitierung auf einen „sozialverträglichen Ertragswert“ eingeführt.
Gemäß § 194 BauGB, auf den auch § 28 Abs. 2 S. 1 BauGB verweist, entspricht der Verkehrswert dem Marktwert, und wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre. In der Regel stellt daher grundsätzlich der Verkauf nach einem hinreichend publizierten, allgemeinen und bedingungsfreien Bieterverfahren (ähnlich einer Versteigerung) und die darauf folgende Veräußerung an den Meistbietenden oder den einzigen Bieter einen Verkauf zum Marktwert dar (BGH v. 28.4.2011 – V ZR 192/10 -). Der Marktwert bestimmt sich grundsätzlich nach dem Preis, den Kaufinteressenten für ein Grundstück zu zahlen bereit sind (BGH v. 29.4.2016 – BLw 2/12 -, Rn. 19).
Aus dieser Verkehrswert-Definition folgt, dass wohl die allermeisten der sehr hohen Kaufpreise des aktuellen Berliner Grundstückmarktes den Verkehrswert nicht „in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreiten“. Für die Anwendung des § 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB verbleibt kein Raum.
10.3 Verzicht auf Vorkauf wegen Abwendungsvereinbarung
Der Käufer eines Hauses kann die Ausübung des Vorkaufsrechts durch Unterzeichnung einer Abwendungsvereinbarung verhindern (§ 27 Abs. 1 Satz 1 BauGB).
Eine Abwendungsvereinbarung beinhaltet regelmäßig folgende Einschränkungen:
- Keine Antragstellung für eine Abgeschlossenheitsbescheinigung.
- Keine Antragstellung auf Genehmigung einer Umwandlung von Wohnungen nach § 172 Abs. 1 BauGB.
- Verzicht auf Nutzungsänderung.
- Keine Durchführung von baulichen Veränderungen und Modernisierungen, die über die Herstellung des zeitgemäßen Ausstattungsstandards einer durchschnittlichen Wohnung im Quartier hinausgehen (z.B. keine zusätzlichen Balkone, keine Aufzüge).
- Kappung des Modernisierungszuschlages.
- Bei Neuvermietung von Wohnraum keine Überschreitung der ortsüblichen Vergleichsmiete nach dem Mietspiegel.
Zugleich hat sich der Erwerber in der Abwendungsvereinbarung zur Bestellung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit zu verpflichten und eine Vertragsstrafenvereinbarung inklusive Unterwerfungserklärung zur sofortigen Vollstreckung in sein gesamtes Vermögen zu akzeptieren. Im Gegenzug verzichtet der Bezirk auf die Ausübung seines Vorkaufsrechts und erteilt ein Negativzeugnis nach § 28 Abs. 1 Satz 3 BauGB, womit die Grundbucheintragung des Erwerbers ermöglicht wird.
Bis Ende 2021 sind in Berlin rund 370 Abwendungsvereinbarungen abgeschlossen worden.
10.4 Wohnungspolitische Bewertung des Vorkaufsrechts
Nur sehr aktive und politisch „fitte“ Mieter und/oder Mietergemeinschaften kommen in den Genuss des bezirklichen Vorkaufsrechts. Denn nur wenn die Mieterschaft frühzeitig das „Gras wachsen“ hört und rechtzeitig Bezirksamt und Bezirksverordnetenversammlung öffentlichkeitswirksam vom bevorstehenden Verkauf an einen Investor unterrichtet, dürfte die bezirkliche „Maschinerie“ in die Gänge kommen und in der kurzen Drei-Monats-Frist aktiv werden können.
Noch zwiespältiger fällt die Bewertung des Vorkaufsrechts aus, wenn man die wohnungspolitische Bedeutung für die Allgemeinheit, für den Wohnungsmarkt und für die Wohnraumversorgung ins Auge fasst: Solange die Rechtsprechung daran festhält, dass „der Verkehrswert der Marktwert ist“, kann durch Ausübung des Vorkaufsrechts der Preisexplosion auf spekulativ überhitzten Grundstücksmärkten nicht effektiv entgegengewirkt werden. Eine Korrektur durch den Bundesgesetzgeber ist daher auch beim bezirklichen Vorkaufsrecht zwingend geboten.
27.06.2024