Die Zweckentfremdung von Wohnraum nimmt immer größere Ausmaße an. Vor allem in attraktiven Citylagen werden seit Jahren Wohnungen umgenutzt in Büros, Anwaltskanzleien, Arztpraxen, Ferienapartments und ähnliches. Konsequenz: Bezahlbarer Wohnraum in den Innenstadtbezirken wird immer knapper. Seitdem das Oberverwaltungsgericht Berlin das Verbot der Zweckentfremdung 2002 aufgehoben hat, fehlt jeder Überblick, wie viele Wohnungen schon auf diese Weise vom Markt verschwunden sind. Gerade in der Innenstadt kann aber von einer entspannten Wohnungsmarktlage nicht die Rede sein – vermutlich auch Folge der ausufernden Zweckentfremdung. Höchste Zeit, sich dem Problem zu stellen: Zumindest in den besonders betroffenen Stadtteilen muss das Wohnen wieder geschützt werden.
Die Zweckentfremdung von Wohnraum kann in Berlin allgemein nicht mehr verhindert werden. Der Grund: Die Zweckentfremdungsverbotsverordnung, mit der die Bezirke gegen Umnutzungen und spekulative Leerstände vorgehen konnten, wurde im Jahr 2002 vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin in mehreren Urteilen außer Kraft gesetzt – und zwar rückwirkend zum 1. September 2000. Seit diesem Datum gibt es nach Ansicht des Gerichts in Berlin keinen Wohnungsnotstand mehr. Somit sei die Begründung für den besonderen gesetzlichen Schutz des Wohnens entfallen.
Offensichtlich hatten die Äußerungen des damaligen Stadtentwicklungssenators Peter Strieder (SPD) großen Eindruck auf das Gericht gemacht, der seinerzeit kaum eine Gelegenheit ausließ, auf den angeblichen Leerstand von 150.000 bis 180.000 Wohnungen hinzuweisen. Zu jener Zeit wurde das Programm „Stadtumbau Ost“ aufgelegt, von dem das Land Berlin auch profitieren wollte. Strieders Zahlen waren dafür äußerst dienlich.
Von einer bestimmten Anzahl leer stehender Wohnungen auf einen entspannten Wohnungsmarkt zu schließen, ist allerdings äußerst fragwürdig. Viele der freien Wohnungen stehen überhaupt nicht zu Verfügung, weil sie vom Eigentümer nicht zur Vermietung angeboten werden, weil sie gerade saniert werden oder weil sie wegen schlechter Ausstattung nicht mehr marktgängig oder gar unbewohnbar sind.
Eine Analyse der Leerstandsgründe gab es zu Strieders Zeiten nicht und sie steht auch heute noch aus. Immerhin hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mittlerweile erkannt, dass von den im Jahr 2009 gezählten 103.000 längerfristig leer stehenden Wohnungen ein großer Teil den Wohnungssuchenden nicht zur Verfügung steht.
Nachdem das Verbot der Zweckentfremdung auf Grundlage von sehr vagen Zahlen aufgehoben worden war, setzte sich eine Umnutzungswelle in Gang, schließlich kann von Gewerbebetrieben deutlich mehr Miete verlangt werden als von Wohnungsmietern. „Vor allem in den Innenstadt-Quartieren stellen wir einen erheblichen Umnutzungsdruck fest“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV). Allerdings kann niemand genau sagen, wie viele Wohnungen mittlerweile in Rechtsanwaltskanzleien, Yoga-Studios, Werbeagenturen oder Touristenapartments umgewandelt wurden.
Weil Umnutzungen nicht mehr genehmigt werden müssen, bekommen die Bau- und Wohnungsaufsichtsämter der Bezirke davon nichts mit. Auch die übergeordnete Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erklärt, dass sie seit 2002 keinerlei Zahlen oder Erkenntnisse mehr über das Ausmaß der Zweckentfremdung hat. Man weiß auch nicht, welche Stadtteile vornehmlich betroffen sind und durch welche Nutzungen das Wohnen besonders zurückgedrängt wird. Dadurch ist selbst die Anzahl der tatsächlich in Berlin vorhandenen Wohnungen keine sichere Größe mehr. Sind von den 1,89 Millionen Wohnungen nicht vielleicht schon zigtausende längst Büros oder Touristenherbergen – und stehen dem Wohnungsmarkt gar nicht mehr zur Verfügung?
Die Wohnungsbestandszahlen des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg beruhen auf einer Fortschreibung der Gebäude- und Wohnungszählung, die in West-Berlin 1987 und in Ost-Berlin 1995 durchgeführt wurde. Genehmigungsfreie Zweckentfremdungen werden aber nicht erfasst, so dass die Statistik von Jahr zu Jahr unzuverlässiger wird. Einen genauen Aufschluss über den Wohnungsbestand dürfte wohl erst die für 2011 geplante Volkszählung bringen.
Belastungen für die Nachbarn
Aber nicht nur aus wohnungspolitischen Gründen ist die fortschreitende Zweckentfremdung ein Ärgernis. Wohnungsmieter, in deren Haus Wohnungen plötzlich gewerblich genutzt werden, finden sich oft Belästigungen ausgesetzt: Durch Besucherverkehr herrscht im Treppenhaus ein Kommen und Gehen und häufig stehen die Hauseingangstüren offen, so dass auch ungebetene Gäste Zutritt haben. Vor allem die Nachbarn von Ferienwohnungen haben zu leiden: Treppenhäuser und Flure sind oft vermüllt, Aufzüge fallen häufiger aus und nicht selten wird die Nachtruhe gestört, weil Gäste nachts einfach mal irgendwo klingeln, um ins Haus zu kommen, oder spontan lautstarke Fêten steigen lassen. Im Plattenbau-Ensemble an der Wilhelmstraße in Mitte, einem Brennpunkt des Ferienwohnungsbooms, hat das Amtsgericht Mitte einem Wohnungsmieter bestätigt, dass er wegen der hotelartigen Nutzung einzelner Wohnungen im Haus die Miete mindern kann – in seinem Fall um zehn Prozent (AG Mitte, 2. Dezember 2009 – 17 C 134/09).
Der Hotel- und Gaststättenverband Berlin schätzt die Zahl der Ferienwohnungen mittlerweile auf über 10.000 und beklagt eine „grobe Verzerrung des Wettbewerbs“, so deren Hauptgeschäftsführer Thomas Lengfelder. Es gebe inzwischen Anbieter, die bis zu 100 Ferienwohnungen verteilt auf mehrere Gebäude professionell vermarkten. Gerade diese nutzten rechtliche „Schlupflöcher“. So würden Feuerlöscher und Fluchtwegepläne, die für Hotels durch die Betriebsverordnung vorgeschrieben sind, oft völlig fehlen. Das gefährde nicht nur die Gäste dieser „Graubereich-Herbergen“, so Lengfelder, sondern häufig auch die übrigen Bewohner der betroffenen Häuser. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat darauf reagiert: Sie will die Betriebsverordnung auch für Ferienwohnungen anwendbar machen. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, kommentiert Reiner Wild vom Berliner Mieterverein, „aber aus Mietersicht nicht ausreichend.“ Denn die Vorschrift gilt nur für Häuser mit mehr als zwölf Gästebetten. Die vielen kleineren Zimmervermieter können also wie bisher weitermachen.
Unter besonderem Druck: die City
Die Stadt ist nicht gleichmäßig von der Zweckentfremdungswelle betroffen. In den Außenbezirken gibt es wenig Umnutzungsdruck, in den innerstädtischen Altbauvierteln dafür umso mehr. Das reicht von der City-West, wo sich vor allem Kanzleien und Praxen an repräsentativen Kudamm-Adressen auch in die oberen Stockwerke von Wohnhäusern ausbreiten, bis hin nach Friedrichshain, wo ganze Gebäudeteile zu Pensionsbetrieben umfunktioniert werden, die hauptsächlich junges Billigflieger-Publikum aus aller Welt anziehen. Gerade in den zentralen Bezirken, in denen Wohnungssuchende kaum noch bezahlbaren Wohnraum finden, wird das Angebot durch die ausufernde Zweckentfremdung noch zusätzlich verknappt.
Ein enormes gesetzliches Hemmnis besteht darin, dass die Zweckentfremdung nicht für einzelne Stadtteile verboten werden kann, obwohl dies in Berlin objektiv berechtigt und notwendig wäre. Nach dem von der Bundesregierung 1971 beschlossenen Mietrechtsverbesserungsgesetz können die Bundesländer für Gemeinden, in denen die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, zwar anordnen, dass eine Zweckentfremdung nur mit Genehmigung der Behörden zulässig ist. Bei der Beurteilung, ob die Wohnraumversorgung gefährdet ist, wird aber immer die gesamte Gemeinde oder Stadt betrachtet. Ob in Prenzlauer Berg oder Schöneberg sich die Wohnungssuchenden gegenseitig auf den Füßen stehen und die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen, während gleichzeitig die Wohnungsbaugesellschaften in Marzahn und Hellersdorf händeringend nach Mietern suchen, ist für das Gesetz völlig unerheblich. In einer so großen Stadt wie Berlin bedeutet das jedoch in der Praxis, dass sich Wohnungssuchende auch gut und gerne 20 Kilometer von ihrer alten Wohngegend entfernt umsehen müssen – weit weg von ihrem gewohnten Umfeld und ihren sozialen Kontakten.
„Wir brauchen eine kleinräumlichere Einschätzung des Wohnungsmarktes“, folgert Reiner Wild. Der Berliner Mieterverein fordert deshalb eine Änderung des Bundesrechts, die es erlaubt, auch nur für bestimmte Teile der Stadt die Zweckentfremdung von Wohnraum zu untersagen. Im Jahr 2003 ist ein dahingehender gemeinsamer Vorstoß der Länder Hamburg und Berlin am Widerstand der damaligen Bundesregierung gescheitert. Doch obwohl sich die Lage in Berlin seither verschärft hat, blockt der Senat Forderungen nach einer neuen Bundesratsinitiative ab. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schaut stattdessen weiter zu: „Wir beobachten die Entwicklungen am Wohnungsmarkt sehr genau, sehen aktuell aber keinen Anlass, das Zweckentfremdungsverbot wieder einzuführen“, erklärt deren Pressesprecher Alexander Abel.
Völlig ohne Einschränkungen geht das Umnutzen aber auch heute nicht: Sozialwohnungen und Wohnungen, die mit öffentlicher Förderung saniert wurden, dürfen nur mit behördlicher Erlaubnis zweckentfremdet werden. Auch die Bauordnung setzt für bestimmte Nutzungen Grenzen: Das Aufstellen von schwerem Gerät kann zum Beispiel die Standsicherheit eines für das Wohnen ausgelegten Gebäudes gefährden und deshalb unterbunden werden.
Mittel und Wege – mit beschränkter Wirkung
Die Bezirke müssen auch sonst nicht ganz machtlos zusehen, wie immer mehr Wohnungen als „City-Offices“ auf dem Gewerbeimmobilienmarkt angeboten werden. In Milieuschutzgebieten kann beispielsweise die Zweckentfremdung von Wohnraum untersagt werden, weil dort die Zusammensetzung der Bevölkerung erhalten werden soll. So arbeiten die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow intensiv mit dem Instrument des Milieuschutzes. Will man allerdings nur den Wohnraum vor Zweckentfremdung schützen, ist die Neuaufstellung eines Milieuschutzgebietes zu aufwändig.
Des Weiteren kann in Sanierungsgebieten der Erhalt der Wohnnutzung sehr kleinteilig in den Sanierungszielen festgeschrieben werden. Aber die Sanierungsgebiete sind eng begrenzt und gelten nur für eine befristete Zeit. Ein nachhaltiger Schutz des Wohnens ist damit kaum zu erreichen.
Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat sich für die West-City zu einer weiteren möglichen Vorgehensweise entschlossen: Explizit zum Schutz des innerstädtischen Wohnens stellte man für weite Areale nördlich des Kurfürstendamms und rund um den Savignyplatz sieben Bebauungspläne auf, in denen die Zulässigkeit von Gewerbe in Wohnungen deutlich eingeschränkt wird: Für alle Grundstücke zwischen Steinplatz und Lehniner Platz wird Stockwerk für Stockwerk die Art der erlaubten Nutzung festgeschrieben. Teilweise soll ab dem zweiten Obergeschoss nur noch Wohnen zulässig sein, störende Einrichtungen wie Gaststätten werden künftig in der Regel nur im Erdgeschoss erlaubt. Die Pläne sind aber fünf Jahre nach dem Aufstellungsbeschluss noch immer nicht festgeschrieben.
„Es gibt Anzeichen, dass der Umnutzungsdruck in diesem Bereich etwas nachlässt“, hat Baustadtrat Klaus-Dieter Gröhler (CDU) beobachtet. „Wir haben zurzeit im Bezirk eine hohe Nachfrage nach Wohnraum.“ Deshalb, so Gröhler, würde sich eine gewerbliche Vermietung weniger lohnen als früher. Im Übrigen könne man auch viele Umnutzungen über die Bauordnung abwenden, so Gröhler: „Wenn jemand beispielsweise eine Zahnarztpraxis im zweiten Obergeschoss eröffnen will, scheitert das oft schon am fehlenden behindertengerechten Zugang.“ Schon der Aufstellungsbeschluss der Bebauungspläne und die behördliche Bestandsaufnahme, bei der Haus für Haus die Nutzungen registriert wurden, hätten eine „hohe Signalwirkung“ gehabt. Der Charlottenburger Baustadtrat: „Unser Ziel ist nach wie vor, die Mischnutzung zu erhalten.“
Spekulativer Leerstand wird unterschätzt
Ein gezieltes Vorgehen gegen Ferienwohnungen und „Boardinghouses“ wird jedoch durch eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg erschwert, nach der die kurzzeitige Vermietung von Apartments planungsrechtlich noch als Wohnnutzung anzusehen ist (OVG Berlin-Brandenburg, 6. Juli 2006 – 2 S 2.06 -). An der Wilhelmstraße ist der Bezirk Mitte sowohl mit planungs- als auch mit bauordnungsrechtlichen Mitteln gescheitert: Weil hier seit Jahren reihenweise Wohnungen in Ferienapartments umgewandelt werden, wollte das Stadtplanungsamt per Bebauungsplan Beherbergungsbetriebe in den Obergeschossen grundsätzlich ausschließen. Doch das OVG erklärte diese Einschränkung für unzulässig (OVG Berlin-Brandenburg, 11. Oktober 2007 – 2 A 2.07 -). Auch die Bauaufsicht des Bezirks sah keine Möglichkeiten, auf Grundlage der Bauordnung gegen die Zweckentfremdung vorzugehen.
Auch wenn man bei der Anwendung des Planungsrechts und der Bauordnung schnell an Grenzen stößt, sollten die Bezirke versuchen, zumindest in den besonders betroffenen Vierteln mit diesen Instrumenten den Umnutzungsdruck zu senken. Die Zweckentfremdungswelle, die über die gesamte Innenstadt schwappt, kann man so jedoch nur unzureichend stoppen, den absichtlichen Leerstand überhaupt nicht. Nach Auffassung des Berliner Mietervereins wird der spekulative Wohnungsleerstand vom Senat unterschätzt. Anders sei nicht zu erklären, dass im neuen Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin der Bezirk Mitte trotz hoher Angebotsmieten die mit 7,3 Prozent höchste Leerstandsquote aufweist. BMV-Geschäftsführer Wild kommt deshalb zu dem Schluss: „Wir brauchen wieder ein Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum.“
Jens Sethmann
Verordnungen, die das Zweckentfremden von Wohnungen verbieten, sind Ländersache. Doch nur noch in Hamburg und Bayern gelten solche Verbote. In den anderen Bundesländern haben die Landesregierungen ihre Zweckentfremdungsverbote aufgehoben – teils mit der Begründung, der Wohnungsmarkt sei landesweit entspannt, teils zur angeblichen Verwaltungsvereinfachung. Zuletzt haben Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg im Jahr 2006 ihre Verordnungen abgeschafft. In den Flächenländern legten die Landesregierungen fest, in welchen Städten die Zweckentfremdung untersagt werden sollte. In Nordrhein-Westfalen waren das 2006 immerhin noch 45 Orte, darunter mit Ausnahme von Essen und Neuss alle größeren Städte. Nicht nur Köln und Düsseldorf haben aber nach wie vor extrem angespannte Wohnungsmärkte, auch die baden-württembergischen Städte Stuttgart, Freiburg oder Heidelberg. Gleiches gilt für Frankfurt am Main, wo Gewerbenutzungen schon seit Jahrzehnten stark in Wohngebiete drängen. Die hessische Regierung hat dennoch im Jahr 2004 das Zweckentfremdungsverbot gänzlich aufgehoben.
Gegen die Entscheidung ihrer Landesregierungen können die Stadtverwaltungen nichts machen. Eine Ausnahme ist Bayern: Hier hat die Staatsregierung beschlossen, dass die Gemeinden, in denen Wohnungsmangel herrscht, seit 2009 nach eigenem Ermessen festlegen können, ob Zweckentfremdungen verboten werden sollen. Unter den bayerischen Großstädten hat daraufhin allerdings nur München eine eigene Zweckentfremdungssatzung erlassen. Die Stadt beendet illegale Zweckentfremdungen „mit Mitteln des Verwaltungszwanges“ und verhängt Bußgelder bis zu 50.000 Euro pro Verstoß.
Hamburg ist als Stadtstaat „Herr im eigenen Haus“. Das Hamburgische Wohnraumschutzgesetz steht zwar – nicht zuletzt nach dem Kippen der Berliner Verordnung – unter starkem Beschuss von Eigentümerseite. Doch das Oberverwaltungsgericht Hamburg sieht ebenso wie der Senat weiterhin einen großen Wohnungsengpass in der Hansestadt und hat des-halb die Verordnung im Jahr 2007 noch einmal bestätigt.
js
Auch solange es die Zweckentfremdungsverbotsverordnung gab, wurde sie leider allzu oft nur halbherzig angewandt. In West-Berlin konnte nach 1972 die Umnutzung von Wohnraum untersagt werden. Dennoch haben viele Eigentümer Wohnungen zweckentfremdet. Die Dunkelziffer war hoch und die Gefahr, von der Bauaufsicht entdeckt zu werden, gering. Je nach Bezirk drückten die Bauaufsichtsämter auch mal ein oder zwei Augen zu. So konnte sich beispielsweise eine Anwaltssozietät nach und nach aus dem Erdgeschoss des Vorderhauses in die oberen Stockwerke und sogar in den Seitenflügel ausdehnen. Und auch der offensichtlich spekulative Leerstand von ganzen Wohnhäusern wurde oft über Jahre geduldet, nur weil der Eigentümer „unmittelbar bevorstehende Sanierungsmaßnahmen“ vage angekündigt hatte.
Genehmigt wurden Zweckentfremdungen, wenn der Eigentümer Ersatzwohnraum in gleicher Fläche schuf. Das konnte auch am anderen Ende der Stadt geschehen. Häufig wurde die Auflage jedoch mit dem Ausbau des Dachgeschosses erfüllt, denn das war für den Vermieter doppelt von Vorteil: So konnte er eine Wohnetage in profitableren Gewerberaum umwandeln und eine neue Dachgeschosswohnung teuer vermieten.
Selbst wenn eine ungenehmigte Nutzungsänderung etwa durch aufmerksame Nachbarn aufflog, musste der Zweckentfremder keine schmerzhaften Bußen fürchten. Bis 1989 betrug das höchste Bußgeld, das den Vermietern drohte, gerade mal 2000 DM. 1990 wurde das „Zweckentfremdungsbeseitigungsgesetz“ verschärft: Vermieter mussten mit einer Buße von bis zu 100.000 DM rechnen, und die Ämter konnten auch gegen illegale Gewerbemieter vorgehen.
js
Mehr Informationen zum Thema "Zweckentfremdung von Wohnraum" (Mai 2016):
MieterMagazin 4/10
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Zweckentfremdungsstopp nur noch
in Hamburg und München
Illustrationen:
Susanne Nöllgen/GrafikBüro
Info 115: Die Zweckentfremdung
von Wohnraum
Am 12. Dezember 2013 ist in Berlin das Zweckentfremdungsverbot-Gesetz in Kraft getreten, mit dem die zweckfremde Nutzung von Wohnraum, d.h. die Nutzung von Wohnraum zu anderen als Wohnzwecken, unter Genehmigungsvorbehalt gestellt wurde.
03.03.2018