Der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung nimmt ständig zu – auch in Berlin. Senioren sind heute gesünder, mobiler, qualifizierter und kaufkräftiger als je zuvor. Sie legen Wert auf Lebensqualität und Integration in die Gesellschaft. Zu diesem neuen Lebensgefühl gehören aktionsorientierte Freizeitaktivitäten. Im Trend: Seniorenspielplätze.
Parallel zur „documenta 12“ fand im vergangenen Jahr in Kassel das 101 Tage andauernde Kunstfestival „Bürgerstolz und Stadtfrieden“ statt. Die Galerie Loyal installierte im Garten der Werner-Hilpert-Straße 22 den Seniorenspielplatz „67+“ – als „kleine Überspitzung“, wie es Galeriebetreiber Ralph Raabe ironisch formuliert, denn in Kassel sind heute zwar „nur“ 20 Prozent der Einwohner 65 Jahre und älter, aber ihr Anteil an der Bevölkerung steigt rasant. Der Seniorenspielplatz in Kassel, ein Protest gegen die „Übermacht der Alten“, ist öffentlich zugänglich und wurde im vergangenen Jahr so intensiv genutzt, dass er Mitte April wieder öffnet. Da hängt ein Rollstuhl an einem Schaukelgerüst, ein weiterer ist auf einer Stahlfeder zum Wippen befestigt, mehrere Rollatoren sind zu einem Karussell zusammengefasst. Natürlich gab es auch Proteste, manche fanden die Installationen geschmacklos. Aber selbst komplette Reisegruppen aus dem In- und Ausland vergnügten sich bereits hier, und auch für den Kiez ist der Spielplatz inzwischen eine feste Größe – als Begegnungsstätte für Jung und Alt.
Fernöstliches Vorbild
Was in Kassel als private Kunstaktion konzipiert wurde, ist andernorts bereits fester Bestandteil der Stadtplanung. Denn bundesweit treiben nur 19 Prozent der Männer und 17 Prozent der Frauen im Alter von 50 bis 60 Jahren regelmäßig Sport, in den Altersgruppen ab 60 Jahre sinkt dieser Prozentsatz noch weiter. Spielplätze für Senioren richten sich deshalb vor allem an diejenigen, die nicht in einen Verein oder Fitness-Klub eintreten wollen, um sich fit und beweglich zu halten.
In China und Japan gibt es Outdoor-Fitnessparks für Ältere seit über 20 Jahren, selbst in Fußgängerzonen stehen dort spezielle Fitnessgeräte. In Spanien existieren bereits mehr als 40 Spielplätze für ältere Erwachsene. Auch skandinavische, französische, italienische und Schweizer Senioren können sich seit Jahren auf solchen Plätzen fit halten. In Deutschland wurde 1999 im niedersächsischen Schöningen der erste Seniorenspielplatz eingerichtet. Er zieht inzwischen 2000 bis 3000 Besucher pro Saison an.
Als Vorreiter gilt bundesweit Nürnberg. Die ersten beiden öffentlichen Spielplätze für Senioren in den Stadtteilen Eibach und in Erlenstegen wurden von der Nürnberger Bevölkerung sehr positiv aufgenommen, ein weiterer auf der Wöhrder Wiese ist geplant. Hier sollen aktive Senioren angesprochen werden, die bei einem Besuch auch um den Wöhrder See walken oder joggen möchten. Inzwischen wurden Seniorenspielplätze auch in Berlin, Hamburg, München, Lengerich (NRW) und anderen deutschen Städten eingerichtet.
Auf den Spielplätzen, die in der Regel in Parks oder auf öffentlichen Plätzen angesiedelt sind, stehen speziell konstruierte Sportgeräte zur Verfügung, die älteren Menschen Gelegenheit zu körperlicher Betätigung und zum Trainieren von Gleichgewichtssinn und Koordination bieten sollen. Die wetterfesten Geräte, zumeist aus Edelstahl, haben eine geringe Einstiegshöhe und Übungsanleitungen mit Bild und Text. Das soll Ängste vor einem Sturz mindern und die Nutzung erleichtern. Nürnbergs Zweiter Bürgermeister Horst Förther, der sich für Seniorenspielplätze in seiner Stadt stark macht, will selbst altersgerechte Schaukeln nicht ausschließen. Das Spektrum kann von kleinen Plätzen mit zwei, drei Trimmgeräten und einer Ecke, in der man Schach oder Karten spielen kann, bis zu Sportplätzen reichen, wo Senioren Federball, Dart, Minigolf oder Boccia spielen können. Horst Förther plädiert allerdings eher für kleinere Plätze in der Innenstadt, denn Ältere bevorzugen kurze Wege. Wichtig sind neben den speziell konzipierten Geräten und der guten Erreichbarkeit natürlich auch Toiletten, ein ebenerdiges, barrierefreies Gelände, genug Schatten und gastronomische Angebote in der Nähe.
Privates Sponsoring ermöglichte Fitnessplatz in Berlin
Seit Mai 2007 gibt es auch in Berlin einen „Outdoor-Fitnessspielplatz“ für Ältere. Ursula Kleimann, 67 Jahre, ist bei gutem Wetter jeden Dienstag und Donnerstag im Preußenpark in Charlottenburg-Wilmersdorf auf dem kostenlos nutzbaren Spielplatz für Senioren. Ihr Hausarzt hat ihr vor allem Übungen zur Verbesserung der Beweglichkeit empfohlen. Auf dem Platz tummeln sich allerdings meist mehr Kinder mit ihren Eltern als Senioren – für Ursula Kleimann kein Problem: „Kinder nutzen die Geräte natürlich anders, auch unbefangener. Es macht ganz einfach Spaß, ihnen zuzusehen. Und ausgelacht hat mich bisher noch niemand.“
Die speziellen Trainings- und Massagegeräte sowie Beweglichkeits- und Sprungkrafttrainer wurden mit 25.000 Euro von Privatpersonen und Firmen gesponsert, für die Unterhaltung muss der Bezirk aufkommen.
Ulrich Wiebusch, in der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz Ansprechpartner für Seniorenpolitik, verdeutlicht indessen, welchen Stellenwert man solchen Einrichtungen in Berlin beimisst: Er war selbst noch nicht vor Ort und zu den Perspektiven solcher Spielplätze befragt, muss er zugeben, dass „für die Einrichtung weiterer solcher Spielplätze kein Geld da ist“.
Ein erster und nicht sehr kostspieliger Schritt in Richtung weiterer Angebote für Senioren könnte die Erweiterung bestehender Kinderspielplätze sein. Denn ein Bedarf besteht – vielleicht nicht so sehr in jungen und geburtenstarken Stadtteilen wie Prenzlauer Berg oder Friedrichshain, dafür in Charlottenburg, Wilmersdorf und Zehlendorf umso mehr. Denn bereits heute sind in Berlin 16 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre und älter, und ihr Anteil wird in den nächsten Jahren steigen.
„Seniorenspielplätze“ sollen sie nicht heißen
Die bestehenden „Seniorenspielplätze“ werden längst nicht mehr nur von Senioren, sondern – manchmal sogar noch häufiger – auch von jüngeren Erwachsenen und Kindern genutzt. Auf Kinderspielplätzen hingegen gilt oft eine Altersbegrenzung nach oben. Schilder „Unter-60-Jährigen ist der Zutritt verboten“ wird es auf Seniorenspielplätzen allerdings nicht geben. Und sie sollten auch nicht so heißen, denn der Begriff polarisiert, klingt zu infantil. Rentner auf Schaukeln und Klettergerüsten neben spielenden Kindergartenkindern in der Sandkiste? Die Schweizer nennen diese Anlagen „Bewegungsparcours“ oder „Vitaparcours“. Auch „Mehrgenerationenspielplatz“ oder „Generationsübergreifender Spielplatz“ sind wohl nicht die optimalen Begriffe für diesen Ort der Begegnung von Jung und Alt. Hauptsache: Runter von der Parkbank und aktiv werden! Spielplätze für Senioren liegen im Trend – wie sie künftig auch heißen mögen.
Rainer Bratfisch
Lesen Sie auch:
- 10 Fragen für Senioren: Von Rechten und Pflichten im Alter
- BMV-Info 144: Altenheim-Verträge – Betreutes Wohnen –
- Der Broschürentipp: Umweltfreundlich mobil im Alter
- Senioren: „Hier können wir noch lange wohnen bleiben“
- Pflegeleistungen: Solange wie möglich in vertrauter Umgebung
- Umzug im Alter: Gute Planung verhindert Stress
- Wohnformen im Überblick: Wohnen und Leben im Alter
- Mehrgenerationenwohnen:
Jeder Zweite ist offen für alternative Wohnformen im Alter - Altersgerechter Wohnungsumbau wird gefördert: Drei auf einen Streich
MieterMagazin 5/08
Der Seniorenspielplatz „67+“ in Kassel: „kleine Überspitzung“
Foto: Galerie Loyal
Der erste Fitnessspielplatz für Ältere in Berlin (im Preußenpark) bleibt vorerst der Einzige
Fotos: Kerstin Zillmer
Zum Thema
Bewegung erhält die Selbstständigkeit im Alter
„Bewegungsmangel ist ein erheblicher Risikofaktor, der die Selbstständigkeit massiv bedroht und die Reaktion, Koordination sowie die Konzentration schwächt. Die Gefahr ist groß, dass Passivität in Funktionsunfähigkeit, zunehmende Pflegebedürftigkeit, Teilnahmslosigkeit, Freudlosigkeit, Einsamkeit und Lebensüberdruss mündet. Demzufolge ist genügend Bewegung eine wichtige Voraussetzung dafür, auch im Alter fit und damit selbstständig bleiben zu können. Entsprechende Angebote auf einem ,Seniorenspielplatz‘ können die erstrebenswerten positiven Gesundheitseffekte bei älteren Menschen erzielen.“
Aus dem Konzept „Seniorenspielplätze“der Stadt Nürnberg März 2008
02.01.2016