Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft von 1933 bis 1945 hat in Berlin wie in keiner anderen Stadt ihre Spuren hinterlassen. Überall sind noch Zeugen dieser Zeit präsent: raumgreifende Monumentalbauten wie das Olympiastadion oder der Flughafen Tempelhof. Im Schatten dieser einstigen Vorzeigeobjekte stehen die neu gebauten Wohnungen jener Jahre. Derer rund 100.000 hat das „Dritte Reich“ hinterlassen – ein Erbe, das weitgehend unbekannt ist. Denn die spitzgiebeligen Häuser am Stadtrand erinnern in Architektur und Umfeld an die in den Jahre vorher entstandenen Gartenstädte, und die innerstädtischen Wohnungsbauprojekte der Nazis gingen bei flüchtiger Betrachtungsweise auch als Sozialer Wohnungsbau der 50er Jahre durch. Der Umgang mit diesem Erbe ist bei den Architekturhistorikern geprägt von pragmatischem Weiternutzen über schamhaftes Verdrängen und Ignorieren bis hin zu rigorosen Abrissforderungen.
Die Wohnsiedlungen des „Dritten Reiches“ sind über das ganze Stadtgebiet verstreut und weitgehend unbekannt. Sie tragen meist keine klangvollen Namen und sind auf den ersten Blick oft nicht eindeutig ihrer Zeit zuzuordnen. Die größten Siedlungen entstanden am Grazer Damm in Schöneberg, am Roedeliusplatz in Lichtenberg, an der Togo- und Müllerstraße in Wedding sowie unter dem Namen „Grüne Stadt“ zwischen Greifswalder und Kniprodestraße in Prenzlauer Berg. Daneben wurden in allen Stadtteilen viele kleinere Siedlungen mit weniger als 1000 Wohnungen auf bis dahin unbebauten Flächen und Kleingartenland errichtet.
Vor der Machtübernahme hatte der Nationalsozialismus im Bereich Wohnungswesen und Architektur keine feste Programmatik. Einig war man sich in der NSDAP nur in der Ablehnung des „Neuen Bauens“: Die fortschrittliche Architekturströmung der 20er Jahre, die mit ihren sachlichen Wohnsiedlungen Berlin einen neuen Stempel aufdrückte, wurde von den Nazis als „Kulturbolschewismus“ verfemt. Die exponiertesten Vertreter des „Neuen Bauens“ gingen ins Exil oder mussten sich mit privaten Bauaufträgen durchschlagen. Einige Architekten aus dem Bauhaus-Umfeld passten sich den neuen Machthabern aber auch an.
Zunächst dominierte unter den Nationalsozialisten eine Vorliebe für die „Heimatschutzbewegung“ – eine konservative Architekturrichtung, die schon in den frühen 20 Jahren des letzten Jahrhunderts sehr einflussreich war. Zum Heimatschutzstil gehören niedrige Häuser in traditionellen Bauformen mit steilen Dächern, aufrechten Fensterformaten und Klappläden. Jedes Haus hat seinen eigenen kleinen Garten zur Selbstversorgung, die Wohnanlage und die einzelnen Häuser vermitteln den malerischen Eindruck einer „guten alten Zeit“. Ein Vorbild dieses Stils ist die Gartenstadt Staaken, die in den Jahren 1913 bis 1917 gebaut wurde. Dieser antimoderne und großstadtferne Baustil passte zur Ideologie des Nationalsozialismus.
Rückläufige Neubauzahlen
Für Berlin konnte dieses ländliche Bauen allerdings keine Lösung sein. Berlin sollte schließlich zur „Welthauptstadt Germania“ werden. Für die größenwahnsinnigen Umbaupläne, nach denen sich an einer gewaltigen Nord-Süd-Achse Triumphbögen, Regierungspaläste, Repräsentationsgebäude und schließlich eine riesige Kuppelhalle aufreihen sollten, griff der Generalbauinspektor („GBI“) Albert Speer zusammen mit Adolf Hitler persönlich auf den monumentalen „heroischen Stil“ zurück, der schon in den Jahrzehnten zuvor viele Anhänger gefunden hatte, heute aber gemeinhin als die „Nazi-Architektur“ gilt: wuchtig schwere Baumassen in kantigen, klassizistischen Formen und straffe Achsen mit monotonen Reihungen, die das große Ganze übermächtig, den Einzelnen aber klein und bedeutungslos erscheinen lassen sollen.
Neben den Repräsentationsbauvorhaben spielte der Wohnungsbau eine untergeordnete Rolle, obwohl in Berlin damals Wohnungsnot herrschte. Die Wohnungsbauzahlen der Nazizeit reichten längst nicht an das Bauvolumen der Weimarer Republik heran: Während in den sieben Jahren zwischen 1925 und 1932 in Berlin rund 170.000 Wohnungen neu errichtet wurden, entstanden in den zwölf Jahren zwischen 1933 und 1945 etwa 102.000 neue Wohnungen.
Die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften wurden sehr schnell „gleichgeschaltet“. Die vom Gewerkschaftsbund getragene Gehag, die das „Neue Bauen“ entscheidend geprägt hatte, wurde von der „Deutschen Arbeitsfront“ vereinnahmt. 1937 wurden schließlich die Wohnungsfürsorgegesellschaft und acht kleinere städtische Wohnungsunternehmen zur „Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft“ (GSW) zusammengeschlossen. Als nunmehr größte Berliner Gesellschaft wurde die GSW zum bei weitem bedeutendsten Bauherrn des NS-Wohnungsbaus.
Innerstädtisch kam der Wohnungsbau erst um 1936 in Fahrt. Nachdem der Berliner Oberbürgermeister Lippert 1937 bei Albert Speer einen Bedarf von mindestens 100000 Wohnungen angemeldet hatte, baute der „GBI“ für eine „fernere Zukunft“ große Wohngebiete mit 650.000 Wohnungen in seine „Germania“-Planungen ein: die in der südlichen Verlängerung der „Großen Straße“ vorgesehene „Südstadt“, die sich bis nach Rangsdorf erstrecken und 210.000 Einwohner aufnehmen sollte, die „Oststadt“ auf den Rieselfeldern bei Biesdorf, Marzahn und Hellersdorf für 445.000 Einwohner, sowie eine Wohnstadt in Charlottenburg-Nord für 20.000 Einwohner. Keine der Großplanungen wurde verwirklicht. Schon das Programm für 1938, in dem 30.000 Wohnungen geplant waren, scheiterte an der schwierigen Beschaffung der Baumaterialien, die schon seit 1936 zugunsten der Aufrüstung kontingentiert waren. Nur 12.000 Wohnungen konnten 1938 fertiggestellt werden, der Rest wurde in die nächsten Jahre verschoben. Mit der Verschärfung des Kriegsverlaufs wurden 1941 schließlich die meisten Bauvorhaben aufgegeben. Nur noch „kriegswichtige“ Bauten durften fortgeführt werden. Wohnungen gehörten in aller Regel nicht dazu. So blieb der letzte Bauabschnitt der Grünen Stadt als halbfertiger Rohbau stehen, der zudem noch in den letzten Kriegstagen ausbrannte. „Tote Stadt“ hieß die Siedlung im Volksmund, bevor der Bau um 1950 vollendet wurde.
Trotz der Wohnungsnot wurden ab 1938 in Tiergarten und Schöneberg auch viele Wohnungen abgerissen, um den Bau der Nord-Süd-Achse vorzubereiten. In einer ersten Umgestaltungsphase sollten über 50.000 Wohnungen, die eigentlich dringend benötigt wurden, dem Boden gleichgemacht werden. Noch im dritten Kriegsjahr 1942 wurden für die Achsen Häuser zerstört, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Bombardierung Berlins schon viele Menschen obdachlos gemacht hatte. Albert Speers Generalbauinspektion bezeichnete die Verwüstungen durch die britischen Bomber zynisch als „wertvolle Vorarbeit zum Zwecke der Neugestaltung“.
Luftschutzgerechte Stadt
Ein großer Teil der tatsächlich neu gebauten Wohnungen war bestimmten Gruppen vorbehalten, wie etwa die „SS-Kameradschaftssiedlung“ an der Krummen Lanke für SS-Angehörige, oder war für Mieter reserviert, deren Wohnungen für die Achsenplanungen vernichtet wurden. Dazu gehört auch die mit 2000 Wohnungen größte vollendete Siedlung aus der Nazi-Zeit am Grazer Damm. Dort kann man die Prinzipien des NS-Wohnungsbaus gut ablesen. Die zentrale Straßenachse wird von langgestreckten fünfgeschossigen Blöcken gesäumt. Die verputzten gleichförmigen Fassaden mit monoton aufgereihten kleinen Fenstern und hohen Walmdächern wollen einen monumentalen Eindruck vermitteln und wirken teilweise festungsartig abweisend. Die strenge Blockrandbebauung umschloss große Grünflächen. Der Blockrand wurde jedoch immer an ein oder zwei weniger repräsentativen Seiten offen gelassen. „Luftschutzgerechte Stadt“ hieß das dahinterstehende Planungsprinzip: Im Falle eines Bombenangriffs sollte damit der Luftdruck von Sprengbomben entweichen, ohne Schäden anzurichten. Außerdem sollte der bei engen Höfen gefürchtete „Kamineffekt“, bei dem die Flammen durch den Sog im ganzen Haus um sich greifen, verhindert werden. Die NS-Planungsideologen nahmen im Wohnungsbau den Bombenkrieg vorweg, obwohl sich die Nationalsozialisten offiziell noch als friedliebend darzustellen versuchten.
Ein weiteres Planungsleitbild war die „Ortsgruppe als Siedlungszelle“. Neu errichtete Wohnquartiere sollten sich in Größe und innerer Ordnung nach dem Ortsgruppenaufbau der NSDAP bemessen. Das gesamte Leben in einer solchen „Siedlungszelle“ sollte hierarchisch vom Ortsgruppenleiter über den Blockwart bis hinunter zum einzelnen Parteigenossen durchorganisiert sein.
„Ausdruck anständiger Gesinnung“
Die architektonische Gestaltung wurde bis in die Einzelheiten vom Stadtplanungsamt kontrolliert. Vom Dach bis zum Gartenzaun mussten sämtliche Materialien, Formen und Farben der sogenannten „Schönheitsauflage“ entsprechen. Alle Bauten sollten so ausgeführt werden, dass sie „Ausdruck anständiger Baugesinnung“ sind, wie es in einer Verordnung von 1936 hieß. Die Ausstattung der Wohnungen blieb hinter den Standards der Weimarer Republik weit zurück. In einem Erlass von 1935 wurden die Maßstäbe für die „Volkswohnung“ festgelegt. Gefordert wurde die Errichtung „billigster Mietwohnungen in ein- und mehrgeschossiger Bauweise, die hinsichtlich Wohnraum und Ausstattung äußerste Beschränkung aufweisen“. Bauherren erhielten nur Fördergelder, wenn die Baukosten unter 3500 Reichsmark pro Wohnung lagen. Zudem wurde 1937 der Höchstsatz der Monatsmiete auf 50 Reichsmark festgesetzt. Daher wurden vor allem kleine Wohnungen mit geringem Komfort gebaut. Auf Balkone oder Loggien wurde fast immer aus Kostengründen verzichtet, die Ausstattung von Küchen und Bädern war einfach, Zentralheizungen nicht vorgesehen. Empfohlen wurde auch, an jedem Aufgang pro Etage drei Wohnungen anzuordnen. Weil bei diesen „Dreispännern“ die mittlere Wohnung nicht quergelüftet werden kann, war dieser Erschließungstyp in der Bauordnung der Weimarer Republik abgeschafft worden.
Nach dem Krieg lag Deutschland in Trümmern. Die Not ließ keinen Platz für die Frage, ob man das bauliche Erbe des Terrorregimes weiter nutzen sollte. Eindeutiger Fassadenschmuck wie Hakenkreuze und Reichsadler wurden abgeschlagen, einige Straßen umbenannt. Die Entstehungsgeschichte der Wohnsiedlungen wurde nicht hinterfragt. Die Häuser wurden nicht geliebt, waren aber nun mal da und boten ein Dach über dem Kopf. Selbst in der Fachwelt gab es bis in die 70er Jahre kaum Forschungen zu Architektur und Städtebau der Nazi-Zeit. Der Architekturhistoriker Nikolaus Pevsner tat das Bauen jener Zeit in seinem Standardwerk „Europäische Architektur“ 1967 mit einem Satz ab: „Was die nationalsozialistische Architektur in Deutschland angeht, so ist jedes Wort über sie zuviel“.
Später gab es zum Teil hitzige Diskussionen darum, ob man bauliche Zeugnisse der Nazi-Zeit unter Denkmalschutz stellen soll oder ob die „hässlichen“ Hinterlassenschaften einer „Unkultur“ des Schutzes nicht wert sind. Von dem baulichen Erbe stehen heute nicht nur die monumentalen Verwaltungsbauten, sondern auch Wohnsiedlungen wie der Grazer Damm, Krumme Lanke und Teile der Grünen Stadt auf der Denkmalliste.
Jens Sethmann
Interview mit dem Architekten und Bauhistoriker Dr. Wolfgang Schäche
MieterMagazin: Wie kamen Sie dazu, sich mit dem Bauen im Nationalsozialismus zu beschäftigen?
Schäche: Als ich Anfang der 70er Jahre begann, mich intensiv und grundlegend mit der Architektur und dem Städtebau im Nationalsozialismus wissenschaftlich auseinanderzusetzen, war das Interesse an diesem folgenschweren Kapitel der jüngsten deutschen Geschichte generell noch irritierend gering. Von der Kunst- und Baugeschichte bis dahin weitgehend ignoriert, ist es erst in der Folgezeit sukzessive aus der Tabuzone geholt worden. Mehr als drei Jahrzehnte beherrschte bezüglich der Aufarbeitung des „Dritten Reiches“ die Strategie der „Bewältigung durch Verdrängung“ das gesellschaftliche Bewusstsein. Seit Beginn der 80er Jahre ist ein Bewusstseinswandel festzustellen. Man begann, sich in allen Bereichen für Geschichte zu interessieren. Dabei ist auch die Beschäftigung mit der Architektur des „Dritten Reiches“ zu einem bevorzugten Thema geworden, das oftmals jedoch, von seinem gesellschaftspolitischen Zusammenhang abgekoppelt, allein architekturästhetisch rezipiert wird. Ich versuche, solchen bedenklichen Tendenzen bewusst und offensiv entgegenzusteuern.
MieterMagazin: Welchen Stellenwert hatte der Wohnungsbau im Nationalsozialismus?
Schäche: Der Wohnungsbau blieb in Berlin – wie überall im Reich – bemerkenswert unterentwickelt und erreichte erst 1937 eine akzeptable Größenordnung. Die drängenden sozialen Probleme hatten einen nachgeordneten Stellenwert. Die Wohnungsbaupolitik reduzierte sich zunächst auf die „Kleinsiedlungen im Grünen“, die an den Peripherien der Stadt angelegt wurden. Solche Siedlungen, wie zum Beispiel die „Kleinsiedlung Spekte“ in Spandau, die „Kleinsiedlung Dreipfuhl“ in Zehlendorf oder die „Kleinsiedlung Waldidyll“ in Reinickendorf, waren im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gleichzeitig auch Ausdruck der in der innenpolitischen Konsolidierungsphase propagierten Großstadtfeindlichkeit. Die Kleinsiedlung, traditionalistisch in ihrer Konzeption, von agrarromantischen, antistädtischen Ideologien getragen, fand insbesondere bei der Landbevölkerung und dem städtischen Kleinbürgertum großen Anklang, denen man die Großstadt als „Wurzel allen Übels“ plausibel machen konnte.
MieterMagazin: Wie kam es zur Hinwendung zum innerstädtischen Wohnungsbau?
Schäche: Ab dem Jahr 1935 setzte allmählich und ab 1937 dann forciert eine pragmatischere Einschätzung der Stadt ein. Ohne die Wirtschaftskraft der Stadt als Konzentration von Produktionsstätten, Absatzmärkten und Arbeitskräftepotenzialen musste die Realisierung der programmierten expansionistischen Ziele undenkbar erscheinen. Beispielhaft für den Wohnungsbau dieser Phase stehen zwei Großprojekte: die Wohnanlage Grazer Damm und die Siedlung Charlottenburg-Nord. Beide sollten Ersatzraum für die Wohnungsabrisse zugunsten der Achsenplanung schaffen. Während die Wohnanlage Grazer Damm in den Jahren 1938 bis 1940 noch weitgehend verwirklicht werden konnte, blieb der Bau der Siedlung Charlottenburg-Nord, mit dem erst 1939 begonnen wurde, bis auf wenige Fragmente in den Vorarbeiten stecken.
MieterMagazin: Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit solchen Siedlungen wie dem Grazer Damm heute umgehen?
Schäche: Ohne Frage stellen auch solche Siedlungen trotz ihrer funktionalen Einschränkungen sowie politisch motivierten Ausdrucksformen einen volkswirtschaftlichen Wert dar, den es zu bewahren gilt. In diesen Siedlungen wohnen Menschen, die dort ihr Leben eingerichtet haben. Insofern sollte man die Gebäudesubstanz wie auch bei anderen Wohnsiedlungen pflegen und instandhalten sowie – wenn notwendig – in ihrem Wohnwert qualifizieren. Was jedoch vermieden werden muss, ist ihre gestalterische Verfremdung beziehungsweise Verniedlichung. Sie sind als Dokumente ihrer Zeit zu erhalten und dürfen die mit ihrer Architektur vermittelten politischen Intentionen nicht verleugnen.
Interview: Jens Sethmann
Die in der Nazi-Zeit entstandenen Wohnsiedlungen sind heute in besonderem Maße vom Umbruch in der Wohnungswirtschaft betroffen, weil ein großer Teil von ihnen an rein profitorientierte Unternehmen verkauft wurde. Die GSW, die die meisten Siedlungen errichtet hat und heute noch besitzt, wurde 2004 vom Land Berlin an eine sogenannte Heuschrecke, den Investment-Fonds Cerberus verkauft. Seitdem gibt es vor allem in den Siedlungen Grazer Damm und Grüne Stadt umfangreiche Modernisierungsaktivitäten, die viele der zum Teil schon sehr lange dort wohnenden Mieter verunsichern. Aus Sicht der Immobilienhändler haben gerade diese Siedlungen ein hohes Modernisierungspotenzial und bieten damit große Mieterhöhungsmöglichkeiten. Die Ausstattung der Wohnungen ist trotz einiger verhaltener Modernisierungen in den vergangenen Jahrzehnten immer noch unterdurchschnittlich. Viele Mieter haben auch selbst Hand angelegt und eine Gasetagenheizung, eine bessere Kücheneinrichtung oder eine zeitgemäße Sanitärinstallation eingebaut. Auch deswegen liegt das Mietniveau vielfach noch unter den Werten des Mietspiegels. Am Grazer Damm und in der Grünen Stadt plant die GSW eine durchgreifende Erneuerung aller Bäder und Küchen sowie den Anbau von Balkonen. Die daraus resultierenden Mietsteigerungen übersteigen die Zahlungsfähigkeit vieler Mieter.
Von den 2000 Wohnungen am Grazer Damm hat Cerberus schon nach wenigen Monaten über 1500 an die Kölner Vivacon AG verkauft, die als Privatisierungsprofi bekannt ist. Davon hat die Vivacon kurze Zeit später fast 900 Wohnungen an die österreichische „Conwert Immobilien Invest AG“ weiterveräußert, andere gingen an eine australische „Babcock & Brown Residential Property S.a.r.L. & Co KG“. In der Grünen Stadt sind Anfang 2006 auch schon rund 480 der 1800 Wohnungen an die Schweizer „MCT Grundstücksverwertungsgesellschaft“ verkauft worden.
Ähnlich sieht es bei der Gagfah aus, der unter anderem die ehemalige SS-Kameradschaftssiedlung an der Krummen Lanke gehört. Die Gagfah wurde 2004 an den Investment-Fonds Fortress verkauft, der zurzeit plant, die Gagfah an die Börse zu bringen. Die Wohnungen und Häuser der Siedlung werden derweil den Mietern zum Kauf angeboten.
js
MieterMagazin 11/06
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Transit Buchverlag, Berlin 2005
(3. Auflage), 208 Seiten, 19,50 Euro,
Wolfgang Schäche:
Architektur und Städtebau in Berlin zwischen 1933 und 1945 – Planen und Bauen unter der Ägide der Stadtverwaltung,
Gebr. Mann Verlag, Berlin 2003 (2. Auflage),
656 Seiten, 34,80 Euro,
Matthias Donath:
Architektur in Berlin 1933-1945 – Ein Stadtführer,
Lukas Verlag, Berlin 2004,
255 Seiten, 29,80 Euro,
Stephan Porombka, Hilmar Schmundt (Hrsg.):
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List Taschenbuch Verlag, Berlin 2006,
222 Seiten, 7,95 Euro,
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