So dynamisch sich viele Städte heute über der Erde verändern, so starr sind sie oft schon wenige Meter darunter. Traditionelle Leitungsnetze der Zu- und Abfuhr von Wasser verschlingen hohe Kosten. Beispiel Berlin: Das Netz der Rohrleitungen ist sehr alt und sehr groß. Umbauten wären in der Hauptstadt besonders aufwendig und teuer.
„Die historisch gewachsenen Netze für Trink- und Abwasser sind unflexibel und für heutige Bedürfnisse oft zu groß dimensioniert“, betont Harald Hiessl. Der Leiter der Abteilung Umwelttechnik und Umweltökonomie untersucht am Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) unter anderem, wie sich diese Probleme in Zukunft vermeiden lassen. „Die Größe und der oft marode Zustand der Leitungssysteme sind ein wesentlicher Grund dafür, weshalb in Deutschland rund vier Fünftel der Ausgaben für diesen Bereich in die Instandhaltung und den Ausbau fließen.“
Hiessl nennt die Gründe, warum die Wasserversorgungsnetze eine Nummer zu groß sind: „Zum einen ist da der Bevölkerungsrückgang: Deutschland wird im Jahr 2050 rund 20 Millionen Einwohner weniger haben.“ Außerdem gehe der Wasserverbrauch pro Kopf deutlich zurück: „Haushaltsgeräte wie etwa Spülmaschinen verbrauchen nicht mehr – wie noch vor 15 Jahren – 60, sondern nur noch 15 bis 20 Liter.“ Jeder Berliner nutzte 2004 durchschnittlich 119 Liter Wasser pro Tag. Für 2005 wird von den Berliner Wasserbetrieben (BWB) ein Rückgang um einen Liter pro Tag und Person erwartet. Berlin wird vom Bevölkerungsrückgang voraussichtlich zwar nicht so betroffen sein. Doch hier hat die Schließung vieler Industrieanlagen bereits zu einem deutlichen Rückgang des Wasserverbrauchs geführt: „In der Zeit von 1990 bis 2002 sank der Trinkwasserabsatz in Berlin um 42 Prozent“, berichtet Eike Krüger, Sprecher der BWB. „Sieben der zuvor 16 Wasserwerke wurden geschlossen.“
Doch das unterirdische Netz blieb erhalten. Berlin leistet sich als größte Stadt Deutschlands auch die umfangreichste Infrastruktur für die Ver- und Entsorgung von Wasser: Hier gibt es 257.000 Hausanschlüsse, die von den Versorgungsleitungen abgehen, und ebenso viele Wasserzähler. Das in den Wasserwerken aufbereitete Trinkwasser wird über ein 7800 Kilometer langes Rohrnetz verteilt. Darin befinden sich fast 62.000 Hydranten und nahezu 90.000 Schieber. Der Hauptanteil, über 80 Prozent des Netzes, entfällt auf die Versorgungsleitungen mit einem Durchmesser von 5 bis 30 Zentimeter. Die Hauptleitungen haben einen Durchmesser von bis zu 1,4 Metern.
Fließt weniger Wasser durch diese Rohre, reduziert sich die Fließgeschwindigkeit. Doch zu lange darf das Wasser nicht unterwegs sein, wenn die Qualität gesichert bleiben soll. 2003 betrug die Jahresfördermenge der BWB 222 Millionen Kubikmeter, die mittlere tägliche Wasserförderung 608.000 Kubikmeter. Eine Spitzenleistung von 1,14 Millionen Kubikmeter pro Tag ist möglich.
Auch Löschwasser ist Trinkwasser
Auch Löschwasser für die Feuerwehr kommt durch die Trinkwasserleitungen, dafür müssen im Notfall enorme Kapazitäten bereitgestellt werden können.
So wird uns dieses Netz in seiner Grundstruktur erhalten bleiben – eine lange Geschichte wird fortgeführt: Die ältesten Rohre sind etwa 130 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der Rohre liegt in Berlin bei 50 Jahren. Und das macht die Instandhaltung nicht einfacher. Die Rohre aus verschiedenen Epochen sind unterschiedlicher Bauart und erfordern unterschiedliche Methoden der Instandhaltung.
„Das Berliner Leitungsnetz ist trotz seines teilweise beträchtlichen Alters in einem sehr guten Zustand“, betont Krüger. „Wir haben sowohl deutschland- als auch europaweit eine der geringsten Schadensquoten.“ Stattdessen machen in Berlin die Hausanschlüsse Sorgen: Das sind die letzten Meter Rohr direkt in den Gebäuden. Sie gehören nicht mehr zum Zuständigkeitsbereich der BWB, sondern sind Sache der Eigentümer. In neuen Gebäuden werden vor allem Kupferrohre eingebaut. Aber noch 1999 hatte jedes sechste Haus in Berlin Bleileitungen, vor allem Altbauten. Steht in ihnen das Wasser über Nacht, können Schwermetalle ins Trinkwasser gelangen – außer Blei und Kupfer auch Cadmium und Zink.
Ein Ost-Berliner Vorteil
Den neuen EU-Grenzwerten für Trinkwasser sind die Bleirohre jedoch nicht mehr gewachsen. Und deshalb startete die BWB im Februar eine Initiative, um Hausbesitzer zu einem Aus- und Umbau zu bewegen. „Wir werden Straßenzug um Straßenzug alle Eigentümer ansprechen“, berichtet Krüger. Mitte werde voraussichtlich der erste bleifreie Bezirk werden. Den größten Bedarf sieht Krüger im Süden und Südwesten der Stadt. Der Osten hingegen hat einen Vorsprung. Dort wurde schon zu DDR-Zeiten kein Blei mehr für Trinkwasserrohre verwendet – das Metall war zu wertvoll.
Laut Hiessl müsste in den Wohnungen und Häusern mehr passieren als der Austausch von Bleirohren. Wirkliche Abhilfe bringen könnte „DEUS 21“. Dieses „Dezentrale Urbane Infrastruktur-System“ ist ein Modell für künftige kommunale Wasserwirtschaft. Das Ziel: Die konsequente Abkehr von unseren bisherigen Leitungssystemen mit Hilfe nahezu autarker Häuser, die kaum noch Wasser von außen benötigen und deutlich weniger Abwasser ausstoßen. Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit zwei Millionen Euro gefördert, arbeiten neben Stadtplanern drei Forschungsinstitute und sechs Industriepartner daran. „Schritt eins lautet: Trinkwasser sparen“, so Hiessl. Was verbraucht wurde, etwa Duschwasser, kann als Brauchwasser, zum Beispiel für die Toilettenspülung, genutzt werden. „Die Aufbereitung dafür kann direkt in der Wohnung erfolgen.“ Kombiniert mit der Regenwasseraufbereitung könne damit der Trinkwasserbedarf erheblich gesenkt werden. Das hieße dann aber auch: „Die Lösch- und Trinkwasserverteilung müsste getrennt werden, um die Kapazitäten entsprechend senken zu können.“
Doch damit nicht genug: Bestandteil des Projektes DEUS 21 ist auch, das Abwasser deutlich zu reduzieren. „Denn die Kosten dafür sind höher als für Trinkwasser“, betont Hiessl. „Auch Abwasser kann – zumindest teilweise – dort wo es anfällt, also in der Wohnung, wieder aufbereitet werden.“ Denn was an verschiedenartigem Abwasser in der Kanalisation zusammengemischt werde, müsse in der Kläranlage wieder aufwändig entmischt werden. Auch in der Kanalisation hätte das einen Komplettumbau zur Folge. Denn herkömmliche Abwassersysteme funktionieren nach dem Schwemmprinzip: Die Kanalisation benötigt eine Mindestmenge an Durchfluss, damit auch alles bis zur Kläranlage gelangt. Ähnlich wie bei der Trinkwasserversorgung wären in Berlin viele Kilometer Abwasserleitungen davon betroffen (siehe Kasten). Aufwand und Kosten wären nicht absehbar. Deshalb wird in Berlin wohl auch künftig mit herkömmlichen Methoden gespart – aber nicht zuviel, damit die Netze ausgelastet bleiben!
Lars Klaaßen
MieterMagazin 4/05
Fast 10.000 Kilometer lang: das Berliner Abwasserkanalnetz
Foto: Paul Glaser
Werden die Abwassermengen geringer, versagt das Schwemmprinzip: Neue Kanäle werden als Druckleitungen angelegt
Foto: Paul Glaser
Die historisch gewachsenen Netze sind für heutige Verhältnisse zu groß dimensioniert: Bau der Kanalisation am Berliner Alexanderplatz um 1912
Foto: Berliner Wasserbetriebe
In Zahlen
Berlins Kanalisation
Das Abwasserkanalnetz der Berliner Wasserbetriebe hat eine Länge von 9228 Kilometern. Es umfasst 4100 Kilometer Schmutzwasserkanäle, 3166 Kilometer Regenwasserkanäle und 1894 Kilometer Mischwasserkanäle sowie zahlreiche Sonderbauwerke wie Regenüberläufe, Regenbecken und Dükeranlagen. Der kleinste Durchmesser eines Kanals beträgt 20 Zentimeter, die größten Profile haben Abmessungen von 4,40 mal 3,40 Metern. 61,2 Prozent der Kanäle bestehen aus Steinzeug, 24,5 Prozent aus Beton und Stahlbeton, 6,4 Prozent aus Faserzement, 4,7 Prozent aus Mauerwerk, 2,8 Prozent aus Kunststoffen und 0,4 Prozent aus metallischen Werkstoffen. Jeder Kanal hat etwa alle 60 Meter einen Einsteigschacht, der mit einer Schachtabdeckung versehen ist. Davon gibt es in Berlin rund 200.000 Stück.
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03.05.2018