Steht einer Familie Zuwachs ins Haus, stellt sich bald die Frage nach einem Umzug. Ob die neue Wohnung am grünen Stadtrand liegen soll oder im bewährten sozialen Umfeld des Innenstadt-Kiezes, ob es die Familie ins Eigentum zieht oder ob die Wohnräume weiterhin gemietet werden – solche Fragen beantworten Eltern auf der Grundlage von Lebensentwürfen, Wertvorstellungen, beruflichen Erfordernissen und dem letztlich einzig die Grenzen setzenden Kriterium ihrer finanziellen Verhältnisse. Es gibt nur einen Punkt, in dem Familien der Schuh an gleicher Stelle drückt: Sie möchten nach einem Umzug mehr Platz zur Verfügung haben als vorher. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, dass auf einem angespannten Markt wie in Berlin die Familienwohnungssuche zum Hochleistungssport gerät. Das MieterMagazin wollte es genau wissen: Fünf Familien auf Wohnungssuche. Was haben sie gesucht? Was haben sie gefunden? Was konnten sie sich leisten? Und wo haben sie zurückgesteckt?
Eine Nebenstraße im Friedrichshainer Samariterviertel. Die Haustür öffnet sich und gibt den Blick auf einen Fuhrpark frei: Hier lehnen große und kleine Räder an der Wand, sind Kinderwagen und -anhänger geparkt. Dazwischen Beutel mit Bällen, Schippen, Spielgerät – sofort griffbereit, wenn ihre kleinen Besitzer sie brauchen. Malik und Laouen beispielsweise, sieben und vier Jahre alt. Die beiden Jungen wohnen hier mit ihren Eltern und dem neugeborenen Brüderchen. Zusammen mit ihren Eltern Franziska Albrecht und Jean-François Fraval. Vor vier Jahren ist die Familie hier eingezogen, da stand die Geburt des zweiten Kindes unmittelbar bevor. „Wir hatten eine Zweizimmerwohnung im südlichen Kiez“, erzählt Franziska Albrecht. „Zu viert hätten wir dort unmöglich wohnen können, also haben wir gesucht.“ Im Internet fanden sie die Anzeige einer Genossenschaft: Vier Zimmer, 87 Quadratmeter, 485 Euro mit kalten Betriebskosten.
Ein Glücksfall, das ist ihnen heute klar. Denn Familie boomt im Friedrichshain. Auch wenn das Stadtgebiet mit weit über 115.000 Einwohnern „nur“ auf Platz sechs der bevölkerungsreichsten Bezirke Berlins steht, sind die Geburten sprunghaft gestiegen: So hat sich die Zahl der Kinder, die noch kein Jahr alt sind, seit 2003 um ein Drittel erhöht, leben heute hier rund 6400 unter Sechsjährige – fast 60 Prozent mehr als im Jahr 2000. Das Umfeld links und rechts der Frankfurter Allee ist mitgewachsen – es entstanden neue Spielplätze, öffneten Geschäfte für Kinderkleidung, Bioläden, Kitas und Schulen wurden erweitert.
Aber die Wohnungen hinter den sanierten Gründerzeitfassaden und in den Plattenbauten scheinen mit den größer werdenden Familien aus allen Nähten zu platzen. „Viele sind als junge Leute von außerhalb zugezogen“, erklärt die Sozialforscherin Regina Jäkel von der Beratungsgesellschaft ASUM („Angewandte Sozialforschung und Urbanes Management“). „Mittlerweile haben sie Kinder bekommen und brauchen mehr Platz.“ Wo werden sie ihn suchen und finden? Das interessiert durchaus auch die Kommunalpolitiker, und so gab die Stadtentwicklungsabteilung des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg bei ASUM eine Studie in Auftrag mit der Frage: Ist Friedrichshain ein Ort für Familien?
88 Prozent der Befragten dort fühlen sich wohl im Kiez, möchten bleiben. Aber mehr als die Hälfte denkt über einen Umzug nach. „Haushalte mit Kindern suchen nach Vier- und Mehrzimmerwohnungen“, so Regina Jäkel. Davon gibt es in Friedrichshain höchstens 20 bis 25 Prozent, in den Sanierungsgebieten laut Studie sogar nur 8 Prozent. „Solche Wohnungen sind in der Regel von Haushalten ohne Kinder belegt“, so die Sozialforscherin. „Die ziehen auch nicht so schnell wieder aus.“ Damit blockieren sie den Bedarf vieler Familien. Die ASUM-Studie spiegelt die wichtigsten Wünsche von Familien in Bezug auf ihre Wohnsituation wider: die Kinder in der gewohnten Umgebung lassen, für jede Person im Haushalt ein Zimmer haben – und die Miete bezahlen können. „Die meisten Familien kriegen das nicht unter einen Hut“, weiß Regina Jäkel.
Die junge Frau hat gerade einen Zettel ans schwarze Brett der Kita gehängt: Suchen Vierzimmerwohnung. „Bei den üblichen Wohnungsbesichtigungen hat man doch keine Chance“, erklärt Dana B*. Seit vier Jahren wohnt die Krankenschwester mit ihrer Familie in dem Neuköllner Reuterkiez. „Als wir Anfang 2000 aus Köln nach Berlin gezogen sind, sind wir auf einen ziemlich entspannten Wohnungsmarkt gekommen“, erinnert sie sich. Wo das Paar in Köln über drei Monate von einer Besichtigung zur nächsten hastete – immer getrennt, damit sie möglichst viele schaffen konnten -, fanden sie auf Anhieb im Kreuzberger Graefekiez eine Wohnung. Auch der Wechsel in den Reuterkiez nach der Geburt des ersten Kindes war noch kein Kraftakt. „Hier wollte damals doch kaum jemand her.“
Ein Ausweg: Engerrücken
Seit einem Jahr ist statt des Gemüsehändlers unter ihrer Wohnung ein Restaurant eingezogen, stehen Tische und Stühle auf dem Bürgersteig, geht der Lärm auf der Straße bis tief in die Nacht. Vielleicht hätten sie sich ohne diese Veränderung auch nach der Geburt des zweiten Kindes in den drei Zimmern irgendwie eingerichtet. Aber noch herrscht Optimismus, was die Wohnungssuche betrifft. Wenn es nicht klappt? Dann wird man sich eben doch in drei Zimmern einrichten müssen. Zusammenrücken ist dann die Lösung.
Rund 1,63 Millionen Mietwohnungen zählt Berlin derzeit, in 318.000 Familienhaushalten leben Kinder unter 18 Jahren. Wie viele von ihnen auf der Suche nach einer größeren oder auch preiswerteren Bleibe sind, ist statistisch nicht erfasst. Dafür aber das Angebot, das sie auf dem Markt vorfinden. Es ist überschaubar: Der durchschnittliche Wohnungsleerstand liegt derzeit bei etwa 3,3 Prozent. Verteilt ist er höchst ungleich: „Wir haben eigentlich gar keinen Leerstand“, erklärt Steffi Pianka, Pressesprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Das Unternehmen bewirtschaftet etwa 33 000 Wohnungen. Die liegen hauptsächlich in Mitte, beispielsweise in der Spandauer Vorstadt oder im Nikolaiviertel – aber auch in Friedrichshain. Wer am Anfang des Jahres auf die Internetseite der WBM schaute, fand dort gerade elf Angebote. Steffi Pianka: „Zwei Drittel unserer Mieter wohnen seit vielen Jahren in ihren Wohnungen. Wird wirklich mal was frei, gibt es eine lange Warteliste.“
Ganz so schlimm ist es beim Wohnungsunternehmen Degewo nicht – zumindest wenn es um ihre Bestände in Marzahn geht. 18.000 Wohnungen bewirtschaftet das kommunale Unternehmen in der Großsiedlung. Etwa 5 Prozent beträgt hier der Leerstand, das sind rund 900 bezugsfähige Wohnungen. Viele sind in Größe, Ausstattung und nach Anzahl der Zimmer durchaus familientauglich. „Und mit Mieten um 5 Euro nettokalt auch bezahlbar“, sagt Lutz Ackermann, Pressesprecher der Degewo.
Ähnliches gilt für das Wohnungsunternehmen Gesobau mit seinen 40.000 Wohnungen. Derzeit stehen über 1780 frei und sind sofort vermietbar. Viele davon im Märkischen Viertel und viele typische Familienwohnungen mit großen Wohn- und kleineren Kinderzimmern, mit separaten Küchen, die oft nachgefragt und bevorzugt werden, mit Balkonen, Aufzügen, Abstellplätzen. „Bei Neuvermietungen im vergangenen Jahr haben wir zu etwa 30 Prozent an Familien vermietet“, so Pressesprecherin Kirsten Huthmann. Also doch alles nicht so schwierig für Familien auf Wohnungssuche? „Die Wohnungsunternehmen haben Millionen investiert“, ergänzt Dirk Wohltorf, Regionalvorsitzender des Immobilienverbandes Deutschland (IVD). 30.000 freie Wohnungen gebe es in der Stadt, so der Makler, aber offensichtlich nur dort, wo die Leute nicht hin wollen: Gebiete von Reinickendorf, an der Residenzstraße, in der See- oder der Müllerstraße, in Spandau.
Keine Nachfrage, wo das Angebot ist – und umgekehrt
Erika F. hat ihre eigenen bitteren Erfahrungen gemacht. Zwei Jahre suchte die Alleinerziehende für sich und ihre beiden Kinder in Schöneberg nach einer neuen Wohnung. Sie wollte das vertraute Bayerische Viertel nicht verlassen, die 8-jährige Tochter sollte weiterhin ihre Schule besuchen und der anderthalbjährige Sohn nicht aus der Kita gerissen werden. „Ich bin schon hochschwanger bei Besichtigungen gewesen“, erzählt sie – noch immer frustriert. In überfüllten Wohnungen, mitunter mit 100 anderen Interessenten, musste die Innenausstatterin begreifen, dass sie chancenlos war. Trotz ihrer Anstellung und ihres festen Einkommens, trotz einwandfreier Schufa-Auskunft und der Bescheinigung, dass sie ihre Miete immer pünktlich bezahlt hat. Vermieter wollten Doppelverdiener und keine Alleinerziehenden, hatte ihr ein Makler deutlich zu verstehen gegeben.
Dass sie dennoch einen Mietvertrag für eine Dreieinhalbzimmerwohnung unterschreiben konnte, hat sie der Hilfe und Vermittlung von Freunden zu verdanken. Und ihrer Bereitschaft, zurückzustecken. Sie ist in Schöneberg geblieben, aber doch weit vom alten Kiez entfernt. „Jetzt muss ich mit meiner Tochter das Busfahren trainieren …“
Den Kompromiss ist Erika F. auch eingegangen, weil ihre Suche immer mehr zu einem Wettlauf mit der Zeit wurde. Sie hat innerhalb von zwei Jahren miterlebt, wie die Mieten in freigewordenen Wohnungen gestiegen sind: jährlich durchschnittlich um 8 Prozent, so meldeten es im vergangenen Herbst mehrere Untersuchungen in der Stadt. Makler Dirk Wohltorf kann den Trend auf dem Markt nur bestätigen, macht dafür aber neben der wachsenden Nachfrage auch die um sich greifenden Modernisierungen verantwortlich. Wo vor zehn Jahren ein Besitzer vor der Neuvermietung einfach mal die Wände streichen ließ, werden jetzt Dielen abgeschliffen, Fußbodenheizung und Parkett gelegt, eine neue Küche und wenn möglich eine Gästetoilette eingebaut. „Und dann kostet die Wohnung statt der 5 Euro kalt eben 8 Euro.“
Betrachtet man das Stadtgebiet, dann klafft bei den Mietpreisen die Schere mehr und mehr auseinander. So wurden im vergangenen Jahr nach dem Wohnkostenatlas der Wohnungsbaugesellschaft GSW am Hackeschen Markt in Mitte durchaus 11 bis 12 Euro Kaltmiete gefordert und gezahlt. Wer es sich leisten kann, überlegt sich bei solchen Preisen, ob nicht auch ein Immobilienkauf in Frage kommt. Auch im Eigentumssektor brodelt der Berliner Markt: Fast 10 000 Wohnungen wurden zwischen Januar und Juli 2012 in der Hauptstadt verkauft – ein Viertel mehr als im Vorjahreszeitraum und so viele wie noch nie innerhalb eines halben Jahres.
Matthias Kolbeck und seine Familie haben gekauft: „Wir wollten aus dem Prenzlauer Berg heraus und mit den Kindern mehr ins Grüne.“ Sie schlossen sich Freunden an, die eine Baugruppe gegründet hatten. „Das war die Chance für uns, bezahlbar an Wohneigentum zu kommen, ohne vorher viel Eigenkapital angehäuft zu haben.“ Etwa 15 bis 20 Prozent billiger sei das Bauen so gewesen, auch wenn es vor allem in der Planungsphase viel Zeit in Anspruch genommen hat: „Wir haben einmal wöchentlich mit anderen Baugruppenmitgliedern bis in den späten Abend zusammen gesessen.“
Diskutiert, beraten, ausgehandelt: Wie viel Keller wollen wir uns leisten? Was ist die richtige Haustechnik? Wie soll die Fassade gestaltet werden? Entscheiden sich alle für den gleichen Fußboden und sparen so Geld?
Eigenleistung statt Eigenkapital
Seit einem Jahr wohnt Familie Kolbeck nun in ihrem Holzhaus in Pankow, zusammen mit zwölf anderen Familien und 21 Kindern. Das nächste Kind ist gerade unterwegs, es soll im März geboren werden – das zweite Kind der Kolbecks.
„Für uns war die Entscheidung genau richtig“, sagt Matthias Kolbeck. Nicht nur, weil zum Haus auch ein Garten gehört oder weil es zum grünen Rand im Norden Berlins nur ein paar Fahrradminuten sind. Vor allem ist es die Nachbarschaft im Haus, die ein wenig an eine gute Dorfstruktur erinnert: „Wir wohnen mit unseren Kindern nicht mehr allein. Wir unterstützen uns gegenseitig. Das ist ein riesiger Vorteil.“
Entscheidungen wie die von Familie Kolbeck treffen auch andere: Sie verlassen die Citybereiche und ziehen in die Randlagen. Kein neuer Trend, aber er hält unvermindert an, obwohl doch die Innenstadt boomt und Berlin mehr Zuzügler verzeichnet denn je. Nach der neuesten Bevölkerungsprognose wird die Stadt bis 2030 etwa 250.000 Bürger mehr zählen. Darunter sind wieder viele 18- bis 25-Jährige, die zum Studieren oder für ihren ersten Job nach Berlin kommen. Trendsetter, die es nach einer Untersuchung der Comdirect-Bank vor allem nach Friedenau, in den Prenzlauer Berg und nach Friedrichshain ziehen wird. Familien dagegen verlassen der Untersuchung zufolge nach und nach die Innenstadt. Schon jetzt leben die meisten Kinder unter 18 Jahren gemessen an der Gesamtbevölkerung nicht etwa in der Babyboom-Region Mitte, sondern in Gatow (22,2 Prozent), im Märkischen Viertel (21,9 Prozent) und in Dahlem (20,4 Prozent). Die ganz unterschiedlichen Sozialstrukturen dieser Gebiete zeigen, dass die neuen Stadtrand-Familien aber nicht nur frischgebackene Eigentümer sind. Immer häufiger ist der Umzug in eine Randlage ein erzwungener – selbst für Haushalte, die über ein solides Einkommen verfügen.
Für Hellersdorf sprachen Preis und Umfeld
Nach Hellersdorf? Noch vor zwei Jahren hätten Anja und Rainer Zimmermann über einen solchen Vorschlag nur den Kopf geschüttelt. „Wir wollten in Friedrichshain bleiben“, sagt die Krankenschwester. Und der Diplom-Ingenieur für Maschinenbau ergänzt: „Wir wohnten ganz zentral in einem Hochhaus an der Jannowitzbrücke, die Kita gleich um die Ecke.“ Was sie aus ihrem alten Kiez „vertrieb“, waren der Wunsch nach einer größeren Wohnung und der Zustand ihres Hauses. Die Nachbarschaft war über die Jahre rauer geworden, Halbwüchsige lungerten vorm Haus, pöbelten Mieter an, spuckten auf den Boden. „Ein solches Wohnklima wollten wir unseren Kindern nicht antun“, erklärt Rainer Zimmermann entschieden. Die einzige Alternative in Friedrichshain: Fünf Zimmer für circa 1000 Euro kalt. Das konnte die junge Familie nicht bezahlen.
„Wir haben uns Zeit gelassen, und sind in Hellersdorf ein paar Mal spazieren gegangen“, erinnert sich Anja Zimmermann. Überrascht seien sie von Anfang an über das gepflegte Umfeld gewesen, die Sauberkeit – das Entgegenkommen des Vermieters bei der Wohnungsausstattung. Nun bewohnen sie fünf Zimmer auf 94 Quadratmetern für 687 Euro Warmmiete. Sie wissen: Es war die richtige Entscheidung. Und wenn sie jetzt jemand fragt, wieso sie „nach da draußen“ gezogen seien, verweisen sie auch auf den kurzen Weg in die Innenstadt: Mit der U5 ist die Kita der Kinder in 20 Minuten erreicht.
Stadtplanerische und finanzielle Gründe waren der Anlass, um mit einer Studie die Wohnsituation von Familien in Friedrichshain zu untersuchen: Lohnt es, dauerhaft neue Kapazitäten bei Kinderbetreuung und Schulen zu schaffen? „Was dafür spräche“, so Sozialforscherin Regina Jäkel, „ist der Trend zur Mehrkindfamilie, der sich immer mehr zu bestätigen scheint.“ Aber die Familien müssen auch im Quartier bleiben wollen – und bleiben können.
Doch das würde einen wohnungspolitischen Rahmen erfordern, der nicht in Sicht ist (hierzu auch unser Kasten auf Seite 14: „Das Mietniveau geht auf Kosten der Kinder!“). Regina Jäkel: „Ich beobachte die Wanderungsbewegungen von Familien seit zehn Jahren – bisher ist eine Umkehrung nicht festzustellen.“
Franziska Albrecht und Jean-François Fraval haben sich entschieden, im Samariterviertel zu bleiben. Weil Freunde hier wohnen, die französische Kita um die Ecke liegt, der Große seinen Schulweg allein gehen kann. Die Genossenschaftswohnung bekamen sie, weil sie im Parterre liegt und kein anderer sie wollte. Ihre günstige Miete ist für die Dolmetscherin und den Heilpraktiker, die als Freiberufler noch auf ergänzende Hartz-IV-Hilfen angewiesen ist, ganz entscheidend. Die beiden haben ihre Wohnung selbst aufwendig und mit schadstofffreien Naturmaterialien ausgebaut – und mit der Wohnungsgröße meinen sie schon hinzukommen. Im Sommer gibt es ja auch den grünen Hof, auf den seit wenigen Wochen eine Glastür aus ihrer Küche führt.
Rosemarie Mieder
MieterMagazin: Was belastet die Wohnsituation von Familien?
Reiner Wild: Zu allererst das steigende Mietpreisniveau. Familien haben nun mal einen größeren Wohnflächenbedarf als Haushalte ohne Kinder. Das ist das eine. Und das andere: Eine Familie besteht vielleicht aus vier, fünf oder mehr Personen – aber bestenfalls zwei Verdienern. Oft genug ist da sogar nur einer, der Geld nach Hause bringt und damit für die Miete aufkommen muss. Wenn eine Wohngemeinschaft in eine Fünfzimmerwohnung einzieht, geht die Miete in der Regel durch fünf.
MieterMagazin: Was hat das für Konsequenzen?
Reiner Wild: Familien müssen ihren Wohnflächenanspruch zurückschrauben – auf Kosten der Kinder. Für jedes ein Zimmer, das ist in Haushalten mit mittleren Einkommen oft nicht realisierbar. Da können bestimmte pädagogische Ansprüche kaum noch erfüllt werden.
MieterMagazin: Welche Forderungen hat der Mieterverein?
Reiner Wild: Familien, vor allem aber Alleinerziehende, müssen bei der Versorgung mit ausreichendem Wohnraum unterstützt werden. Unsere Kritik geht ans Land Berlin, das die städtischen Wohnungsbauunternehmen weitestgehend von der Belegungsbindung freigestellt hat.
Dann das nächste Problem: Was nützen Belegungsrechte, wenn die Wohnungen viel zu teuer sind? Das gegenwärtige Mietpreisniveau muss gesenkt werden. Außerdem sollten Belegungsbindungen auch bei Privatvermietern von Altbauten erworben werden. Über die Unterstützung bei baulichen Investitionen – etwa bei energetischen Sanierungen – wäre das machbar. Aber das ist im Moment politisch nicht gewollt.
MieterMagazin: Viele Familien flüchten irgendwann aus der Innenstadt und ziehen an den Stadtrand. Ist solch ein Trend zu stoppen?
Reiner Wild: Der Trend sagt viel über die Wohnqualität in der Innenstadt: zu laut, zu dreckig, zu viel Verkehr. Das sind die Gründe, warum Familien nach draußen ziehen. Es wird immer dichter gebaut, damit verschwinden ja nicht nur Ecken für eine Grüngestaltung oder Parkplätze – damit verschwinden Plätze, an denen Kinder spielen können. Auch bei der Gebäudesanierung unter Schallschutzaspekten liegt vieles im Argen: Auseinandersetzungen in Altbauten bei Kinderlärm haben viel mit fehlenden Isolierungen zu tun. Entweder die Vermieter unternehmen was, oder Familien flüchten eben an den Stadtrand, wo sie niemanden stören.
Das Interview führte Rosemarie Mieder.
MieterMagazin 1+2/13
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Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins
Foto: Sabine Münch
07.06.2018