Stand: 1/12
Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen über Störungen, die von Kindern ausgehen, hat sich in den letzten Jahren vielfach ein Wandel vollzogen. Viele Gerichte haben sich für mehr Toleranz gegenüber Kindern ausgesprochen. Mittlerweile gibt es auch neue gesetzliche Regelungen, die die Rechte von Kindern stärken. Im Landes-Immissionsschutzgesetz ist festgelegt, wann störende Geräusche, die von Kindern ausgehen, grundsätzlich sozialadäquat und damit zumutbar sind.
Störende Geräusche, die von Kindern ausgehen, sind als Ausdruck selbstverständlicher kindlicher Entfaltung und zur Erhaltung kindgerechter Entwicklungsmöglichkeiten grundsätzlich sozialadäquat und damit zumutbar.
Eine entsprechende Regelung enthält nunmehr auch das Bundesimmissionsschutzgesetz.
Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden.
Diese gesetzlich vorgegebene höhere Toleranzgrenze bei Kinderlärm wird die Interessenabwägung in Rechtsstreitigkeiten beeinflussen, Gerichtsverfahren jedoch auch zukünftig nicht verhindern. Die Akzeptanz von Kinderlärm in Wohngebieten und ein friedliches Nebeneinander wird weiterhin vorrangig durch gegenseitige Rücksichtsnahme und den individuellern Dialog gefördert werden können. Von daher sind die Gesetzesänderungen ein Bekenntnis des Gesetzgebers zum Schutz von Kindern, nicht mehr und nicht weniger.
Die Gesetzesänderungen bedeuten deshalb nicht, Kindern einen Freibrief für Rücksichtslosigkeit auszustellen; bei älteren Urteilen muss aber stets geprüft werden, ob sie den heutigen Maßstäben noch gerecht werden.
Es ist selbstverständlich, dass Kinder in der Wohnung spielen dürfen. Ihr Spielen darf aber nicht zu einer unzumutbaren Störung anderer Hausbewohner führen. Darauf müssen Eltern, insbesondere während der allgemeinen Ruhezeiten – mittags von 13 bis 15 Uhr und abends ab 22 Uhr bis zum nächsten Morgen 7 Uhr -, achten. Allerdings müssen das Lachen, Weinen und Schreien von Kleinkindern von jedem Hausbewohner als natürliches Verhalten der Kinder hingenommen werden (AG Bergisch Gladbach WuM 83, 236; AG Aachen WuM 75, 38), ebenso die Unruhe, die infolge des normalen Spiel- oder Bewegungstriebes der Kinder entsteht (OLG Düsseldorf WuM 97, 221; LG Heidelberg WuM 97, 38; AG Frankfurt WuM 2005, 764). Will der Vermieter wegen übermäßigen Lärms fristlos kündigen, muss er den Mieter auf jeden Fall zeitnah vorher abmahnen (LG Halle NZM 2003, 309).
Üblicher Kinderlärm hingegen ist kein Kündigungsgrund (LG Wuppertal WuM 2008, 563). Was für das Verhalten der Kinder innerhalb der Wohnung gilt, ist auch außerhalb der Wohnung bei Nutzung der Gemeinschaftseinrichtungen des Hauses zu beachten. Dabei ist auf den Nutzungszweck der Räume und Einrichtungen abzustellen. Aus diesem Grunde dürfen Kinder z. B. im Treppenhaus oder in den Kellerräumen nicht Rollschuhe oder Fahrrad fahren. Nicht gestattet ist auch Aufzugfahren nur als Spiel. Für das Verhalten der Kinder sind die Eltern im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht verantwortlich (BGH NJW-RR 87, 13; LG Hamburg WuM 83, 27). Die geforderte erhöhte Toleranz gegenüber Kinderlärm findet dort ihre Grenze, wo der Lärm nicht mehr sozialadäquat ist, wo Eltern eine schuldhafte Pflicht- bzw. Aufsichtsverletzung vorzuwerfen ist (LG Bad Kreuznach WuM 03, 328).
Mieter mit Kleinkindern sind berechtigt, am Haupteingang des Hauses einen Klingelknopf in einer Höhe anzubringen, die auch noch von den Kindern erreicht wird (AG Münster WuM 83, 176).
Problematisch ist, ob Kinder die zum Hause gehörenden Außenanlagen benutzen dürfen. Für kleine, meistens vor dem Hause liegende Ziergärten wird dies zu verneinen sein. Hingegen gehören das Spielen – auch mit Freunden – auf den gemeinschaftlichen Grundstücksflächen (LG Heidelberg WuM 97, 38; LG Berlin WuM 87, 212) zur vertragsgemäßen Nutzung. Ebenso können die Mitbewohner des Hauses dem Vermieter nicht verbieten lassen, einen Sandkasten aufzustellen (AG Aachen WuM 87, 83).
Die allgemeine Ansicht, dass zu einem zeitgemäßen und gesunden Wohnen Spielplätze gehören, findet ihren Niederschlag auch in entsprechenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts.
Nach § 8 Abs. 3 der Berliner Bauordnung ist von der bezirklichen Bauaufsicht dann eine Anordnung zur Erweiterung oder erstmaligen Herstellung von Kinderspielplätzen auch bei bestehenden Wohngebäuden zu erlassen, wenn
- Kinder auf dem Grundstück wohnen,
- das Grundstück die Möglichkeit bietet, in geeigneter Lage einen Kinderspielplatz anzulegen oder zu erweitern,
- die Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse an der Anlegung eines Kinderspielplatzes etwa vorgebrachten Belangen des Eigentümers vorgeht.
Die Ausführungsvorschriften zu § 8 Abs. 3 BauO Bln sind im Amtsblatt veröffentlicht (ABl. 07, 215).
§ 8 Abs. 3 der Berliner Bauordnung
Bei der Errichtung von Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen ist ein Spielplatz für Kinder anzulegen und instand zu halten (notwendiger Kinderspielplatz); Ausnahmen können gestattet werden, wenn nach der Zweckbestimmung des Gebäudes mit der Anwesenheit von Kindern nicht zu rechnen ist. Der Spielplatz muss auf dem Baugrundstück liegen; er kann auch auf einem unmittelbar angrenzenden Grundstück gestattet werden, wenn seine Benutzung zugunsten des Baugrundstücks öffentlich-rechtlich gesichert ist. Spielplätze sind zweckentsprechend und so anzulegen und instand zu halten, dass für die Kinder Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. Je Wohnung sollen mindestens 4 qm nutzbare Spielfläche vorhanden sein; der Spielplatz muss jedoch mindestens 50 qm groß und mindestens für Spiele von Kleinkindern geeignet sein. Bei Bauvorhaben mit mehr als 75 Wohnungen muss der Spielplatz auch für Spiele älterer Kinder geeignet sein. Bei bestehenden Gebäuden nach Satz 1 soll die Herstellung oder Erweiterung und die Instandhaltung von Kinderspielplätzen verlangt werden, wenn nicht im Einzelfall schwerwiegende Belange des Eigentümers dem entgegenstehen.
Der von Kindern auf einem Kinderspielplatz ausgehende Lärm muss hingenommen werden (BGH WuM 93, 277; OVG Münster WuM 87, 269; OVG Koblenz WuM 85, 378). Wird der Innenbereich einer großen Wohnanlage vertragsgemäß für Sport und Spiel von Kindern genutzt, können die Mitmieter und Nachbarn wegen der Lärmbelästigung usw. nicht die Miete mindern (LG München WuM 87, 121; AG Köln WuM 93, 606).
Oft verbietet der Mietvertrag den Mietern und damit auch ihren Kindern ganz generell die Nutzung selbst größerer zum Hause gehörender Garten- und Rasenflächen. Grundsätzlich binden solche Vereinbarungen den Mieter, es sei denn, dass sie rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam sind oder ihre Einhaltung als Schikane angesehen werden muss. Eine unzulässige Rechtsausübung ist jedoch dann nicht anzunehmen, wenn mit dem Verbot des Rasenbetretens die Ruhe der in dem Wohnblock lebenden älteren Mieter gewährleistet werden sollte (LG Frankfurt GWW 71, 506). Ob allerdings ein generelles Verbot des Betretens des zum Hause gehörenden Rasens oder des Spielens auf ihm wirksam ist, erscheint zweifelhaft.
Darf der Mieter Hof und Garten mitbenutzen, ist das Verbot des Vermieters, fremde Kinder zum Spielen einzuladen, unwirksam (AG Solingen WuM 80, 112). Eine gesunde Entwicklung der Kinder setzt gefahrloses und ungehindertes Spielen voraus, sodass erwartet werden kann, dass den Bedürfnissen der Kinder beim Bauen neuer Mehrfamilienhäuser dadurch Rechnung getragen wird, dass Spielgelände für Kleinkinder wie für Heranwachsende vorhanden ist (LG Freiburg ZMR 76, 210). Dabei kann der Vermieter entscheiden, wo auf dem Grundstück ein Spielplatz angelegt wird (OVG Berlin GE 94, 860). Er darf auch Einzelheiten an dem mitvermieteten Spielplatz ändern; er bleibt aber verpflichtet, einen für die Größe der Wohnanlage angemessenen Grundbestand zu gewährleisten (LG Berlin GE 97, 1401).
Nicht nur mit dem Vermieter, sondern auch mit den Mitmietern gibt es oftmals Unstimmigkeiten, wenn der Kinderwagen zeitweilig im Hausflur abgestellt wird. Da der Hausflur zu den mitvermieteten Gemeinschaftsflächen gehört, ist das Abstellen eines Kinderwagens grundsätzlich vertragsgemäß (BGH WuM 07, 29). Zwar ist es möglich, die Nutzung der Gemeinschaftsflächen mietvertraglich (z. B. in der Hausordnung) besonders zu regeln. Doch kann ein dort vorgesehenes Verbot unwirksam sein, wenn der Mieter im Einzelfall darauf angewiesen ist, den Kinderwagen im Hausflur abzustellen (AG Aachen WuM 08, 94; AG Hanau WuM 89, 366; AG Hagen WuM 84, 80). Der Vermieter kann seine einmal erteilte Zustimmung nur dann zurückziehen, wenn der Mieter kein berechtigtes Interesse an der Benutzung des Treppenhauses mehr hat oder gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt (AG Hamburg WuM 00, 303). Das Recht, den Kinderwagen im Hausflur abzustellen entfällt allerdings, wenn wegen des ungünstigen Zuschnitts des Hausflures die Mitmieter erheblich behindert werden (AG Charlottenburg WuM 84, 80; AG Köln WuM 95, 652).
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