Weit vor den Toren Berlins begann 1913 der Bau der Gartenstadt Falkenberg. Mit ihren kräftigen Fassadenfarben erregten die Häuser Aufsehen, im Volksmund kam schnell der Name „Tuschkastensiedlung“ auf. Obwohl nur ein Bruchteil der ursprünglichen Planung verwirklicht wurde, ist die Siedlung heute ein wichtiges Zeugnis der Gartenstadtbewegung und gehört deshalb zu den sechs Siedlungen der Berliner Moderne, die seit 2008 zum Welterbe der UNESCO zählen.
Orange gestrichene Reihenhäuser mit weißen Fenstern folgen auf schwarze Fassaden mit roten Fensterrahmen. Ein Gebäude hat an der Eingangsseite ein grün eingefasstes gelbes Rautenmuster, an einer anderen Fassade wechseln sich blaue und gelbe Quaderflächen ab. Aus einem vollkommen blauen Haus stechen leuchtend rote Fenster hervor. Das ist keine Kreation eines psychedelisch beeinflussten Malermeisters aus den farbenfrohen 70er Jahren, sondern das originale Farbschema, mit dem der Architekt Bruno Taut (1880 bis 1938) die Gartenstadt Falkenberg vor einem Jahrhundert unverwechselbar gemacht hat. Nicht nur die Buntheit war damals revolutionär. Die Siedlung war eine der ersten deutschen Gartenstädte.
Die Gartenstadtidee geht zurück auf das Buch „Garden-Cities of Tomorrow“ des Engländers Ebenezer Howard. Die Gartenstadt sollte eine Alternative sowohl zum beengten Dasein in der Großstadt als auch zum rückständigen Leben auf dem Dorf sein. Die „Vermählung von Stadt und Land“ war das Programm.
Über alle Konventionen hinweg
Die „Gemeinnützige Baugenossenschaft Gartenvorstadt Groß-Berlin“ wurde 1910 ins Leben gerufen. Die Gründer waren unter anderem Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Lebensreform-Idealisten. Auf der Suche nach einem Baugrundstück schlug ihnen großes Misstrauen entgegen. „Welche Schwierigkeiten selbst da entstanden, wo Land zu haben war, haben wir zur Genüge hier in Falkenberg erfahren, wo kein Mittel unversucht gelassen wurde, um die ,Proleten, Atheisten, Anarchisten, Obst- und Hühnerdiebe‘ an der Sicherung eines bescheidenen Anteils am deutschen Boden zu hindern“, schrieb der Genossenschaftsvorstand Adolf Otto rückblickend. 1912 konnten 75 Hektar des Gutes Falkenberg gekauft werden.
Mit der Planung wurde der damals noch kaum bekannte Architekt Bruno Taut beauftragt. Sein Bebauungsplan sah 1500 Häuser für 7000 Einwohner sowie ein Ledigenheim, ein Volksfesthaus und Läden vor. Gebaut wurde jedoch nur ein Fragment mit 80 Reihenhäusern und 10 Mehrfamilienhäusern. Im ersten Bauabschnitt, dem als Sackgasse angelegten Akazienhof, konnten die ersten Häuser schon im September 1913 bezogen werden. Beim Bau des zweiten Abschnitts am Gartenstadtweg tobte jedoch schon der Erste Weltkrieg, die Arbeiten mussten 1915 eingestellt werden.
Taut setzte sich über alle Konventionen hinweg. Die Häuser ordnete er nicht in Reih und Glied symmetrisch an, sondern ließ sie mit Vor- und Rücksprüngen geschwungenen Straßenverläufen folgen. Bei den Gebäuden selbst verzichtete er weitgehend auf den damals üblichen Bauschmuck und nutzte stattdessen kräftige Farben als Gestaltungsinstrument.
Der bewusste Bruch mit der bürgerlichen Architektur rief unter den Nachbarn und bei den Hausbesitzervereinen Empörung hervor. Ihnen wurde es zu bunt, und sie forderten die Gemeindevorstände von Alt-Glienicke und Grünau auf, Verordnungen gegen die „Verunstaltung“ des Ortsbildes zu erlassen. Bruno Taut erinnerte sich zehn Jahre später: „Zweimal wurde ich in jener Zeit als ein Verbrecher an der Seele des Volkes für ,verhaftungswürdig‘ erklärt.“ Die 135 Familien, die in der Gartenstadt wohnten, identifizierten sich hingegen voll und ganz mit ihrer Siedlung: Sie feierten regelmäßig Siedlungsfeste, gaben die Zeitung „Der Falkenberg“ heraus, dichteten eine eigene Hymne und entwarfen eine kunterbunte „Tautfahne“, die immer an der Spitze der Festumzüge vorangetragen wurde. Es gab eine Musik-, Sänger- und Schachgruppe, einen Jugendverein sowie einen eigenen Feuerlöschtrupp. „Ja, wir lieben unsere einstmals so verhöhnten farbigen Häuser, wir lieben den Künstler, der sie schuf, zu dem wir immer treu gehalten haben, und wir lieben unsere Feste, die uns in jedem Jahre seit Bestehen der Siedlung zu froher Arbeit einten“, bekennt Genossenschaftsmitbegründer Robert Tautz 1924 in der Siedlungszeitung.
Die Genossenschaft wollte ein Gemeinwesen ohne Klassenschranken sein, entsprechend gemischt war die Bewohnerschaft: Vom Metallarbeiter über den kaufmännischen Angestellten, Lokomotivführer, Handwerker, Kunstmaler und Beamten bis zum Fabrikdirektor waren alle Berufe vertreten.
Baudenkmal seit einem halben Jahrhundert
Die Wohnungen sind zwischen 41 und 100 Quadratmeter groß und waren von Anfang an mit Bad und WC ausgestattet – was damals noch nicht selbstverständlich war. Die Reihenhäuser haben zudem eigene Gärten von 135 bis 600 Quadratmetern Größe, die auch der Selbstversorgung dienen sollten. Die Genossenschaft ist nach dem Ersten Weltkrieg in Finanznot geraten und schloss sich 1919 dem Berliner Spar- und Bauverein (heute: Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892) an. Zum Weiterbau der Gartenstadt kam es nicht, obwohl Bruno Taut 1926 konkrete Pläne vorlegte. Aufgrund der Wohnungsnot setzte man in Berlin zunehmend auf innenstadtnahe Großwohnanlagen. Die Siedlung im Oststadtteil Treptow wurde 1951 in die Kommunale Wohnraumverwaltung überführt. Schon 1963, zum 50-jährigen Jubiläum der Gartenstadt, erklärte man sie zum Baudenkmal. Bei anschließenden Neuverputzungen ging allerdings die ursprüngliche Farbigkeit weitgehend verloren.
Mitte der 80er Jahre wurden erste Restaurierungen durchgeführt. Im Jahr 1991 übernahm die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 wieder die Verwaltung. Bei der ab 1993 durchgeführten Sanierung wurden die Farben rekonstruiert, verlorengegangene Originaltüren und -fenster nach historischem Vorbild nachgebaut sowie fehlende Fensterläden und Holzpergolen ergänzt. Seit 2002 erstrahlt die ganze Siedlung wieder in ihrer ursprünglichen Farbigkeit. Im Jahr 2008 wurde die Gartenstadt Falkenberg als „einmaliges Zeugnis für den Variantenreichtum im Reformwohnungsbau und die Experimentierbereitschaft des Architekten und des Auftraggebers“ zusammen mit fünf weiteren Berliner Siedlungen der Moderne in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen. Die Siedlung gilt als die farbenfroheste Gartenstadt Europas und begründete Tauts Ruf als „Meister des farbigen Bauens“. Am 8. September, dem Tag des offenen Denkmals, feiern die 230 Einwohner den runden Geburtstag ihrer Siedlung.
Seit dem Jahr 2000 wird die Gartenstadt Schritt für Schritt erweitert. Der 1993 beschlossene Plan weicht allerdings stark vom Ursprungskonzept ab. Gebaut werden auf einem rechtwinkligen Straßenraster neben Reihenhäusern auch dreigeschossige Etagenhäuser, in denen nur die Erdgeschossbewohner einen eigenen Garten haben.
Jens Sethmann
MieterMagazin 6/13
alle Fotos: Sabine Münch
Restauriert im Original-Farbschema von Bruno Taut: die Gartenstadt Falkenberg
Friedrich Wolff: Gartenstädte in und um Berlin, Hendrik Bäßler Verlag, Berlin 2012, 148 Seiten, 222 Abbildungen, 21,80 Euro
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Die Gartenstadt – eine Idee der Wohnreformer
In Berlin und Umgebung sind eine ganze Reihe von Gartenstädten entstanden. Während die Wohnreformer in der Kaiserzeit noch mit vielen Widerständen zu kämpfen hatten, war die Weimarer Republik die Blütezeit der Gartenstadtgründungen. Auch die Nationalsozialisten machten sich die Idee zu eigen. Abweichend vom englischen Gartenstadt-Ideal sind in Deutschland aber keine eigenständigen Landstädte gegründet worden, sondern meist Siedlungen, die eng an eine bestehende Stadt angebunden sind. Auch wenn sich die Utopie einer starken, eigenständigen und solidarischen Siedlergemeinschaft als unrealistisch herausgestellt hat, sind dennoch Meisterwerke der Baukunst entstanden, die auch heute noch ihre Ursprungsidee erkennen lassen. Das Buch „Gartenstädte in und um Berlin“ stellt die 36 wichtigsten und schönsten Anlagen, die zwischen 1893 und 1937 entstanden sind, in Wort und Bild vor. Neben 21 Siedlungen im heutigen Berlin reicht das Spektrum von der Gartenstadt Marga bei Senftenberg bis zur Siedlung Heimland bei Rheinsberg, von der Paulinenhofsiedlung in Frankfurt/Oder bis zur Gartenstadt Plaue in Brandenburg/Havel.
js
26.01.2017