Leitsatz:
Die Klage des Vermieters auf Feststellung, dass das Mietverhältnis (durch eine Eigenbedarfskündigung) beendet sei, ist auch schon vor Ablauf der Kündigungswiderspruchsfrist (§ 574 b Abs. 2 BGB) zulässig.
LG Berlin, Urteil vom 9.9.03 – 65 S 185/02 –
Mitgeteilt von RAen Ludger Freienhofer und Wolfgang Hak
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
… Die Berufung ist aber auch unbegründet, soweit die Kläger die Feststellung der Beendigung des Mietverhältnisses verlangen.
Die Feststellungsklage ist allerdings zulässig. Zunächst verdrängt die Möglichkeit einer Klage auf künftige Leistung das Feststellungsinteresse nicht (RGZ 113, 410, 411; BGHZ 2, 250, 252; BGH NJW 1986, 2507) und eine Klage auf Räumung war zum Zeitpunkt der Erhebung der Feststellungsklage nicht möglich. Der Streit über die Wirksamkeit der Kündigung ist auch ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis, durch dessen Klärung die Gefahr einer Unsicherheit beseitigt werden kann. Entgegen der noch im Hinweis vom 19.11.2002 geäußerten Auffassung geht die Kammer inzwischen davon aus, dass die Beklagten den Kündigungsgrund bestreiten. Zum einen erscheint bereits zweifelhaft, ob das Bestreiten der für den Eigennutzungswunsch angegebenen Indizien tatsächlich lediglich vorsorglich erfolgte, denn bereits in der Klageerwiderung führten die Beklagten aus, dass die Kläger in jedem Fall hätten davon ausgehen müssen, ein Räumungsverfahren über zwei Instanzen zu führen, und machten damit deutlich, der Kündigung unter keinen Umständen Folge zu leisten. Vor allem führt nach Ansicht der erkennenden Kammer jedoch auch ein nur „vorsorgliches“ Bestreiten dazu, dass das von den Klägern geltend gemachte Recht streitig ist. Die Beklagten wollten damit nämlich erreichen, dass das Gericht bei Zulässigkeit des Antrages über den Fall materiell entscheidet und gerade auf Grund ihres Bestreitens das Begehren der Kläger abweist. Soweit die Beklagten der Ansicht sind, dass ihnen prozessual nichts anderes übrig blieb als den Nutzungswunsch zu bestreiten, um keine Verurteilung zu riskieren, trifft dies nach Ansicht der erkennenden Kammer nicht zu. Ist der Anspruch nicht streitig, fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellungsklage und die Beklagten mussten nicht befürchten, verurteilt zu werden, sie hätten – wenn sie den Eigenbedarf des Klägers zu 1) für gegeben halten – den Anspruch sogar sofort anerkennen müssen. Ist der Anspruch dagegen streitig, begründet bereits dies das Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellungsklage (BGH a.a.O.).
Die Klage war nach Ansicht der erkennenden Kammer auch vor Ablauf der Widerspruchsfrist zulässig. Bezüglich der Klage auf künftige Räumung ist in Schrifttum und Literatur außerordentlich umstritten, ob vor Ablauf der Widerspruchsfrist geklagt werden darf (dagegen: LG Kempten WM 1993, 45; Sternel: Mietrecht, 3. Aufl. V Rn. 34; ders.: Mietrecht aktuell Rn. 1435; dafür: LG Berlin MM 1991, 28; Fischer in: Bub/Treier: Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. VIII Rn. 31). Die Frage stellt sich jedoch ausschließlich im Hinblick auf ein Rechtsschutzbedürfnis des Vermieters, denn vor Ablauf der Widerspruchsfrist ist der Mieter nicht verpflichtet, zur Kündigung Stellung zu nehmen und äußert er sich nicht, besteht für den Vermieter kein Anlass zur rechtlichen Klärung. Wenn der Vermieter klagt, tut er dies auf eigenes Risiko. Äußert sich der Mieter jedoch, besteht nach wohl überwiegender Ansicht (Bub/Treier a.a.O.; OLG Karlsruhe NJW 1984, 2953; LG Berlin ZMR 1992, 346) Anlass zur Klageerhebung.
Eine Verkürzung der Mieterrechte tritt hierdurch entgegen der Ansicht der Beklagten und des Amtsgerichts nicht ein. Der Mieter hat keinen Anspruch darauf, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist mit einem Prozess verschont zu werden, wenn er bereits bei Ausspruch der Kündigung deren Wirksamkeit in Zweifel zieht. Auch steht dem Feststellungsinteresse nicht entgegen, dass der Eigenbedarf bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen muss. Denn das Gericht kann – wie die Beklagten zutreffend vortragen lassen – im vorliegenden Fall nur den derzeit gegebenen Eigenbedarf beurteilen, und auch nur über diese Sachlage ergeht eine Entscheidung. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingetretene Veränderungen wie der Wegfall des Eigenbedarfs oder der Eintritt einer sozialen Härte können von den Beklagten in einem – gegebenenfalls dann zu führenden Räumungsverfahren – weiter geltend gemacht werden. Die Rechtskraft eines Feststellungsurteils bezieht sich nur auf die Tatsachen, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorlagen und nicht auf eine eventuell später eintretende Unwirksamkeit der Kündigung. …
29.03.2022