Ein Umzug geht ins Geld – das weiß jeder. Aber dabei spielen mittlerweile nicht nur die Kosten für die Spedition und die unvermeidbaren Neuanschaffungen eine Rolle: Wer jetzt eine neue Wohnung braucht, sieht sich oft horrenden Mietsteigerungen ausgesetzt. Folge: Wer nicht umziehen muss, bleibt wo er ist. Und man macht aus der leidigen Situation das Beste: mehrere Doppelstockbetten ins Kinderzimmer, einen Schreibtisch in den Flur, Untermieter suchen oder vielleicht sogar zurück zu den Eltern ziehen. So sehen Wohnalternativen von Berlinern aus, die sich mehr Platz einfach nicht leisten können. Manches erinnerte unsere Autorin an längst überwunden geglaubte Zeiten. In der Statistik hat sich die Situation mittlerweile niedergeschlagen: Der letzte Wohnungsmarktbericht der Investitionsbank Berlin (IBB) vermeldet wachsende Haushalte und eine sinkende Umzugsbereitschaft.
Als Meryem K. erfuhr, dass es Drillinge würden, machte sie sich auf die Suche nach einer anderen Wohnung: „Wir haben 112 Quadratmeter – das klingt erst mal groß, aber es sind nur drei Zimmer!“ Die liegen im vierten Stock eines Altbaus ohne Fahrstuhl. Direkt über der Friedrichstraße und dicht neben dem Mehringplatz. Inzwischen sind ihre Jüngsten drei Jahre alt und teilen sich das Kinderzimmer mit dem 11-jährigen Bruder und der 9-jährigen Schwester. „Wohnungssuche?“ Die 38-jährige Mutter von fünf Kindern schüttelt resigniert den Kopf. „Haben wir aufgegeben.“ Stattdessen denken sie über Umbauten nach. Immerhin: Sie haben 22 Quadratmeter pro Kopf. Und zahlen mit 680 Euro netto kalt eine für sie erträgliche Miete. Was Meryem K. erzählt, bestätigt eine Aussage des vor wenigen Wochen erschienenen Wohnungsmarktberichts der Investitionsbank Berlin (IBB): Die Stadt ist zwar immer noch Hochburg der Single-Haushalte (circa 54 Prozent), aber die Zahl der Mehrpersonenhaushalte steigt stetig an. Und für die steht heute weniger Wohnraum zur Verfügung als noch vor drei Jahren.
Eine Not mit Tradition
Berlin wächst – und es platzt aus den Nähten. Das ist nicht etwa eine neue Erfahrung: Mitte des 19. Jahrhunderts war die Stadt der Preußen mit 412.000 Einwohnern die größte Deutschlands und lag noch weit vor der zweitgrößten, Hamburg mit 175.000 Einwohnern. Mit Reichsgründung 1871 wurde sie zugleich zum größten industriellen Zentrum, vergleichbar höchstens dem Ruhrgebiet. Doch während dort alles auseinanderlief, ein riesiges zersiedeltes Industriegebiet wucherte, ballte es sich in der Metropole zusammen.
1910 war jede der 555.000 Berliner Wohnungen mit durchschnittlich drei bis vier Personen belegt. Dabei lebten in Zehnzimmerwohnungen, die es ja durchaus auch gab, nicht viel mehr Leute als in den Wohnungen auf den Hinterhöfen mit Kochküche, Stube und bestenfalls noch einem weiteren Raum. Um Miete und andere Kosten zahlen zu können, nahmen jene, die irgendwo Platz frei machen konnten, einen Untermieter oder Schlafgänger auf. Letztere waren „alleinstehende Männer, die in der Stadt zwar Arbeit hatten, sich aber keine eigene Wohnung und noch nicht einmal ein Zimmer leisten konnten“, so der Sozialhistoriker Bernd Fuhrmann. Für 1910 verzeichnet die Berliner Statistik, dass zwischen der Tiergartenvorstadt, dem Spandauer Viertel und der Oranienburger Vorstadt in 15,3 Prozent der Wohnungen Untermieter und Schlafburschen einquartiert waren. Und komfortabel waren die Verhältnisse nicht: Noch 1925 hatte über die Hälfte der Wohnungen in Berlin-Mitte keinen eigenen Abort, fast 90 Prozent kein Bad und über 10 Prozent weder Gas noch elektrisches Licht.
Der Beginn eines Sozialen Wohnungsbaus in den 20er Jahren, der helfen sollte, solche Zustände abzuschaffen, kam mit Kriegsbeginn zum Erliegen. Und nach 1945 blieb von der Millionenstadt Berlin nur ein riesiges Trümmerfeld: Ein Drittel aller Wohnungen war unbewohnbar geworden.
Wohnungen blieben „in der Familie“
Aber in die Trümmerlandschaft drängten Ausgewiesene, Flüchtlinge, Rückkehrer. Dem kam man – im Ost- wie im Westteil – erst einmal nur mit regulierenden Maßnahmen bei. In der ummauerten Frontstadt West-Berlin mit jahrzehntelanger Mietpreisbindung, die die Altbauten in Kreuzberg und Schöneberg zwar billig, aber den Wohnraum auch knapp machte. „Wohnungen blieben in der Familie“, erinnert sich Knut Beyer, Mitarbeiter von ASUM (Büro für Sozialforschung und Mieterberatung). Für ihn machte eine Verwandte Platz – nur so kam er endlich von den Eltern weg.
In Ost-Berlin war wie in der gesamten DDR ein Antrag notwendig, um mit Wohnraum „versorgt“ zu werden. Dabei herrschte ein rigides Vergabesystem mit jahrelangen Wartezeiten, in denen erwachsene Söhne und Töchter in den Kinderzimmern der elterlichen Wohnung und Geschiedene oft lange in quälender Enge miteinander ausharren mussten.
Mietpreisbindung im Westen und Billigmieten im Osten führten dazu, dass kaum jemand seine Wohnung aufgab, wenn sie zu groß geworden war. In geräumigen Gründerzeitwohnungen lebten oft genug Alleinstehende oder Paare, deren Kinder aus dem Haus waren.
In den Neubauvierteln von Marzahn, Hohenschönhausen, aber auch in der Gropiusstadt und im Märkischen Viertel baute man dann kleiner, kompakter, und die Familien mussten mit sehr viel weniger Raum auskommen. Das statistische Ergebnis: 30,7 Quadratmeter standen im Jahr 1990 jedem Ost-Berliner zur Verfügung, jeder West-Berliner bewohnte eine Fläche von 35,4 Quadratmetern.
Seit 13 Jahren wohnen Christina S. und ihr Mann nun bereits in der 99 Quadratmeter großen Dreizimmerwohnung in Schöneberg. Die gutbürgerliche Wohnung mit den großen Flügeltüren mitten in einem lebhaften Szeneviertel war für die Beiden erst einmal der pure Luxus. Inzwischen ist es deutlich enger geworden: Der zehnjährige Sohn und die siebenjährige Tochter teilen sich ein Zimmer. Damit solches Miteinander reibungsloser abläuft, hat die Familie den Schreibtisch, an dem der Sohn die Hausaufgaben macht, in ihr Schlafzimmer geholt. Dafür ist der Vater, der in der Forschung arbeitet, mit seinem Computer in eine Flurnische gezogen. „Es geht schon irgendwie“, erklärt die Anästhesistin Christina S., die Schichtdienst in einem Krankenhaus macht. „Aber es kann eigentlich keiner mal die Tür hinter sich zumachen.“ Sich zurückziehen und zur Ruhe kommen, das ist nicht mehr drin. Lange suchen sie schon nach etwas Größerem. Aber für eine Vierzimmerwohnung müssten sie jetzt fast das Doppelte zahlen, und auch die Preise für Wohneigentum sind förmlich explodiert. „Dabei habe ich immer gedacht, dass wir doch genug verdienen …“, erklärt Christina S. ratlos.
Großer Exodus in den 90er Jahren
In den Jahren nach dem Fall der Mauer sei die Wohnungssituation in der Stadt eine deutlich entspanntere gewesen, schätzen Arnt von Bodelschwingh und Olaf Keßler vom privaten Forschungs- und Beratungsinstitut „Regiokontext“ ein, die den Berliner Markt seit Jahren beobachten. West-Berliner hatten endlich die Möglichkeit, ins grüne Umland zu ziehen, damit wurden auch Wohnungen in guten Innenstadtlagen frei. Gutverdiener aus dem Ostteil, für die zu DDR-Zeiten eine Plattenwohnung ohne Alternative war, kauften, bauten – zusätzlich angeregt durch die Eigenheimzulage – und zogen fort aus Großsiedlungen, maroden Altbauten und oft auch weg aus der Stadt. So verlor Berlin in den 1990er Jahren Tausende Einwohner.
„Außerdem entstanden in mehreren größeren Entwicklungsgebieten viele neue Wohnungen, was auch stark zur Entspannung des Wohnungsmarktes beitrug“, so der Volkswirt Arnt von Bodelschwingh. „Aber seit zwei Jahren beobachten wir Veränderungen“, so der Regionalplaner Olaf Keßler. Bereits 2007 war das Geburtendefizit erstmals wieder ausgeglichen. 2011 verzeichnete Berlin sogar einen Überschuss von 1700 Geburten gegenüber den Sterbefällen.
Dazu kommen jährlich etwa 160.000 Zuzügler. „Das sind vorwiegend 20- bis 30-Jährige“, so Keßler. „Ein Großteil von ihnen geht nach dem Studium oder einer Ausbildung auch wieder weg.“ Aber etwa 40.000 Neu-Berliner bleiben. Die Hälfte von ihnen kommt aus dem Ausland. „Dazu kommt, dass wir einen anhaltenden Prozess der Haushaltsverkleinerung sehen“, sagt Arnt von Bodelschwingh. Und bis 2015, das prognostiziert der IBB-Wohnungsmarktbericht, wird es noch einmal rund 81.000 Single-Haushalte mehr geben.
Zev und Smadar Lode kamen als Paar aus Tel Aviv nach Berlin. Der Videocutter, der durch seinen Großvater einen deutschen Pass hat, und die Medienwissenschaftlerin waren vor vier Jahren das erste Mal in der deutschen Hauptstadt: „Wir wollten für eine Zeit in einem anderen Land leben – und Berlin fanden wir einfach toll.“ Auch wenn sie hier erst einmal keinen Job hatten, die Sprache noch nicht beherrschten – das erste halbe Jahr kamen sie bei Freunden unter, fanden schließlich eine bezahlbare Einzimmerwohnung, absolvierten einen Integrationskurs und schauen sich jetzt auf dem Arbeitsmarkt um. Zumindest Zev kann das uneingeschränkt tun, Smadar ist bis August noch mit den Zwillingen Alex und Omer in der Elternzeit.
„Genau da beginnen die Probleme“, sagt Olaf Keßler von Regiokontext. „Ein Kind kommt, vielleicht zwei, Paare trennen sich oder es stirbt jemand – und die alte Wohnung passt nicht mehr.“
Es beginnt die Suche auf einem Markt, der jetzt nur noch wenig zu bieten hat. Zum einen, weil die Einwohnerzahl wieder größer wird, aber auch, weil Berlin „angesagt“ ist. Für Finnen, Kanadier, Griechen und viele andere ist es lukrativ, hier Wohneigentum zu erwerben. Als Geldanlage. Und viele vermieten sie nicht, sondern lassen sie erst einmal leer stehen, nutzen sie als Zweit- oder sogar als Ferienwohnung.
Wer vermietet, hat die Wahl
„Gerade hat ja das Ergebnis des Zensus die bisherigen Zahlen korrigiert“, erläutert David Eberhart, Pressesprecher des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), „und zwar nach unten.“ Von fünf bis sechs Prozent Leerstand in ganz Berlin war man in der Vergangenheit ausgegangen – auf 3,6 Prozent bezifferte ihn die umfassende Erhebung, die vor wenigen Wochen veröffentlich wurde. „Und was uns am meisten überrascht hat“, ergänzt der BBU-Vertreter, „in Hohenschönhausen liegt der Leerstand inzwischen nicht höher als im Innenstadtbereich, nämlich bei einem Prozent.“
Die Folge: Die Mieten steigen rasant, und Vermieter können unter einer Vielzahl von Bewerbern aussuchen. Sie nehmen eher ein kinderloses Beamtenpaar in mittleren Jahren als eine Familie mit drei aufgeweckten kleinen Kindern.
Bei ihrer Suche sind jene, die von ALG II leben, ganz besonders auf preiswerten Wohnraum angewiesen. Die Familie Lode hat deshalb bei ASUM („Angewandte Sozialforschung und urbanes Management“) in der Friedrichshainer Sonntagstraße an die Tür geklopft. Die Mitarbeiter dort vermitteln im Auftrag des Bezirksamts belegungs- und mietpreisgebundene Wohnungen. „Aber das wird immer schwieriger“, erklärt ASUM-Mitarbeiter Knut Beyer. Altbauwohnungen bieten zwar große Flächen, aber in der Regel nur ein, zwei oder drei Zimmer. Sie haben einen langen Flur, eine Kammer hinter der Toilette und das über 30 Quadratmeter große „Berliner Zimmer“. „Das macht die meisten Wohnungen inkompatibel mit den Vorgaben für Hartz-IV-Empfänger“, erklärt Beyer. Die Familien, die heute zu ASUM kommen, fragen deshalb in der Regel nach einer kleineren Wohnung und nach weniger Zimmern, als sie eigentlich benötigen. Haushalte mit vier und mehr Personen, erklärt der Berater, beschränken sich in der Regel von vornherein auf drei und mitunter sogar auf zwei Zimmer.
So ist es kein Zufall, dass es gerade in jenen Gebieten eine hohe Wohndichte gibt, in denen sich Hartz-IV-Haushalte konzentrieren: im nördlichen Wedding und im südlichen Reinickendorf beispielsweise. Neukölln verzeichnet eine Arbeitslosenquote von 17,5 Prozent, und am Mehringplatz sind sogar 22 Prozent der Bewohner arbeitslos.
Im Auftrag eines privaten Vermieters und des Senats hat ASUM-Mitarbeiter Beyer hier im vergangenen Jahr einige hundert Mieter nach ihrer wirtschaftlichen Situation befragt. Eine energetische Sanierung steht an und mit ihr die Frage, wie viel mehr Miete denn für die Anwohner überhaupt noch tragbar ist. „Ich habe gerade am Mehringplatz Haushalte erlebt, in denen drei Generationen auf engstem Raum wohnen“, so Beyer. „Und ich frage mich ehrlich: Wie organisieren die das Zusammenleben und den Alltag?“
Karin Wicke-Kaya, die zum Mieterbeirat im Bestand der Gewobag am Mehringplatz gehört, könnte ihm dazu eine Menge erzählen. Da ist die türkische Familie, die mit drei halbwüchsigen Kindern in drei Zimmern lebt. „Die haben sich in der Essecke einen Bereich zum Schlafen hergerichtet.“ Oder die siebenköpfige Familie, die auf 80 Quadratmetern zusammenrücken muss: „Von denen weiß ich, dass sie schon lange suchen, aber nichts finden – und wohl auch nicht mehr Miete zahlen können.“
Sowohl die Zuwanderung vieler einkommensschwacher Migranten als auch anhaltende Sockelarbeitslosigkeit – so der IBB-Wohnungsmarktbericht – führten dazu, dass immer mehr Haushalte auf preisgünstigen Wohnraum angewiesen sind – Wohnraum, den es selbst in den Randgebieten, in den Großsiedlungen, kaum noch gibt.
Der 25-jährige Daniel S. ist erst einmal zu seiner Mutter nach Prenzlauer Berg zurückgezogen. Dabei war er doch schon mit 18 Jahren weg von zu Hause und hatte bisher in Kreuzberger Wohngemeinschaften gelebt. „Aus der letzten Wohnung mussten wir raus, weil der Vermieter saniert hat und danach viel mehr Miete haben wollte.“ Die hätten sie nicht aufbringen können. Nun sucht er nach einer eigenen Wohnung: ein Zimmer, Altbau, vielleicht mit Balkon. „Vor zwei Tagen hab ich mir was angesehen: 35 Quadratmeter ohne Balkon, 440 Euro warm“, erzählt der junge Mann, der gerade begonnen hat, als Fotograf freiberuflich zu arbeiten. Das kann er nicht aufbringen. Das ehemalige Kinderzimmer ist zwar nicht gerade optimal – aber es wird schon eine Weile gehen.
Versorgungsquote im rasanten Abstieg
Der Stadtsoziologe Andrej Holm untersuchte in den zurückliegenden Jahren, wie viele Wohnungen es in Berlin auf 100 Haushalte gibt. „Diese Wohnversorgungsquote“, so der Wissenschaftler von der Humboldt-Universität, „ist seit 2002/2003 immer mehr abgeschmolzen.“ Waren es vor zehn Jahren noch 103 bis 104 Wohnungen auf 100 Haushalte, so lag die Zahl 2010/2011 schon bei 98 bis 99: mehr Haushalte als Wohnungen. Am drastischsten wird das in Kreuzberg sichtbar. Hier lag die Wohnversorgungsquote schon 2003 bei 96 bis 97. Bis jetzt ist sie auf 87 zurückgegangen.
„Sicher hat das auch mit der hohen Zahl an Wohngemeinschaften zu tun, die es traditionell in diesem Bezirk gibt“, so Holm. Jeder, der in einer WG lebt, wird als einzelner Haushalt gerechnet. „Aber es liegt eben auch an rasant steigenden Mieten: Für Leute mit wenig Geld gibt es auf diesem Wohnungsmarkt kaum noch Alternativen.“ Dafür scheint die Bereitschaft zu steigen, die hohen Wohnkosten mit einem Zusammenrücken zu kompensieren.
Tatjana K. beispielsweise hat sich entschieden, unterzuvermieten und zwei Studentinnen in ihre Wohnung aufzunehmen. Sie hat sich dafür in dem 70er-Jahre-Plattenbau ins Wohnzimmer und die winzige Arbeitsnische im Flur zurückgezogen, aber so kann die freiberufliche Dolmetscherin die Wohnung in verkehrsgünstiger Lage nahe am Alexanderplatz halten. Und die Kinder sind ja auch aus dem Haus. „Ich hab schon überlegt umzuziehen. Aber wenn ich für eine deutlich kleinere Wohnung genau so viel Miete zahlen muss, dann bleibe ich doch besser hier und beschränke mich.“
So wie Tatjana K. denken nicht wenige. Sich bescheiden, umbauen, zusammenrücken – aber erst mal bleiben, wo man ist. „Denn wer jetzt eine Wohnung in Berlin hat, der wohnt oft noch günstig“, schätzt Olaf Keßler von Regiokontext ein. „Wer dagegen suchen muss, hat ein Problem.“
Laut IBB-Wohnungsmarktbericht ist die Umzugsbereitschaft der Berliner in den letzten 10 Jahren um 17 Prozent gesunken. Alles deute darauf hin, so die Schlussfolgerung, dass vor allem Familien einen Wohnungswechsel vermeiden, auch wenn sich die Zahl ihrer Haushaltsmitglieder erhöht.
Berlin wird an einer Förderung von Teilen seiner geplanten Wohnungsneubauten nicht vorbeikommen. Darin sind sich der Stadtentwicklungssenator, der BBU und auch der Mieterverein einig. Um die Modalitäten wird noch heftig gerungen. „Fakt ist auch, dass Familien Wohnungen nicht nach der Quadratmeterzahl suchen“, weiß Steffi Pianka, Pressesprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM). Familien brauchen eine genügend große Anzahl von Zimmern – kleineres, kompakteres Bauen sei deshalb gefordert.
Rosemarie Mieder
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MieterMagazin: Was ist für Sie als Mietervertreter eigentlich Überbelegung?
Reiner Wild: Die Frage ist nicht mit einem Satz zu beantworten. Ich würde sagen: Wenn in einer Wohnung mehr Personen leben, als dort Räume vorhanden sind. Nur mit Quadratmetern pro Kopf zu rechnen, halte ich nicht für richtig, denn für die Familienmitglieder geht es ja auch um abgeschlossene Rückzugsorte, die für Behaglichkeit und das Zusammenleben eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Klar können Kinder auch mal zusammen in einem Zimmer sein – aber wenn sie dann älter werden, es dazu noch Jungen und Mädchen gemischt sind, wird das schwierig.
MieterMagazin: Die neuesten Zahlen belegen, dass die Berliner zusammenrücken. Die Zahl der Wohnungen schrumpft im Verhältnis zur Zahl der Haushalte.
Reiner Wild: Das betrifft allerdings nicht jeden Haushalt. Besonders ungleich verhält sich der Flächenverbrauch von Eigentümern und Mietern. Und bei den Mietern sind es wiederum meistens die Familien und Paare mit Kinderwunsch, die flächenmäßig das Nachsehen haben.
MieterMagazin: Ältere Menschen, deren Kinder aus dem Haus sind, könnten sich doch kleinere Wohnungen suchen und für Familien frei machen …
Reiner Wild: Aber es ist doch klar, dass man nicht umzieht, wenn die neue kleinere Wohnung teurer wird als die große, die man gerade bewohnt. Das Problem ist: Die Bevölkerungszahlen steigen. Zugleich gibt es immer weniger Angebote. Was auf dem Markt ist, wird teurer. So teuer, dass ein Umzug unwirtschaftlich wird.
MieterMagazin: Wie könnte man das ändern?
Reiner Wild: Ein Wohnungstausch müsste ohne Mieterhöhung möglich sein. Das lässt sich innerhalb einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft und auch innerhalb einer Genossenschaft gut regeln. Und auf Absprachen hin sollte es auch zwischen diesen Vermietern möglich sein. Aber generell ist das Problem damit nicht zu lösen. Es ist ja für viele das passende Angebot einfach nicht da – oder es ist nicht bezahlbar. Hier ist eine wohnungspolitische Neuausrichtung dringlich gefragt.
Das Gespräch führte Rosemarie Mieder.
MieterMagazin 7+8/13
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01.05.2018