Berlin will im Jahr 2020 eine Internationale Bauausstellung (IBA) veranstalten. Doch trotz jahrelanger Diskussion um die Ausrichtung der IBA ist immer noch nicht klar, wohin die Reise gehen soll. Das diffuse Senatskonzept „Draußenstadt wird Drinnenstadt“ löst keine Begeisterung aus. Der SPD-Landeschef stellt nun die Idee einer Stadtzentrums-IBA dagegen, mit der die historische Altstadt rekonstruiert werden soll. Der Berliner Mieterverein (BMV) besteht darauf, dass die IBA eine klare wohnungspolitische Ausrichtung bekommt, ansonsten könne man sie auch abblasen.
Die ersten Ideen für eine neue IBA in Berlin tauchten 2008 mit der Schließung des Flughafens Tempelhof auf. Das große freie Feld in innerstädtischer Lage ließ die Bebauungsfantasien sprießen. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher schlug vor, das Planen und Bauen auf dem Tempelhofer Feld zum Thema einer IBA im Jahr 2020 zu machen. Ein im September 2010 von ihr eingesetztes „Prae-IBA-Team“ hatte nach Monaten der öffentlichen Diskussion ein Konzept unter dem Titel „Hauptstadt Raumstadt Sofortstadt“ erarbeitet. Weil das sehr schwammig war, traf es auf wenig Verständnis. Das Konzept wollte die IBA auch nicht als Instrument zur Lösung vorhandener baulicher Probleme sehen. Das passte in die politische Linie der damaligen Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD), die trotz steigender Mieten und sinkender Leerstände keine Probleme auf dem Wohnungsmarkt erkennen wollte. Von einer reinen Leistungsschau der aktuellen internationalen Architekturtrends hätte Berlin aber kaum nachhaltig profitiert.
In der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU wurde die Durchführung der IBA 2020 beschlossen, doch das Motto kurzerhand in „Wissen, Wirtschaft, Wohnen“ geändert. Der neue Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Michael Müller (SPD), hat sich davon jedoch schnell wieder distanziert. Schon im Januar 2012 sagte er: „Ich will keine IBA der Wirtschaft und der Wissenschaft, ich will eine Wohnungs-IBA.“ Bei der IBA solle es Müller zufolge besonders um neue Wohnformen, Wohnungsbau mit geringem Flächenbedarf und Wohnen für ältere Menschen gehen. Nach einer Denkpause ging die Konzeptfindung von vorne los.
„Ausgangspunkt der IBA Berlin 2020 ist die Auseinandersetzung mit dem Wohnen der Zukunft“, heißt es nun im IBA-Programm. Diese klare Zielsetzung lässt man aber gleich im nächsten Satz wieder in alle Richtungen zerfasern: „Dies ist im 21. Jahrhundert untrennbar verknüpft mit Bildung, lebenslangem Lernen, Arbeit, Mobilität, Kommunikation und Erlebnis.“ Als neue Überschrift für die IBA 2020 wurde „Draußenstadt wird Drinnenstadt“ gewählt. Weil in den letzten Jahren die innere Stadt im Brennpunkt der Aufmerksamkeit lag, soll sich die IBA der vernachlässigten „Draußenstadt“ widmen.
Start noch in diesem Jahr
„Der Druck auf die innerstädtischen Quartiere wächst, die Mieten dort steigen rasant, die Kluft zwischen der inneren und der äußeren Stadt wird immer größer“, heißt es in der Aufgabenstellung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Mit der „Draußenstadt“ sind nicht nur Orte außerhalb des S-Bahn-Rings wie die Großsiedlungen am Stadtrand gemeint, sondern auch „gefühlt periphere Standorte“ in der Innenstadt, zum Beispiel der zweite Abschnitt der Karl-Marx-Allee in Mitte. Übergangszonen zwischen draußen und drinnen wie Lichtenberg sind ebenso ein Handlungsfeld wie die Nachnutzung der Flughäfen Tempelhof und Tegel. Ein besonderes Augenmerk will man auch auf „ausgediente XXL-Bauten“ wie die ehemalige Stasizentrale legen. Mit dieser Konzeption soll die IBA noch in diesem Jahr in die „Take-Off-Phase“ gehen.
Ungeachtet der langen Konzeptionsarbeit machte der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß im April den Vorschlag, den zentralen Bereich von Mitte zum Thema der IBA zu machen. Er stellt sich eine Wohnbebauung nach historischem Vorbild auf den Freiflächen zwischen Fernsehturm und Spree vor. „Dieses Gebiet ist zurzeit eine Brache ohne Aufenthaltsqualität“, meint Stöß. Er will mit der IBA das historische Zentrum um die Marienkirche und das Rote Rathaus entwickeln und dazu „Straßen und Plätze wieder herstellen und mit anspruchsvoller Architektur bebauen“, so Stöß. Dabei sollen 4000 Wohnungen entstehen – auf der kleinen Fläche ein ehrgeiziges Ziel. Dass hier Sozialwohnungen entstehen könnten, glaubt auch Stöß nicht, er will aber die Baugrundstücke vorrangig an Genossenschaften und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften vergeben und auf diese Weise bezahlbare Mieten erreichen.
Unterstützung erhält Stöß von der CDU, aber auch vom Architektursoziologen Harald Bodenschatz. Es gebe immer noch keine stadtentwicklungspolitische Vision und kein Konzept für die historische Mitte, beklagt Bodenschatz im „Tagesspiegel“. Eine solche Situation sei „der ideale Nährboden für eine IBA“. Das Thema Wohnen sei dabei besonders wichtig. „Es geht nicht nur darum, möglichst viele Wohnungen zu bauen, sondern es geht auch darum, ein attraktives Wohnambiente zu schaffen“, so Bodenschatz. Mit den bisherigen IBA-Planungen könne sich Berlin nur weiter blamieren. „Das IBA-Konzept ist diffus, es gibt keine griffigen Botschaften, keine verständlichen Orte, keine überzeugenden Leitprojekte.“
Rekonstruktion braucht keine IBA
Michael Müller wehrt ab: „Zur Rekonstruktion der historischen Stadt braucht man keine Bauausstellung, dafür allein lohnt eine IBA nicht.“ Wichtiger seien Antworten auf die Fragen, wie die soziale Durchmischung erhalten werden kann und wie Wohnen bezahlbar bleibt. Auch Katrin Lompscher, Stadtentwicklungspolitikerin der Linken, kritisiert Stöß‘ Vorschlag: „Welchen Bauherren offeriert er die noch öffentlichen Grün- und Verkehrsflächen zur privaten Aneignung? Glaubt er wirklich, dass hochpreisige Wohnungen eine Belebung der historischen Mitte bringen werden?“
„Wohnen muss der Schwerpunkt der IBA bleiben“, fordert auch Mietervereins-Geschäftsführer Reiner Wild. „Der Vorschlag von Stöß ist dazu nicht geeignet.“ Aber auch das Konzept des Senats ist bisher viel zu unkonkret. Die IBA solle den Wert einer sozialen Wohnraumversorgung und Stadtentwicklungspolitik deutlich machen. Um die Akzeptanz für den notwendigen Wohnungsbau zu erhöhen, müssten für die Stadtbevölkerung neue Beteiligungsformen gefunden werden. Wenn man das nicht will oder kann, sollte man lieber ganz auf die IBA verzichten, empfiehlt der BMV.
Jens Sethmann
Höchstwahrscheinlich: nirgendwo
Unmittelbar vor Drucklegung des MieterMagazin wurde bekannt, dass der Senat wegen notwendiger Haushaltskürzungen die für die IBA vorgesehenen Gelder nicht freigeben will – faktisch das Aus für die Bauausstellung
MieterMagazin 7+8/13
Für ausgediente XXL-Bauten wie die frühere Stasi-Zentrale könnte die IBA neue Ideen finden
Foto: Sabine Münch
Die erste Idee einer neuen IBA bestimmte den alten Tempelhofer Flughafen als alleinigen „Austragungsort“
Foto: Udo Hildenstab
SPD-Landeschef Jan Stöß will mit der IBA das historische Zentrum bebauen
Foto: Sabine Münch
Rat und Tat
Stadtplanung im Ausnahmezustand
Eine Internationale Bauausstellung ist ein temporärer Ausnahmezustand für die Stadtplanung, in dem beispielhafte Lösungen für Zukunftsfragen entwickelt werden. Die IBA 2020 will mit neuen Planungs- und Beteiligungsverfahren und konkreten Bauprojekten auch ein gesellschaftliches und politisches Umdenken herbeiführen. Vorbild ist hier die West-Berliner IBA 1984/87, mit der die Innenstadt als Wohnort zurückgewonnen wurde. Die IBA-Neubauten in der südlichen Friedrichstadt und im Tiergartenviertel wurden nach dem Grundsatz der kritischen Rekonstruktion aufgestellt, bei der Altbau-IBA wurde das Prinzip der behutsamen Staderneuerung erstmals großflächig im südöstlichen Kreuzberg (SO 36) durchgeführt. Weil diese Ideen tatsächlich neu waren, bekam die IBA 1984/87 international viel Lob und Anerkennung.
js
Zum Thema
Sprung über die Elbe
Hamburg hat 2007 eine IBA gestartet, die 2013 mit ihrem Präsentationsjahr zu Ende geht. Die IBA Hamburg konzentriert sich auf drei Themen, die in drei Stadtteilen umgesetzt werden. Unter dem Titel „Sprung über die Elbe“ werden die südlich des Hafens liegenden Viertel Wilhelmsburg und Veddel sowie der Harburger Binnenhafen ins Auge gefasst. Dort werden Bauprojekte umgesetzt, die zum einen die kulturelle Vielfalt thematisieren, zum anderen eine Antwort auf den Klimawandel geben und die schließlich auch die lange vernachlässigten Stadtteile besser mit dem Rest der Stadt verbinden und im Bewusstsein der Hamburger verankern sollen. Wilhelmsburg und Veddel sind noch vergleichsweise billige Wohnquartiere. Die IBA verspricht „Aufwertung ohne Verdrängung“, örtliche Mieterinitiativen kritisieren die Schau als Motor der Gentrifizierung.
js
17.12.2015