Leitsätze:
1. Weist eine gemietete Wohnung eine Wohnfläche auf, die mehr als 10 Prozent unter der im Mietvertrag angegebenen Fläche liegt, stellt dieser Umstand grundsätzlich einen Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, der den Mieter zur Minderung der Miete berechtigt.
2. Auch eine geringfügige Überschreitung der Wesentlichkeitsgrenze von 10 Prozent um nur 0,09 Prozent ist ausreichend, um einen Mangel der Mietsache festzustellen. Im Interesse der Praktikabilität und Rechtssicherheit ist die Grenze bei 10 Prozent zu ziehen. Eine zusätzliche Toleranz ist nicht mehr gerechtfertigt.
3. Für die Bemessung der Wohnfläche kann nur das herangezogen werden, was der Vermieter dem Mieter tatsächlich zur Verfügung gestellt hat und nicht das, was der Mieter unter Aufwendung eigener finanzieller Mittel daraus gemacht hat (hier: Ausbau einer Galerie). Einrichtungen des Mieters, die dieser auf eigene Kosten erstellt hat, sind rechtlich so zu behandeln, als wären sie nicht Bestandteil der Mietsache. Dies gilt sowohl bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete als auch bei der Bemessung der Wohnfläche.
AG Schöneberg, Urteil vom 18.7.07 – 102 C 606/05 –
Mitgeteilt von RA Hans-Joachim Gellwitzki
Urteilstext
Aus dem Tatbestand:
Die Klägerin mietete nach zwei Besichtigungen von dem Beklagten ab dem 1. November 2001 eine im Haus S.-Str., Berlin, 2. Obergeschoss rechts, gelegene Dachgeschosswohnung, bestehend aus einem Zimmer, einer Abstellkammer ohne Fenster und Heizung sowie einer Toilette mit Bad. Die Küchenzeile befindet sich im Zimmer, von der Eingangstür aus gesehen, rechts. In § 1 Nr. 1 des Mietvertrages heißt es: „Die Wohnfläche beträgt ca. 55 Quadratmeter Nutzfläche„, und in § 11 Nr. 6: „Die Wohnfläche, die Nutzfläche, der umbaute Raum der Mietsache beträgt 33,76 Quadratmeter“ (die kursiv und fett gedruckten Teile sind jeweils handschriftlich eingefügt).
Die Nettokaltmiete betrug zunächst 880,00 DM (= 449,94 Euro) und erhöhte sich ab 1. Dezember 2002 auf 906,40 DM (= 463,44 Euro).
Bei dem Zimmer handelt es sich um ein sogenanntes Dachatelier mit Dachschrägen, die in einem Winkel von 90 Grad im Spitzdach enden. Eine Giebelfront ist vollständig verglast. Bei Anmietung der Wohnung befand sich an der Wand mit der Eingangstür (gegenüber der Fensterfront) über der Küchenzeile und der Eingangstür eine über eine Leiter erreichbare zweite Ebene, ähnlich einer Galerie, mit einer Fläche von insgesamt 2,47 Quadratmetern (etwa 2 m x 1,20 m), bei der man nur auf einer Fläche von etwa 1,0 m x 1,0 m aufrecht stehen konnte. Die Klägerin entfernte die Leiter, verlängerte mit Einverständnis des Beklagten und auf eigene Kosten die Galerieebene, wo sie eine neue Leiter installierte. Der Nachmieter erweiterte seinerseits die zweite Ebene derart, dass über dem ursprünglichen Zimmer ein weiteres, in sich abgeschlossenes Zimmer entstand.
Die Klägerin ließ die Wohnfläche von dem Dipl.-Ing. W. überprüfen, der am 8. August 2005 eine Wohnfläche von 48,645 Quadratmeter ermittelte.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2005 forderte die Klägerin den Beklagten auf, überzahlte Miete berechnet auf eine Fläche von 6,35 Quadratmeter wie folgt:
für den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 30. November 2002 von monatlich 51,94 Euro,
für den Zeitraum vom 1. Dezember 2002 bis 31. Dezember 2005 von monatlich 53,50 Euro, zu erstatten.
Das Mietverhältnis endete zum 30. Juni 2006. Der Nachmieter entfernte die von der Klägerin gebaute Erweiterung der Galerie und schuf eine eigene Erweiterung.
Die Klägerin behauptet, die Wohnung weise einen Mangel auf. Die tatsächliche Wohnfläche der Wohnung betrage 48,645 Quadratmeter und unterschreite die vereinbarte Fläche um mindestens 11,31 Prozent. Über die Wohnfläche sei weder bei den Besichtigungen noch bei Abschluss und Unterzeichnung des Mietvertrages gesprochen worden. Der Beklagte habe ihr den von ihm vorbereiteten und ausgefüllten Mietvertrag zur Unterschrift vorgelegt. Durch den Zusatz „Nutzfläche“ im Mietvertrag sei klargestellt, dass Wohn- und Nutzfläche identisch seien. Sie habe darauf vertraut, dass die Größe der Wohnung zutreffend angegeben ist.
Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.550,84 Euro nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit Zustellung der Klage (20.1.2006) zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte erhebt für das Jahr 2002 die Einrede der Verjährung. Er behauptet, der Klägerin sei keine reine Wohnfläche vermietet worden. Die Vormieterin habe die Klägerin über die Einzelheiten von Wohnfläche und Nutzfläche informiert. Wegen der Dachschrägen hätten sie bei Abschluss des Mietvertrages ausdrücklich den Unterschied zwischen Wohn- und Nutzfläche besprochen. Durch den Zusatz „Nutzfläche“ wollten sie die Wohnung einem Minderungsstreit entziehen. Die Wohn-/Nutzfläche betrage 62,409 Quadratmeter, die beheizte Wohn-/Nutzfläche betrage 33,76 Quadratmeter.
Der Beklagte vertritt die Ansicht, der Ausbau der Wohnfläche durch die Klägerin sei ihm gut zu bringen, da die Klägerin diese mieterseits ausgebaute Galeriefläche genutzt habe.
Das Gericht hat gemäß Beschluss vom 26. Juli 2006 Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. …
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten aus § 812 Abs.1 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Mieten im Zeitraum Januar 2002 bis Dezember 2005 in Höhe von insgesamt 2.230,63 Euro.
Die monatliche Miete war gemäß § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB gemindert. Die Wohnung weist einen Mangel nach § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB auf, denn die tatsächliche Wohnfläche beträgt 49,45 Quadratmeter und ist mehr als 10 Prozent kleiner als im Mietvertrag angegeben.
Dem steht nicht entgegen, dass in § 1 Nr. 1 des Mietvertrages die Wohnfläche nur mit „ca. 55 Quadratmeter“ angegeben ist. Die Zirka-Angabe lässt zwar erkennen, dass es den Parteien nicht entscheidend auf die genaue Wohnungsgröße ankam, sondern durchaus Toleranzen hingenommen werden sollten. Auch für solche Toleranzen ist jedoch die Grenze dort zu ziehen, wo die Unerheblichkeit einer Tauglichkeitsminderung im Sinn von § 536 Abs. 1 Satz 3 BGB endet. Diese Grenze ist im Interesse der Praktikabilität und Rechtssicherheit bei 10 Prozent zu ziehen (BGH GE 2004, 268; 2004, 683). Der handschriftliche Zusatz „Nutzfläche“ steht dazu im Widerspruch, denn Wohn- und Nutzfläche können voneinander abweichen. So können zum Beispiel bestimmte Abstell- und Kellerräume mit ihrer gesamten Fläche zur Nutzfläche zählen, aber nicht zur Wohnfläche. Gleiches gilt für Flächen ohne ausreichende Deckenhöhe. Der Widerspruch in § 1 Nr. 1 des Mietvertrages geht zu Lasten des Beklagten als Verwender des Formularvertrages. Soweit der Beklagte behauptet, er habe bei Abschluss des Mietvertrages mit der Klägerin den Unterschied zwischen Wohn- und Nutzfläche besprochen, hat er hierfür keinen Beweis angeboten, ebenso wenig wie für seine Behauptung, die Parteien hätten mit dem Zusatz „Nutzfläche“ die Wohnungsgröße dem Streit entziehen wollen. Etwaige Besprechungen der Klägerin mit der Vormieterin, deren konkreten Inhalt der Beklagte zudem nicht dargelegt hat, sind im Verhältnis zu ihm ebenfalls unbeachtlich. Er behauptet nicht einmal, dass die Vormieterin von ihm bevollmächtigt gewesen ist, Verhandlungen zu führen. Aus § 11 Nr. 6 des Mietvertrages folgt nichts anderes. Dieser enthält einen Umlagemaßstab für die Nebenkosten, nicht jedoch Angaben zur Beschreibung oder Beschaffenheit der Mietsache. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass Gesamtwohnfläche und beheizte Wohnfläche voneinander abweichen. Vorliegend kann zum Beispiel die vom Wohnraum getrennte Abstellkammer unstreitig nicht beheizt werden und wäre bei der beheizten Fläche herauszurechnen.
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die tatsächliche Wohnfläche um mehr als 10 Prozent von der vertraglichen Wohnfläche abweicht. Der Sachverständige S. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass die Wohnfläche ohne den mieterseitigen Galerieausbau 49,45 Quadratmeter beträgt und damit um 10,09 Prozent oder 5,55 Quadratmeter geringer ist als im Mietvertrag ausgewiesen. Dabei hat der Sachverständige die bei Beginn des Mietverhältnisses vorhandene Galeriefläche mit 2,47 Quadratmeter als Vermieterausbau berücksichtigt, wobei ihm die Parteien übereinstimmend diese Fläche im Ortstermin benannt haben. Dahinstehen kann, um welche Fläche die Klägerin während ihrer Mietzeit die Galeriefläche erweitert hat, denn dieser Teil ist bei der Ermittlung der Wohnfläche nicht zugunsten des Beklagten zu berücksichtigen. Für die Bemessung der Wohnfläche kann nur das herangezogen werden, was von ihm als Vermieter der Klägerin tatsächlich zur Verfügung gestellt worden ist und nicht das, was die Klägerin unter Aufwendung eigener finanzieller Mittel daraus gemacht hat. Einrichtungen des Mieters, die dieser auf eigene Kosten erstellt hat, sind rechtlich so zu behandeln, als wären sie nicht Bestandteil der Mietsache (BayObLG NJW 1981, 2259). Dies gilt sowohl bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete als auch bei der Bemessung der Wohnfläche.
Entgegen der Ansicht des Beklagten ist auch die Erheblichkeitsgrenze von 10 Prozent überschritten. Zwar hat der Sachverständige in seinem Gutachten angegeben und in der mündlichen Verhandlung vom 27. Juni 2007 bestätigt, dass aufgrund der Dachschrägen und Vorsprünge bei der Summe der Flächen ein Toleranzrahmen eingeräumt werden müsse, der mit etwa 1 Prozent veranschlagt werden kann. Dieser Toleranzrahmen ist jedoch im Interesse der Rechtssicherheit weder zugunsten der Klägerin noch zugunsten des Beklagten zu berücksichtigen, zumal sich die vom Sachverständigen angesprochene Maßtoleranz entweder zugunsten der Klägerin und zu Lasten des Beklagten oder aber umgekehrt auswirken kann. Denn der Sachverständige kann nicht nur nicht angeben, ob die von ihm ermittelte Wohnfläche überhaupt um 1 Prozent von der tatsächlichen abweicht, sondern er vermag auch nicht anzugeben, ob die ermittelte Fläche von der tatsächlichen Fläche um 1 Prozent nach oben oder unten abweicht, so dass es gerechtfertigt ist, die vom Sachverständigen mit 49,45 Quadratmeter ermittelte Fläche als errechneten „Mittelwert“ in Ansatz zu bringen.
Die geringfügige Überschreitung der Wesentlichkeitsgrenze von 10 Prozent um nur 0,09 ist ausreichend, um einen Mangel der Mietsache festzustellen. Im Interesse der Praktikabilität und Rechtssicherheit ist die Grenze bei 10 Prozent zu ziehen. Eine zusätzliche Toleranz ist nicht mehr gerechtfertigt (BGH GE 2004, 683).
Weist eine gemietete Wohnung – wie hier – eine Wohnfläche auf, die mehr als 10 Prozent unter der im Mietvertrag angegebenen Fläche liegt, stellt dieser Umstand grundsätzlich einen Mangel der Mietsache im Sinn von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, der den Mieter zur Minderung der Miete berechtigt. Einer zusätzlichen Darlegung des Mieters, infolge der Flächendifferenz sei die Tauglichkeit der Wohnung zum vertragsgemäßen Gebrauch gemindert, bedarf es nicht (BGH GE 2004, 682; GE 2005, 1349, 1350).
Der Rückzahlungsanspruch beträgt insgesamt 2.230,63 Euro. Bemessungsgrundlage für die Minderung nach § 536 BGB ist die Bruttomiete einschließlich der Nebenkostenvorauszahlungen (BGH GE 2005, 854). Der Minderungs- und Rückzahlungsanspruch berechnet sich wie folgt:
für den Zeitraum 1. Januar 2002 bis 30. November 2002
449,94 Euro : 55 Quadratmeter = 8,18 Euro/Quadratmeter x 5,55 Quadratmeter
zuviel berechnete Fläche = 45,40 Euro/monatlich x 11 Monate = 499,40 Euro
für den Zeitraum vom 1. Dezember 2002 bis 31. Dezember 2005
463,44 Euro : 55 Quadratmeter = 8,43 Euro/Quadratmeter x 5,55 Quadratmeter
zuviel berechnete Fläche = 46,79 Euro/monatlich x 37 Monate = 1.731,23 Euro
Der Rückzahlungsanspruch für das Jahr 2002 ist nicht verjährt, denn die Klage ist vor Ablauf der Verjährungsfrist bei Gericht eingegangen und hat den Ablauf gehemmt. Gemäß § 195 BGB unterliegen die Ansprüche der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren, die gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist. Durch die am 28. Dezember 2005 bei Gericht eingegangene Klage ist der Ablauf der Verjährungsfrist gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden. Die am 20. Januar 2006 erfolgte Zustellung der Klage wirkt auf den Zeitpunkt der Einreichung zurück, denn sie ist demnächst im Sinn von § 167 ZPO erfolgt. Auf die Anforderung des Gerichtsvorschusses vom 3. Januar 2006 sind die Kosten am 11. Januar 2006 von der Klägerin eingezahlt worden. Nach Eingang der Zahlungsanzeige bei dem Amtsgericht Schöneberg am 16. Januar 2006 hat das Gericht am gleichen Tage die Zustellung der Klage verfügt und Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt. …
06.05.2018