Leitsatz:
Aus der Sanierungsvereinbarung zwischen dem Eigentümer und dem Land Berlin kann sich konkludent (Belegungsrecht!) der Ausschluss einer Eigenbedarfskündigung (hier: für fünf Jahre) ergeben.
AG Lichtenberg, Urteil vom 12.9.2008 – 9 C 79/08 -;
LG Berlin, Urteil vom 5.6.2009 – 65 S 407/08 –
Mitgeteilt von Marion Streller und RA Alexander Ziemann
Urteilstext
Aus dem Tatbestand des Amtsgerichts:
Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Wohnmiethaus bebauten Grundstücks G…-straße in 10317 Berlin.
Er hat das Grundstück mit Zuschlagsbeschluss vom 23. Februar 2005 erworben, nachdem die restituierten Eigentümer … u.a. das Grundstück zuvor mit Auflassung vom 8. Juni 1993 und Eintrag vom 20. März 1995 an einen im hiesigen Verfahren namentlich nicht benannten Erwerber veräußert hatten.
Die Beklagte hat mit Mietvertrag vom 7. Juli 1992 die im 4. OG Vorderhaus in der …-Straße belegene Zweizimmer-Wohnung mit einer Größe von 61,10 qm gemietet. Als Vermieterin ist im Mietvertrag die Wohnungsbaugesellschaft L. angegeben.
Der Kläger hat der Beklagten nach dem Zuschlagsbeschluss weiterhin den Gebrauch an der Wohnung eingeräumt und die Mietzinszahlungen der Beklagten entgegengenommen.
Mit Schreiben vom 26.6.2007, welches der Beklagten am 29.6.2007 zugestellt wurde, hat der Kläger der Beklagten wegen Eigenbedarfs ordentlich gekündigt. … Mit der Klageschrift vom 19. März 2008 hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten nochmals vorsorglich die ordentliche Kündigung wegen Eigenbedarfs erklärt.
Nach Erwerb des streitgegenständlichen Grundstücks schloss der Kläger mit dem Land Berlin am 11. Juli 2005 einen Sanierungsvertrag der als „Durchführungsvertrag vom 11. Juli 2005“ bezeichnet ist. Unter § 7 des Vertrages heißt es unter anderem:
„(1) Zur angemessenen Wohnraumversorgung sanierungsbetroffener Mieter sowie von gebietsansässigen Haushalten mit dringenden Wohnraumbedarf räumt der Eigentümer Berlin in den ersten fünf Jahren nach erfolgter Modernisierung und Instandsetzung gemäß § 8 (2) ein Belegungsrecht für nachfolgende Wohnungen [… ] ein: […]
VH, 4. OG rechts
(3) Der Eigentümer wird mit den vorgeschlagenen Haushalten Mietverträge abschließen, sofern es keine triftigen gegenteiligen Gründe gibt. …
(7) Werden belegungsgebundene Wohnungen nicht vertragsgemäß hergestellt oder entgegen den Belegungsvorschlägen, Vertrags- und Sozialplaninhalten bzw. Freistellungen Berlins vermietet, hat der Eigentümer eine Vertragsstrafe in Höhe von drei Jahressollmieten (netto kalt) dieser vertragswidrig hergestellten oder fehlbelegten Wohnungen zu zahlen.“
In § 8 des Vertrages heißt es unter anderem:
„(2) …
Für zwei Wohnungen wurden Belegrechte gesichert und Mietpreisbeschränkungen mit einer Bindungsfrist von 5 Jahren eingegangen.
Lage im Vorderhaus 4. OG, rechts; 2. OG, links … “
… Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 23. Mai 2008 die Kopie einer als „Mustervereinbarung über die Durchführung einer Mietermodernisierung mit öffentlichen Förderungsmitteln“ vorgelegt. Dort ist in der Präambel festgehalten, dass die Vereinbarung zwischen der WBG L. mbH und der Mieterin geschlossen worden ist. Unter § 2 heißt es: „Der Vermieter verzichtet dem Mieter gegenüber für die Dauer des Mietverhältnisses/- Jahre auf die Ausübung des Kündigungsrechts nach § 564 b Abs.2 Nr. 2 und 3 BGB …“.
Der Kläger behauptet, er wolle die Wohnung selber nutzen. …
Der Kläger trägt vor, dass der Sanierungsvertrag mit dem Land Berlin einer Eigenbedarfskündigung nicht entgegenstehe, da der Kläger in der Vereinbarung weder ausdrücklich, noch konkludent einen Verzicht auf das Recht zur Eigenbedarfskündigung erklärt habe. Aus der Vertragsstrafenregelung ergäbe sich vielmehr, dass bei einer dem Belegungsrecht widersprechenden Nutzung nur eine Vertragsstrafe verwirkt sei. Die Beklagte sei auch nicht Beteiligte der Vereinbarung, ihr gegenüber sei auch kein Verzicht auf die Eigenbedarfskündigung erklärt worden. Die Vereinbarung stelle auch keinen Vertrag zugunsten der Beklagten i.S.d. § 328 BGB dar. …
Aus den Entscheidungsgründen des Amtsgerichts:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Räumung der streitgegenständlichen Wohnung gemäß § 546 Abs.1 BGB zu.
Zwischen den Parteien besteht ein Mietverhältnis über die von der Beklagten innegehaltenen im 4. GG rechts des Vorderhauses G.-Straße in 10317 Berlin gelegenen Wohnung. Jedenfalls ist spätestens durch Gebrauchsüberlassung der Wohnung an die Beklagte durch den Kläger nach dem Zuschlagbeschluss und durch die Entgegennahme der Mietzinszahlungen ein Mietvertrag über die streitgegenständliche Wohnung geschlossen worden.
Das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis ist jedoch nicht durch die am 26. Juni 2007 und die mit der Klageschrift vom 19. März 2008 erklärten ordentlichen Kündigungen beendet worden.
Denn jedenfalls hat der Kläger kein berechtigtes Interesse gemäß § 573 Abs.1 BGB an der Beendigung des Mietverhältnisses. Soweit der Beklagte seine Kündigungen auf den von ihm behaupteten Kündigungsgrund des Eigenbedarfs gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB stützt, kann er seine Kündigungen gegenüber der Beklagten zu den Zeitpunkten der Kündigungen, bzw. des Zugangs derselben, nicht auf diesen Kündigungsgrund stützen.
Aufgrund der zwischen dem Kläger und dem Land Berlin am 11. Juli 2005 geschlossenen Sanierungsvereinbarung ist eine Kündigung der Wohnung der Beklagten wegen Eigenbedarfs ausgeschlossen.
Dieser Ausschluss beruht auf den zwischen dem Land Berlin und dem Kläger in dieser Vereinbarung getroffenen Regelungen. Zwar ist ausdrücklich kein Ausschluss der Eigenbedarfskündigung für die von der Beklagten bewohnten Wohnung vereinbart, jedoch ergibt sich aus verschiedenen Regelungen im Vertrag, dass die Parteien dieser Vereinbarung konkludent einen solchen Ausschluss vereinbart haben.
So ist in § 7 des Vertrages „Wohnungsbelegung“ unter Ziffer 1 geregelt, dass der Eigentümer dem Land Berlin zur angemessenen Versorgung sanierungsbetroffener Mieter sowie von gebietsansässigen Haushalten mit dringenden Wohnraumbedarf in den ersten fünf Jahren nach erfolgter Modernisierung und Instandsetzung ein Belegungsrecht für zwei Wohnungen im Gebäude G…-Straße einräumt. Als eine der Wohnungen ist ausdrücklich die von der Beklagten bewohnte Wohnung genannt. Dabei ist der Kläger – wie sich aus der weiteren Regelung ergibt – aufgrund des Belegungsrechts grundsätzlich verpflichtet, mit dem vom Land Berlin vorgeschlagenen Haushalten Mietverträge abzuschließen, soweit es keine triftigen gegenteiligen Gründe gibt (vgl. § 7 Abs. 3 des Vertrages). In § 8 Abs. 2 des Vertrages ist ausdrücklich festgehalten, dass für zwei Wohnungen Belegrechte gesichert und Mietpreisbeschränkungen mit einer Bindungsfrist von 5 Jahren eingegangen worden sind. Dann folgt die Nennung der Wohnungen, u.a. die der Beklagten, und die namentliche Nennung der Beklagten.
Der Kläger hat sich somit durch die ausdrückliche Einräumung eines Belegungsrechtes für die Beklagte hinsichtlich der streitgegenständlichen Wohnung verpflichtet, mit der Beklagten einen Mietvertrag zu schließen bzw. den mit der Beklagten bereits geschlossenen Mietvertrag fortzuführen und zwar zu den in § 8 Abs. 2 des Vertrages genannten Konditionen hinsichtlich der Miethöhe. Er hat sich auch konkludent verpflichtet, während der Bindungsfrist das streitgegenständliche Mietverhältnis nicht wegen Eigenbedarfs zu kündigen. Dies folgt schon daraus, dass der Kläger nicht zu dem von den Parteien des Vertrages festgelegten Personenkreis gehört, für den in der Regelung ein Belegungsrecht an der streitgegenständlichen Wohnung eingeräumt wird. Denn er ist weder ein sanierungsbetroffener Mieter, noch ein gebietsansässiger Haushalt mit dringendem Wohnraumbedarf. In den genannten Regelungen gehen die Parteien der Sanierungsvereinbarung übereinstimmend davon aus, dass der Kläger hinsichtlich der belegungsgebundenen Wohnungen Mietverträge mit anderen Personen abschließt. Durch die Regelungen lässt sich der Wille der Parteien erkennen, dass die belegungsgebundenen Wohnungen in der Belegungszeit grundsätzlich von dem durch die Vereinbarung geschützten Personenkreis belegt werden sollen, somit im Belegungszeitraum eine Eigennutzung durch den Eigentümer ausgeschlossen und damit auch eine Kündigung wegen Eigenbedarfs durch den Kläger als Eigentümer zu unterlassen ist. Der gefundenen Auslegung steht auch nicht die Vertragsstrafenregelung in § 7 Abs.7 der Vereinbarung entgegen. Denn das Bestehen einer Vertragsstrafenregelung heißt gerade nicht, dass das verbotene Verhalten grundsätzlich erlaubt ist. Zudem sollten durch die Vertragsstrafenregelung die Fälle erfasst werden, in denen der Kläger entgegen den Belegungsvorschlägen eine belegungsgebundene, aber freie Wohnung vermietet.
Daraus lässt sich keine Erkenntnis für den hiesigen Fall ziehen, in dem ein bereits geschlossener Mietvertrag wegen Eigenbedarfs gekündigt wird.
Aus den oben genannten Darlegungen folgt, dass die Parteien der Sanierungsvereinbarung die Kündigung wegen Eigenbedarfs konkludent in dem Sinne ausgeschlossen haben, dass der Beklagte eine Eigenbedarfskündigung zu unterlassen hat. Das Land Berlin oder die Beklagte waren entgegen der Auffassung des Klägers insoweit auch nicht gehalten, eine Verzichtserklärung des Klägers zu verlangen.
Diese Vereinbarung, nämlich die Eigenbedarfskündigung zu unterlassen, wirkt auch zugunsten der Beklagten. Es ist insoweit von einem Vertrag zugunsten Dritter auszugehen. Dabei kann die zugunsten eines Dritten versprochene Leistung gemäß § 241 BGB auch in einem Unterlassen bestehen (vgl. Staudinger-Jagmann, BGB, 2004, § 328 Rn.10). Die Beklagte ist als Mieterin der streitgegenständlichen Wohnung Begünstigte, da sie sogar in der Sanierungsvereinbarung als belegungsberechtigte Mieterin namentlich genannt worden ist.
Selbst wenn man einen konkludenten Ausschluss des Rechts zur Eigenbedarfskündigung in dem Sanierungsvertrag verneinen wollte, wäre die Ausübung dieses Rechts im konkreten Fall rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) und würde die Kündigung, selbst wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen würden, unwirksam machen. Denn der Kläger ist als Eigentümer für die streitgegenständliche Wohnung im Sanierungsvertrag bewusst eine Bindung eingegangen, deren Ziel es ist, sanierungsbetroffene Mieter sowie gebietsansässige Haushalte zu schützen. Dabei ist er diese Bindung nur für zwei von dreiundzwanzig Wohnungen eingegangen. Er hat sich nicht nur hinsichtlich der Wohnung gebunden, sondern er hat ausdrücklich die Beklagte als belegungsberechtigte Mieterin akzeptiert. Es stellt sich damit als rechtsmissbräuchlich dar, wenn der Kläger einerseits solche Bindungen eingeht, sowie die Beklagte als Mieterin akzeptiert und mit dieser einen Mietvertrag abschließt bzw. weiterführt, um andererseits in dem von ihm freiwillig vereinbarten Bindungszeitraum dann diese Mieterin wegen Eigenbedarfs zu kündigen.
Durch die ausgesprochenen Kündigungen wurde das Mietverhältnis somit nicht beendet. Die Klage war daher abzuweisen. …
Aus den Gründen des Landgerichts:
Die statthafte Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO.
Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Es wird ausdrücklich in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts Bezug genommen.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung, weil das Mietverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung vom 26. Juni 2007 noch durch die Kündigung in der Klageschrift vom 19. März 2008 beendet ist. Die Kündigungen sind nicht wirksam. Dem Kläger steht der Kündigungsgrund des Eigenbedarfs (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) nicht zur Seite. Die Eigenbedarfskündigung ist nämlich für einen Zeitraum von 5 Jahren nach Abschluss der in dem Gebäude durchgeführten Sanierungsarbeiten aufgrund der Regelungen in §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 2 des zwischen dem Kläger und dem Land Berlin geschlossenen Durchführungsvertrages vom 11. Juli 2005 ausgeschlossen. Zwar enthält dieser Vertrag keinen ausdrücklichen Ausschluss einer Eigenbedarfskündigung. Dieser ergibt sich aber – wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat – konkludent aus dem Sinn und Zweck des Vertrages. Zunächst hat sich der Kläger in § 3 Abs. 3 Nr. 1 a) verpflichtet, bestehende Mietverhältnisse nach Maßgabe des Sozialplanes während und nach Durchführung der Sanierungsmaßnahmen fortzusetzen. Ferner hat der Kläger gemäß § 7 Abs. 1 des Vertrages dem Land Berlin zur angemessenen Wohnraumversorgung sanierungsbetroffener Mieter sowie von gebietsansässigen Haushalten mit dringendem Wohnbedarf „in den ersten fünf Jahren nach erfolgter Modernisierung und Instandsetzung ein Belegungsrecht“ für die Wohnung der Beklagten eingeräumt. In § 8 Abs. 2 des Vertrages ist sodann geregelt, dass für die Wohnung der Beklagten „Belegrechte gesichert und Mietpreisbeschränkungen mit einer Bindungsfrist von 5 Jahren eingegangen“ wurden. Hieraus folgt, dass der Kläger nicht berechtigt sein sollte, innerhalb dieser Bindungsfrist die Wohnung der Beklagten ordentlich zu kündigen. Ob auch eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ausgeschlossen sein sollte, kann an dieser Stelle dahinstehen. Dies dürfte eine Frage des Einzelfalls sein.
Entgegen der Ansicht des Klägers entfaltet der Durchführungsvertrag mit dem Land Berlin nicht nur Wirkung zwischen den dortigen Vertragsparteien. Vielmehr ist Sinn und Zweck des Vertrages entsprechend der Regelung in § 1 des Vertrages gerade die sozialplangerechte Sanierung des Gebäudes. Es steht somit der soziale Aspekt der Vereinbarung im Vordergrund, wonach bedürftigen Mietern ebenso wie Bestandsmietern, zu welchen die Beklagte zählt, sanierter Wohnraum zu bezahlbaren Mietpreisen zur Verfügung gestellt werden soll. Daraus folgt, dass die betroffenen Mieter auch unmittelbar in den Schutzzweck des Vertrages einbezogen sind.
Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass der Vertrag mit dem Land Berlin eine Wirkung lediglich inter partes entfaltet, so ist der Kläger nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) jedenfalls gehindert, innerhalb der Belegungsbindung eine Eigenbedarfskündigung auszusprechen. Denn er kann nicht einerseits öffentliche Mittel zur Modernisierung und Instandsetzung seines Mietwohnhauses in Anspruch nehmen und hierzu einen Vertrag mit der öffentlichen Hand schließen, und anschließend, nachdem er hieraus erhebliche Vorteile gezogen hat, diesen Vertrag brechen. Hierin ist ein widersprüchliches Verhalten zu sehen, welches unzulässig ist (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 67. A., § 242 Rn 57).
Die Berufung des Klägers ist daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision zum Bundesgerichtshof wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
29.03.2022