Leitsatz:
Ein Wohnungsmangel liegt vor, wenn die tatsächliche Wohngröße der gemieteten Wohnung mehr als 10 Prozent unter der im Mietvertrag angegebenen Fläche liegt.
BGH v. 24.3.2004 – VIII ZR 133/03 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 6 Seiten]
Das Urteil verweist zur Begründung auf die Parallel-Entscheidung – VIII ZR 295/03. Zusätzlich enthält die Entscheidung noch Ausführungen zur Frage, was bei Vereinbarungen gilt, bei denen die Wohnfläche lediglich mit „circa“ oder „ca.“ im Mietvertrag angeben wird.
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Von Frank Maciejewski
Weist eine gemietete Wohnung eine Wohnfläche auf, die mehr als 10 Prozent unter der im Mietvertrag angegebenen Fläche liegt, stellt dieser Umstand grundsätzlich einen zur Mietminderung berechtigenden Mangel der Mietsache dar. Dies entschied der Bundesgerichtshof in zwei Urteilen vom 24. März 2004 (WM 04, Seite 268 und Seite 336).Für das Minderungsrecht kommt es also nicht mehr auf eine Beeinträchtigung des Mieters oder des von ihm tatsächlich ausgeübten Gebrauchs an, vielmehr genügt es, dass die Wohnung nicht in der im Vertrag angegebenen Größe nutzbar ist. Es reicht für die Minderung aus, wenn eine rechnerische Abweichung der Wohnfläche um mindestens 10 Prozent vorliegt. Denn bei einer Abweichung ab 10 Prozent endet nach Auffassung des BGH die Unerheblichkeit einer Tauglichkeitsminderung im Sinne des § 536 Absatz 1 Satz 3 BGB. Die 10-Prozent-Grenze legt der BGH im Interesse der Praktikabilität und Rechtssicherheit fest. Der Mieter ist gegebenenfalls für die Abweichung beweispflichtig (vgl. Kammergericht GE 01, Seite 1131). Deshalb kann es bei verwinkelten Räumen (Schrägen, Innenpfeilern) erforderlich sein, das Aufmaß durch eine Fachkraft anfertigen zu lassen. Fraglich könnte sein, was bei Vereinbarungen gilt, bei denen die Wohnfläche lediglich mit „circa“ oder „ca.“ im Mietvertrag angegeben wird. Auch hierzu hat der BGH Stellung genommen: Es mache keinen Unterschied, ob im Mietvertrag die Wohnfläche exakt oder aber mit einer Circa-Angabe beschrieben werde. Für das Minderungsrecht des Mieters sei allein maßgeblich, ob die jeweilige Angabe um mehr als 10 Prozent von der tatsächlichen Wohnfläche nach oben abweiche.Die Höhe der Mietzinsminderung richtet sich nach dem Prozentsatz der jeweiligen Wohnflächenabweichung. Dabei ist die gesamte Differenz zu berücksichtigen. Keinesfalls beschränkt sich die Minderung auf den über der 10-prozentigen Toleranzgrenze liegenden Teil der Abweichung. Der Umstand, dass wegen unerheblicher Abweichung bis zu 10 Prozent grundsätzlich gar nicht gemindert werden kann, wirkt sich bei Abweichungen über 10 Prozent nicht aus.Für Flächenabweichungen unter 10 Prozent treffen die Entscheidungen keine Aussage. Hier bleibt es dabei, dass eine Minderung nur in den seltenen Fällen in Frage kommt, wo die höhere Wohnfläche ausdrücklich zugesichert ist (§ 536 Abs. 2 BGB), beispielsweise durch Vereinbarung einer Quadratmetermiete. Dann berechtigen auch geringfügige Abweichungen zu entsprechender Mietminderung.Geklärt ist nun auch, nach welchen Vorschriften die Wohnflächenberechnung vorzunehmen ist. In einer dritten Entscheidung vom 24. März 2004 (WM 04, Seite 337) hat der BGH nämlich entschieden, dass für die Wohnflächenberechnung auch im frei finanzierten Wohnraum die Bestimmungen der §§ 42 bis 44 II. BV als Maßstab herangezogen werden können. Jedoch stehe es den Mietparteien frei, eine andere Berechnungsgrundlage – etwa die DIN 277 – zu vereinbaren.Ungeklärt bleibt aber auch nach diesem Urteil, ob ab Januar 2004 statt der II. BV in jedem Falle die WohnflächenVO bei preisfreiem Wohnraum zur Anwendung kommt. Dies dürfte im Hinblick auf § 5 WohnflächenVO zu verneinen sein (vgl. hierzu MM 3/04, Seite 9).Ergibt ein ordnungsgemäßes Aufmaß eine Wohnflächenabweichung von mehr als 10 Prozent, so ist gleichwohl nicht ohne weiteres in jedem Fall ein Mietminderungsanspruch gegeben.
Vielmehr sind folgende Aspekte zu beachten:
- Der Minderungsanspruch des Mieters kann nach § 536 b BGB nicht nur wegen Kenntnis, sondern auch wegen grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels bei Vertragsabschluss ausscheiden. Grob fahrlässige Unkenntnis setzt eine erhebliche, offensichtlich ins Auge fallende Wohnflächenabweichung voraus. Paschke (GE 04, 677) bejaht diese ab einer Abweichung von 30 Prozent. In den vom BGH entschiedenen Fällen lag eine solche Offensichtlichkeit nicht vor, so dass der BGH ausführen konnte, dass es „unerheblich ist, wenn dem Mieter die geringere Wohnfläche nicht aufgefallen ist“ (BGH WM 04, Seite 337).
- Es bleibt weiterhin zu prüfen, ob das Minderungsrecht für die Vergangenheit wie für die Zukunft nach §242 BGB verwirkt sein kann, wenn der Mieter trotz Kenntnis von der Wohnflächenabweichung längere Zeit (mindestens sechs Monate, im Einzelfall länger) die Miete vorbehaltlos gezahlt hat. Die für die Verwirkung maßgebliche Frist kann aber frühestens mit Veröffentlichung der BGH-Urteile vom 24. März 2004 zu laufen beginnen. Entsprechendes gilt, wenn der Mieter in Kenntnis der Wohnflächenabweichung einer Mieterhöhung nach § 558 BGB zustimmt. Dann liegt hierin ein Verzicht auf sein zuvor vorhandenes Mietminderungsrecht.
- Der Anspruch des Mieters aus § 812 Absatz 1 Satz 1 BGB auf Rückerstattung des überzahlten – weil nicht geminderten – Mietzinses kann darüber hinaus auch nach § 814 BGB ausgeschlossen sein. Voraussetzung ist aber positive Kenntnis des Mieters von der neuen durch die BGH-Urteile vom 24. März 2004 entstandenen Rechtslage (Paschke GE 04, 677).
- Ist der Minderungsanspruch nicht ausgeschlossen, ergibt sich grundsätzlich ein Recht des Mieters auch zur rückwirkenden Minderung, begrenzt allein durch die Verjährungsfrist. Der Anspruch des Mieters auf Rückerstattung des überzahlten Mietzinses verjährt nach neuem Recht künftig in drei Jahren ab Kenntnis von der Wohnflächenabweichung (§199 BGB). Auf Grund des in Art. 229 § 6 EGBGB geregelten Übergangsrechts sind Ansprüche auf Erstattung von Mietzahlungen aus dem Jahre 1999 bereits verjährt. Mietüberzahlungen aus dem Jahre 2000 verjähren am 31. Dezember 2004.
05.05.2018