Leitsätze:
a) Die Gerichte haben grundsätzlich zu respektieren, welchen Wohnbedarf der Vermieter für sich oder seine Angehörigen als angemessen sieht. Sie sind daher nicht berechtigt, ihre Vorstellungen von angemessenem Wohnen verbindlich an die Stelle der Lebensplanung des Vermieters (oder seiner Angehörigen) zu setzen (im Anschluss an BVerfGE 79, 292, 304 f.; 89, 1, 9; NJW 1994, 995; NJW 1995, 1480, 1481; NJW-RR 1999, 1097, 1098).
b) Der vom Vermieter geltend gemachte Wohnbedarf ist nicht auf Angemessenheit, sondern nur auf Rechtsmissbrauch zu überprüfen. Rechtsmissbräuchlich ist nicht schon der überhöhte, sondern erst der weit überhöhte Wohnbedarf. Die Wertung, ob der geltend gemachte Wohnbedarf weit überhöht ist, haben die Gerichte unter Abwägung der beiderseitigen Interessen anhand objektiver Kriterien unter konkreter Würdigung der Einzelfallumstände zu treffen (im Anschluss an BVerfGE 68, 361, 373 f.; BVerfG, NJW 1993, 1637, 1638; WuM 1993, 380, 384; NJW 1994, 995, 996; NJW 1994, 2605, 2606; NJW 1995, 1480 f.).
c) Es lassen sich keine Richtwerte (etwa Wohnfläche) aufstellen, ab welcher Grenze bei einem Alleinstehenden von einem weit überhöhten Wohnbedarf auszugehen ist. Denn diese Beurteilung hängt nicht allein von der in Anspruch genommenen Wohnfläche oder der Anzahl der Räume ab, sondern von einer umfassenden Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls.
d) Macht sich der Vermieter den (ernsthaften) Wunsch eines alleinstehenden volljährigen Familienangehörigen zu eigen, einen eigenen Hausstand zu gründen und mit einem (langjährigen) Freund eine Wohngemeinschaft (keine Lebensgemeinschaft) zu bilden, und bemisst er auf dieser Grundlage den aus seiner Sicht angemessenen Wohnbedarf, ist diese Entscheidung von den Gerichten grundsätzlich anzuerkennen.
BGH-Leitentscheid v. 4.3.2015 – VIII ZR 166/14 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 19 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der BGH bekräftigt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes seine Rechtsauffassung, dass die Gerichte grundsätzlich zu respektieren hätten, welchen Wohnbedarf der Vermieter für sich oder seine Angehörigen als angemessen ansehe.
Im vorliegenden Fall hatte der Vermieter die 125 Quadratmeter große Mietwohnung zugunsten seines 22-jahrigen Sohnes gekündigt. Den geltend gemachten Wohnbedarf hielt der BGH nicht für weit überhöht. Das gelte auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Sohn praktisch kein eigenes Einkommen habe und ein Studium aufnehmen wolle, das etwa drei Jahre dauern werde. Zu berücksichtigen sei auch, dass ein langjähriger Freund des Sohnes mit in die Wohnung ziehen solle.
27.03.2022