Der Druck auf den Wohnungsmärkten ist groß – für die Bau- und Immobilienbranche eine gute Ausgangslage, um ihren Forderungskatalog zu präsentieren. Auf dem stehen Steuererleichterungen, beschleunigte Genehmigungsverfahren und die Absenkung von Standards.
Mit den steigenden Anforderungen der Energieeinsparverordnung (EnEV) ab Januar 2016, so warnt der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, würden sich Neubauten noch einmal verteuern. Es sei mit einer Kostensteigerung von sechs bis zehn Prozent zu rechnen. „Bei einer Durchschnittswohnung können das schnell 10.000 Euro sein“, ergänzt Maren Kern, Vorstand beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) in einer Presseerklärung. Und auch der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen BFW spricht von „fortdauernder gesetzlicher Überregulierung“, die die Grenze des wirtschaftlich und technisch machbaren für die Immobilienbranche bereits 2009 nach der ersten Energieeinsparverordnung erreicht habe. „Technikneutrale Klimaziele“ fordert schließlich der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW.
Die Bau- und Immobilienbranche erhöht ihren Druck auf die Politik und begründet ihren Vorstoß mit Ergebnissen der aktuellen Pestel-Studie, die im September diesen Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Im Auftrag des Verbändebündnisses Wohnungsbau, einem Zusammenschluss von Wohnungswirtschaft, Bauindustrie, Gewerkschaften und des Deutschen Mieterbundes, legte das Institut Modellrechnungen über die Kosten eines neuen Sozialen Wohnungsbaus vor – und gab eine Prognose zum künftigen Bedarf ab: 770.000 Wohnungen fehl-ten in Deutschland allein schon bis Ende diesen Jahres, so die Studie. Dem gewaltigen Druck am Wohnungsmarkt, der durch die Flüchtlinge noch verschärft werde, könne man nur mit einem gewaltigen Bauprogramm begegnen: 400.000 neue und auch bezahlbare Wohnungen müssten ab sofort jährlich errichtet werden und das in den nächsten fünf Jahren – jeweils 80.000 von ihnen sollen preisgebunden sein.
Gigantischer Fehlbedarf
Wie sowohl die Möglichkeiten als auch die Anreize für einen dringend notwendigen Bauboom beschaffen sein sollten, stellte der Verbändebund noch einmal in klaren Forderungen heraus. Neben einer Reduzierung und Vereinfachung von Regeln, Normen und Standards stehen dabei vor allem auch steuerliche Erleichterungen für die Baubranche: Die Länder sollten beispielsweise für Neubauprojekte vorerst auf die Grunderwerbsteuer verzichten, die Abschreibungen auf die Baukosten sollten angehoben werden. Weiter müsste Bauland billiger angeboten und die Genehmigungsverfahren müssten beschleunigt werden. Zudem seien Steuererleichterungen in Höhe von 3,2 Milliarden Euro erforderlich.
Der Handlungsdruck ist groß, der Wohnungsneubau, der lange Jahre vor sich hin dümpelte, muss schnell in Gang kommen. Ein Ausnahmezustand: Die Baubranche steht vor einer gewaltigen Herausforderung – aber sie kann nun auch Forderungen präsentieren, die schon lange auf ihrem Wunschzettel stehen. Dabei benennen sie viele tatsächliche Kostentreiber. Aber gehört die Lockerung beziehungsweise die Senkung von Baustandards, allen voran die Aussetzung der EnEV 2016 für die nächsten fünf Jahre dazu? Die Forderung stößt sowohl bei Politikern als auch Mietervertretern auf Ablehnung (siehe Kasten). Sie haben gute Gründe.
Rosemarie Mieder
Hände weg von den Energie-Standards!
Bundesbauministerin Barbara Hendricks findet klare Worte: Man könne nicht von ihr verlangen, dass sie mit einer Aussetzung der Energieeinsparverordnung im Gepäck zum Klimagipfel nach Paris reise, erklärte sie Mitte Oktober in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“. Und kurz darauf einigte sich auch die Bauministerkonferenz auf den Standpunkt: Kein Verzicht auf die für Januar 2016 vorgesehene Verschärfung energetischer Standards. Niemand könne garantieren, dass Neubauten ohne weitere EnEV-Anforderungen tatsächlich billiger würden oder dass bei Aussetzung energetischer Standards mehr gebaut würde, so Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Man könne allerdings an anderen Stellschrauben drehen, wenn es um Kostenersparnisse ginge. Zum Beispiel müsse der Bodenpreisspekulation ein Riegel vorgeschoben und Baupreise begrenzt werden.
rm
03.12.2015