Leitsatz:
Muss der Mieter aufgrund des vorangegangenen Verhaltens des Vermieters mit dem Beginn von Modernisierungsarbeiten rechnen, ohne dass diese vorher ordnungsgemäß angekündigt werden, hat er gegen den Vermieter einen Anspruch auf Unterlassung der Maßnahmen, solange nicht eine ordnungsgemäße Modernisierungsankündigung erfolgt ist und der Mieter entweder die Modernisierungsarbeiten duldet oder zur Duldung verurteilt worden ist.
AG Tempelhof-Kreuzberg vom 18.4.2016 – 11 C 295/15 –
Mitgeteilt von RAin Andrea Klette
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Mit Schreiben vom 27.2.2015 hatte der alte Eigentümer die Veräußerung des Hausgrundstücks bekannt gegeben. Der Erwerber hatte sich mit Schreiben vom selben Tag vorgestellt und mitgeteilt, dass ein Dachgeschossausbau, ein Vollwärmeschutz der Fassade, Vorder- und Hofseite und Einbau eines neuen Fahrstuhls geplant seien. Deshalb sei es notwendig, ein Gerüst aufzustellen.
Bereits am 2.3.2015 wurde mit diversen Arbeiten im Haus begonnen. Hiergegen schritt das Bauaufsichtsamt ein. Mit Schreiben vom 23.3.2015 kündigte der Erwerber unter anderem die Aufstellung des Gerüsts nach den Maidemonstrationen ab 2.5.2015 an. Die Mieterin erwirkte daraufhin gegen ihn eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg vom 8.5.2015, die dem Erwerber am 13.5.2015 zugestellt worden war.
Seitdem wurden keine weiteren Arbeiten durchgeführt. Die Mieterin hielt nunmehr Anfang 2016 einen Unterlassungsanspruch für gegeben, weil aufgrund der Schreiben des Vermieters vom 27.2.2015 und 23.3.2015 mit dem Beginn der Modernisierungsmaßnahmen nach Gerüstaufstellung Anfang Mai 2015 gerechnet werden musste. Der Vermieter entgegnete, ein Unterlassungsanspruch der Mieterin bestehe nicht. Gerüstarbeiten seien lediglich eine Vorbereitungsmaßnahme für Modernisierungsmaßnahmen, und mit Modernisierungsmaßnahmen solle in absehbarer Zeit nicht begonnen werden. Aufträge seien noch nicht vergeben. Eine Baugenehmigung für den Dachgeschossausbau läge noch nicht vor. Eine konkrete Gefahr der Beeinträchtigung der Rechte der Mieterin liege nicht vor. Eine Modernisierungsankündigung werde nach Vorliegen der Baugenehmigung ordnungsgemäß erfolgen.
Dieser Argumentation folge das Amtsgericht nicht. Es hielt die Unterlassungsklage der Mieterin im Wesentlichen für begründet.
Die Mieterin habe einen Anspruch gegen den Vermieter darauf, dass er die Gerüstaufstellung und die geplanten Modernisierungsmaßnahmen (Dachgeschossausbau und Vollwärmeschutz der Fassaden) unterlasse, solange nicht eine ordnungsgemäße Modernisierungsankündigung erfolgt sei und die Mieterin entweder die Modernisierungsarbeiten dulde oder zur Duldung verurteilt worden sei. Dieser Anspruch ergebe sich aus §§ 1004, 823 BGB in Verbindung mit der mietvertraglichen Rücksichtnahmepflicht. Davon, dass die Mieterin mit dem Beginn von Modernisierungsarbeiten rechnen musste, ohne dass diese vorher ordnungsgemäß angekündigt waren, spreche das Verhalten des Vermieters im März 2015, also zu einem Zeitpunkt, als er noch nicht einmal als Eigentümer des Grundstücks in das Grundbuch eingetragen war. Er habe sich mit Schreiben an die Mieterin gewandt, aus denen diese schließen konnte, dass Baumaßnahmen am Dach und an der Fassade unmittelbar bevorstünden. Im Schreiben vom 27.2.2015 wurden der Mieterin aus diesem Grund die Nutzung der Hofstellplätze untersagt und im Schreiben vom 23.3.2015 wurde die Aufstellung des Gerüstes bereits ab dem 2.5.2015 angekündigt. Entgegen der Auffassung des Vermieters sei auch die Aufstellung des Gerüstes bereits eine Handlung, die ohne ordnungsgemäße Ankündigung nicht zu dulden sei. Außerdem sei mit Arbeiten im Haus begonnen worden, die auch als Instandsetzungsarbeiten rechtzeitig anzukündigen gewesen wären (§ 555 a Abs. 2 BGB) und die ein Einschreiten des Bauaufsichtsamtes erforderlich machten.
Angesichts dieses Verhaltens des Vermieters sei die Gefahr der rechtswidrigen Beeinträchtigung des Besitzes der Mieterin an der Wohnung nicht schon dadurch ausgeräumt, dass der Vermieter in dem vorliegenden Rechtsstreit erklärt habe, er werde die Modernisierungsarbeiten nach Vorliegen der Baugenehmigung ordnungsgemäß ankündigen.
Urteilstext
Tatbestand:
Die Klägerin ist seit November 2002 Mieterin einer im Vorderhaus, 4. OG links gelegenen Dreizimmerwohnung im Hause R.- Straße x in 10xxx·Berlin. Der Beklagte trat durch Erwerb mit der Eintragung als neuer Eigentümer am 17.04.2015 auf Vermieterseite in das Mietverhältnis ein.
Bereits mit Schreiben vom 27.2.2015 teilte einerseits der alte Eigentümer die Veräußerung mit und der Beklagte stellte sich mit Schreiben vom selben Tag als neuer Eigentümer vor und teilte mit einem weiteren Schreiben vom 27.2.2015 ebenfalls mit, dass ein Dachgeschossausbau, ein Vollwärmeschutz der Fassade, Vorder- und Hofseite und Einbau eines neuen Fahrstuhls geplant seien, es notwendig sei, ein Gerüst aufzustellen und der derzeitige Aufzug stillgelegt und demontiert werden müsse.
Bereits am 2.3.2015 wurde mit diversen Arbeiten im Haus begonnen. Hiergegen schritt das Bauaufsichtsamt ein. Der Fahrstuhl wurde stillgelegt. Mit Schreiben vom 23.3.2015 kündigte·der Beklagte u.a. die Aufstellung des Gerüstes nach den Maidemonstrationen ab 2.5.2015 .an. Die Klägerin erwirkte daraufhin gegen den Beklagten eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg vom 8.5.2015 zu 8 C 1002/15, die dem Beklagten am 13.5.2015 zugestellt worden ist.
Seitdem werden keine weiteren Arbeiten durchgeführt. Der Aufzug ist weiterhin außer Betrieb.
Die Klägerin hält einen Unterlassungsanspruch für gegeben, weil aufgrund der Schreiben des Beklagten vom 27.2.2015 und 23.3.2015 mit dem Beginn der Modernisierungsmaßnahmen nach Gerüstaufstellung Anfang Mai 2015 gerechnet werden musste. Der Aufzug sei noch im Februar 2015 von der Fa. O.·gewartet worden und habe einwandfrei funktioniert. Erst als ein vom Beklagten beauftragter Bauarbeiter mehrmals heftig gegen den Rahmen des Maschinenraumes geschlagen habe, sei bei der Firma O. eine Fehlermeldung eingegangen und der Fahrstuhl habe aus Sicherheitsgründen stillgelegt werden müssen.
Die Klägerin beantragt,
- den Beklagten zu verpflichten, es zu unterlassen, die Gerüstarbeiten an der Vorder- und Hoffassade und die Modernisierungsarbeiten zum Dachgeschossausbau sowie Vollwärmeschutz der Fassade im Hause R.- Str. x, 10xxx Berlin, bis zur Fertigung einer ordnungsgemäßen Modernisierungsankündigung und darauf folgender Duldungserklärung bzw. Erwirkung eines eventuellen Duldungstitels vorzunehmen,
- für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zu 1.·ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder sogleich Ordnungshaft festzusetzen,
- den Beklagten zu verurteilen, den im Hause R.- Str. x, 10xxx Berlin, im Vorderhaus·vorhandenen Fahrstuhl instand zu setzen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, ein Unterlassungsanspruch der Klägerin bestehe nicht. Gerüstarbeiten seien lediglich eine Vorbereitungsmaßnahme für Modernisierungsmaßnahmen und mit Modernisierungsmaßnahmen solle in absehbarer Zeit nicht begonnen werden. Aufträge seien noch nicht vergeben. Eine Baugenehmigung für den Dachgeschossausbau läge noch nicht vor. Eine konkrete Gefahr der Beeinträchtigung der Rechte der Klägerin liege nicht vor. Eine Modernisierungsankündigung werde nach Vorliegen der Baugenehmigung ordnungsgemäß erfolgen. Der Duldungsanspruch wegen Modernisierungsmaßnahmen sei dann nicht abhängig von einer Duldungserklärung oder einem Duldungstitel.
Die Benutzung des Aufzuges sei ohne Gefahr für Leib und Leben nicht mehr möglich gewesen, so dass er umgehend außer Betrieb genommen werden musste. Eine Instandsetzung sei aufgrund technischer Gründe unmöglich. Da ohnehin ein neuer Fahrstuhl bis zum Dachgeschoss gebaut werden soll, übersteige es die Opfergrenze, einen neuen Fahrstuhlschacht und Fahrstuhl bis zum 4. OG einzubauen; da dies mit Mehrkosten von ca. 70.000 € verbunden wäre.
…
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und im Wesentlichen begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten darauf, dass er die Gerüstaufstellung und die geplanten Modernisierungsmaßnahmen (Dachgeschossausbau und Vollwärmeschutz der Fassaden) unterlässt, solange nicht eine ordnungsgemäße Modernisierungsankündigung erfolgt ist und die Klägerin entweder die Modernisierungsarbeiten duldet – wobei eine Duldungserklärung nicht erforderlich ist – oder zur Duldung verurteilt worden ist. Dieser Anspruch ergibt sich aus §§ 1004, 823 BGB in Verbindung mit der mietvertraglichen Rücksichtnahmepflicht. Davon, dass die Klägerin mit dem Beginn von Modernisierungsarbeiten rechnen·musste, ohne dass diese vorher ordnungsgemäß angekündigt waren, spricht das Verhalten des Beklagten im März 2015, also zu einem Zeitpunkt, als er noch nicht einmal als Eigentümer des Grundstücks in das Grundbuch eingetragen war. Er hat sich mit Schreiben an die Klägerin gewandt, aus denen diese schließen konnte, dass Baumaßnahmen am Dach und an der Fassade unmittelbar bevorstehen. Im Schreiben vom 27.02.2015 wurden der Klägerin aus diesem Grund die Nutzung der Hofstellplätze untersagt und im Schreiben vom 23.03.2015 wird die Aufstellung des Gerüstes bereits ab dem 02.05.2015 angekündigt. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist auch die Aufstellung des Gerüstes bereits eine Handlung, die ohne ordnungsgemäße Ankündigung nicht zu dulden ist (LG Berlin, Beschluss vom 27.09.2013, 65 T 158/13, juris). Außerdem ist mit Arbeiten im Haus begonnen worden, die auch als Instandsetzungsarbeiten rechtzeitig anzukündigen gewesen wären (§ 555 a Abs. 2 BGB) und die ein Einschreiten des Bauaufsichtsamtes erforderlich machten. Angesichts dieses Verhaltens des Klägers ist die Gefahr der rechtswidrigem Beeinträchtigung des Besitzes der·Klägerin an der Wohnung nicht schon dadurch ausgeräumt, dass der·Beklagte in dem vorliegenden Rechtsstreit erklärt hat, er werde die Modernisierungsarbeiten nach Vorliegen der Baugenehmigung ordnungsgemäß ankündigen. ·
Der Antrag zu 2. war dahingehend auszulegen, dass die Klägerin nicht bereits die Festsetzung yon Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft, sondern lediglich die gemäß § 890 Abs. 2 ZPO bereits im Urteil mögliche Androhung beantragen wollte. Diesem Antrag war zu entsprechen.
Die Klägerin hat ferner gegen den Beklagten gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB einen Anspruch auf Instandsetzung des im Vorderhaus vorhandenen Fahrstuhls. Von einer Unmöglichkeit der Instandsetzung nach § 275 Abs. 1 BGB ist nicht auszugehen, denn selbst wenn die Reparatur technisch unmöglich wäre, könnte ein neuer Fahrstuhl eingebaut werden. ln welcher Weise eine erforderliche Instandsetzung durchgeführt werden soll, hat der Vermieter selbst zu entscheiden.
Der Beklagte hat hier auch keine Tatsachen vorgebracht und unter Beweis gestellt, aufgrund derer davon auszugehen wäre, dass wegen Überschreitung der Opfergrenze seine Instandsetzungsverpflichtung entfällt. Denn zum einen ist nicht in substantiierter Weise dargetan, dass eine Reparatur des alten Fahrstuhls nicht möglich ist. Dem Schreiben der Fa. H. GmbH vom 16.04.2015 (das unwidersprochen erst nach der Stilllegung des Fahrstuhls abgefasst worden ist) kann lediglich entnommen werden, dass das Schachtgerüst statisch ertüchtigt werden müsste. Der Fahrstuhl selbst hat jedenfalls nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin bis zur Stilllegung noch einwandfrei funktioniert und ist im Februar 2015 noch von der Firma O. gewartet worden. Im Übrigen beabsichtigt der Beklagte ja den Einbau eines neuen Fahrstuhls mit Kosten von ca. 139.000,00 €. Daher kann er sich hinsichtlich der Kosten eines ggf. erforderlichen neuen Fahrstuhls bis zum 4. OG nicht auf das Überschreiten der Opfergrenze berufen. Im Übrigen erfordert die Feststellung einer „wirtschaftlichen Unmöglichkeit“ immer auch eine Abwägung zwischen den Interessen der Mieter an der Wiederherstellung der Nutzung mit den Interessen des Vermieters u.a. an der Rentabilität des Objekts, wobei jedoch auch ein Reparaturstau – der hier unter Umständen vorliegt – zu Ungunsten des Vermieters zu berücksichtigen ist.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 11, 711 PO.
01.01.2018