Der Wohnungsmarkt gerät immer mehr aus den Fugen. Wegen der stark steigenden Mieten finden Geringverdiener keine bezahlbaren Wohnungen mehr. Und auch Familien mit mittleren Einkommen haben schon große Probleme, eine passende Wohnung anzumieten. Der Bau neuer Sozialwohnungen reicht bei Weitem nicht aus, um die auslaufenden Bindungen bestehender Sozialwohnungen auszugleichen. Auch die Mietpreisbremse konnte die Verteuerung des Wohnens bislang nicht aufhalten. Höchste Zeit, sich wieder mit dem Konzept der Wohnungsgemeinnützigkeit zu befassen.
Wohnungsunternehmen, die alle Wohnungen nur zu Mieten in Höhe der realen Kosten vermieten, die höchstens vier Prozent Rendite an ihre Eigentümer auszahlen, die ihr Geld ausschließlich in den Wohnungsbau reinvestieren und zudem keine Wohnungen verkaufen – was in den Ohren heutiger Mieter wie ein schöner Traum klingt, war bis 1989 in der Bundesrepublik Alltag. Ein großer Teil des Wohnungsmarktes unterlag den Regeln der Gemeinnützigkeit. Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft war ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft.
Teil der sozialen Marktwirtschaft
Die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen waren per Gesetz unter anderem verpflichtet, „Kleinwohnungen“ zu bauen und diese zu beschränkten Preisen zu vermieten. Das Firmenvermögen war zweckgebunden, und die auszuschüttende Dividende war strikt begrenzt. Im Gegenzug wurden die Unternehmen von der Körperschafts-, Gewerbe- und Vermögensteuer sowie von bestimmten Abgaben und Gebühren befreit. Jedes Wohnungsunternehmen, egal ob GmbH, AG oder Genossenschaft, ob öffentlich oder privat, konnte die Anerkennung als gemeinnützig beantragen.
Von 1949 bis 1989 bauten die Gemeinnützigen in der Bundesrepublik rund ein Viertel des gesamten Neubauaufkommens, insgesamt 4,8 Millionen Wohnungen, und das überwiegend im Sozialen Wohnungsbau. Ab den 80er Jahren überließ die CDU/FDP-Regierung die Wohnungsfrage dem Markt. Weil man die Wohnungsprobleme der Nachkriegszeit für gelöst hielt und den Wohnungsmarkt als entspannt ansah, zog sich der Staat aus diesem politischen Betätigungsfeld zurück. Der 1982 aufgedeckte Betrugs- und Missmanagement-Skandal um das gewerkschaftseigene Wohnungsunternehmen „Neue Heimat“ trug zur Stimmung gegen die staatlich geförderte Wohnungswirtschaft bei, auch wenn die Machenschaften der Vorstände wenig mit der Gemeinnützigkeit der Neuen Heimat zu tun hatten. Die Bundesregierung fuhr die Wohnungsbauförderung zurück und schaffte 1988 die Gemeinnützigkeit für rund 1800 Wohnungsunternehmen mit Wirkung ab 1990 ersatzlos ab.
Der Deutsche Mieterbund (DMB) hatte dies heftig kritisiert. Die Folgen des kurzsichtigen Schrittes treffen den Wohnungsmarkt heute mit aller Wucht. Inzwischen hat der DMB eine Arbeitsgruppe gebildet, die eine EU-rechtskonforme Lösung für die Einführung einer neuen Gemeinnützigkeit finden und eine breite gesellschaftliche Debatte anstoßen soll. Die Bundestagsfraktionen von Grünen und Linken haben auch schon Vorschläge für ein Wiederaufleben der Gemeinnützigkeit gemacht. Zusammen mit dem „Netzwerk Mieten und Wohnen“ richtet der DMB am 23. Juni eine bundesweite Fachtagung zum Thema aus.
Jens Sethmann
Gesunde Wohnungen für kleine Leute
Das erste gemeinnützige Wohnungsunternehmen in Deutschland war die 1847 gegründete „Berliner gemeinnützige Baugesellschaft“. Sie hatte nicht den Profit, sondern die Schaffung „gesunder und geräumiger Wohnungen für sogenannte kleine Leute“ zum Ziel und erhielt dafür steuerliche Begünstigungen. Eine Blüte erlebte die gemeinnützige Wohnungswirtschaft in der Weimarer Republik: In den 1920er Jahren setzten viele neu gegründete Genossenschaften oder Kapitalgesellschaften ein großes, staatlich gefördertes Wohnungsbauprogramm in die Tat um. Rechtlich definiert wurde der Begriff der Gemeinnützigkeit erst mit der Gemeinnützigkeitsverordnung von 1930. Von den Nationalsozialisten wurde dies 1940 in ein Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) gegossen. Das WGG blieb in der Bundesrepublik bis 1989 in Kraft.
js
10.07.2019