Leitsatz:
Das Gericht ist befugt, die ortsübliche Miete gemäß §§ 287 ZPO, 558 c BGB im Wege der Schätzung an Hand des Berliner Mietspiegels 2015 zu ermitteln; es ist nicht gezwungen, das vom Vermieter angebotene Sachverständigengutachten einzuholen.
LG Berlin vom 9.8.2016 – 18 S 111/15 –
Urteilstext
Gründe
I.
Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Mieterhöhungsbegehren weiter. Sie meint, das Amtsgericht hätte die ortsübliche Miete nicht an Hand des Berliner Mietspiegels 2013 ermitteln dürfen, jedenfalls nicht ohne zuvor Beweis über die Qualität der dem Mietspiegel zu Grunde liegenden Datenerhebung erhoben zu haben. Das Gericht dürfe die substantiierten Angriffe der Klägerin gegen den Mietspiegel nicht ohne sachverständige Unterstützung zurückweisen, zumal nicht ersichtlich und auch nicht darauf hingewiesen worden sei, dass die in erster und zweiter Instanz befassten Richter über besondere Sachkunde verfügten. Eine Schätzung der ortsüblichen Miete sei dem Gericht nach Maßgabe des § 287 ZPO ohnehin verboten, da sich die Klägerin gerade nicht auf eine gerichtliche Schätzung berufen, sondern vielmehr Vollbeweis durch Sachverständigengutachten angeboten habe. Diesem Beweisangebot müsse das Gericht nachgehen, nachdem die Klägerin sich eine Schätzung ausdrücklich verbeten habe; denn § 287 ZPO diene nicht den Interessen des Anspruchsgegners, sondern solle es allein dem Anspruchssteller erleichtern, seine Forderung durchzusetzen.
Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die ortsübliche Miete im vorliegenden Fall möglicherweise an Hand des Berliner Mietspiegels 2015 geschätzt werden könne. …
II.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO.
2. Sie hat in der Sache zu einem Teil Erfolg, denn die Klage ist zulässig und zum Teil begründet. Die Klägerin hat gemäß §§ 558, 558a, 558b BGB gegen die Beklagten Anspruch auf Zustimmung zur Erhöhung der monatlichen Nettokaltmiete für die streitbefangene Wohnung von 670,54 € um 13,03 € auf 683,57 € mit Wirkung zum 1. September 2014; im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
a) Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klagefrist des § 558 b Abs. 2 BGB gewahrt. Das Miet- erhöhungsverlangen ist den Beklagten im Juni 2014 zugegangen, sodass die Klagefrist bis Ende November 2014 währte. Die Klageschrift ist am 28. November 2014 bei Gericht eingegangen und den Beklagten demnächst im Sinne des § 167 ZPO zugestellt worden.
b) Die Klage ist entgegen der Ansicht des Amtsgerichts teilweise, nämlich in Höhe einer monatlichen Mieterhöhung von 13,03 €, begründet. Das Mieterhöhungsverlangen genügt den formellen Anforderungen des § 558a BGB, es wahrt die Textform, bezeichnet die Ausgangsmiete, den Erhöhungsbetrag sowie die Zielmiete und bezieht sich zur Begründung sowie Darlegung der ortsüblichen Miete auf sechs Vergleichswohnungen unter Hinweis auf die nach dem im Zeitpunkt der Absendung zuletzt veröffentlichten Berliner Mietspiegel 2013 in Frage kommende Mietspanne; auf die zutreffende Würdigung des Amtsgericht, wonach jedenfalls drei der Vergleichswohnungen tatsächlich mit der streitgegenständlichen Wohnung vergleichbar sind, wird Bezug genommen. Die Ausgangsmiete ist seit 15 Monaten unverändert und die Kappungsgrenze nach § 558 Abs. 3 BGB ist eingehalten. Nachdem das Mieterhöhungsverlangen den Beklagten im Juni 2014 zuging, schulden sie die erhöhte Miete gemäß § 558 b Abs. 1 BGB mit Beginn des Monats September 2014.
Die im Wege der Schätzung auf Basis des Berliner Mietspiegels 2015 ermittelte ortsübliche Miete beträgt für die 93,13 m² große Wohnung 683,57 € (93,13 m² x [6,09 €/m² + 60% x (7,50 €/m² ./. 6,09 €/m²) + 0,40 €/m²). Die Wohnung ist in das Feld L2 des Berliner Mietspiegels 2015 und dort bei 60 % der oberen Spanne einzuordnen; da in den Merkmalgruppen 3, 4 und 5 der Orientierungshilfe zum Mietspiegel positive Mietwertmerkmale vorliegen, während in den übrigen Merkmalgruppen keine Merkmale erfüllt sind. Hinzu kommt der Zuschlag für das Sondermerkmal „modernes Bad“.
aa) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist das Gericht befugt, die ortsübliche Miete gemäß §§ 287 ZPO, 558c BGB im Wege der Schätzung an Hand des Berliner Mietspiegels 2015 zu ermitteln; es ist nicht gezwungen, das von der Klägerin angebotene Sachverständigengutachten einzuholen. Der Anwendungsbereich des § 287 Abs. 2 ZPO ist schon deshalb eröffnet, weil das Gericht bei der Bestimmung der ortsüblichen Miete ohnehin schätzen muss. „Die ortsübliche Miete“ für eine konkrete Wohnung kann selbst mit maximalen Ermittlungsaufwand niemals wissenschaftlich exakt ermittelt werden; vielmehr kann, insbesondere auch bei Heranziehung eines Sachverständigen, immer nur ein mit mehr oder weniger großer Fehlerwahrscheinlichkeit behafteter Näherungswert gefunden werden (vgl. zu den Grenzen statistisch gewinnbarer Erkenntnisse: Vallendar, Ermittlung und Beurteilung von Immissionen nach der TA Luft – Statistische Methoden als Problem des Untersuchungsgrundsatzes, GewArch 1981, 281 ff.). Bei der Entscheidung, ob das angebotene Sachverständigengutachten einzuholen ist, geht es also gar nicht um die Vermeidung einer Schätzung, sondern um die Frage, auf welcher Grundlage zu schätzen ist.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 1 BvR 268/90 u. a., Beschl. v. 3. April 1990, NJW 1992, 1377 f., zitiert nach juris) führt aus, der Gesetzgeber habe schon mit dem Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen vom 20. Dezember 1982 („Novelle 1982“) ganz wesentlich das Ziel verfolgt, die Verwendung von Mietspiegeln zu stärken. Er habe herausgestellt, Mietspiegel seien das beste Mittel zum „Nachweis“ des ortsüblichen Entgelts. Weiter heißt es in der Entscheidung (a. a. O., Rn. 4):
„Es widerstreitet daher nicht dem Willen des Gesetzgebers, wenn die herrschende Rechtspraxis die Ortsüblichkeit des geforderten Mietzinses nach Möglichkeit unter Verwendung ordnungsgemäß aufgestellter Mietspiegel ermittelt. Auch wenn diese nicht in der ZPO als Beweismittel vorgesehen sind, ist darin keine Behandlung zu erblicken, die im Spannungsfeld der widerstreitenden Interessen die Belange des Eigentümers unverhältnismäßig hintanstellt (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG). Die Verwendung von Mietspiegeln im gerichtlichen Erkenntnisverfahren liegt vielmehr auch in dessen Interesse. Sie garantiert nicht nur eine rasche Entscheidung. Sie erleichtert dem Vermieter vielmehr zugleich in ganz erheblichem Maße die ihm obliegende prozessuale Darlegungslast. Ihr Vorzug besteht aber vor allem darin, dass ordnungsgemäß aufgestellte Mietspiegel in der Regel auf einer erheblich breiteren Tatsachenbasis ruhen, als sie ein gerichtlich bestellter Sachverständiger mit einem Kosten- und Zeitaufwand ermitteln könnte, der zum Streitwert des gerichtlichen Verfahrens in einem angemessenen Verhältnis stünde. Ihre Verwendung vermeidet daher die Entstehung von Rechtsverfolgungskosten, die im Falle eines Teilunterliegens den erstrittenen Erhöhungsbetrag leicht erheblich schmälern oder sogar vollständig aufzehren können.“
Das Landgericht Hamburg hatte sich in der vor dem Bundesverfassungsgericht angefochtenen Entscheidung in Anwendung seiner ständigen Rechtsprechung auf den Standpunkt gestellt, es dürfe die ortsübliche Miete auf Grundlage einer Schätzung an Hand des (einfachen) Hamburger Mietspiegels bestimmen, obwohl der klagende Vermieter für die behauptete Höhe der ortsüblichen Miete Beweis durch Sachverständigengutachten angeboten hatte. In seiner früheren Entscheidung LG Hamburg – 11 S 166/77 -, Urt. v. 4. November 1977, WuM 1978, 146 ff., Rn. 19, zitiert nach juris) hatte es insoweit folgendes ausgeführt:
„Die dem Gericht eingeräumte Schätzungsbefugnis dient dem Interesse beider Parteien, die Kosten des Rechtsstreits möglichst gering zu halten. Gerade aus diesem Grunde ist der Streitwert für Zustimmungsklagen nach ständiger Praxis der Mietekammern auf den einjährigen Differenzbetrag beschränkt worden . . . . Dem steht nicht entgegen, dass die Kläger sich erboten haben, den für den Sachverständigen erforderlichen Kostenvorschuss zu zahlen; denn zum einen können sie das Gericht nicht zwingen, Aufwendungen zu veranlassen, die sachlich nicht geboten erscheinen, und zum anderen wären die Beklagten nach dem Ergebnis der gerichtlichen Schätzung mit einem Teil der Sachverständigenkosten zu belasten, obwohl sie sich gegen eine gerichtliche Schätzung nicht gewehrt haben . . . .“
Diese Erwägungen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 3. April 1990 (vgl. a. a. O., Rn. 8) in Bezug genommen und gebilligt: „Den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ortsüblichkeit der geforderten Miete hat das LG in Fortführung seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. WM 1978, 134 und WM 1978, 146 ff.) aus Gründen des materiellen Rechts außer Acht gelassen.“
Entsprechend hat auch die Kammer in einer Parallelsache (LG Berlin – 18 S 108/15 -, Urteil vom 2. Dezember 2015, n. v.) entschieden; in jenem Verfahren hatte die Klägerin ebenfalls eine Schätzung auf Grundlage des Mietspiegels abgelehnt und stattdessen Beweis durch Sachverständigengutachten angeboten:
„Zu Recht hat das Amtsgericht die ortsübliche Vergleichsmiete im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO aufgrund des Berliner Mietspiegels 2013 ermittelt. Ob der Berliner Mietspiegel 2013 ein qualifizierter Mietspiegel im Sinne von § 555 d BGB ist, bedarf keiner Entscheidung. Das Amtsgericht war nämlich befugt, im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO den Berliner Mietspiegel 2013 als einfachen Mietspiegel im Sinne des § 555 c BGB heranzuziehen.
Zwar kommt einem einfachen Mietspiegel nicht die dem qualifizierten Mietspiegel vorbehaltene Vermutungswirkung des § 555 d BGB zu. Der einfache Mietspiegel stellt aber ein Indiz dafür dar, dass die dort angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben (BGH, Urteil vom 03.07.2013 – VIII ZR 267/12, juris; Urteil vom 21.11.2012 – VIII ZR 46/12, NJW 2013, 775; Urteil vom 16.06.2010 – VIII ZR 99/09, NJW 2010, 2946; LG Berlin, Urteil vom 16.07.2015 – 67 S 120/15, NZM 2015, 626). Dies gilt selbst dann, wenn der Mietspiegel – anders als der Berliner Mietspiegel 2013 – nicht von der Gemeinde, sondern nur von den Interessenvertretern der Mieter und Vermieter erstellt wurde (BGH, Urteil vom 16.06.2010 – VIII ZR 99/09, NJW 2010, 2946; LG Berlin, Urteil vom 16.07.2015 – 67 S 120/15, NZM 2015, 626). Dass der Mietspiegel vom Land Berlin erstellt und von den Interessenvertretern sowohl der Mieter- als auch der Vermieterseite anerkannt worden ist, spricht nach der Lebenserfahrung bereits dafür, dass er die örtliche Mietsituation nicht einseitig, sondern objektiv zutreffend abbildet (LG Berlin, Urteil vom 16.07.2015 – 67 S 120/15, NZM 2015, 626; BGH, Urteil vom 16.06.2010 – VIII ZR 99/09, NJW 2010, 2946 für den Mietspiegel der Stadt Schorndorf).“
An diesen Erwägungen hält die Kammer fest. Sie sind auf den Mietspiegel 2015 übertragbar, auch wenn der Mietspiegel 2015 von einzelnen Vertretern der Vermieterinteressen – „Haus & Grund“ sowie „BFW Landesverband Berlin/Brandenburg e. V.“ – nicht nach § 555d BGB als qualifizierter Mietspiegel anerkannt wurde (vgl. dazu GEWOS, Dokumentation Berliner Mietspiegel 2015, S. 8).
bb) Die ortsübliche Vergleichsmiete ist vorliegend nicht an Hand des Berliner Mietspiegels 2013, sondern an Hand des erst im Verlaufe des Rechtsstreits veröffentlichten Mietspiegels 2015 zu ermitteln. Dem stehen weder ein Rückwirkungsverbot noch Grundsätze des Vertrauensschutzes entgegen. Der Mietspiegel ist keine Rechtsnorm, sondern vielmehr ein in der ZPO zwar nicht ausdrücklich benanntes Beweismittel, das das Zivilgericht seiner Überzeugungsbildung aber gleichwohl zu Grunde legen darf (vgl. BVerfG WuM 1991, 523 und die oben bereits zitierte Entscheidung BVerfG NJW 1992, 1377). Schutzwürdige Interessen der Parteien werden deshalb durch die Heranziehung des Berliner Mietspiegels 2015 nicht verletzt. Jeder Prozess birgt für die Beteiligten das Risiko, dass im Verlaufe des Verfahrens neue Beweismittel oder Erkenntnisquellen verfügbar werden können, durch die die bei seinem Beginn unstreitigen oder sonst als sicher vorausgesetzten Tatsachen nachträglich in Frage gestellt werden mögen.
Stehen – wie hier in Gestalt der Mietspiegel 2013 und 2015 – verschiedene Beweismittel unter- schiedlicher Qualität zur Verfügung, so steht es nicht im Belieben der Parteien oder des Gerichts, welches von beiden heranzuziehen ist. Vielmehr ist es zwingend geboten, der Sachentscheidung das nach billigem Ermessen qualitativ bessere Beweismittel zu Grunde zu legen. Dabei handelt es sich hier um den Berliner Mietspiegel 2015, denn dieser liefert bessere Näherungswerte für die ortsübliche Miete im Zeitpunkt der Wirksamkeit des Erhöhungsbegehrens als der Mietspiegel 2013. Entscheidend dafür ist der Erhebungsstichtag für die statistische Ermittlung der Miethöhe (vgl. LG Berlin, GE 1996, 1547 und MM 2001, 151; LG Freiburg, WuM 1995, 714; LG München, WuM 1995, 45); dies ist beim Mietspiegel 2015 der 1. September 2014 und damit genau der Tag, zu dem die Mieterhöhung begehrt wird, während Erhebungsstichtag für den Mietspiegel 2013 der 1. September 2012 war.
cc) Die Bedenken der Klägerin gegen die Eignung des Berliner Mietspiegels 2015 als Beweismittel, namentlich gegen die Methodik der ihm zu Grunde liegenden Datenerhebung, greifen nicht durch. Die Kammer hat in ihrer oben schon zitierten Entscheidung vom 2. Dezember 2015 (LG Berlin – 18 S 108/15 -, Urteil vom 2. Dezember 2015) ausgeführt:
„Ob die Indizwirkung im Einzelfall zum Nachweis der ortsüblichen Vergleichsmiete ausreicht, hängt von der Qualität des Mietspiegels ab. Wendet etwa eine Partei substantiiert ein, den Verfassern habe es an der nötigen Sachkunde gefehlt, sie hätten sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen oder der Mietspiegel beruhe auf unrichtigem oder unzureichendem Datenmaterial, ist dem grundsätzlich nachzugehen (BGH, Urteil vom 16.06.2010 – VIII ZR 99/09, NJW 2010, 2946; LG Berlin, Urteil vom 16.07.2015 – 67 S 120/15, NZM 2015, 626). Verbleiben danach Zweifel an der Verlässlichkeit des Mietspiegels, ist die Indizwirkung erschüttert (BGH, a. a. O.).
Einwände gegen die Sachkunde oder die Unvoreingenommenheit der Verfasser des Berliner Miet- spiegels 2013 hat die Klägerin nicht erhoben. Ihr Einwand, der Mietspiegel beruhe auf unzureichendem Datenmaterial, erschüttert die Indizwirkung des Mietspiegels nicht. Selbst wenn der Berliner Mietspiegel 2013, wie die Klägerin meint, nicht nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt sein sollte, entfiele nicht schon deshalb die Möglichkeit, ihn als Grundlage einer Schätzung nach § 287 ZPO heranzuziehen, denn diese Frage ist von der Vermutungswirkung nach § 555d Abs. 3 BGB zu unterscheiden (LG Berlin, a. a. O. m. w. N.). Andernfalls bliebe das Beweismaß des § 287 ZPO unberücksichtigt. Im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO sind die Anforderungen an die Überzeugungsbildung des Gerichts dahingehend reduziert, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugungsbildung ausreicht (BeckOK ZPO Vorwerk/Wolf, 18. Edition 2015, § 287 Rn. 17 m. w. N., LG Berlin, a. a. O.). Dass das Ergebnis der Schätzung möglicherweise nicht vollständig mit den Tatsachen übereinstimmt, ist der gesetzlichen Möglichkeit der Schätzung immanent und grundsätzlich hinzunehmen (BGH, Urteil vom 06.12.2012 – VII ZR 84/10, juris; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 287 Rn. 2).“
Hieran ist auch in Ansehung des Berliner Mietspiegels 2015 festzuhalten. Die Angriffe der Klägerin gegen die Qualität der dem Mietspiegel zu Grunde liegenden Datenerhebung und -auswertung rechtfertigen keine Zweifel an der Verlässlichkeit des Mietspiegels.
(1) Die Klägerin trägt vor, die Primärdatenerhebung sei nicht nach Maßgabe gesicherter statistischen Methoden erfolgt; die erhobenen Daten bildeten den Markt nicht zutreffend ab, denn die in den Mietspiegel eingeflossene Stichprobe sei nicht repräsentativ. Nur 13 % der angesprochenen Vermieter hätten sich überhaupt an der Erhebung beteiligt, in den Mietspiegel seien überproportional viele Daten von Großvermietern und öffentlichen Vermietern eingeflossen. Auch die Befragung der Mieter sei nicht repräsentativ, denn es liege keine echte Zufallsprobe vor; eine Bereinigung nach Bevölkerungsgruppen sei nicht erfolgt, das Problem der Selbstselektion nicht adressiert worden und der Schwund von der Brutto- zur Nettoprobe sei viel zu groß. Ohnehin sei schon die Bruttostichprobe mit weniger als 1 % des Gesamtmarktes viel zu klein gewählt worden.
Dem ist zunächst entgegen zu halten, dass einem einfachen Mietspiegel nicht notwendig Primärdaten zu Grunde liegen müssen, sondern vielmehr Daten aus vorhandenen Quellen wie Wohngeldstatistiken, der Gebäude- und Wohnungszählung oder der Sammlung des Gutachterausschusses zu Grunde gelegt werden können (vgl. Börstinghaus/Clar, Mietspiegel, 2. Aufl. 2013, Rn. 352 ff.). Der Bundesgerichtshof hat sogar schon einem zwischen Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter ausgehandelten Mietspiegel Indizwirkung beigemessen (vgl. Börstinghaus/Clar, a. a. O., Rn. 358 f. m. V. a. BGH WuM 2010, 505). Eine Primärdatenerhebung für einen einfachen Mietspiegel muss deshalb nicht die hohen Anforderungen der Repräsentativität erfüllen, sondern kann etwa auch in der Weise erfolgen, dass die Mitglieder eines oder mehrerer Interessenverbände befragt werden (vgl. Börstinghaus/Clar, a. a. O., Rn. 351).
Die dem Berliner Mietspiegel 2015 zu Grunde liegende Primärdatenerhebung wahrt einen deutlich höheren Qualitätsstandard und genügt den Anforderungen an eine repräsentative Erhebung. Die Grundgesamtheit der im Mietspiegel 2015 betrachteten Wohnungen wurde auf Basis der Gebäude- und Wohnungszählung 2011 ermittelt und mit insgesamt 1.347.700 Wohnungen angesetzt (vgl. GEWOS, Dokumentation Berliner Mietspiegel 2015, Tabelle 1 Fortschreibung der Grundgesamtheit zum Berliner Mietspiegel 2015, S. 12). Im Rahmen einer Wiederholungsbefragung konnten Daten zu rund 9.200 Wohnungen gewonnen werden, die bereits im Mietspiegel 2013 vertreten waren (vgl. GEWOS, a. a. O., S. 14). Daneben wurde eine Zusatzstichprobe vorgenommen, um die neu hinzugekommenen mietspiegelrelevanten Wohnungsbestände zu erfassen und die erforderliche Fallzahl zu gewährleisten. Auf Basis einer Bruttostichprobe von rund 99.000 Wohnungen konnten für rund 8.500 Wohnungen mietspiegelrelevante Daten gewonnen werden (vgl. GEWOS, a. a. O., S. 17). Auf diesem Weg konnten dem vorliegend relevanten Mietspiegelfeld die Daten von weit mehr als den mindestens zu fordernden 30 Wohnungen (vgl. Börstinghaus/Clar, Mietspiegel, a. a. O., Rn. 381) zu Grunde gelegt werden (vgl. GEWOS, a. a. O., Tabelle 5 Feldbesetzung zum Berliner Mietspiegel 2015, S. 26). Für die Gesamtgröße der für eine Repräsentativität erforderlichen Bruttostichprobe existieren demgegenüber keine verbindlichen Vorgaben, auch wenn Stichprobengrößen von bis zu einem Prozent des relevanten Wohnungsbestandes vorgeschlagen werden (vgl. Börstinghaus/Clar, Mietspiegel, a. a. O., Rn. 377, S. 172). Entsprechendes gilt für die Quote zwischen Brutto- und Nettostichprobe; die früher geforderten Werte von 60 % bis 70 % sind in der Praxis nicht ansatzweise erreichbar (vgl. Börstinghaus/Clar, Mietspiegel, a. a. O., Rn. 377, S. 171). Die vermieterseitig erhobenen und in den Mietspiegel eingeflossenen Daten stammen zu rund 49 % von privaten Eigentümern (vgl. GEWOS, a. a. O., Tabelle 3 Ergebnisstichprobe nach Eigentümertypen, S. 18); selbst wenn nach Vortrag der Klägerin rund 2/3 aller (vermieteten?) Wohnungen in privater Hand sein sollen, liegt von dieser Quote keine so erhebliche Abweichung vor, dass auf Basis des Mietspiegels keine Schätzung der ortsüblichen Miete mehr möglich wäre. Das Gericht sieht auch nicht die von der Klägerin angesprochene Gefahr, dass sich mieterseitig nur bestimmte Bevölkerungsgruppen – etwa Beamte und andere mutmaßliche „Langzeitmieter“ – an der Erhebung beteiligt hätten. Eine hinreichend repräsentative Verteilung der erhobenen Daten über verschiedene Bevölkerungsgruppen ist vielmehr schon dadurch gewährleistet, dass die verschiedenen durch die Tabellenfelder klassifizierten Wohnungstypen typischerweise von unterscheidbaren Bevölkerungsgruppen genutzt werden.
(2) Die Rügen der Klägerin gegen die Methoden der Datenbereinigung treffen auf den Berliner Mietspiegel 2015 teils nicht zu, teils sind sie bezogen auf die vorliegende Wohnung irrelevant. So fand eine Umrechnung von Bruttokaltmieten in Nettokaltmieten für den Mietspiegel 2015 nicht mehr statt; anders als im Mietspiegel 2013 wurden vielmehr von vorne herein ausschließlich Mietverhältnisse mit Nettokaltmieten berücksichtigt (vgl. GEWOS, a. a. O., Punkt 6.3, S. 22). Auch unterstellt die Ausreißerbereinigung im Mietspiegel 2015 nicht mehr, dass die erhobenen Werte einer Normalverteilung unterlägen, denn sie wurde anders als im Mietspiegel 2013 nicht mehr an Hand von Konfidenzintervallen auf Basis von Standardabweichungen vorgenommen (vgl. GEWOS, a. a. O., Punkt 6.4, S. 23 f.). Auf das Verhältnis zwischen Kappungsgrenzen und Sondermerkmalen kommt es vorliegend nicht an, weil die Wohnung nicht über Sondermerkmale verfügt, die nach Spanneneinordnung zu einer Überschreitung des oberen Spannenwertes führen könnten. Eine zum Nachteil der Klägerin willkürliche Wohnlagenzuordnung ist für die vorliegende Wohnung ebenfalls nicht feststellbar, denn sie fällt in das Mietspiegelfeld L 2 „gute Wohnlage“. Schließlich trifft auch der Vorwurf der Klägerin nicht zu, die Wohnlage „gut“ sei mangels Differenzierung zwischen Innenstadt- und Außenbezirken so inhomogen, dass keine einheitliche Mietspiegelspanne ausgewiesen werden dürfe. Die Wohnlageeinteilung wurde durch die an der Erstellung des Mietspiegels beteiligten Experten mit Hilfe statistischer Indikatoren überprüft (vgl. GEWOS, a. a. O., Punkt 11.2, S. 67), und es erscheint an Hand der zu Grunde gelegten Definitionen (vgl. GEWOS, a. a. O., Punkt 11.2.1, S. 71) auch in tatsächlicher Hinsicht nachvollziehbar, dass für Wohnungen in „guter Wohnlage“ in Zentren der Stadt vergleichbare Mieten bezahlt werden wie für solche in „guter Wohnlage“ in dezentralen Lagen.
Die von der Klägerin vorgelegte Liste mit Berliner Wohnungen, die zu Preisen oberhalb der Miet- spiegelspanne vermietet sind, belegt nicht, dass die Marktdaten unvollständig erhoben oder falsch ausgewertet worden seien. Vielmehr zeigt das dem Mietspiegelfeld zugehörige Histogramm auf Seite 101 der Dokumentation zum Berliner Mietspiegel 2015, dass Mietwerte oberhalb der Spanne durchaus erfasst, jedoch als Ausreißerwerte bei der Festlegung der Mietspiegelspanne nicht berücksichtigt wurden.
(3) Zur Ermittlung der ortsüblichen Miete für die vorliegende Wohnung im Wege der Schätzung kann das Gericht auf die „Orientierunghilfe“ zur Spanneneinordnung zurückgreifen, die ebenfalls von der Expertise der an der Erstellung des Mietspiegels beteiligten Fachleute getragen ist. Dass es neben den in der „Orientierungshilfe“ aufgeführten Wohnwertmerkmalen noch andere für den Wohnwert und die Miethöhe relevante Wohnungseigenschaften geben mag, steht der Anwendung der Orientierungshilfe im vorliegenden Fall ebenso wenig entgegen wie die Behauptung der Klägerin, die auf die Energieeffizienz bezogenen Merkmale seien politisch diktiert und fänden sich in den Marktmieten nicht wieder. Merkmale der Energieeffizienz tragen die Parteien ebensowenig vor wie zusätzliche mietpreisbildende Eigenschaften der Wohnung, die nach der Orientierungshilfe nicht berücksichtigt werden könnten.
dd) Die 93,13 m² große Wohnung ist in das Feld L2 des Berliner Mietspiegels 2015 und dort bei 60 % der oberen Spanne einzuordnen; hinzu kommt der Zuschlag für das unstreitige Sondermerkmal „modernes Bad“.
Die Merkmalgruppe 3 „Wohnung“ ist schon im Hinblick auf den rückkanalfähigen Kabelanschluss sowie die unter Putz verlegten Heizungsleitungen positiv bewertet; negative Wohnwertmerkmale tragen die Beklagten nicht vor. Die Beklagten haben auch nicht bestritten, dass das Gebäude im Hinblick auf die bis 2005 erfolgte Sanierung einen überdurchschnittlichen Instandhaltungszustand ausweist, sodass auch die Merkmalgruppe 4 „Gebäude“ positiv zu berücksichtigen ist. Schließlich ist die Wohnung unstreitig besonders ruhig gelegen, was die positive Wertung der Merkmalgruppe 5 „Wohnumfeld“ rechtfertigt.
3. Die Kostenentscheidung folgt §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
4. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch liegen sonst die Voraussetzungen von § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO vor.
06.07.2017