Leitsatz:
Zu den Anforderungen an das Vorliegen eines „gemeinsamen Haushalts“ im Sinne des § 563 Abs. 2 Satz 1 BGB.
LG Berlin vom 7.10.2016 – 63 S 94/13 –
Mitgeteilt von RA Dr. Dilip D. Maitra
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Nach dem Tod ihrer Mutter machte die Tochter geltend, in deren Mietverhältnis nach § 563 Abs. 2 Satz 1 BGB eingetreten zu sein. Der Vermieter der Berliner Wohnung bestritt, dass die Tochter mit ihrer Mutter – wie von dieser Vorschrift gefordert – „in einem gemeinsamen Haushalt gelebt habe“. Vielmehr habe sie in Potsdam studiert und dort eine Studentenwohnung angemietet. Er glaubte deshalb zur Kündigung nach § 564 BGB berechtigt zu sein.
Nach umfangreicher Zeugenvernehmung kam das Gericht jedoch zum Ergebnis, dass die Tochter gemeinsam mit ihrer Mutter – der verstorbenen Mieterin – in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat und in der dortigen Wohnung ihren Lebensmittelpunkt hatte. Denn die Anforderungen an das Vorliegen eines „gemeinsamen Haushalts“ im Sinne des § 563 Abs. 2 Satz 1 BGB seien nicht zu überspannen; insbesondere müsse ein Kind nicht – anders als übrige Angehörige – den Haushalt mit dem verstorbenen Mieter geführt haben. Es reiche vielmehr aus, dass das Kind im Haushalt „gelebt“ habe (BGH, Urteil vom 10.12.2014 – VIII ZR 25/14). Dies ergebe sich bereits aus den unterschiedlichen Formulierungen in § 563 Abs. 1 BGB („führen“) gegenüber § 563 Abs. 2 Satz 1 BGB („leben“), die durch den Gesetzgeber bewusst gewählt worden seien. Einer Mitwirkung, Mitentscheidung und Kostenbeteiligung des Kindes im Haushalt bedürfe es daher nicht.
Ausreichend sei bereits, dass das Kind im Haushalt versorgt werde. Entscheidend sei somit, ob die Personen „miteinander“ oder ob sie – wie in Wohngemeinschaften – „nebeneinander“ gewohnt hätten und ob die Wohnung nach den tatsächlichen Verhältnissen den gemeinsamen Lebensmittelpunkt bildete. Den Charakter des Lebensmittelpunkts verliere die Wohnung auch nicht dadurch, dass eine Person temporär abwesend sei oder – wie die Tochter für ihr Studium in Potsdam – eine weitere Wohnung gemietet habe.
Urteilstext
Tatbestand
Die Beklagte und ihre Schwester C. S. sind Erbinnen nach ihrer am 07.01.2012 verstorbenen Mutter G. S., die aufgrund Mietvertrags vom 05.03.1995 Mieterin der streitgegenständlichen Wohnung war. Die Klägerin ist Vermieterin.
Mit Schreiben vom 29.02.2012 erklärte sie die Kündigung gemäß § 563 BGB. Das mit „Sehr geehrte Damen und Herren“ eingeleitete Schreiben wurde der Beklagten übergeben und war mit dem handschriftlichen Zusatz versehen: „am 29.02.2012 erhalten. Diese Kündigung wird umgehend an die Schwester, Frau C. S. weiter geleitet“, der von der Beklagten unterschrieben wurde.
Mit Schreiben vom 06.09.2012 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten und ihrer Schwester neuerlich die Kündigung und berief sich hierbei sowohl auf § 563 als auch § 564 BGB.
Mit Schreiben vom 08.01.2013 erklärte sie gegenüber der Schwester der Beklagten und im Schriftsatz vom 10.01.2013 gegenüber der Beklagten nochmals vorsorglich die Kündigung des Mietverhältnisses sowohl nach § 563 als auch nach § 564 BGB.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die von ihr innegehaltenen Mieträume in dem Hause B. Straße ?? in 10??? Berlin, Vorderhaus, zweites Obergeschoss rechts, bestehend aus vier Zimmern, einer Küche, einer Toilette, einem Bad und einer Diele mit einer Größe von ca. 130 qm zu räumen und geräumt an sie herauszugeben.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, § 20 Ziff. 2 des Mietvertrags sei unwirksam, so dass die Abgabe der Kündigungserklärung im Schreiben vom 29.02.2012 – aufgrund der Adressierung – allein an die Beklagte erfolgt und damit nicht wirksam gegenüber beiden Erbinnen erfolgt sei, ohne dass es auf die zwischen den Parteien streitige Frage der Haushaltsangehörigkeit der Beklagten ankomme.
Die Kündigung vom 26.07.2012 (richtig wohl 06.09.2012) sei verfristet, da die Klägerin bereits seit dem Schreiben vom 01.02.2012, dem unstreitig eine Sterbeurkunde der Mutter der Beklagten und ihrer Schwester beigelegen hatte, Kenntnis von der Erbenstellung erhalten habe.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der diese geltend macht, durch das Schreiben vom 01.02,2012 keine sichere Kenntnis von Erbenstellung oder Haushaltszugehörigkeit erlangt zu haben; dies sei erst am 13.12.2012 mit dem Zugang des Erbscheins – jedenfalls bezüglich des Eintritts – geschehen. Die Eigenschaft der Beklagten als Haushaltsangehörige mit ihrer verstorbenen Mutter bestreitet die Klägerin.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Schöneberg vom 14.02.2013 zum Aktenzeichen 2 C 318/2012 die Beklagte zu verurteilen, die von ihr gehaltenen Mieträume in dem Hause B. Straße ?? in 10??? Berlin, Vorderhaus, 2. Obergeschoss rechts, bestehend aus vier Zimmern, einer Küche, einer Toilette, einem Bad und einer Diele mit einer Größe von ca. 130 m2 zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen sowie ferner hilfsweise, der Beklagten eine angemessene Räumungsfrist zu gewähren.
Ferner wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestands gemäß § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung führt in der Sache nicht zum Erfolg; sie ist unbegründet und war daher zurückzuweisen.
Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von ihr inne gehaltenen Wohnung nicht zu (§§ 546 Abs. 1, 985 BGB).
Die Kündigung vom 29.02.2012 ist nicht gemäß § 564 BGB wirksam.
Treten mehrere Erben die Rechtsnachfolge des Verstorbenen an, muss sämtlichen gegenüber gekündigt werden. Gemäß § 564 S. 2 BGB hat die Kündigung binnen einer Frist von einem Monat ab Kenntnis vom Tod des Mieters und der nicht erfolgten Fortsetzung zu erfolgen. Für die Kündigung des Vermieters ist maßgeblich, wann der Vermieter von der Person des oder der Erben Kenntnis erlangt hat (LG Berlin v. 07.12.1987 – 61 S 201/87, GE 1988,143; v. 31.05.1994 -63 S 128/94, GE 1994, 1267; LG Köln v. 27.10.1972 – 1 T 375/72, MDR 1973, 409). Der Vermieter muss einerseits alle Erben kennen. Der jeweils Kündigungsberechtigte darf aber andererseits nicht untätig bleiben; vielmehr ist er gehalten, sich Gewissheit über die Person des Kündigungsgegners zu verschaffen und dabei alles nach den Umständen Zumutbare tun, um sich Gewissheit über die Person des Erben zu verschaffen; anderenfalls verliert er das Kündigungsrecht (OLG Hamm v. 08.01.1981 – 4 U 203/80, WuM 1981, 263 = ZMR 1981, 211). Insbesondere besteht für den Vermieter in diesem Zusammenhang die Obliegenheit, bei Zweifeln gegebenenfalls Auskünfte beim Nachlassgericht einzuholen.
Nachdem die Klägerin daher aufgrund des Schreibens der Beklagten und ihrer Schwester vom 01.02.2012 von deren Berufung auf ihre Erbenstellung unter Beifügung der Sterbeurkunde sowie ihrem vermeintlichen Eintrittsrecht erfahren hatte, hätte es ihr bei etwa verbliebenen Zweifeln nach den vorstehenden Darlegungen oblegen, sich über diese Tatsachen Gewissheit zu verschaffen. Nachdem sie dies unterlassen hat, war die allein der Beklagten überreichte Kündigung vom 29.02.2012 nicht genügend, da sie sich nur an diese richtete. Die Klägerin behauptet selbst nicht, eine Adressierung auch an die Schwester der Beklagten vorgenommen zu haben, wohingegen die Aufforderung zur Weitergabe an diese – bei handschriftlich eingefügtem Namen der Beklagten im Adressfeld – nicht eine an sie gerichtete Willenserklärung ersetzt; daran ändert auch die unbestimmte Anrede in Zusammenhang mit dem Weiterleitungszusatz nichts.
Soweit sich die Kündigung nur an die Beklagte gerichtet hat, vermag § 20 Ziff. 2 des Mietvertrags daran nichts zu ändern. Denn eine vorformulierte Vertragsklausel, die bestimmt, dass sich mehrere Vermieter oder Mieter gegenseitig bevollmächtigen, Erklärungen entgegenzunehmen, ist zwar wirksam; dies gilt auch dann, wenn sie den Empfang der Kündigung einschließt (BGH (RE) v. 10.09.1997 – VIII ARZ 1/97, NZM 1998, 22; BGH v. 15.06.2005 – XII ZR 238/02, NJW-RR 2005, 1258), während eine Klausel, dass die Kündigung an einen Mieter die Kündigung des Mietverhältnisses mit Wirkung gegen alle Mieter bewirkt, keine Bevollmächtigung enthält, sondern entgegen § 425 Abs. 2 BGB die Wirkung gegen die Gesamtschuldner anordnet und unwirksam ist. Eine Empfangsvollmacht besagt nämlich nur, dass der Empfangsvertreter eine an den Mieter gerichtete Kündigung entgegennehmen kann (BGH v. 27.11.1985 – VIII ZR 316/84, NJW 1986, 918).
Eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 563 Abs. 4 BGB kann in dem Schreiben nicht gesehen werden, da ein solcher weder in Bezug genommen wird noch sich sonst aus dem Inhalt ergibt. Von möglicher unzureichender Zahlungsfähigkeit hat die Klägerin überdies erst durch die Schreiben vom 17.04.2012 und 31.08.2012 erfahren, in welchem die Beklagte und ihre Schwester aus finanziellen Gründen um Erlaubnis zur Untervermietung baten.
Die Kündigungen vom 06.09.2012 und vom 08.01.2013/10.01.2013 gegenüber der Beklagten und ihrer Schwester sind ebenfalls nicht nach § 564 BGB wirksam, weil sich die Klägerin auf die fehlende Kenntnis von der Erbenstellung nach § 564 BGB aus den oben dargestellten Gründen nicht berufen kann.
Sie sind auch nicht nach § 563 BGB gegenüber der Beklagten wirksam, ohne dass es auf die streitige Frage der vorherigen gemeinsamen Haushaltsführung ankäme. Denn die Klägerin hat nicht innerhalb der Monatsfrist des § 563 Abs. 4 BGB aus wichtigem Grund die Kündigung erklärt, nachdem aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 17.04.2012 ausreichend Anhaltspunkte für deren mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit vorlagen, so dass die Beklagte und ihre Schwester als Erben das Mietverhältnis ihrer verstorbenen Mutter gemäß § 564 S. 1 BGB fortsetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Denn die Frage, ab welchem Zeitpunkt sich der nach § 564 BGB Kündigungsberechtigte nicht mehr auf die fehlende Kenntnis vom Eintritt nach § 563 BGB und die Erbenstellung berufen kann, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
15.05.2017