Leitsätze:
a) Zur Rücksichtnahmepflicht unter Mietern bei (Kinder-)Lärm aus der Nachbarwohnung eines Mehrfamilienhauses.
b) Bei wiederkehrenden Beeinträchtigungen durch Lärm bedarf es nicht der Vorlage eines detaillierten Protokolls. Es genügt vielmehr grundsätzlich eine Beschreibung, aus der sich ergibt, um welche Art von Beeinträchtigungen es geht und zu welchen Tageszeiten, über welche Zeitdauer und in welcher Frequenz diese ungefähr auftreten.
BGH vom 22.8.2017 – VIII ZR 226/16 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 12 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es ging um die Frage, welcher von Kindern ausgehende Lärm im Mehrfamilienhaus noch als sozialadäquat zu bezeichnen und damit von anderen Mietern hinzunehmen ist.
Zunächst führt der BGH aus, dass in einem Mehrfamilienhaus gelegentlich auftretende Beeinträchtigungen durch Lärm grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen seien. Sie begründeten nicht ohne Weiteres einen Mangel. Dazu zähle auch üblicher Kinderlärm, den das Immissionsschutzrecht (zum Beispiel § 22 Abs. 1 a BImSchG, § 6 Abs. 1 LImSchG Bln) grundsätzlich als zumutbar behandelt. Andererseits habe die insoweit zu fordernde erhöhte Toleranz auch Grenzen. Diese seien naturgemäß nicht generell, sondern im Einzelfall zu bestimmen. Dabei komme es auf Art, Qualität, Dauer und Zeit der Geräusche sowie das Alter und den Gesundheitszustand des Kindes an. Ferner sei zu berücksichtigen, inwieweit sich die Geräuschimmissionen vermeiden ließen, etwa durch erzieherische Einwirkung auf das Kind oder durch bauliche Maßnahmen.
Im konkreten Fall befand sich die Erdgeschosswohnung der sich gestört fühlenden Mieterin in einem Achtfamilienhaus, das um 1900 erbaut worden war. 2012 zog in die darüber liegende Wohnung im ersten Obergeschoss eine Familie mit zwei kleinen Kindern ein.
Mit dem Einzug der Familie sei es aus der Wohnung fast täglich zu massiven Lärmstörungen auch an Sonn- und Feiertagen sowie zu Ruhezeiten durch heftiges Stampfen, Springen, Poltern sowie durch Schreie und sonstige lautstarke und aggressive familiäre Auseinandersetzungen gekommen, klagte die Mieterin.
Diese nicht nur durch die Kinder, sondern teilweise auch durch die Eltern selbst verursachten Störungen träten nicht nur punktuell, sondern bisweilen mehrmals am Tag auf und dauerten dabei größtenteils zwischen einer und vier Stunden. Der Lärm, auf den sie den Vermieter seit August 2013 mehrfach hingewiesen habe, sei so heftig, dass er für sie sogar bei Verwendung von Ohrstöpseln noch deutlich hör- und spürbar sei. In der Küche sprängen die Töpfe durch die damit einher gehenden Erschütterungen in den Regalen und die Türen wackelten in den Angeln. Die Schallübertragung über die Bauteile sei sehr heftig und als andauerndes Wummern zu hören und zu spüren. Davon sei die komplette Wohnung betroffen, so dass sie – die klagende Mieterin – sich dem in keinem ihrer Zimmer entziehen könne. Zeitweise sei sie wegen der Intensität der Lärmstörungen sogar ausgezogen; auch Besucher übernachten mittlerweile nicht mehr in ihrer Wohnung. Bezeichnend für die Intensität der Störungen sei zudem, dass der Lärm und die Schallübertragung für die über der Wohnung der Familie lebende Mieterin trotz Schwerhörigkeit selbst ohne Hörgerät zu hören und zu spüren sei.
Die Störungen hatte die Mieterin teilweise in detaillierten Lärmprotokollen („Lautes Hin- und Herrennen, Poltern, Stampfen, Herumtrampeln“ oder „Springen auf Boden“ und „laute Sprache“, „Vater brüllt, Kind schreit“ und Angabe der jeweiligen Zeiten) festgehalten. Sie machte eine Minderung von 50 Prozent geltend. Die gerichtlichen Vorinstanzen hatten den Kinderlärm als sozialadäquat bewertet und die Klage der Mieterin abgewiesen.
Der BGH hob das Landgerichtsurteil auf und verwies den Rechtsstreit dorthin zurück. Das Landgericht hätte den Beanstandungen der Mieterin eingehender nachgehen müssen und die geschilderten Einwirkungen nicht ohne Weiteres als sozialadäquat einstufen dürfen. Das Landgericht habe wesentliches Vorbringen der Mieterin, die die Einwirkungen sehr detailliert beschrieben hätte, übergangen (Verletzung des rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG). Nach dem Vortrag der Mieterin und den – aus Rechtsgründen nicht einmal notwendigen (siehe Leitsatz 2) – Lärmprotokollen sei das zulässige Maß an Lärm überschritten gewesen.
Insbesondere könne schlechthin nicht davon die Rede sein, dass – wie das Landgericht gemeint hat – die protokollierten Geräuschemissionen und Erschütterungen in ihrer bemerkenswerten Frequenz und Dauer noch als Ausdruck eines natürlichen Bewegungsdrangs von Kindern darauf abgezielt hätten, durch ihre „natürlich angelegten, ständigen Wiederholungen … die Voraussetzungen zu einer differenzierten Bewegungsfähigkeit“ zu schaffen und hierüber „als ein Schritt der natürlichen Entwicklung von Kindern“ normaler Wohnnutzung zu entsprechen. Ebenso habe das, was in auffälliger Häufigkeit und Wiederkehr in den Lärmprotokollen etwa als familiäre Auseinandersetzung, „Riesentheater“ oder Schreien und Brüllen insbesondere des Vaters verzeichnet sei, nur wenig mit dem gemein, was als eine noch im üblichen Rahmen liegende erzieherische Einwirkung verstanden werden könne, um „die zuvor wohl als zu laut empfundenen Kinder aufzufordern, ihrerseits Ruhe zu geben und ein Schreien zu unterlassen“.
Das Landgericht habe nun vor einer erneuten Entscheidung über den Fall Beweis zu erheben. Außer der Vernehmung von Zeugen könnte noch ein Ortstermin in Frage kommen, damit sich das Gericht ein eigenes Bild von der Situation vor Ort machen kann; eventuell müsse das Gericht auch einen Sachverständigen beiziehen, um zu klären, wie hellhörig das Haus wirklich ist.
01.07.2018