Das Bundesverfassungsgericht hat mit deutlichen Worten die Rechte von Hartz-IV-Beziehern gestärkt. Die Sozialgerichte sind künftig gehalten, in jedem Einzelfall zu prüfen, welche negativen Folgen durch die Kürzungen von Wohn- und Heizkosten drohen.
„Ein bahnbrechendes Urteil, das in der Praxis eine große Rolle spielt“, sagt Rechtsanwältin Petra Goebel, die im Auftrag des Berliner Mietervereins zu den sozialen Fragen des Wohnens berät. Bisher war es so: Hat das Amt – aus welchen Gründen auch immer – die Leistungen für die Kosten der Unterkunft (Miete inklusive Heizung) gekürzt oder vorübergehend ganz eingestellt, konnten sich die Betroffenen mit einer einstweiligen Verfügung wehren. Voraussetzung dafür war aber stets eine Eilbedürftigkeit, und die haben die Sozialgerichte häufig nicht anerkannt, solange noch keine Räumungsklage vorlag. Schließlich drohe keine Wohnungslosigkeit, wurde argumentiert.
So war es auch in dem Fall, mit dem sich das Bundesverfassungsgericht zu befassen hatte (BVerfG vom 1. August 2017 – 1910/12). Die Eilbedürftigkeit dürfe nicht schematisch beurteilt werden, befanden die Karlsruher Richter. Es gehe nicht nur darum, die bloße Obdachlosigkeit zu verhindern. Zum Existenzminimum gehöre es vielmehr, möglichst in der gewählten Wohnung bleiben zu können. Daher müsse in jedem Einzelfall geprüft werden, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art der Verlust der konkreten Wohnung haben könnte.
Die Gerichte, so heißt es in dem Urteil aus Karlsruhe, überspannen die Anforderungen an die Eilbedürftigkeit, wenn sie eine drohende Wohnungs- oder Obdachlosigkeit erst dann annehmen, wenn das Mietverhältnis bereits gekündigt und eine Räumungsklage erhoben worden ist.
Birgit Leiß
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27.10.2017