Stand: 1/13
Die Räumungsfrist (§ 721 ZPO)
Wird der Mieter auf Räumung der Wohnung verklagt, dann kann er unabhängig von einem eventuellen Widerspruchsrecht nach der Sozialklausel (siehe Info Nr. 120 „Die Sozialklausel, Kündigungswiderspruch nach § 574 BGB“) eine Räumungsfrist beantragen. Diesen Antrag muss er vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung (auf die das Urteil ergeht) stellen (§ 721 ZPO). Das Gericht wird dann eine den Umständen nach angemessene Räumungsfrist gewähren. Diese Frist soll Obdachlosigkeit verhindern und dem Mieter Zeit geben, sich intensiv um eine neue Wohnung zu kümmern; denn die Kündigung als solche verpflichtet den Mieter im Regelfall noch nicht dazu, wenn er sich gegen diese Kündigung wehren will – erst ein rechtskräftiges Urteil.
Eine Räumungsfrist kann selbst dem Mieter bewilligt werden, dem fristlos gekündigt wurde. In einem Räumungsprozess wegen Zahlungsverzuges wird in der Regel eine Räumungsfrist von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils vertretbar sein (LG Berlin GE 80, 432). Erweist sie sich als zu kurz, kann sie – auf Antrag – (auch wiederholt) verlängert werden; insgesamt darf sie jedoch nicht mehr als ein Jahr betragen (§ 721 Abs. 3 und 5 ZPO). Der Antrag auf Verlängerung muss spätestens zwei Wochen vor Ablauf der Räumungsfrist beim Prozessgericht schriftlich gestellt sein (§ 721 Abs. 3 ZPO), notfalls auch an einem Sonntag. Der Verlängerung der Räumungsfrist steht es nicht entgegen, dass der Vermieter die Wohnung bereits vorher weitervermietet hat.
Die drohende Unterbringung einer Familie in einer Notunterkunft rechtfertigt die Verlängerung der Räumungsfrist. Eine Räumungsfrist kann auch gewährt werden, wenn es im Prozess nicht zu einem Urteil, sondern zu einem Räumungsvergleich zwischen den Parteien kommt. Die Frist beginnt dann ab dem Tag, an dem nach dem Vergleich zu räumen ist; die im Vergleich festgelegte Räumungsfrist darf vom Gericht nicht verkürzt werden. Während der Räumungsfrist muss sich der Mieter verstärkt um eine Ersatzwohnung kümmern. Das LG Stuttgart (WuM 90, 447) hat eine Verlängerung der Räumungsfrist abgelehnt, weil der Mieter mit Familie sechs Wochen in Urlaub fahren wollte.
Hat der Mieter einen sogenannten Zeitmietvertrag ohne Kündigungsschutz nach § 575 BGB (siehe Info Nr. 18 „Zeitmietverträge“) abgeschlossen, kann er nach Ablauf der Mietzeit keine Räumungsfrist gemäß § 721 ZPO verlangen.
Vollstreckungsschutz (§ 765 a ZPO)
Kommt eine Verlängerung der Räumungsfrist nicht mehr in Frage, weil sie voll ausgeschöpft ist oder der Verlängerungsantrag nicht rechtzeitig gestellt wurde, kann der Mieter Vollstreckungsschutz beantragen (§ 765 a ZPO). Die Gewährung von Vollstreckungsschutz ist jedoch an besonders strenge Voraussetzungen geknüpft (OLG Hamm WuM 83, 267).
Wenn aber im Einzelfall zum Beispiel Leben und Gesundheit des Mieters durch den bevorstehenden Umzug gefährdet sind, so ist es durchaus möglich, dass deshalb der Vermieter auch für eine lange Zeit auf die Vollstreckung seines Räumungstitels verzichten muss (BVerfG WuM 80, 27; OLG Köln WuM 89, 585). Dies ist insbesondere bei hohem Alter und geistiger Gebrechlichkeit (BVerfG WuM 92, 5) oder Selbstmordgefahr des Mieters (BVerfG WuM 92, 6) der Fall.
Aber auch ein vollständiger und auf Dauer wirkender Ausschluss der Zwangsvollstreckung ist in gravierenden Ausnahmefällen möglich (BVerfG WuM 93, 239). Das LG Hamburg (WuM 91, 114) meinte, die Vollstreckungsschutzvorschrift sei bei der seinerzeitigen Wohnungsnot zu Gunsten des Mieters „extensiver als bisher anzuwenden“. Ebenso kann dem Mieter Vollstreckungsschutz zur Vermeidung eines zweimaligen Umzugs auch nach Ausschöpfung der Räumungsfrist gewährt werden, wenn der Einzug in eine Ersatzwohnung kurz bevorsteht. Grund: Dem Mieter ist nicht zuzumuten, binnen kurzer Frist zweimal umzuziehen. Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn der Mieter keine Nutzungsentschädigung zahlt, bei anderen gravierenden Vertragsverstößen des Mieters oder wenn der Mieter trotz Kenntnis der Räumungsverpflichtung unverständlich lange sich nicht mit entsprechendem Nachdruck um Ersatzwohnraum kümmert, oder wenn ausnahmsweise besonders dringende Gründe auf Seiten des Vermieters eine sofortige Räumung erforderlich machen (LG Heilbronn WuM 93, 364).
Vollstreckungsschutz kann auch gewährt werden, damit eine Familie mit einem Säugling mehr Zeit hat, eine neue Wohnung zu finden (LG Hannover WuM 90, 397). Auch die drohende Einweisung in eine Obdachlosenunterkunft ist als unzumutbar anzusehen (LG Hamburg WuM 91, 360; AG Bad Iburg WuM 80, 138; AG Köln WuM 70, 175; a.A. LG Kiel WuM 70, 50), insbesondere wenn es um eine Familie mit mehreren Kindern geht (AG Hamburg WuM 92, 147). Eine Vereinbarung, in der der Mieter im Voraus auf den Schutz des § 765 a ZPO verzichtet, ist unwirksam (LG Osnabrück WuM 80, 256).
Verwirkung der Räumungsvollstreckung
Unter besonderen Umständen kann die Vollstreckung eines Räumungsurteils unzulässig sein, wenn der Vermieter damit mehrere Jahre gewartet hat (OLG Hamm RE WuM 81, 257; LG Mönchengladbach WuM 90, 161; LG Hamburg WuM 89, 32; LG Essen WuM 84, 252) oder sich nach Abschluss des Prozesses wesentliche Änderungen beim Vermieter ergeben haben (LG Siegen WuM 92, 148).
Der Vollstreckungsschutz gilt für sämtliche Mietverhältnisse.
Dokumentation:
Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo)
Geschütztes Marktsegment
Sie stehen kurz vor der Räumung Ihrer Wohnung bzw. sind wohnungslos?
Wohin können Sie sich wenden?
In Ihrem zuständigen Bezirksamt gibt es eine Fachstelle „Geschütztes Marktsegment„, die Sie berät, wenn Sie z.B. aufgrund von Mietschulden kurz vor der Räumung Ihrer Wohnung stehen, oder aber bereits wohnungslos sind und sich auf dem Wohnungsmarkt nicht selbst mit Wohnraum versorgen können.
Berechtigt zur Aufnahme in das „Geschützte Marktsegment“ sind Personen,
- die sich auf dem Wohnungsmarkt nicht ohne fremde Hilfe mit Wohnraum versorgen können;
- denen eine Wohnung durch den Träger der Grundsicherung für Erwerbstätige (JobCenter) oder den Träger der Grundsicherung für Nichterwerbstätige (Sozialämter) nicht erhalten werden konnte;
- die aus ambulanten, stationären oder betreuten Einrichtungen oder aus der Haft entlassen werden und denen deshalb Wohnungslosigkeit droht oder
- die durch das Land Berlin in Notunterkünfte eingewiesen wurden, bzw. einen Unterbringungsanspruch haben und
- die länger als ein Jahr in Berlin leben.
Zögern Sie nicht, sich an Ihr zuständiges Bezirksamt zu wenden!
Für Sie zuständig ist der Bezirk, in dem Sie als wohnhaft gemeldet sind bzw. (Haft oder Wohnungslosigkeit) zuletzt wohnhaft gemeldet waren.
Die Rufnummer Ihres Ansprechpartners finden Sie im Anschluss. Vereinbaren Sie einen Termin.
Zum Gespräch ins Bezirksamt bringen Sie bitte folgende Unterlagen mit:
- Personaldokumente: Ausweis, ggf. Meldebescheinigung
- Nachweis über Einkünfte: z.B. Kindergeldnachweis, Leistungen des Job-Centers, des Sozialamtes, Rente
- Nachweise über laufende Ausgaben: Miete, Energie, Versicherungen, lfd. Ratenzahlungen
- Nachweis über vorhandene Schulden: Schufa-Auskunft, Nachweis über sonstige Schulden, Mietschulden, eidesstattliche Versicherung
Wichtiger Hinweis: Da es sich um ein freiwilliges Leistungsangebot handelt, besteht kein einklagbarer Rechtsanspruch auf die Marktsegment-Erteilung und die daraus resultierende mögliche Wohnraumverteilung. Es werden Wohnungen aus Gesamtberlin angeboten. Wünsche zum Wohnbezirk können nur im Rahmen der Möglichkeiten berücksichtigt werden.
Rufnummern der Fachstellen „Geschütztes Marktsegment“ in den Bezirksämtern
Charlottenburg-Wilmersdorf: Tel. 9029-14781
Friedrichshain-Kreuzberg: Tel. 90298-2425
Lichtenberg: Tel. 90296-8641
Marzahn-Hellersdorf: Tel. 90293-4360
Mitte (Bereich Mitte/Tiergarten): Tel. 9018-42002
Mitte (Bereich Wedding): Tel. 9018-42002
Neukölln: wohnhilfe@bezirksamt-neukoelln.de
Pankow: Tel. 90295-5344
Reinickendorf: Tel. 90294-4209 und -4135
Spandau: Tel. 90279-2712
Steglitz-Zehlendorf: Tel. 90299-5763
Tempelhof-Schöneberg: Tel. 90277-6650
Treptow-Köpenick: Tel. 90297-6041
Zentrale Koordinierungsstelle
des „Geschützten Marktsegments“ im Landesamt für Gesundheit und Soziales:
Tel. 90229-3201 und 90229-3202
E-Mail: sandra.bahns@lageso.berlin.de
E-Mail: gabriele.thiel@lageso.berlin.de
Sie können sich auch im Internet über das „Geschützte Marktsegment“ informieren:
www.lageso.berlin.de
Impressum:
Landesamt für Gesundheit und Soziales
Turmstraße 21, Haus A, 10559 Berlin
E.Mail: poststelle@lageso.berlin.de
Für den Inhalt verantwortlich:
Sandra Bahns – II B 21 und Gabriele Thiel – II B 22
V.i.S.d.P. Silvia Kostner
Stand: Januar 2013
22.01.2022