Der Mieterschutz ist in Deutschland indirekt ein Kind des Ersten Weltkriegs. Die Reichsregierung verbesserte die rechtliche Situation der Mieter erheblich, um die Unterstützung des Volkes für den Krieg nicht zu verlieren. Nach einigen Verordnungen der Militärbehörden zum Kündigungsschutz von Soldaten und ihren Familien wurde 1917 eine allgemein gültige Mieterschutzverordnung in Kraft gesetzt, die der aktuellen Mietpreisbremse ähnelt. Anders als heute hat man aber vor 100 Jahren auf deren Unzulänglichkeiten reagiert und die Regelungen vor und nach dem Kriegsende nachgebessert.
Das deutsche Mietrecht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Als dieses am 1. Januar 1900 in Kraft trat, konnte von einem Mieterschutz allerdings noch kaum die Rede sein. Mieterhöhungen waren nur durch den Wucherparagrafen begrenzt, Kündigungen jederzeit möglich. „Das von Reichs- und Rechtswegen geltende Miethsrecht steht thatsächlich nur auf dem Papier“, kritisierte einer der Schöpfer des BGB, Rudolph Sohm, im Jahr 1902 in der Zeitung des Vereins Berliner Wohnungsmiether. „Mächtiger als die Gesetzgebung des Deutschen Reiches sind die Hausbesitzervereine gewesen.“ Erst die katastrophalen Auswirkungen des Ersten Weltkriegs (1914 bis 1918) brachten die kaiserliche Reichsregierung dazu, Mieter vor Willkür zu schützen. Die anfängliche Kriegsbegeisterung schwand dahin, als die Zahl der Gefallenen und Verwundeten an den Fronten in ungeahnte Höhen stiegen und für die Zivilbevölkerung die Lebensmittel immer knapper wurden. Um den Rückhalt in der Bevölkerung nicht ganz zu verlieren, ergriff die Militärverwaltung einige sozialpolitische Maßnahmen.
Für einen großen Teil der Soldaten war der Wehrsold viel niedriger als das Einkommen ihres Zivilberufs. Viele Familien hatten daher Probleme, die Miete zu bezahlen. Solange die Männer Soldaten waren, blieben die Familien vor einer Räumung wegen Zahlungsverzugs geschützt. Aber allein im Jahr 1914 sind schon 145.000 deutsche Kriegsteilnehmer gefallen. Zum Schmerz über den Verlust des Ehemanns und Vaters kam für die Witwen oft auch noch die Kündigung der Wohnung dazu. Bei der Suche nach kleineren Wohnungen mussten die Hinterbliebenen feststellen, dass die Vermieter die Mietpreise kräftig verteuerten. Das seit 1916 geltende Bauverbot verschärfte die Lage auf den städtischen Wohnungsmärkten zusätzlich. Der Chef des Generalstabs und spätere Reichskanzler Paul von Hindenburg forderte im Dezember 1917, „daß unsere Krieger, die ihr Vaterland unter schwerstem Opfer so ruhmvoll vor dem Verderben geschützt haben, bei ihrer Heimkehr nicht mit Wohnungselend geschlagen oder mit Frau und Kindern der Obdachlosigkeit preisgegeben werden“ dürften.
Mieteinigungsämter und Mietenstopp
Ab Dezember 1914 hatten die Städte Mieteinigungsämter eingerichtet, die bei Mietstreitigkeiten zwischen Mietern und Vermietern schlichten sollten. Sie konnten zwar das Erscheinen beider Seiten erzwingen, aber keine verbindlichen Entscheidungen fällen. Deshalb blieben die Mieteinigungsämter weitgehend wirkungslos.
Die „Verordnung über das Kündigungsrecht der Hinterbliebenen von Kriegsteilnehmern“ vom 15. Oktober 1915 war der erste Eingriff ins BGB im Sinne des Mieterschutzes. Im März 1916 wurde dann „im Interesse der öffentlichen Sicherheit“ ein Mietenstopp angeordnet, den man als Vorläufer der Mietpreisbremse von 2015 ansehen kann: Als Miethöchstpreis wurde bis auf Weiteres der Preis festgesetzt, der am 1. März 1916 galt. Jede Erhöhung für aktuelle oder spätere Mieter wurde verboten. „Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis bis zu einem Jahre, bei Vorliegen mildernder Umstände mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu 1500 Mark bestraft“, heißt es am Ende der Verordnung. Im folgenden Jahr wurde mit einer weiteren Verordnung klargestellt, dass Kündigungen nur aus wichtigem Grund zulässig waren. Doch auch diese streng formulierten Verordnungen wussten die Vermieter zu umgehen. Sie behaupteten, die Kosten für Instandhaltung und Hausverwaltung seien gestiegen, und erhöhten deswegen die Mieten.
Der Beginn des Vergleichsmietensystems
Waren die bisherigen Verordnungen von der Militärverwaltung erlassen worden und nur für Mieterhaushalte mit Kriegsteilnehmern gültig, reagierte nun die Reichsregierung als der eigentliche Gesetzgeber – diesmal für alle Mieter. Die Mieterschutzverordnung vom 26. Juli 1917 gab den Mieteinigungsämtern der Städte die Möglichkeit zu bestimmen, dass ein vom Vermieter gekündigtes Mietverhältnis fortgesetzt werden musste. Das Amt konnte in solchen Fällen auch die Miethöhe festlegen. Das galt aber nicht in laufenden Mietverhältnissen oder bei Neuvermietungen.
Dieser Fehler wurde mit der Zweiten Mieterschutzverordnung vom 23. September 1918 behoben. Die Vermieter mussten nun auf Verlangen der Städte und Gemeinden Auskunft darüber geben, zu welcher Miete sie ihre Wohnungen neu vermieteten. Erschien der Preis zu hoch, konnte die Stadt das Mieteinigungsamt anweisen, die Miete auf eine angemessene Höhe zu senken.
Nach der Kriegsniederlage und der Abdankung des Kaisers besserte die nun demokratisch gewählte Reichsregierung, begleitet von großen Mieterdemonstrationen und Mieterstreiks, das Mietrecht noch einmal nach: Die Dritte Mieterschutzverordnung vom 22. Juni 1919 erlaubte nun auch, bei den Mieteinigungsämtern eine Mietsenkung zu beantragen – nicht nur bei Neuverträgen, sondern ebenso in bestehenden Mietverhältnissen. Das Land Preußen erließ im selben Jahr auch noch eine Höchstmietenverordnung, um die Mieteinigungsämter zu entlasten.
Verglichen mit der Rechtlosigkeit der Mieter vor dem Krieg hatten die Notstandsmaßnahmen einen riesigen Fortschritt gebracht. Die Sozialistischen Monatshefte schrieben 1920: „Wer eine Wohnung innehat, ist heute eigentlich nicht mehr ihr Mieter, sondern ihr Besitzer. Denn was heißt Besitz? Die dauernde rechtmäßige Innehabung einer Sache, die mir niemand nehmen darf.“
Durch die vielen Verordnungen war das Mietrecht allerdings unübersichtlich geworden. Einen Systemwechsel brachte 1922 das Reichsmietengesetz. Die zulässige Miethöhe bemaß sich nach der Vergleichsmiete auf Basis der „Friedensmiete“ von 1914. Im Gesetz hieß es: „… ortsüblich ist der Mietzins …, der für die mit dem 1.7.1914 beginnende Zeit in der Gemeinde für Räume gleicher Art und Lage regelmäßig vereinbart war.“ Das Vergleichsmietensystem gilt im Grundsatz heute noch.
Der Vergleich der Mieterschutzverordnungen mit der heutigen Mietpreisbremse bringt Erstaunliches zu Tage. Die kaiserlichen Behörden haben verhältnismäßig schnell reagiert, als sich ihre vorherigen Anordnungen als unzureichend herausgestellt hatten. Die schwarz-rote Bundesregierung änderte an ihrer am 1. Juni 2015 in Kraft getretenen Mietpreisbremse indessen nichts, obwohl jedem sehr schnell klar wurde, dass sie wegen der zahlreichen Ausnahmen und Bedingungen nicht praxistauglich und nahezu wirkungslos ist. CDU und CSU blockten die Nachbesserungsvorschläge der SPD ab. Die kaiserliche Reichsregierung und die Führung der Reichswehr, die wahrlich nicht im Verdacht standen, mit sozialen Ideen zu sympathisieren, haben in Kriegs- und Notzeiten eine flexiblere und sozial verantwortlichere Politik betrieben als CDU und CSU in unserem heutigen demokratisch verfassten Staat mit brummender Volkswirtschaft – ein Armutszeugnis.
Jens Sethmann
Tod an den Fronten und Not in der Heimat
Als die deutschen Soldaten am 1. August 1914 mit Hurra in den Krieg zogen, waren sie sich sicher, zu Weihnachten als strahlende Sieger wieder zu Hause zu sein. Doch der Vormarsch auf Paris geriet in Nordfrankreich und Belgien ins Stocken. Es entwickelte sich ein Grabenkrieg mit Millionen Toten auf beiden Seiten, der sich über vier Jahre ohne nennenswerte militärische Fortschritte hinzog. Von den 13,25 Millionen deutschen Soldaten starben zwei Millionen an den Fronten und in den Lazaretten. Zudem verschlechterte sich im Lande die Versorgung enorm. Lebensmittel mussten rationiert werden. Berlin war im Februar 1915 die erste Stadt, die Brotkarten einführte. Es kam in den Berliner Markthallen zu Tumulten, im März gab es erste Protestkundgebungen vor dem Reichstag. Ab 1916 wurden alle Lebensmittel zugeteilt. Genutzt hat es nichts. Der Winter 1916/17 war der erste „Steckrübenwinter“. Schätzungen gehen von 440.000 bis 760.000 Hungertoten in Deutschland aus.
js
Zum Weiterlesen
Jürgen Herrlein: 100 Jahre „Mietpreisbremse“, in: NZM 1-2/2016, Seite 1 bis 9;
Armin Hentschel, Reiner Wild: Wider Miethswucher und Eigenthümertyrannei –
101 Jahre Berliner Mieterverein 1888-1989, Berlin 1989
25.11.2017