Von der Straße wegzukommen, ist für viele Obdachlose nicht einfach. Der Weg in eine eigene Wohnung erfordert Geduld und Willensstärke. Einen neuen Weg beschreitet ein US-amerikanischer Ansatz – ab Oktober auch in Berlin.
„Housing First“ heißt das Konzept, das in den 90er Jahren in New York entwickelt wurde. Es stellt einen Paradigmenwechsel im Umgang mit obdachlosen Menschen dar: Sie können direkt in eine eigene Wohnung ziehen – ohne Zwischenaufenthalte in einer Not- oder Übergangsunterkunft und ohne sich für eine Therapie oder ähnliches verpflichten zu müssen.
In Berlin lebten Ende 2016 über 30.000 Menschen in solchen „Zwischenlösungen“ – fast ein Viertel von ihnen, das zeigen Untersuchungen, bleiben ein bis zwei Jahre. Zwei Jahre im Mehrbettzimmer mit wechselnden Nachbarn, von denen viele mit Alkohol- oder Drogensucht kämpfen, sind keine guten Voraussetzungen für jemanden, dem das eigene Leben entglitten ist. Eine eigene Bude bietet Platz zum Verschnaufen und schafft Stabilität. Auch deshalb hat sich Berlin auf die Fahnen geschrieben, dass jeder Obdachlose eine feste Unterkunft erhalten soll.
In diesem Monat startet die Berliner Stadtmission gemeinsam mit der Hilfsorganisation Neue Chance ein Modellprojekt, das auf dem Housing-First-Ansatz basiert. Drei Jahre lang werden die Senatsverwaltungen für Soziales und für Gesundheit das Projekt finanziell unterstützen mit dem Ziel, 40 Wohnungen anzumieten. Bei der Wohnungssuche erhalten die Neu-Mieter Beistand, die Miete zahlt der Verein. Die Mietverträge werden aber direkt zwischen Bewohner und Vermieter geschlossen.
US-Studien zeugen vom Erfolg des Programms: Sie konnten nachweisen, dass nach zwei Jahren noch zwischen 80 und 90 Prozent der ehemals Wohnungslosen in ihren neuen Bleiben wohnten. Für Kommunen ist der Ansatz aber nicht nur deshalb interessant: Er spart Geld, denn die Übernachtung in einer Notunterkunft ist teurer als in einer Wohnung. Kein Wunder, dass Housing First inzwischen auch in vielen europäischen Ländern, etwa Großbritannien, Frankreich und Österreich, praktiziert wird.
Katharina Buri
www.neuechance-berlin.de/index.php/housing-first
28.09.2018