Als vor 130 Jahren der erste Vorläufer des Berliner Mietervereins (BMV), der „Verein Berliner Wohnungsmiether“ gegründet wurde, war er ein bürgerlicher Verein mit 4000 Mitgliedern, der sich strikt aus der Politik heraushalten wollte. Heute steht der BMV seinen 177.000 Mitgliedern mit Rat und Tat zur Seite – nicht nur gegenüber Vermietern und vor Gericht, sondern auch als gewichtige politische Interessenvertretung.
Der Zweck des 1888 gegründeten Vereins Berliner Wohnungsmiether war „die Wahrnehmung und Förderung der Interessen der Wohnungsmiether im Allgemeinen und seiner Mitglieder im Besonderen, unter Ausschluß aller politischen und religiösen Tagesfragen“. Seine wichtigste Aufgabe war damals wie heute die Rechtsberatung der Mitglieder. Gegen Vorzeigen der letzten Beitragsquittung erhielten sie eine kostenlose Auskunft beim Syndikus Rechtsanwalt Michaelis. Die Beratung fand täglich von 16 bis 18 Uhr statt. Michaelis hat rund 250 Beratungen pro Jahr durchgeführt. „Vielfach sind dem Verein fernstehende Personen erst bei einem eintretenden Konflikte mit ihren Hauswirthen dem Verein beigetreten, nur um schleunigst den Rat des Syndikus in Anspruch nehmen zu können“, stellte die Vereinszeitung 1896 fest. In diesem Jahr richtete der Verein auch einen Fragekasten für „alle das Miethsverhältniß betreffenden Fragen“ ein. Der Vorsitzende Hermann Horn beantwortete die eingesandten Fragen entweder per Brief oder in der nächsten Ausgabe der Vereinszeitung. Der Verein lud seine Mitglieder auch zu vielfältigen Fachvorträgen ein, die zum großen Teil von Horn selbst gehalten wurden.
Der Mitgliedsbeitrag betrug 40 Pfennig pro Vierteljahr. Er wurde entweder im Vereinsbüro in der Solmsstraße 30 eingezahlt oder von einem Boten abgeholt. Der Beitrag blieb bis nach 1900 stabil. Die Zahl der Mitglieder stieg von 4360 im Gründungsjahr auf 6300 im Jahr 1890, sank dann aber bis zur Jahrhundertwende auf 1736. Für „kleine Leute“ waren 1,60 Mark als Jahresbeitrag für den Mieterverein nicht unerheblich. So waren im Jahr 1900 nur 3,4 Prozent der Mitglieder Arbeiter, dagegen fast 60 Prozent Selbstständige.
Die 20er Jahre: Viele Vereine, komplizierte Gesetzeslage
Auf dem heutigen Berliner Gebiet wurden bis 1907 noch zehn weitere Mietervereine gegründet. Der Verein Steglitzer Wohnungsmiether beteiligte sich sogar an Kommunalwahlen und vermittelte seinen Mitgliedern Rabatte in bestimmten Geschäften. Im Jahr 1905 hatte er immerhin 1100 Mitglieder.
Nach der Bildung von Groß-Berlin im Jahr 1920 hatte die Hauptstadt keinen einheitlichen Mieterverein. Es gab zum einen örtliche Mietervereine, die im Reichsbund Deutscher Mieter organisiert waren, und zum anderen den Gau Berlin im konkurrierenden Bund deutscher Mietervereine mit Sitz in Dresden. Schätzungsweise hatten sie in Berlin zusammen rund 50.000 Mitglieder. Gesichert ist diese Zahl jedoch nicht.
Die Mieterberatung wurde im Laufe der 1920er Jahre immer anspruchsvoller. Es gab im Mietrecht neue Reichsgesetze, Ländergesetze, Verordnungen und Anordnungen der Gemeinden, die sich ständig änderten. „Beim Mietrecht rechnet man mit kurzen Geltungsperioden von drei, sechs, neun Monaten, ein oder zwei Jahren, in denen sich das Gesetz ändert“, beklagte sich die Allgemeine Berliner Mieterzeitung im Jahr 1929. „Nicht nur die Laien, sondern auch der größte Teil der Juristen finden sich auf diesem Gebiet nicht zurecht.“
Die Berliner Vereine im Reichsbund boten an 18 Stellen Beratungen in 57 Wochenstunden an. Der Gau Berlin im Bund deutscher Mietervereine unterhielt 13 Beratungsstellen mit wöchentlich 58 Stunden.
Über die Mitgliedsbeiträge ist wenig überliefert. Im Jahr 1920 betrug der Jahresbeitrag beim Steglitzer Mieterverein 12 Mark. Beim Mieterverein des Groß-Berliner Westens war der Beitrag gestaffelt: So zahlte man bei einer Jahresmiete von 1000 Mark einen Jahresbeitrag von 6 Mark, bei einer Jahresmiete von 8000 Mark musste man 25 Mark entrichten.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Mieterverbände im Jahr 1934 zusammengelegt und politisch „gleichgeschaltet“.
Die 50er: Preisbindung lässt Rechtsschutz entbehrlich erscheinen
Der Berliner Mieterverein gründete sich im Jahr 1949 neu. Die Mitgliederzahlen waren anfangs sehr bescheiden. Durch die allgemeine Mietpreisbindung für den gesamten Altbaubestand erschien vielen Mietern der Rechtsschutz des Mietervereins offenbar entbehrlich. Im Jahr 1963 hatte der Berliner Mieterverein nur 2300 Mitglieder. Sie haben in diesem Jahr 1800 mal die Beratung aufgesucht und 600 mal telefonische Auskünfte in Anspruch genommen. Es gab seinerzeit vier wöchentliche Sprechstunden.
Ein nennenswerter Anstieg der Mitgliederzahl ist erst in den 70er Jahren zu verzeichnen: Die Marke von 5000 wurde 1973 überschritten, 1980 hatte der Verein erstmals mehr als 20.000 Mitglieder. Die jahrelange Diskussion um die Aufhebung der Mietpreisbindung sorgte für einen anhaltenden Zuwachs. Als der „weiße Kreis“ im Jahr 1988 tatsächlich eingeführt wurde, hatte der BMV über 45.000 Mitglieder.
Der Berliner Mieterverein trat in den 80er Jahren auch politischer auf und verbreiterte sein Beratungsangebot. Die Zahl der Beratungsstellen stieg von 13 im Jahr 1978 auf 41 im Jahr 1990. In jeder Woche waren die Stellen insgesamt 78 Stunden geöffnet.
Der Mitgliedsbeitrag war anfangs nach der Miethöhe gestaffelt. Bis 1967 zahlte man 2 Mark im Monat, wenn die Miete unter 100 Mark lag. Wenn man mehr als 300 Mark Miete zahlte, belief sich der Beitrag auf 5 Mark. Bezahlt wurde noch überwiegend in bar. Die Mitglieder bekamen als Quittung eine unterschriebene Beitragsmarke auf ihre Mitgliedskarte geklebt. Ab den 80er Jahren wurden die Beiträge nach Einkommen abgestuft. So lag im Jahr 1990 der höchste Monatsbeitrag bei 12,50 Mark, der Sozialbeitrag bei 6,50 Mark.
Nach dem Zusammenschluss mit dem Mieterverein von Ost-Berlin wuchs der BMV in den 90er Jahren rasant weiter. 1996 war die Mitgliederzahl erstmals sechsstellig, die Zahl von 150.000 wurde 2009 überschritten. Heute hat der BMV rund 177.000 Mitglieder und ist mit Abstand der größte Mieterverein in Deutschland, wenn nicht sogar die größte örtliche Mietervereinigung Europas. Und die Tendenz ist weiter steigend. Seit vielen Jahren sind jährlich 1500 bis 5000 hinzugekommen – nicht nur weil immer mehr Mieter eintreten, sondern auch weil der Anteil der Mitglieder, die nach der Lösung ihres mietrechtlichen Problems wieder austreten, zurückgegangen ist. Die Treue wird auch belohnt: Nach 5, 10, 15, 20, 30 und 40 Jahren Mitgliedschaft reduziert sich der Mitgliedsbeitrag. Der Regelbeitrag liegt heute bei 9,00 Euro im Monat, der Sozialbeitrag bei 4,50 Euro.
Im Jahr 2018 haben die Mieter in der BMV-Geschäftsstelle, in den acht Beratungszentren und an 19 weiteren Beratungsstellen die Rechtsberater insgesamt 73.320 mal in Anspruch genommen. Im Berliner Mieterverein zu sein und zu bleiben lohnt sich nicht nur bei den sich häufenden Streitigkeiten um Mieterhöhungen, Modernisierungen, Nebenkosten und Schönheitsreparaturen. Mit vielen Mitgliedern hat der BMV auch ein größeres politisches Gewicht, das er bei den Verhandlungen um den Mietspiegel oder bei der Diskussion um den Mietendeckel in die Waagschale werfen kann und den Forderungen nach mehr Sozialem Wohnungsbau und einem gerechten Mietrecht mehr Nachdruck verleiht. An den bald 180.000 Mitgliedern des Berliner Mietervereins kommt in der Berliner Wohnungspolitik jedenfalls niemand vorbei.
Jens Sethmann
Das Jahr 1926 im 4. Verwaltungsbezirk
Ein Schlaglicht auf die Tätigkeit der Mieterorganisationen in der Weimarer Republik wirft ein Jahresbericht der Ortsgruppe des 4. Verwaltungsbezirks im Bund deutscher Mietervereine: Im Geschäftsjahr 1926 erhielten 1877 Mitglieder Rechtsauskünfte und Rechtsbeistand. 455 Prozesse mit 1013 Verhandlungsterminen wurden geführt. Von der Ortsgruppe vorgeschlagene Laienrichter wirkten an 1396 Verhandlungen des Amtsgerichts und des Mieteinigungsamts mit.
js
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09.09.2019