Vor acht Monaten startete die Europäische Bürgerinitiative „Housing for All“. Ihr Ziel: Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Wohnen für alle Menschen in Europa bezahlbar ist. Die Juristin Heidrun Maier-de Kruijff ist eine der Initiatorinnen dieser Initiative. Unsere Autorin traf sie auf einem Spaziergang durch Marzahn.
MieterMagazin: Was sagen Sie als Wienerin zu dieser Großsiedlung?
Maier-de Kruijff: Ich bin überrascht. Diese Großzügigkeit der Innenhöfe, das viele Grün und die durchdachte Wohnstruktur mit nahen Kitas und Schulen und einer guten Verkehrsanbindung – bei allen Problemen, die es hier auch geben mag, zeigt mir, wie „Housing for All“ aussehen kann. Mit unserer Initiative wollen wir erreichen, dass alle Bürgerinnen und Bürger Europas das Recht auf eine bezahlbare Wohnung haben.
MieterMagazin: Dafür müssen Sie europaweit eine Million Unterschriften zusammenbekommen.
Maier-de Kruijff: … und die EU lässt uns nur ein Jahr Zeit. Wir mussten erst einmal die finanziellen Mittel und vor allem auch Partner vor Ort finden. Aber aufgrund der immer dramatischeren Wohnsituationen von Millionen Menschen sind bereits tragfähige Netzwerke in einigen Ländern entstanden. Beispiel Spanien: Hier hat sich schon 2009 im Zusammenhang mit der schweren Immobilien- und Wirtschaftskrise die PAH gegründet, eine Plattform für Hypothekenopfer. Die Aktivisten kämpfen parteiunabhängig und gewaltfrei gegen Zwangsräumungen und haben unsere Initiative sofort aufgegriffen. Wir fanden in Malta und Griechenland Verbündete, sind Allianzen mit Dachorganisationen in Ungarn, Rumänien, Polen und der Slowakei eingegangen und auch in den Baltischen Staaten und Finnland auf der Suche nach Partnern. Der Hintergrund ist überall ganz ähnlich: Die Menschen können sich die Mieten in den Städten nicht mehr leisten. Die sind seit 2008 nämlich stets nach oben geklettert, während die Realeinkommen immer weiter zurückbleiben.
MieterMagazin: Ist das auch auf der Ebene der europäischen Politik angekommen?
Maier-de Kruijff: Durchaus. Wir merken, dass das Problem in den Fokus rückt. Obwohl Wohnungspolitik nicht in EU-Kompetenz fällt – und das soll auch so bleiben – müssen Hebel umgelegt werden. Aber das wird nicht geschehen, wenn wir es nicht zum Thema machen. Dabei können wir erfolgreich sein, das hat uns die Europäische Bürgerinitiative „Right2Water“ gezeigt. Fast 1,9 Millionen Menschen haben sie 2014 unterzeichnet und damit eine Privatisierung unserer Trinkwasserversorgung verhindert.
MieterMagazin: Zu den Forderungen von „Housing for All“ gehört eine deutlich bessere Ausstattung gemeinnütziger Wohnungsbauträger mit finanziellen Mitteln.
Wohnungsbauinvestitionen dürfen nicht an Maastricht scheitern
Maier-de Kruijff: Sie müssen Zugang zu besseren Kreditkonditionen der Europäischen Investitionsbank bekommen. Wohnen muss mindestens genauso gefördert werden wie Infrastrukturprojekte. Diese werden nämlich günstig finanziert. Für geplante Wohnprojekte muss dagegen das Doppelte, mitunter sogar das Dreifache an Kapitaldienst geleistet werden. Das hat riesige Auswirkungen – genau wie die Maastricht-Kriterien, nach denen derzeit auch Kredite für öffentliche Investitionen in bezahlbaren Wohnungsbau unter die Defizitgrenze fallen. Dabei dienen solche Investitionen auch den folgenden Generationen. Und die Gewinne, die gemacht werden, bleiben am Ort. Wenn ich mich hier in Marzahn umschaue, kann ich gut sehen, wo sie hinfließen: in die Aufwertung des Quartiers und in Solaranlagen zum Beispiel.
Wenn „Housing for All“ erfolgreich ist, wird die Initiative helfen, die Spekulation am Wohnungsmarkt zurückzudrängen und jede oder jeder einzelne, der oder die unterschreibt, verändert die derzeitige Situation.
Interview: Rosemarie Mieder
Europäische Bürgerinitiative
Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) ist ein demokratisches Instrument. Mit seiner Hilfe können konkrete Änderungen von Rechtsvorschriften in jenen Bereichen angeregt werden, in denen die Europäische Kommission befugt ist, Rechtsakte vorzuschlagen. Nach welchen Regeln das erfolgen muss, wurde im Februar 2011 vom Europäischen Parlament und vom Rat der Europäischen Union beschlossen. So braucht es sieben EU-Bürgerinnen und -Bürger, die in sieben unterschiedlichen Mitgliedsländern leben und das Wahlalter erreicht haben, um eine EBI zu starten. „Housing for All“ kann eine Liste von 16 Bürgerinnen und Bürgern aus 15 EU-Staaten vorweisen. Dass die Initiative in Brüssel anerkannt wurde, ist auch der Erfahrung von Heidrun Maier-de Kruijff zu verdanken. Die Juristin hat selbst fünf Jahre für das EU-Parlament gearbeitet. Seit Februar dieses Jahres ist sie Präsidentin des Vereins „Europeans for Affordable Housing – Für bezahlbares Wohnen in Europa“.
rm
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27.10.2020