Der Schriftsteller Theodor Fontane, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, hat mitten im alten Berlin 65 Jahre lang den Wandel der gemächlichen preußischen Residenzstadt zur rasant wachsenden Metropole miterlebt. Die Umbrüche der Stadt schlugen sich auch ganz direkt in den Lebensumständen Fontanes nieder – mehr als 20 Umzüge hat Fontane in seinem Leben hinter sich gebracht, viele innerhalb Berlins. Fontane maß seinen häufig wechselnden Adressen offenbar selbst eine besondere Bedeutung bei, verfasste er doch ein Manuskript mit dem Titel „Meine Wohnungen 1850-1872“, das jedoch unveröffentlicht verloren gegangen ist.
Als Dreizehnjähriger wurde der Neuruppiner Gymnasiast Theodor Fontane 1833 von seinen Eltern nach Berlin geschickt, um hier die städtische Gewerbeschule zu besuchen. Zunächst logierte er für drei Monate in einer Schülerpension, doch schon im Januar 1834 zog er zu seinem Onkel August und „Tante Pinchen“ in die Burgstraße 18 – ein dreistöckiges, um 1700 erbautes Haus dicht neben der Kriegsakademie und gegenüber dem Stadtschloss. „Das Haus, das nur drei Fenster Front hatte, gehörte dem Dr. Bietz, einem lebensklugen, nicht allzu beschäftigten Arzte, der sich mit der ersten Etage begnügte. Der zweite Stock aber war unser, ebenso das Erdgeschoss, in dem sich die Geschäftsräume befanden, ein großer schöner Laden, dem sich allerlei Rumpelkammern anschlossen“, lässt Fontane die Szenerie in seiner Autobiografie wieder aufleben. „Alles in dem Hause war winklig und verbaut, was ihm aber, verglichen mit den nichtssagenden Patentwohnungen unserer Tage, die wie aus der Schachtel genommenes Fabrikspielzeug wirken, einen großen Reiz verlieh. Alles prägte sich ein, und je sonderbarer es war, desto mehr.“
Fontane knüpfte sein ganzes Leben lang positive Erinnerungen an diese erste Bleibe. „An Sommerabenden lagen wir hier am Fenster und sahen die Spree hinauf und hinunter. Es war mitunter ganz feenhaft, und wer dann von der ,Prosa Berlins‘, von seiner Trivialität und seiner Häßlichkeit hätte sprechen wollen, der hätt einem leid tun können.“ So gutbürgerlich wie bei Onkel August hat Fontane später nie mehr gewohnt. Das Haus ist nicht erhalten geblieben, wie auch alle anderen Stätten, an denen Theodor Fontane in Berlin wohnte und wirkte, nicht mehr existieren. Sie wurden durch Neubauten ersetzt oder im Zweiten Weltkrieg zerstört. Einzig das Bethanien-Krankenhaus, in dem Fontane als Apotheker und Ausbilder 1848/49 arbeitete und wohnte, ist noch erhalten.
Unter Gescheiterten
Da Onkel August in finanzielle Schwierigkeiten geriet, musste man Ostern 1835 in eine bescheidenere Wohnung in die Große Hamburger Straße 30/31 wechseln. „Dieser Neubau war ein Doppelhaus, dessen gemeinschaftlicher Hof durch eine traurig aussehende niedrige Mauer in zwei Längshälften geteilt wurde“, beschreibt Fontane den sozialen Abstieg. „Trotzdem alles gut und neu war, war alles auch schon wieder halb verfallen, häßlich und gemein, und wie der Bau, so war auch – ein paar Ausnahmen abgerechnet – die gesamte Bewohnerschaft dieser elenden Mietskaserne. Lauter gescheiterte Leute hatten hier, als Trockenwohner, ein billiges Unterkommen gefunden: arme Künstler, noch ärmere Schriftsteller und bankrotte Kaufleute, namentlich aber Bürgermeister und Justizkommissarien aus kleinen Städten, die sich zur Kassenfrage freier als statthaft gestellt hatten. Wir wohnten Parterre. Das von mir bezogene Zimmer war so feucht, daß das Wasser in langen Rinnen die Wände runterlief.“
Durch seinen Eintritt als Lehrling in eine Apotheke konnte Fontane den miserablen Wohnverhältnissen im April 1836 entkommen, denn er wohnte, wie damals üblich, von da ab bei seinen Ausbildern. Mehrfach wechselte er in den nächsten Jahren seinen Aufenthaltsort, geschuldet den verschiedenen Ausbildungsstätten, dem Militärdienst sowie anderen, unvorhergesehenen Ereignissen.
Ende September 1849 fing Fontane in Berlin praktisch wieder bei Null an. Seine Apothekerlaufbahn hatte er beendet, finanzielle Probleme stellten sich ein. Fontane war inzwischen verlobt, aber ein gemeinsamer Hausstand rückte mangels Geld in weite Ferne. Er ergab sich dem „Zwang und Drang der Verhältnisse“ und zog als fast Dreißigjähriger wieder in ein möbliertes Zimmer. „Über mir, auf dem Boden, war noch eine Mansardenstube, drin ganz arme Leute wohnten, die, wenn ich arbeiten wollte, gerade ihr Holz spellten, um aus einem Scheit ein Dutzend zu machen. Es waren aber gute Menschen, denn als ich ihnen sagte, das Holzspellen führe bei mir so in den Kopf, ließen sie‘s, ein Fall, den ich, als einzig dastehend in meiner Berliner Mieterfahrung, hier doch notieren muss. Der richtige Berliner klopft dann erst recht.“
Im Oktober 1850 heiratete Fontane und bezog mit seiner Frau Emilie die erste eigene Wohnung in der Puttkamerstraße 6. Doch schon Mitte 1851 mussten sie die vier Zimmer wieder verlassen, weil das Geld nicht reichte. Die Kleinfamilie, angewachsen um den Sohn George, wechselte in die Luisenstraße 35. „Fontane, Th., Schriftsteller“ lautete der selbstbewusste Eintrag im Adressbuch von 1853. Hier bewohnten die Fontanes jedoch nur zwei Räume, die übrigen beiden Räume wurden als möblierte Zimmer vermietet.
Der geschönte Ort
Nach einem Aufenthalt in England mussten Emilie und Theodor Fontane mehrmals umziehen, bevor sie in Berlin wieder Fuß gefasst hatten. In der Tempelhofer Straße 51 (heute Mehringdamm 1) hatten sie dreieinhalb Jahre gewohnt. Der inzwischen auf fünf Köpfe angewachsenen Familie war jedoch im April 1863 gekündigt worden. Nach einem Zwischenaufenthalt in der Alten Jakobstraße 171 landeten sie schließlich in der Hirschelstraße 14 (heute Stresemannstraße 109). Sohn Theodor beschreibt später anschaulich die „Örtlichkeit“ der Wohnung: „Der Flur stieß geradeaus auf eine gleichfalls düstere, überaus winzige, aber unabwendbare nötige Örtlichkeit, die mangels Ventilationsmöglichkeit sehr geschont wurde, d.h. nur für die Eltern und ‚dringendste Fälle‘ bestimmt war. Allwöchentlich erschien eine ältliche Frau mit lang herabwallendem Umhang; er verbarg ein Tragegestell mit zwei Eimern, deren einer gegen den unsrigen ausgetauscht wurde.“ Nach neun Jahren musste die Familie 1872 die Wohnung aufgeben. Grundstücksspekulationen und der damit verbundene Verkauf des Hauses hatten die Miete in die Höhe getrieben.
Am 3. Oktober 1872 zogen die Fontanes in eine Vierzimmerwohnung im dritten Stock der Potsdamer Straße 134c (später 11). Die Miete betrug 210 Mark pro Quartal und wurde über ein Vierteljahrhundert nicht erhöht. Die Räume waren bei der Anmietung in einem desaströs verschmutzten Zustand. „Aber die schlimmste Hinterlassenschaft barg der Alkoven. Hier wimmelte es nur so vor Ungetier, hier feierte die Bettwanze ungestörte, ewige Brautnacht“, erinnert sich später Sohn Friedrich Fontane. Doch nach einer Radikalkur und mit viel Arbeit sowie Umbauten gelang es, die Räume wohnlich, behaglich und besuchsfertig herzurichten. Hier stand 26 Jahre lang Fontanes Schreibtisch, an dem seine Romane und Erzählungen entstanden. Es sollte die letzte Wohnstätte des Schriftstellers werden, Fontane starb hier am 20. September 1898.
Jens Sethmann
Prekäres Leben als Schriftsteller
Theodor Fontane, geboren am 30. Dezember 1819 in Neuruppin, erlernte ursprünglich den Apothekerberuf, den er jedoch mit 30 Jahren aufgab. Stattdessen wollte er sich als Journalist und freier Schriftsteller etablieren. Immer wieder in Geldsorgen, ergriff er jede Gelegenheit, um seine Familie schreibend zu ernähren. Zunächst als Presseagent in London, kehrte er 1859 nach Berlin zurück, wo er als Kriegsberichterstatter, Reiseschriftsteller und lange Jahre als Theaterkritiker arbeitete. Daneben schuf er seine berühmt gewordenen Romane und Erzählungen wie „Effie Briest“ und „Der Stechlin“, die fast alle in Berlin angesiedelt sind, sowie zwei autobiografische Erinnerungsbücher und die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Zusätzlich pflegte Fontane eine außerordentlich umfangreiche Briefkorrespondenz, die noch heute einen Einblick in das damalige tagesaktuelle Berliner Leben gewährt.
js
Weitere Informationen zu Fontanes Wohnungen findet man im Aufsatz von Hans-Werner Klünner: Fontanes Berliner Wohnstätten. Abgedruckt in: Theodor Fontane: Wie man in Berlin so lebt. Herausgegeben von Gotthard Erler, Aufbau Taschenbuchverlag, Berlin 2004
Ausstellung: Fontanes Berlin. Fotografien & Schriften – Fiktion & Wirklichkeit. Märkisches Museum, Am Köllnischen Park 5, 10179 Berlin, noch bis 5. Januar 2020
17.11.2019