Gegner des Berliner Mietendeckels halten die geplante Mietpreisbegrenzung für sozialistisches Teufelszeug, das sich nur eine investorenfeindliche Regierung ausdenken konnte. Doch die Mietenregulierung ist keineswegs ein Berliner Sonderfall. Überall in den großen Städten der Welt steigen die Mieten so stark, dass sich viele Menschen ihr Zuhause nicht mehr leisten können. Immer mehr Stadtregierungen erkennen, dass man die Mieten nicht dem freien Markt überlassen darf, und greifen zu staatlichen Mietpreisbegrenzungen. Ein Blick über den Tellerrand.
Aber auch in Deutschland gab bis in die 80er Jahre staatliche Mietpreisbegrenzungen: Vom „Schwarzen Kreis“ zum Mietendeckel
Durch die Debatte um den Mietendeckel geistert die Schweizer Stadt Genf als Schreckbild. Die Tageszeitung „Die Welt“ berichtete über den „umfassendsten Mietendeckel in einer freien westlichen Marktwirtschaft“, der zum Verfall der Gebäude geführt habe: „An vielen Häusern in der Rhône-Stadt bröselt es aus dem Mauerwerk, die Farben etlicher Fensterläden sind zu einem lichten Grau verblasst.“ Beklagt wird auch, dass Mieter mit alten Mietverträgen nicht mehr umziehen.
Genf geht voran – Mietendeckelung auch in der gesamten Schweiz
Seit 1996 gilt in Genf ein Kantonsgesetz, das – ähnlich wie im Berliner Mietendeckel vorgesehen – Modernisierungen nur noch zulässt, wenn sie der Energieeinsparung dienen und die Miete danach in einem Rahmen bleibt, der „den vorherrschenden Bedürfnissen der Bevölkerung“ entspricht. Zur Instandhaltung der Mietsache – und damit auch zur Beseitigung von Putzschäden – sind die Vermieter selbstverständlich auch in der Schweiz verpflichtet.
Die im Grunde mit dem Mietendeckel vergleichbare Regelung gilt in der gesamten Schweiz schon seit 1990: Die Miethöhe in laufenden Mietverträgen berechnet sich nach dem Zinssatz, der für Hypotheken gezahlt werden muss. Die Nettorendite des Vermieters darf höchstens 0,5 Prozent über diesem Referenzzinssatz liegen. Der Satz wird quartalsweise für die gesamte Schweiz festgelegt. Sinkende Zinsen führen also auch zu sinkenden Mieten.
Dass ein Mieter in seiner Wohnung bleibt, auch wenn sie für seine Bedürfnisse nicht mehr passt, liegt daran, dass bei einer Neuanmietung die Miete im Grundsatz frei vereinbart werden kann. Es gilt zwar, dass die Miete des Vormieters höchstens um zehn Prozent überschritten werden darf. Dies durchzusetzen, ist jedoch für Mieter – ähnlich wie bei der deutschen Mietpreisbremse – nicht einfach, zumal es auch hier Ausnahmen gibt. Die Gefahr, dass Mieter an unpassende Wohnungen gefesselt sind, droht beim Berliner Mietendeckel allerdings gerade nicht. Bei der Wiedervermietung gelten festgelegte Mietobergrenzen. Dadurch könnte der Wohnungswechsel attraktiver und der Umzug für eine größere Zahl von Mietern möglich werden.
In Genf sind die Bestandsmieten mehr als 20 Jahre lang praktisch nicht gestiegen. Dass dort nach wie vor ein Wohnungsmangel herrscht, kann man dem Kantonsgesetz nicht anlasten. In weiteren Westschweizer Kantonen und in Basel hat das Genfer Vorbild denn auch Anhänger gefunden.
New York: Mieterhöhungen nur noch um 1,5 Prozent im Jahr
Heute sind immer mehr Regierungen davon überzeugt, dass Mieten reguliert werden müssen, auch in ur-kapitalistischen Ländern wie den USA. Dort zahlt jeder vierte Mieter mehr als die Hälfte seines Einkommens für die Miete. Im Juni 2019 hat der Senat des Bundesstaates New York eine konsequente Mietpreisbegrenzung beschlossen. In rund einer Million Wohnungen in der Stadt New York dürfen die Mieten nur noch um 1,5 Prozent im Jahr erhöht werden. Dieses Limit gab es schon länger, war aber wegen zahlreicher Ausnahmen praktisch wirkungslos. So galt diese Begrenzung nicht, wenn der Mietpreis einer Wohnung schon eine gewisse Preishürde überschritten hatte. Stand eine Wohnung zwischenzeitlich leer, konnte der Eigentümer 20 Prozent mehr Miete als beim Vormieter verlangen. Dem Missbrauch waren dadurch Tür und Tor geöffnet. Die Folge: Von 2010 bis 2017 stiegen in New York die Mieten doppelt so stark wie die Einkommen der Bewohner. Die größten Schlupflöcher sind jetzt geschlossen.
USA: Mietbeschränkungen auch in
Miami, Boston, Orlando, Oregon und Kalifornien
Ähnliche Mietbeschränkungen gelten auch für einzelne Städte in den Bundesstaaten New Jersey, Maryland und Kalifornien. Florida und Massachusetts haben kürzlich Städten mit engem Mietmarkt erlaubt, die Mieten zu regulieren, darunter Miami, Orlando und Boston. Im Februar 2019 hat Oregon als erster Staat für sein ganzes Territorium die Mietsteigerungen auf sieben Prozent im Jahr plus Inflationsausgleich begrenzt. Nun zieht Kalifornien – der US-Staat mit den höchsten Mieten und den meisten Wohnungslosen – nach und kappt zehn Jahre lang bei allen rund acht Millionen Mietwohnungen die Mieterhöhungen bei fünf Prozent im Jahr plus Inflationsausgleich.
Portugal: Mietbegrenzungen gegen Steuererleichterungen
Seit dem 1. Juli 2019 gibt es auch in Portugal so etwas wie einen Mietendeckel. Für fünf Jahre gilt dort das „Programm für erschwingliche Mieten“. In Lissabon, wo die Mieten seit 2013 um 71 Prozent gestiegen sind, gelten für die betreffenden Wohnungen jetzt Mietobergrenzen, die allerdings immer noch recht hoch sind: 600 Euro im Monat für ein Apartment, 900 Euro für eine Einzimmerwohnung, 1150 Euro für zwei Zimmer, 1375 Euro für drei Zimmer, 1550 Euro für vier Zimmer und 1700 Euro für fünf Zimmer. Der Protest der Vermieter war denn auch eher schwach – nicht nur wegen der Höhe der Grenzen. Sie profitieren im Gegenzug von Steuererleichterungen: Die Einkommensteuer auf Mieteinnahmen wird ihnen erlassen, und die Städte sollen ihnen Nachlässe auf die Vermögens- und Grundsteuer gewähren. Außerdem gibt es günstigere Versicherungskonditionen. Was die Vermieter durch den portugiesischen Mietendeckel an Einbußen erleiden, gleichen also letztlich die Steuerzahler weitgehend aus.
Volksbegehren „6 Jahre Mietenstopp“ in Bayern
Inspiriert vom Berliner Mietendeckel startete im Oktober in Bayern die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren „6 Jahre Mietenstopp“. In Gang gesetzt wurde die Kampagne vom Mieterverein München, unterstützt wird sie von 15 weiteren örtlichen Mietervereinen aus Bayern, den DGB-Gewerkschaften, den Parteien SPD, Linke, die Grünen und mehreren Sozialverbänden.
Gefordert wird ein Mietenstopp für sechs Jahre in 162 Städten und Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt. Die Bestandsmieten dürfen dann nicht mehr angehoben werden. Auch Staffel- und Indexmieten sollen eingefroren werden. Vermieter, die bisher moderate Preise verlangen, dürfen die Mieten weiterhin bis zu einem Betrag in Höhe von 80 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete erhöhen. Bei Wiedervermietungen darf dem Gesetzesentwurf zufolge höchstens die ortsübliche Vergleichsmiete verlangt werden. Das gleiche gilt für Mieterhöhungen nach Modernisierung. Neubauten sollen vom Mietenstopp-Gesetz ausgenommen sein.
Für die Beantragung des Volksbegehrens werden zunächst 25.000 Unterschriften benötigt. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir schon in der ersten Phase deutlich mehr Unterschriften zusammenbekommen werden. Denn Bayerns Mieterinnen und Mieter wissen, dass sie zusammenstehen müssen, um die Situation zu verbessern“, sagt Beatrix Zurek, Vorsitzende des Mietervereins München.
Lässt das Innenministerium das Volksbegehren zu, müssen sich innerhalb von 14 Tagen zehn Prozent der bayerischen Wahlbevölkerung in den Rathäusern eintragen. Ist diese Hürde von etwa einer Million Unterschriften genommen, kann der Landtag den Gesetzesentwurf annehmen oder per Volksentscheid darüber abstimmen lassen.
Jens Sethmann
www.mietenstopp.de
Vom „Schwarzen Kreis“ zum Mietendeckel
In der Bundesrepublik gab es – bedingt durch den Wohnungsmangel nach dem Zweiten Weltkrieg – von Anfang an eine bundesweite Mietpreisbindung für Altbauwohnungen. Mit der Einführung „weißer Kreise“ wurde sie ab 1960 nach und nach aufgehoben. In West-Berlin bestand sie noch bis 1988, ohne dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung daran litt oder jemand den Sozialismus heraufziehen sah. Der schlechte Zustand vieler Altbauten war weniger auf die regulierten Mieten zurückzuführen, sondern vor allem eine Folge von Spekulation und gezielter Vernachlässigung. Die alte Preisregulierung wirkt noch bis heute nach: Dass das Berliner Mietniveau immer noch niedriger ist als in den meisten westdeutschen Städten, ist auch der früheren Mietpreisbindung zu verdanken. Der kommende Berliner Mietendeckel beruht auf einer vergleichbaren rechtlichen Grundlage. Weil die Zuständigkeit für das Wohnungswesen mit der Föderalismusreform des Grundgesetzes seit 2006 bei den Ländern liegt und die Wohnungs- und Mietenpolitik der Bundesregierung höchst unzureichend ist, nimmt der Senat nun selbst das Heft in die Hand.
js
ACHTUNG:
Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.4.2021 den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt – mit rechtlichen Folgen für Mieterinnen und Mieter.Was Mieterinnen und Mieter jetzt wissen müssen
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
Die hier folgenden Hinweise zur Nutzung des Mietendeckels sind damit überwiegend hinfällig.
08.03.2020