Es war eine Hiobsbotschaft, die die Bewohner der Hermannstraße 14 Anfang November 2019 erreichte. Innerhalb weniger Tage mussten sie ihre Wohnungen räumen, weil das Haus wegen Einsturzgefahr evakuiert werden musste. Mittlerweile wurde der Altbau abgerissen. In dem geplanten Neubau ist nicht bezahlbarer Wohnraum, sondern offenbar eine Vermietung nach dem sogenannten Co Living geplant.
„So geht man nicht mit Menschen um“, empört sich eine Mieterin, die wenige Wochen nach der Evakuierung die Kündigung erhielt. Mündlich habe ihnen der Vermieter versprochen, dass sie sich gar keine Sorgen machen müssten. Man würde sich um Ersatzwohnraum kümmern. „Aber am Ende ließ man uns einfach im Regen stehen.“ Die angebotenen möblierten Zwischenumsetzwohnungen seien völlig verschimmelt gewesen, sagt auch eine andere Bewohnerin. Beide wurden dann für ein paar Wochen in einem Hotel einquartiert. Diese Kosten übernahm der Eigentümer, ebenso die Kosten für die Einlagerung der Möbel. Nur sieben der 13 Wohnungen waren zu diesem Zeitpunkt bewohnt. Dass es gravierende Baumängel und sogar Risse gab, war bekannt und ist auch in dem Ende 2018 geschlossenen Kaufvertrag festgehalten – der neue Eigentümer wusste also, was er sich da angeschafft hatte. Ende Oktober schlug die Bauaufsicht Alarm. Die Standsicherheit sei nicht mehr gewährleistet. Die Nutzung des Gebäudes in der Nähe des Hermannplatzes wurde mit sofortiger Wirkung untersagt.
Einige Mieter konnten mit anwaltlicher Hilfe Entschädigungen durchsetzen. Bei einer Mietpartei, die sich selber eine neue Wohnung gesucht hat, lehnt der Eigentümer bislang die Übernahme der Umzugskosten sowie der Kaution ab. Rechtlich ist die Lage verzwickt. Schadensersatzansprüche stehen Mietern bei behördlich ausgesprochener Nutzungsuntersagung zum einen bei einem schuldhaften Verhalten des Vermieters zu, beispielsweise, wenn von ihm beauftragte Bauarbeiten die Einsturzgefahr hervorgerufen haben. Des Weiteren ist ein Schadenersatz wegen eines sogenannten anfänglichen Mangels denkbar, wenn der jeweilige Vermieter bei Mietvertragsabschluss mit einem behördlichen Einschreiten während der vereinbarten Vertragszeit hätte rechnen müssen. In diesem Fall ist die Sachverhaltslage für jedes Mietverhältnis im Haus gesondert zu prüfen. Wenn kein anfänglicher Mangel gegeben war, ist der Vermieter auch nicht verpflichtet, Ersatzwohnraum zu besorgen.
Der Eigentümer dürfte nicht allzu traurig über den Abriss sein. Laut Website des Projektentwicklers „Berliner Jungens“ ist ein nachhaltiger Neubau in Holzbauweise geplant. Der annähernd klimaneutrale Neubau wird nach Aussage von Maurice Luft, Geschäftsführer der „Berliner Jungens“ „dem Mietmarkt zur Verfügung gestellt“. Auf Nachfrage zu dem laut Website geplanten Konzept Co Living erklärte Luft, dass die Einzelheiten noch nicht klar seien. Die Müllerstraße 55 a, ein anderes Projekt des Unternehmens, wird seit seiner Fertigstellung Ende 2019 unter anderem über den umstrittenen Co-Living-Anbieter „Medici Living“ vermietet. Ein knapp 13 Quadratmeter großes möbliertes Zimmer wurde kürzlich für 509 Euro angeboten.
Birgit Leiß
24.04.2020