Für fast alle Berliner Wohnungen gilt seit Februar der Mietendeckel. Doch ausgerechnet in den ohnehin nicht gerade günstigen Sozialwohnungen fehlt dieser Schutz. Die Initiativen Kotti & Co. und mieterstadt.de fordern deshalb eine grundlegende Reform des Sozialen Wohnungsbaus. Auch der Berliner Mieterverein drängt auf ein neues Konzept.
Im März hat Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) verkündet, auch in diesem und dem nächsten Jahr die turnusmäßig zum 1. April um 0,13 Euro pro Quadratmeter anfallende Erhöhung der Sozialmieten auszusetzen. Davon profitiert aber nur jeder zweite von den rund 90.000 Mieterhaushalten im „alten“ Sozialen Wohnungsbau, also den bis 1997 mit öffentlicher Förderung errichteten Wohnungen.
Unzureichend und unnötig teuer
Die Aussetzung der Mieterhöhungen ist für Berlin eine teure Angelegenheit, denn die Landeskasse gleicht den Vermietern die entgangenen Mieterhöhungen aus. Von 2016 bis 2021 summiert sich die Ausgleichszahlung auf 0,78 Euro pro Quadratmeter. Über die gesamte Förderlaufzeit hat der Finanzsenator dafür 337 Millionen Euro beiseite gelegt.
Kotti & Co und mieterstadt.de finden das Vorgehen des Senats „unzureichend und unnötig teuer“. Gerade in der Corona-Krise sei es nicht nur notwendig, Mieterhöhungen zu unterlassen, sondern überhöhte Sozialmieten abzusenken – und zwar für alle Sozialmieterhaushalte. Rund 11.000 von ihnen sitzen nach der Streichung der Anschlussförderung im Jahr 2003 auf einer „tickenden Zeitbombe“, denn die Mieten können in diesem Sonderfall jederzeit auf die teils absurd hohen Kostenmieten erhöht werden. Die staatlichen Mietzuschüsse können mögliche Erhöhungen auf 12 bis 21 Euro pro Quadratmeter nicht ausgleichen. Die Mieter von weiteren rund 40.000 Sozialwohnungen, bei denen die Vermieter die Förderdarlehen vorzeitig zurückgezahlt haben, erhalten nach dem Ende des Bindungszeitraums keine Mietzuschüsse mehr.
Die Sozialmieterinitiativen fordern deshalb zum wiederholten Mal ein neues Mietenkonzept für den Sozialen Wohnungsbau. Sozialmieten sollten generell die ortsübliche Vergleichsmiete nicht überschreiten dürfen. Dass der Mietendeckel für die besonders schutzbedürftigen Mieter nicht gilt, sei „vollkommen unverständlich“. Die Kostenmieten sollten neu ermittelt werden: Nicht mehr vorhandene Finanzierungskosten und staatliche Aufwendungsdarlehen sollten zukünftig bei der Mietenberechnung unberücksichtigt bleiben.
Für diese Vorschläge gibt es zum Teil schon seit 2015 Rechtsgutachten und Gesetz- und Verordnungsentwürfe. „Gerade jetzt muss das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zügig eingelöst werden“, fordert Sebastian Jung von mieterstadt.de.
Laut Koalitionsvertrag wollen SPD, Grüne und Linke „durch eine umfassende Reform gerechte Sozialmieten und Belegungsbindungen sichern“. Dabei sollen die Mieten gesenkt und nach Einkommen gestaffelt werden. Zur Finanzierung will der Senat auch die Eigentümer angemessen heranziehen. Vor zwei Jahren wurde schon ein Entwurf für ein Mietenkonzept ausgearbeitet, doch die Koalitionsparteien konnten sich nicht darauf einigen. Passiert ist seither nichts – abgesehen von der Aussetzung der Mieterhöhungen als Notbehelf. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen will nun versuchen, zumindest die Berechnung der Kostenmieten neu zu regeln. Eine neue Berechnungsverordnung könnte allein vom Senat ohne das Abgeordnetenhaus beschlossen werden.
Der Berliner Mieterverein (BMV) unterstützt die Forderung der Initiativen. „Es kann nicht sein, dass Sozialmieten teurer sind als die ortsübliche Vergleichsmiete“, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. „Ein neues Mietenkonzept ist dringend nötig“, mahnt er zur Eile. „Das muss der Senat jetzt auf den Weg bringen.“
Jens Sethmann
Sozial nur auf Zeit
Im Sozialen Wohnungsbau gelten die Mietpreis- und Belegungsbindungen immer nur auf Zeit. Nach dem regulären Auslaufen des Bindungszeitraums berechnen sich die Mieten wie im freifinanzierten Wohnungsbau nach der ortsüblichen Vergleichsmiete. Nach der Einstellung der Förderung im Jahr 1997 ging die Zahl der Berliner Sozialwohnungen rapide zurück. Die Bestände des „alten“ Sozialen Wohnungsbaus haben sich von 264.000 Wohnungen im Jahr 2001 bis heute auf knapp 95.000 reduziert. Durch die Neuaufnahme der Förderung im Jahr 2014 sind bis Ende letzten Jahres 2600 neue Sozialwohnungen entstanden. Mit dem Neubau will der Senat das Schrumpfen der Sozialwohnungsbestände aufhalten und die Zahl langfristig bei 100.000 stabilisieren.
js
28.05.2020