Leitsatz:
§ 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) vom 11. Februar 2020 ist nach seinem Sinn und Zweck dahin auszulegen, dass von dem darin geregelten Verbot (jedenfalls) gerichtliche Mieterhöhungsverfahren nicht erfasst sind, in denen der Vermieter einen Anspruch auf Erhöhung der Miete zu einem vor dem in dieser Bestimmung festgelegten Stichtag (18. Juni 2019) liegenden Zeitpunkt verfolgt.
BGH vom 29.4.2020 – VIII ZR 355/18 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 31 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Vermieter begehrte die Zustimmung zur einer Mieterhöhung nach § 558 BGB zum 1.11.2015. Der Zustimmungsprozess vor dem Landgericht kam erst nach dem 18.6.2019 zum Abschluss. Mit der Revision machte der Mieter – unter Hinweis auf die Entscheidung des LG Berlin vom 12.3.2020 (- 67 S 274/19, MM 6+7/2020, 37) geltend, dass der Mieterhöhung nunmehr § 3 MietenWoG Bln (sogenannter „Mietendeckel“) entgegenstehe.
Dieser Rechtsauffassung folgte der BGH nicht.
Die rechtliche Ausgestaltung des Mieterhöhungsverfahrens als einzuklagender Anspruch auf Zustimmung zu einer Vertragsänderung führe zwar dazu, dass die angestrebte Vertragsänderung erst mit rechtskräftiger Verurteilung des Mieters wirksam werde. Daraus folge jedoch nicht, dass auch ein Mieterhöhungsverlangen, mit dem der Vermieter die Zustimmung zu einer Mieterhöhung ab einem vor dem Stichtag liegenden Zeitpunkt begehre, gegen das in § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln angeordnete gesetzliche Verbot einer Überschreitung der am 18.6.2019 wirksam vereinbarten Miete verstieße.
Die Gegenauffassung verkenne, dass es bei dem als Klage auf Abgabe einer Willenserklärung ausgestalteten Mieterhöhungsverfahren materiell um einen Anspruch des Vermieters auf Erhöhung der Miete zu dem sich aus § 558 b Abs. 1, 2 BGB ergebendem Zeitpunkt gehe, nämlich zum Beginn des dritten auf das Erhöhungsverlangen folgenden Monat. Insoweit habe der im Mieterhöhungsprozess unterliegende Mieter die erhöhte Miete auch nachträglich zu entrichten, denn die Vertragsänderung bewirke, dass der Mieter die erhöhte Miete nunmehr rückwirkend ab dem vorgenannten Zeitpunkt schulde.
Nach seinem Sinn und Zweck sei § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln deshalb dahin auszulegen, dass von dem darin geregelten Verbot (jedenfalls) gerichtliche Mieterhöhungsverfahren nicht erfasst seien, in denen der Vermieter einen Anspruch auf Erhöhung der Miete zu einem vor dem Stichtag liegenden Zeitpunkt verfolge. Denn § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln bezwecke lediglich, Mietsteigerungen ab dem Stichtag zu verhindern, nicht aber die materielle Rechtslage in bereits laufenden Mieterhöhungsprozessen zum Nachteil des Vermieters zu verändern. Der Landesgesetzgeber habe eine auf den Tag der Gesetzesankündigung („Eckpunktepapier“) bezogene Rückwirkung des Gesetzes allein deshalb für erforderlich gehalten, weil dem Gesetzeszweck zuwiderlaufende Mitnahmeeffekte in Form von Mieterhöhungen in dem Zeitraum zwischen Bekanntwerden des Gesetzesvorhabens und Inkrafttreten des Gesetzes unterbunden werden sollten. Ein solcher Mitnahmeeffekt sei aber bei Klagen nach § 558 b Abs. 2 BGB, die auf Zustimmung zu einer Erhöhung zu einem vor dem Stichtag liegenden Zeitpunkt gerichtet seien, ausgeschlossen.
Wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Falle lies der BGH die Frage der Verfassungsgemäßheit des MietenWoG Bln ausdrücklich offen.
27.07.2020