Leitsatz:
Für die Beurteilung des finanziellen Härteeinwands sind auch solche Umstände zu berücksichtigen, die zwar im Zeitpunkt des Zugangs der Mieterhöhung nach § 559 BGB noch nicht vorliegen, aber deren Eintritt in naher Zukunft zu diesem Zeitpunkt bereits feststeht (hier: Pensionseintritt in acht Monaten).
LG Berlin v. 18.3.2020 – 64 S 103/19 –
Mitgeteilt von RAin Stefanie Schulz
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Mieterhöhung wegen einer Modernisierung wurde mit Vermieter-Schreiben vom 25.10.2017 angekündigt und sollte danach ab dem 1.7.2018 wirksam werden. Die Mieterin hat mit Schreiben vom 22.11. 2017 rechtzeitig den Einwand der Härte erhoben und insbesondere darauf hingewiesen, dass sie ab März 2019 wegen einer anerkannten Schwerbehinderung von 50 Prozent in Pension gehe.
Nach Ansicht des Landgerichts sind für die Beurteilung des Härteeinwands auch solche Umstände zu berücksichtigen, die zwar im Zeitpunkt des Zugangs noch nicht vorliegen, aber deren Eintritt in naher Zukunft zu diesem Zeitpunkt bereits feststeht; anders als eine künftige Arbeitslosigkeit stehe hier die Pensionierung mit Sicherheit fest. Unerheblich sei dabei, dass der Pensionseintritt nach dem vorgesehenen Beginn der Mieterhöhung liege. Danach sei im vorliegenden Fall das durch den Pensionseintritt im März 2019 reduzierte Einkommen der Mieterin zu berücksichtigen.
Das Landgericht begründet seine Meinung wie folgt: Der Wortlaut des § 559 BGB enthalte keine ausdrückliche Regelung, welcher Stichtag für die Ermittlung des dem Mieter zur Verfügung stehenden Einkommens zugrunde zu legen sei. Soweit in § 559 BGB auch die „voraussichtlichen künftigen Betriebskosten“ zu berücksichtigen seien, sei gesetzlich normiert, dass nicht nur im Zeitpunkt des Zugangs des Mieterhöhungsverlangens bestehende Umstände zu berücksichtigen seien. Entsprechend könne das auch für das Einkommen des Mieters angenommen werden.
Nach dem Wortlaut des § 559 Abs. 5 S. 1 BGB seien Umstände, die eine Härte nach Absatz 4 begründen, nur zu berücksichtigen, wenn sie rechtzeitig mitgeteilt worden seien. Unmittelbar ergebe sich daraus nicht, wann genau ein Härtegrund vorgelegen haben muss. Soweit vereinzelt die Schlussfolgerungen gezogen werden, dass (1) der Mieter die Härtegründe kennen müsse, wenn er sich auf sie berufe und dass er (2) aber nur solche Härtegründe kennen könne, die im Zeitpunkt der Anzeige oder zumindest der Anzeigefrist tatsächlich vorgelegen hätten, überzeuge dies nicht. Der vorliegende Fall zeige gerade, dass dem Mieter auch künftige, sicher eintretende Umstände bekannt sein können, die bei Zugang der Mieterhöhungserklärung noch nicht eingetreten sein müssen.
Auch sei der Härteeinwand für die Wirksamkeit der Mieterhöhungserklärung nicht von Relevanz, so dass hieraus nicht der Schluss gezogen werden könne, dass spätere Umstände unberücksichtigt zu bleiben hätten. Der Härteeinwand stelle nach dem Wortlaut des § 559 Abs. 4 BGB einen Ausschlussgrund für den Anspruch nach § 559 Abs. 1 BGB dar, was dogmatisch von der Frage der Wirksamkeit der Erklärung zu trennen sei.
Werde das Vorliegen einer Härte bejaht, sei der Vermieter zwar zur Modernisierung berechtigt, eine Mieterhöhung nach § 559 BGB sei jedoch ganz oder teilweise auf Dauer ausgeschlossen. Sie könne auch nicht bei späterer Veränderung der Leistungsfähigkeit des Mieters nachgeholt oder wiederholt werden. Das spreche dafür, auch solche sicheren Umstände zu berücksichtigen, die in naher Zukunft die Leistungsfähigkeit des Mieters – positiv oder negativ – verändern.
Damit dürfe der Mieter, der einen Härteeinwand zu begründen hat, all das vortragen, was er tatsächlich vortragen kann, das heißt seine aktuelle finanzielle Situation und für die Zukunft feststehende Veränderungen. Dies würde den Renteneintritt, nicht aber beispielsweise eine nur möglicherweise in Zukunft eintretende Arbeitslosigkeit umfassen.
Dem Argument, dass für den Vermieter im Hinblick auf sein Refinanzierungsinteresse Planungssicherheit bestehen müsse, werde damit Rechnung getragen, dass der Mieter fristgemäß künftige Veränderungen im Rahmen des Härteeinwands vorzutragen habe und mit solchen Einwänden ausgeschlossen sei, die er erst später vorbringen kann.
Urteilstext
Beschluss:
…
4. Zutreffend hat das Amtsgericht auch das Vorliegen einer nicht zu rechtfertigenden Härte im Sinne des § 559 Abs. 4 BGB bejaht.
a) Die Mieterhöhung wurde mit Schreiben der Beklagten vom 25.10.2017 angekündigt und sollte danach ab dem 1.7.2018 wirksam werden Die Klägerin hat mit Schreiben vom 22.11.2017 rechtzeitig den Einwand der Härte erhoben und insbesondere darauf hingewiesen, dass sie ab März 2019 wegen einer anerkannten Schwerbehinderung von 50 % in Pension gehe.
b) Für die Beurteilung des Härteeinwands ist maßgeblich, welche Tatsachen im Zeitpunkt des Zugangs der Mieterhöhungserklärung feststehen und rechtzeitig mit dem Härteeinwand geltend gemacht werden (vgl. Landgericht Berlin, Urteil vom 17.10.2018 – 65 S 105/18 -, GE 2019, 389). Damit sind auch solche Umstände zu berücksichtigen, die zwar im Zeitpunkt des Zugangs noch nicht vorliegen, aber deren Eintritt in naher Zukunft zu diesem Zeitpunkt bereits feststeht; anders als eine künftige Arbeitslosigkeit wie etwa in der dem oben genannten Urteil vom 17.10.2018 zugrunde liegenden Sachverhaltskonstellation, steht hier die Pensionierung mit Sicherheit fest. Unerheblich ist dabei, dass der Pensionseintritt nach dem vorgesehenen Beginn der Mieterhöhung liegt. Danach ist im vorliegenden Fall das durch den Pensionseintritt im März 2019 reduzierte Einkommen der Mieterin zu berücksichtigen.
Dafür sprechen folgende Argumente:
aa) Der Wortlaut des § 559 BGB enthält kein ausdrückliche Regelung, welcher Stichtag für die Ermittlung des dem Mieter zur Verfügung stehenden Einkommens zugrunde zu legen ist. Soweit in § 559 BGB auch die „voraussichtlichen künftigen Betriebskosten“ zu berücksichtigen sind, ist gesetzlich normiert, dass nicht nur im Zeitpunkt des Zugangs des Mieterhöhungsverlangens bestehende Umstände zu berücksichtigen sind. Entsprechend kann das auch für das Einkommen des Mieters angenommen werden.
bb) Nach dem Wortlaut des § 559 Abs. 5 S. 1 BGB sind Umstände, die eine Härte nach Absatz 4 begründen, nur zu berücksichtigen, wenn sie rechtzeitig mitgeteilt worden sind. Unmittelbar ergibt sich daraus nicht, wann genau ein Härtegrund vorgelegen haben muss. Soweit in der Literatur die Schlussfolgerungen gezogen werden, dass (1) der Mieter die Härtegründe kennen müsse, wenn er sich auf sie berufe und dass er (2) aber nur solche Härtegründe kennen könne, die im Zeitpunkt der Anzeige oder zumindest der Anzeigefrist tatsächlich vorgelegen hätten (vgl. Börstinghaus NZM 2014, 689, 692), überzeugt dies nicht. Der vorliegende Fall zeigt gerade, dass dem Mieter auch künftige, sicher eintretende Umstände bekannt sein können, die bei Zugang der Mieterhöhungserklärung noch nicht eingetreten sein müssen.
cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Härteeinwand für die Wirksamkeit der Mieterhöhungserklärung nicht von Relevanz, so dass hieraus nicht der Schluss gezogen werden kann, dass spätere Umstände unberücksichtigt zu bleiben hätten. Der Härteeinwand stellt nach dem Wortlaut des § 559 Abs. 4 BGB einen Ausschlussgrund für den Anspruch nach § 559 Abs. 1 BGB dar, was dogmatisch von der Frage der Wirksamkeit der Erklärung zu trennen ist.
dd) Wird das Vorliegen einer Härte bejaht, ist der Vermieter zwar zur Modernisierung berechtigt, eine Mieterhöhung nach § 559 BGB ist jedoch ganz oder teilweise auf Dauer ausgeschlossen. Sie kann auch nicht bei späterer Veränderung der Leistungsfähigkeit des Mieters nachgeholt oder wiederholt werden (vgl. Schmidt-Futterer/Börstinghaus, 14. Aufl., 2019, BGB § 559 RN 98). Das spricht dafür, auch solche sicheren Umstände zu berücksichtigen, die in naher Zukunft die Leistungsfähigkeit des Mieters – positiv oder negativ – verändern.
ee) Soweit als Härteeinwand mitunter der Hinweis auf eine drohende Arbeitslosigkeit akzeptiert wird (vgl. Schmidt-Futterer/Börstinghaus, 14. Aufl., 2019, BGB § 559 Rn 108b), muss erst recht der feststehende Arbeitsplatzverlust oder feststehende Renteneintritt in naher Zukunft berücksichtigt werden. Die Kammer hält es dabei für überzeugender, dem Mieter, der einen Härteeinwand zu begründen hat, all das vortragen zu lassen, was er tatsächlich vortragen kann, das heißt seine aktuelle finanzielle Situation und für die Zukunft feststehende Veränderungen. Dies würde den Renteneintritt, nicht aber beispielsweise eine nur möglicherweise in Zukunft eintretende Arbeitslosigkeit umfassen.
ff) Wird in der Literatur vornehmlich damit argumentiert, dass für den Vermieter im Hinblick auf sein Refinanzierungsinteresse Planungssicherheit bestehen müsse (vgl. Börstinghaus, NZM 2014, 689, 692), so wird dieser damit Rechnung getragen, dass der Mieter fristgemäß künftige Veränderungen im Rahmen des Härteeinwands vorzutragen hat und mit solchen Einwänden ausgeschlossen ist, die er erst später vorbringen kann.
c) Die Beurteilung, ob eine für den Mieter nicht zu rechtfertigende Härte vorliegt, entzieht sich einer schematischen Betrachtung der Quote von Haushaltseinkommen und erhöhter Miete. Es ist vielmehr auf die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles abzustellen, wobei neben den modernisierungsbedingen finanziellen Belastungen des Mieters auch das Maß der durch die Modernisierung geschaffenen Komfortverbesserung zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Hinweisbeschluss vom 10.12.2013 – VIII ZR 174/13, NJW-RR 2014, 396). Nach Abzug der Miete muss dem Mieter ein Einkommen verbleiben, das es ihm ermöglicht, im Wesentlichen an seinem bisherigen Lebenszuschnitt festzuhalten, wobei einem Mieter mit besserem Einkommen eine höhere Miete zugemutet werden kann, als einem Mieter mit nur geringem Einkommen. Die Zumutbarkeitsgrenze ist jedoch nicht erst dort zu ziehen, wo der Mieter mit seinem verbleibenden Einkommen nur noch sein Existenzminimum bestreiten kann (vgl. Schmidt-Futterer/Börstinghaus 14. Aufl., 2019, BGB, § 559 Rn 104f).
aa) Stellt man hier auf ein Haushaltsnettoeinkommen in Höhe von 2.167, 36 € ab März 2019 ab, also ein Einkommen der Mieterin in Höhe von 1.906,50 € abzgl. 143,40 € und ein Einkommen ihres Ehemannes in Höhe von 404,26, so umfasst die Warmmiete nach Mieterhöhung (853, 02 + 118 +75 +1,02 = 1.047,04 €) 48,3 % des Haushaltsnettoeinkommens. Für den allgemeinen Lebensunterhalt verbleiben somit monatlich 1.120,32 € für beide Eheleute. Der Klägerin steht kein Wohngeld zu. Dies hat sie unter Vorlage der Wohngeldberechnung des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf vom 10.7.2018 vorgetragen, weil die Nettokaltmiete die maßgebliche Höhe von 526,00 € übersteigt. Diesen Vortrag hat die Beklagte nicht in erheblicher Weise bestritten.
Vor der Mieterhöhung zahlte die Mieterin beispielsweise im Juni 2018 eine Warmmiete in Höhe von 733,84 € (573,84 €+ 160 €). Ihr stand ein Einkommen in Höhe von 2.507,01 (ohne Berücksichtigung der Steuernachzahlung) bzw. zusammen mit dem Einkommen ihres Ehemannes ein Nettohaushaltseinkommen in Höhe von 2.911,27 € zur Verfügung. Somit verblieben monatlich 2.177,43 € für beide Eheleute. Die Warmmiete betrug rund 25,2 % des Haushaltsnettoeinkommens.
Der Betrag in Höhe von 1.120,32 € (verbleibendes Haushaltsnettoeinkommen bei Zahlung der erhöhten Miete) liegt unter dem gemäß § 32 a Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerfrei zu stellenden Existenzminimum von derzeit monatlich 784,00 € bzw. im Jahr 2019 monatlich 764,00 € für jeden der Eheleute. Wenngleich die Wohnkosten im Rahmen der Steuerfreiheit nach § 32 a Abs. 1 Nr. 1 EStG unberücksichtigt bleiben und erst nachträglich das (gegebenenfalls) versteuerte Einkommen mindern, so spricht hier die deutliche Unterschreitung des als steuerliches Existenzminimum angesehenen Betrages nach der Mieterhöhung dafür, dass die Mieterin an ihrem bisherigen Lebenszuschnitt nicht ohne wesentliche Einschränkungen festhalten kann.
bb) Besteht bei einem Mieter eine solche nicht zu rechtfertigende Härte, lässt dies das Mieterhöhungsrecht nur bis zu der dann festzustellenden Belastbarkeitsgrenze und nicht etwa vollkommen entfallen, was aus der gesetzlichen Formulierung des § 559 Abs. 4 BGB folgt („soweit“).
Die Kammer folgt dem Amtsgericht nicht, soweit es ausgeführt hat, dass keine Teil-Mieterhöhung zu erfolgen habe, weil die Wohnwertverbesserung durch den Fahrstuhl nur minimal sei. Die Mieterin wohnt im 2. Obergeschoss und muss ohne Fahrstuhl zwei Treppen hoch- oder hinunterlaufen. Mit dem Fahrstuhl kann die Mieterin insgesamt eine Etage zu ihrer Wohnung fahren; sie muss eine halbe Treppe zum Fahrstuhl und dann eine halbe Treppe zu ihrer Wohnung hoch- oder hinunterlaufen. Dies stellt einen Gewinn an Komfort dar, da sie insgesamt eine Treppe weniger laufen kann und beispielsweise schwere Sachen nicht zwei Etagen hoch- oder hinuntertragen muss.
Allerdings wird die Belastbarkeitsgrenze vorliegend bei jeglicher Mieterhöhung überschritten. Denn nach Abzug von 733,94 € (bisherige Miete) von dem Haushaltsnettoeinkommen in Höhe von 2.167,36 € verbleiben ihr 1.433,52 €. Dieser Betrag liegt bereits unter dem gemäß § 32 a Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerfrei zu stellenden oben genannten Existenzminimum beider Eheleute.
5. Möglicherwiese wäre die Mieterin verpflichtet, vorübergehend bis zum Pensionsbeginn, nämlich für den Zeitraum Juli 2018 bis Februar 2019, die erhöhte Miete bis zur Belastbarkeitsgrenze zu zahlen. Ob überhaupt eine zeitweilige Verpflichtung zur Entrichtung einer erhöhten Miete bestehen kann, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden.
6. Grundsätzlich wäre unter Berücksichtigung des Interesses des Vermieters, die erhöhten Betriebskosten auf alle Mieter umzulegen, auch zu erwägen, ob der Mieterin zugemutet werden kann, zumindest die erhöhten Betriebskosten zu tragen. Vorliegend dürfte dies aber aufgrund der oben unter Ziffer 1. ausgesprochenen Zweifel an der formellen Wirksamkeit der Erhöhung der Betriebskosten nicht in Betracht kommen. …
25.11.2020