Leitsatz:
Das Gericht kann in einer Mietsache zwar nicht bestimmte medizinische Maßnahmen anordnen. Es kann aber anregen, dass der Mieter seinen Obliegenheiten nachkommen und sich ärztlich behandeln lassen möge, um ein Räumungshindernis abzustellen. Hierzu können auch therapeutische Maßnahmen gehören, damit der Mieter „für eine Zwangsräumung ertüchtigt wird“.
LG Berlin vom 13.1.2021 – 64 S 11/20 –
Mitgeteilt von RA Andreas Flitz
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Im Räumungsprozess hatte das Gericht die Wirksamkeit der vermieterseitigen Eigenbedarfskündigung und das Ende des Mietverhältnisses festgestellt. Es ging nur noch um die Frage, ob und wenn ja, wie lange das Mietverhältnis aufgrund der sogenannten Sozialklausel des § 574 BGB fortzusetzen ist.
Das Gericht ging davon aus, dass die Räumungsverurteilung für den Mieter eine unzumutbare Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 BGB bedeuten würde. Es stützte sich dabei auf die Beurteilung der Sachverständigen, die Suizidankündigung des Mieters sei ernst zu nehmen. Nach dem Gutachten sei das Leben des Mieters durch eine Räumungsverurteilung substanziell gefährdet. Die Interessen des Vermieters hätten demgegenüber zurückzustehen.
Gleichwohl sei vorliegend allerdings keine unbefristete Fortdauer des Mietverhältnisses anzuordnen. Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 22.5.2019 – VIII ZR 180/18) habe jüngst betont, dass § 574 a BGB bei Vorliegen einer Härte im Regelfall nur eine befristete Fortsetzung des Mietverhältnisses vorsehe; gerade wenn – wie auch vorliegend – auf Seiten des Vermieters ein dringender Wohnbedarf bestehe, sei sorgfältig zu prüfen, ob eine unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses angeordnet werden soll.
Gegen eine unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses spreche vorliegend die Einschätzung der Sachverständigen, der Mieter könne sich durch eine Psychotherapie auf die Räumung der Wohnung vorbereiten; eine solche Therapie könne es ihm ermöglichen, sich konstruktiv mit der Beendigung des Mietverhältnisses auseinanderzusetzen („Ertüchtigung zur Zwangsräumung“). Auch könnten konkrete Suizidabsichten durch eine solche Therapie verhindert oder jedenfalls rechtzeitig erkennbar gemacht werden. Nachdem die Beendigung des Mietverhältnisses gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nunmehr feststehe, der Mieter dem Vermieter mithin gemäß § 546 Abs. 1 BGB zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verpflichtet sei, dürfe er sich der nach fachlicher Einschätzung der Sachverständigen erfolgversprechenden medizinischen Behandlung nicht grundlos verweigern. Die angeordnete Fortsetzung des Mietverhältnisses um 24 Monate sei nach Einschätzung des Gerichts erforderlich, aber auch ausreichend, um es dem Mieter zu ermöglichen, eine geeignete Therapie wahrzunehmen.
Urteilstext
Gründe
I.
Die Kläger sind seit ihrer Grundbucheintragung als Eigentümer der Wohnung am 22. Juni 2017 Vermieter, der Beklagte ist seit dem Jahr 2002 Mieter der im Tenor bezeichneten Wohnung. Die Kläger erklärten mit Schreiben vom 30. Juni 2017 die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs, der Beklagte widersprach der Beendung des Mietverhältnisses mit Schreiben des Mietervereins vom 11. Januar 2018 und berief sich auf Härtegründe.
Das Amtsgericht hat Zeugenbeweis über die Eigenbedarfsgründe erhoben und ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, um dem Härteeinwand nachzugehen. Es hat sodann die Räumungsklage abgewiesen und die unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses angeordnet. …
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im ersten Rechtszug erwarben die Kläger die vorliegende und die Nachbarwohnung in der Absicht, beide Wohnungen zu einer großen Wohnung zusammen zu legen und dort einzuziehen.
Die Kläger machen mit der Berufung geltend, der Beklagte habe den Beweis für eine ihm drohende Härte nicht erbracht. Das Gutachten könne die Feststellung des Amtsgerichts, ein Räumungsurteil werde mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit zu einer Verschlechterung der psychischen Situation des Beklagten und zu einer Suizidgefahr führen, nicht tragen; es liege nicht einmal eine medizinisch gesicherte ernsthafte psychische Erkrankung vor. Insbesondere stehe nicht fest. dass der Beklagte in der Vergangenheit Suizidversuche unternommen habe. Die Kläger hätten nicht nur dies, sondern auch die übrigen vom Amtsgericht in Bezug genommenen Risikofaktoren zulässig bestritten, ohne dass das Amtsgericht dem nachgegangen sei. Jedenfalls habe die Sachverständige aufgezeigt, dass sich etwaige Risiken für den Beklagten durch eine Psychotherapie beherrschen ließen, durch die der Beklagte auf die Räumung vorbereitet werden könne. Nachdem der Beklagte sich grundlos einer solche Behandlung verweigere, könne er sich auf die nur deswegen drohende Härte nicht berufen.
Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2020 eine fristlose Kündigungserklärung vom 26. November 2020 eingeführt; der Beklagte habe im Prozess und gegenüber hier gerichtlich bestellten Sachverständigen unwahre Angaben über seinen Gesundheitszustand und den Behandlungsverlauf gemacht, um eine Härte vorzutäuschen.
Mit Schriftsatz vom 8. Januar 2020 haben die Kläger erneut die Kündigung des Mietverhältnisses erklärt. Der Beklagte habe sie beleidigt, indem er die fristlose Kündigung vom 26. November 2020 als „unanständig, kindisch und böse“ zurückgewiesen habe.
Die Kammer hat ergänzend Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der Zeugin B.. …
II.
1.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511,517, 519, 520 ZPO.
2.
Die Berufung ist im Ergebnis unbegründet; allerdings ist das Mietverhältnis gemäß §§ 574, 574 a BGB nicht unbefristet, sondern befristet bis zum 31. Januar 2023 zu unveränderten Bedingungen fortzuführen. Soweit die Kläger meinen, der Beklagte könne sich auf Härtegründe nicht wirksam berufen, solche seien nicht hinreichend festgestellt, bleibt die Berufung ohne Erfolg. Die im Verlaufe des Berufungsrechtszugs erklärten Mietvertragskündigungen haben das Mietverhältnis nicht beendet.
a)
Dass die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB wegen Eigenbedarfs der Kläger formell und materiell wirksam war, steht nach der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht mehr in Frage; der Beklagte hat keine Anschlussberufung eingelegt und bezweifelt im zweiten Rechtszug nicht mehr, dass die Kläger die Wohnung mit der Nachbarwohnung zusammenlegen und sodann selber dort einziehen wollen.
b)
Das Amtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Räumungsverurteilung für den Beklagten eine unzumutbare Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 BGB bedeuten würde. Die Beurteilung der Sachverständigen, die Suizidankündigung des Beklagten sei ernst zu nehmen, beruht auf zutreffender Tatsachengrundlage und ist nachvollziehbar begründet. Das Gutachten trägt die Feststeilung des Amtsgerichts, dass das Leben des Beklagten durch eine Räumungsverurteilung substantiell gefährdet wäre. Die Interessen der Kläger haben dem gegenüber zurückzustehen. Darauf, dass die Kläger bei dem Ankauf der Wohnung um das Bestehen eines Mietverhältnisses wussten, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Ihr Vorhaben, beide Mietverhältnisse der benachbarten Wohnungen zu beenden, um diese zu einer großen Familienwohnung umzubauen und dort einzuziehen, ist weder moralisch verwerflich noch rechtlich zu missbilligen; der Kauf der gemieteten Wohnungen mindert auch nicht das durch Art. 14 GG gestützte Gewicht ihres Eigenbedarfs und ihres berechtigten Interesses, die gerade zu diesem Zweck erworbenen Wohnungen nunmehr als Heim ihrer Familie herzurichten und selbst zu nutzen. Das Interesse der Kläger ist auch dringlich; die Kammer vermag nachzuvollziehen, dass die bisher genutzte Mietwohnung für die Bedürfnisse der Kläger ungünstig gelegen und für die wachsende Familie zu klein ist. Der Schutz des Lebens des Beklagten genießt aber Vorrang; die berechtigten Interessen der Kläger rechtfertigen es nicht, ihn substantieller Todesgefahr auszusetzen.
Die Rüge der Kläger, das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten vom 6. März 2019 sei nicht verwertbar, weil ihre Zweifel an den von der Sachverständigen zu Grunde gelegten Tatsachen nicht widerlegt seien, bleibt ohne Erfolg. Insbesondere hält die Kammer die persönliche Einlassung des Beklagten vom 26. März 2019 im ersten Rechtszug, sein zweiter Suizidversuch habe am ersten Todestag seines im Januar 2002 verstorbenen Lebenspartners stattgefunden, durch die im zweiten Rechtszug eingeführte ärztliche Bescheinigung vom 7. Januar 2003 für hinreichend belegt und geht davon aus, dass der Beklagte in der Vergangenheit tatsächlich den Freitod suchte. Die Spekulation der Kläger, der Beklagte könne dem damals behandelnden Arzt einen Suizidversuch lediglich vorgetäuscht haben, ist haltlos; ein Motiv für ein solches Verhalten des Beklagten im Jahr 2003 ist nicht ersichtlich. Den Zweifeln der Kläger an der Authentizität der vorgelegten Kopie des Attests ist nicht nachzugehen; der implizite Vorwurf, der Beklagte habe die Urkunde gefälscht und als Fotokopie vorgelegt, erfolgt ins Blaue hinein.
Die Angabe des Beklagten gegenüber der Sachverständigen, er sei bei der Zeugin B. seit August 2013 „wegen seiner Trauer und seiner Depression“ in Behandlung gewesen, deckt sich mit seiner erstinstanzlichen Einlassung vom 6. April 2018, er sei schon seit 2013 „wegen meiner chronischen Trauer“ in Behandlung. Sie trifft ausweislich des Attests der Zeugin vom 5. Oktober 2017 auch zu. Die Zeugin verweist dort auf eine „depressive Grundstimmung“ des Beklagten. Auch in ihrer schriftlichen Aussage vom 25. August 2020 ist von „depressiven Dekompensationen“ in der Vergangenheit und von „depressiv-suizidalen lmpulsen“ im Verlaufe der Behandlung die Rede. Soweit die Kläger der ergänzenden Aussage der Zeugin vom 26. Oktober·2020 entnehmen, dass diese keine Medikation zur Bekämpfung einer akuten Depression verschrieben habe, ist das unerheblich. Die Sachverständige geht von einer wiederkehrenden („rezidivierend“) depressiven Störung des Beklagten aus, die ihn aktuell nicht erheblich beeinträchtige („gegenwärtig remittiert“); dies widerspricht weder den eingeführten Attesten noch der schriftlichen Aussagen der Zeugin.
Unerheblich ist auch, dass der Beklagte seit Januar 2018 nicht mehr durch die Zeugin B. persönlich, sondern ausweislich ihrer Angaben vom 25. August 2020 durch ihre „Krankheitsvertretung Frau Dr. C.“ und seit Abgabe der Praxis 04/2020… den Praxisnachfolger Dr. J.“ betreut wurde. Die Sachverständige legt zu Grunde, dass der Beklagte „seit dem Jahr 2013 in ambulanter psychiatrischer Behandlung“ sei und etwa „alle vier Wochen zu seiner Psychiaterin“ gehe. Dass der Beklagte die Praxis der Zeugin regelmäßig aufsuchte, steht für den Zeitraum bis zur Vorlage des Sachverständigengutachtens außer Zweifel, auch wenn sich die Zeugin B. ab Januar 2018 durch eine andere Ärztin vertreten ließ; die Zeugin hat ihre Praxis erst nach Verkündung des angefochtenen Urteils aufgegeben.
Soweit die Sachverständige schließlich ausführt, „eine Psychotherapie über zwei Jahre“ sei subjektiv nicht erfolgreich gewesen, ist auch dagegen nichts zu erinnern. Der Beklagte hat durch die Bescheinigung des Psychotherapeuten I. vom 13. Mai 2015 belegt, dass dieser ihn über zwei Jahre hinweg therapierte. Soweit die Zeugin B. in ihrer ergänzenden Aussage vom 26. Oktober 2020 zwischen der offenbar stattgehabten ambulanten „verhaltenstherapeutischen Behandlung“ und einer „tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie“ unterscheidet, lassen sich beide Behandlungsansätze unter den Begriff der „Psychotherapie“ fassen und ist deswegen nicht ersichtlich, dass die Sachverständige ihrer Beurteilung einen unzutreffenden Sachverhalt zu Grunde gelegt hätte.
c)
Der Beklagte ist nicht deswegen nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB mit der Berufung auf eine besondere persönliche Härte ausgeschlossen, weil er ihm zuzumutende Behandlungsmaßnahmen unter Verletzung der ihm gegenüber den Klägern obliegenden Pflichten zur Rücksichtnahme nicht wahrgenommen hätte. Zwar hat die Sachverständige in ihrem Ergänzungsgutachten ausgeführt, der Beklagte könne durch eine Psychotherapie auf eine bevorstehende Räumung vorbereitet und hinreichend stabilisiert werden, um einen drohenden Suizid abzuwenden. Das bedeutet entgegen der Ansicht der Kläger aber nicht, dass der Beklagte Pflichten aus dem Mietverhältnis verletzt hätte, indem er eine ihm im Jahre 2015 angebotene tiefenpsychologische Behandlung nicht aufnahm und sich auch nach Zugang der Kündigung im Juni 2017 nicht um ergänzende ärztliche Hilfe bemühte. Den Beklagten traf keine allgemeine Pflicht, sich psychisch möglichst gesund zu halten oder gar durchgehend dafür Sorge zu tragen, dass er einer etwaigen Eigenbedarfskündigung fristgerecht Folge leisten könne. Soweit er nach Zugang des Kündigungsschreibens objektiv Anlass gehabt haben mag, neben rechtlicher auch ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um sich auf den denkbaren Fall einer Räumungsverurteilung vorzubereiten, ist nicht festzustellen, dass ihm das Unterlassen einer solchen Reaktion im Sinne eines Verschuldens gegen sich selbst subjektiv vorwertbar wäre. Die Sachverständige führt vielmehr aus, dass bei dem Beklagten eine „positive Selbstwirksamkeitserwartung“ vorliege und er subjektiv davon ausgehe, die als Bedrohung empfundene Räumungspflicht abwenden zu können. Es ist auch nicht festzustellen, dass die Zeugin B. oder andere behandelnde Ärzte dem Beklagten dazu geraten hätten, sich durch ergänzende medizinische Maßnahmen auf eine etwaige Räumungsverurteilung vorzubereiten.
d)
Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist vorliegend allerdings keine unbefristete Fortdauer des Mietverhältnisses anzuordnen. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 22. Mai 2019 (vgl. BGH – VIII ZR 180/18 -, Urt. v. 22.05.2019, BGHZ 222, 133 ff, Rn. 69) betont, dass § 574 a BGB bei Vorliegen einer Härte im Regelfall nur eine befristete Fortsetzung des Mietverhältnisses vorsieht; gerade wenn – wie auch vorliegend – auf Seiten des Vermieters ein dringender Wohnbedarf besteht, ist sorgfältig zu prüfen, ob eine unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses angeordnet werden soll.
Gegen eine unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses spricht die Einschätzung der Sachverständigen, der Beklagte könne sich durch eine Psychotherapie auf die Räumung der Wohnung vorbreiten; eine solche Therapie könne es ihm ermöglichen, sich konstruktiv mit der Beendigung des Mietverhältnisses auseinanderzusetzen. Auch könnten konkrete Suizidabsichten durch eine solche Therapie verhindert oder jedenfalls rechtzeitig erkennbar gemacht werden. Nachdem die Beendigung des Mietverhältnisses gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nunmehr feststeht, der Beklagte den Klägern mithin gemäß § 546 Abs. 1 BGB zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verpflichtet ist, darf er sich der nach fachlicher Einschätzung der Sachverständigen erfolgversprechenden medizinischen Behandlung nicht grundlos verweigern. Das Gericht kann in einer Mietsache zwar nicht bestimmte medizinische Maßnahmen anordnen. Es kann aber anregen, dass eine Partei ihren Obliegenheiten nachkommen und sich ärztlich behandeln lassen möge, um ein Räumungshindernis abzustellen (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, § 574 BGB Rn. 48, zitiert nach beck-online). Von dieser Möglichkeit macht die Kammer Gebrauch. Die angeordnete Befristung des Mietverhältnisses ist nach Einschätzung der Kammer erforderlich, aber auch ausreichend, um es dem Beklagten zu ermöglichen, eine geeignete Therapie wahrzunehmen.
Die befristete Fortsetzung des Mietverhältnisses erfolgt aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils zu unveränderten Bedingungen. Nur klarstellend weist die Kammer darauf hin, dass es dem Beklagten ungeachtet der zur Abwendung einer unzumutbaren Härte angeordneten Befristung möglich bleibt, das Mietverhältnis unter Wahrung der gesetzlichen Fristen ordentlich zu kündigen und es so auch schon vor Ablauf der Frist zu beenden.
e)
Die Kündigungserklärung vom 26. November 2020 hat das Mietverhältnis nicht beendet; ein Grund zur fristlosen Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB oder zur ordentlichen Kündigung wegen Vertragsverletzung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt nicht vor. Der Vorwurf der Kläger, der Beklagte habe wider besseren Wissens falsch vorgetragen, um einen Härtegrund vorzuspiegeln, trifft nicht zu.
Zwar hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 26. September 2019 folgendes vortragen lassen: „Soweit die Gutachterin anregt, den Beklagten durch therapeutische Maßnahmen für eine Zwangsräumung zu ertüchtigen, wird mitgeteilt, dass die den Beklagten langjährig behandelnden Therapeuten hiervon abraten, ganz abgesehen davon, dass sich auch der Beklagte selbst hierzu weder bereit noch in der Lage sieht.“ Richtig ist auch, dass die Zeugin B. die Frage der Kläger verneint hat, ob sie oder die nachbehandelnden Ärzte Dr. C. und Dr. J. dem Beklagten davon abgeraten hätten, sich durch therapeutische Maßnahmen in die Verfassung für einen Umzug bringen/ertüchtigen zu lassen.
Ein vorsätzlich falscher Tatsachenvortrag des Beklagten in Täuschungsabsicht lässt sich gleichwohl nicht feststellen. Der ergänzenden Aussage der Zeugin B. vom 26. Oktober 2020 ist zu entnehmen, dass diese die im Jahr 2015 getroffene Entscheidung des Beklagten gegen eine „tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie“ offenbar nicht aktiv kritisierte, sondern mittrug. Eben eine solche Behandlung hat die Sachverständige nunmehr aber empfohlen. Das schlichte „nein“ der Zeugin auf die Frage der Kläger belegt mithin nicht, dass der Vortrag des Beklagten wider besseren Wissens erfolgt wäre, zumal der Beklagte im Schriftsatz vom 26. September 2019 unumwunden eingeräumt hat, dass er ganz unabhängig von einem Rat seiner Ärzte nicht zu einer „Ertüchtigungstherapie“ bereit wäre. In seiner Einlassung vom 5. Dezember 2020 führt er dazu folgendes aus: „Ich habe mich zu Recht darüber empört, wegen des Rechtsstreits, der mich ohnehin extrem belastet auch noch etwaige therapeutische Maßnahmen erdulden zu müssen, um mich „für eine Zwangsräumung zu ertüchtigen“. Das Zitat löste bei mir an sich schon einen Brechreiz aus.“
Hinsichtlich der übrigen von den Klägern ausgemachten Diskrepanzen zwischen den Angaben des Beklagten gegenüber der Sachverständigen und den Antworten der Zeugin B. wird auf die obigen Ausführungen unter b) verwiesen; ein Versuch der arglistigen Täuschung oder eine unredliche Prozessführung ist dem Beklagten nicht vorzuwerfen.
f)
Der Kündigungserklärung im Schriftsatz vom 8. Januar 2020 gebricht es schließlich zwar nicht schon an der nach § 568 Abs. 1 BGB erforderlichen Form. Gemäß § 126 Abs. 3 BGB kann die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden, sofern sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Der Norm des § 568 Abs. 1 BGB ist aber nicht zu entnehmen, dass die elektronische Form schlechthin ausgeschlossen wäre (vgl. Tiedemann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 568 BGB (Stand: 01.02.2020), Rn. 35 m.w.N.; a.A Lützenkirchen in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 568 BGB, Rn. 5). Der Schriftsatz vom 8. Januar 2020 ist von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger wirksam elektronisch unterzeichnet und dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten gemäß § 195 ZPO in elektronischer Form unmittelbar zugestellt worden.
Es fehlt aber an einem Kündigungsgrund. Die Kritik des Beklagten an der unbegründeten fristlosen Kündigung und dem prozessualen Verhalten der Kläger ist zwar überspitzt und emotional geprägt aber nicht im öffentlichen Raum, sondern im Rahmen des Rechtsstreits zur Wahrnehmung berechtigter Interessen geäußert worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist sie als zulässige Meinungsäußerung einzuordnen; die Grenze der Schmähkritik ist durch die Abwertung der Kündigungserklärung als „unanständig, kindisch und böse“ nicht überschritten. Soweit der Beklagte den Klägern „Unmenschlichkeit“ und „fehlendes Einfühlungsvermögen“ vorwirft, handelt es sich um Werturteile, die offensichtlich nicht in erster Linie auf eine Herabsetzung der Kläger gerichtet sind, sondern einer auch emotionalen Betroffenheit des Beklagten Ausdruck verleihen. Entsprechendes gilt für seine Wertung, die Kläger würden ihn „provozieren, quälen und einschüchtern“.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Anlass, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, besteht nicht. Grundsätzliche, ihrer Bedeutung nach über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfragen sind nicht betroffen. Eine Revisionszulassung zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist ebenfalls nicht geboten; obergerichtliche Entscheidungen, von deren Rechtssätzen die Kammer mit dem vorliegenden Urteil abweicht, haben die Kläger nicht aufgezeigt und sind der Kammer auch nicht bekannt.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2, 41 Abs. 2 GKG.
28.03.2022