Leitsatz:
Auch wenn ein Mieter seine Behauptung, ihm sei ein Umzug wegen einer bestehenden Erkrankung nicht zuzumuten, unter Vorlage bestätigender ärztlicher Atteste geltend macht, ist im Falle des Bestreitens dieses Vortrags regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Art, dem Umfang und den konkreten Auswirkungen der beschriebenen Erkrankung auf die Lebensführung des betroffenen Mieters im Allgemeinen und im Falle des Verlusts der vertrauten Umgebung erforderlich.
BGH vom 28.4.2021 – VIII ZR 6/19 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 22 Seiten]
Vorliegend hat der BGH ein Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, in dem das Landgericht auf den Härteeinwand des Mieters angeordnet hatte, dass das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis zu den bisherigen Vertragsbedingungen auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werde.
Der Mieter hatte hier gegen eine an sich wirksame Eigenbedarfskündigung unter Vorlage von Attesten eine gesundheitliche Härte eingewandt.
Noch nicht zu beanstanden sei – so der BGH –, dass das Berufungsgericht auch das Alter des Mieters und dessen auf mehr als dreißigjähriger Mietdauer beruhende Verwurzelung in der Wohnungsumgebung in seine Beurteilung, ob ein Härtegrund vorliege, miteinbezogen habe. Denn aus seinen Erwägungen werde hinreichend deutlich, dass es diese Umstände nicht bereits für sich genommen, sondern nur im Rahmen der Gesamtwürdigung mit den von ihm weiterhin bejahten gesundheitlichen Problemen als Härtegrund anerkannt habe. Damit habe es hinreichend berücksichtigt, dass sich die Faktoren Alter und lange Mietdauer mit einer damit einhergehenden langjährigen Verwurzelung im bisherigen Umfeld je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters unterschiedlich stark auswirken können und deshalb ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich noch keine Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB rechtfertigten.
Rechtsfehlerhaft sei es allerdings, dass das Berufungsgericht allein aufgrund der vom Mieter vorgelegten Atteste zu der Überzeugung gelangt sei, dieser leide unter den von ihm behaupteten Erkrankungen und sei aufgrund dessen „räumungsunfähig“.
Zwar habe der 8. Senat des BGH bereits entschieden, dass von einem Mieter, der geltend mache, ihm sei ein Umzug wegen einer schweren Erkrankung nicht zuzumuten, als medizinischem Laien über die Vorlage eines (ausführlichen) fachärztlichen Attests hinaus nicht verlangt werden könne, noch weitere – meist nur durch einen Gutachter zu liefernde – Angaben zu den gesundheitlichen Folgen, insbesondere zu deren Schwere und zu der Ernsthaftigkeit zu befürchtender gesundheitlicher Nachteile zu tätigen.
Gemessen hieran habe der Mieter seiner Substanziierungslast als derjenige, der die Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen einer für ihn unzumutbaren Härte verlange, vorliegend genügt.
Allerdings habe der Vermieter die Behauptungen des Mieters zu diesen attestierten gesundheitlichen Beeinträchtigungen wiederholt in prozessual ausreichender Weise bestritten und zum Beweis – unter Verweis auf die Beweislast des Mieters – mehrfach die Einholung eines entsprechenden gerichtlichen Sachverständigengutachtens beantragt. Auch der Mieter habe die Einholung entsprechender Gutachten angeboten, um seinerseits Beweis für die Erkrankungen zu bringen. Mithin hätte das Berufungsgericht mangels eigener Sachkunde nicht allein aufgrund der vom Mieter vorgelegten Atteste vom Bestehen der behaupteten Erkrankungen ausgehen dürfen, sondern hätte vielmehr ein entsprechendes gerichtliches Sachverständigengutachten einholen müssen.
Dabei seien nicht nur Feststellungen zu der Art und dem Ausmaß der Erkrankungen sowie den damit konkret einhergehenden gesundheitlichen Einschränkungen, sondern auch zu den konkret feststellbaren oder zumindest zu befürchtenden Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsels zu treffen, wobei im letzteren Fall auch die Schwere und der Grad der Wahrscheinlichkeit der zu befürchtenden gesundheitlichen Einschränkungen zu klären sei. Erst dies versetze den Tatrichter in einem solchen Fall in die Lage, sich einerseits zu der bestehenden Erkrankung und andererseits von den Konsequenzen, die für den Mieter mit dem Umzug verbunden seien, ein ausreichendes Bild zu machen und diese anschließend im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB notwendigen Abwägung sachgerecht zu gewichten.
Schließlich habe das Berufungsgericht auch seine Prognoseentscheidung bezüglich eines möglichen Wegfalls der Härtegründe (§ 574 a Abs. 2 Satz 2 BGB) bislang nicht mit Tatsachen untermauert. Außerdem ließen seine Ausführungen befürchten, dass es angenommen habe, die Gerichte hätten im Falle eines ungewissen Wegfalls einer bestehenden Härte zwingend eine unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses anzuordnen. Dies treffe nicht zu. Nach den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommenen Vorstellungen, die letztlich auch in die unveränderte Fassung der §§ 574 ff. BGB eingeflossen seien (vgl. BT-Drucks. 14/4553, S. 68), solle im Regelfall die Fortsetzung des Mietverhältnisses nur auf bestimmte Zeit erfolgen (BT-Drucks. V/2317, S. 2).
28.03.2022