Vor einem halben Jahrhundert wurde der Bundesrepublik ein neues soziales Mietrecht gegeben. Das Wohnraumkündigungsschutzgesetz stellt seither sicher, dass Mieter nur noch mit einem „berechtigten Interesse“ gekündigt werden dürfen und Mieterhöhungen sich an den ortsüblichen Vergleichsmieten orientieren müssen. Die Eigentümerseite hat diese Regelungen seinerzeit heftig bekämpft – mit denselben Argumenten, die sie auch heute noch gegen Mietenbeschränkungen ins Feld führt.
In den 1960er Jahren entließ die Bundesregierung immer mehr Städte und Landkreise aus der nach dem Krieg eingeführten Mietpreisbindung für Altbauten. In diesen dann sogenannten „weißen Kreisen“ stiegen die Mieten rasant an. Dazu kam, dass Ende 1968 das Mieterschutzgesetz von 1923 aufgehoben wurde, obwohl die Wohnungsnot noch keineswegs beseitigt war.
Bezahlen oder ausziehen
Die Mieter wurden dadurch schutzlos. Vermieter durften jederzeit ohne Angabe von Gründen kündigen. Dies haben Hauswirte insbesondere für die sogenannte Änderungskündigung genutzt: Sie schickten den Mietern eine Kündigung und unterbreiteten gleich einen neuen Mietvertrag mit einer höheren, nach oben nicht begrenzten Miete. Wenn die Mieter diese nicht zahlen konnten oder wollten, mussten sie raus.
Der Deutsche Mieterbund (DMB) hat im Jahr 1970 beobachtet, dass in den Ballungsgebieten die Altbaumieten seit 1962 um 150 Prozent gestiegen waren. Er forderte deshalb ein „neues soziales Mietrecht“. Sein Vorsitzender Paul Nevermann erkannte die Möglichkeit zu einem mietenpolitischen Kurswechsel, als 1969 eine SPD/FDP-Regierung unter Bundeskanzler Willy Brandt das Ruder übernahm.
SPD und FDP haben sich im November 1970 auf einen Gesetzentwurf geeinigt: Der Eigentümer darf nur bei „berechtigtem Interesse“ kündigen. Dafür wird ihm das Recht zugestanden, die Miete durch einseitige Erklärung an die „ortsübliche Vergleichsmiete“ anzupassen. Der DMB kritisierte zwar die Möglichkeiten zur Mieterhöhung, begrüßte das Gesetz aber als einen „ersten Durchbruch zu einem Dauermietrecht“. Der Zentralverband der Deutschen Haus- und Grundeigentümer („Haus & Grund“) warnte hingegen vor einer Wiedereinführung der Wohnungszwangswirtschaft. „Wer das beabsichtigt, der will den Anfang setzen für das Ende der Demokratie, der Freiheit und der Marktwirtschaft“, erklärte der damalige Haus & Grund-Präsident Victor-Emanuel Preusker. Die neuen Vorschriften würden die dringend notwendige Modernisierung des älteren Wohnungsbestandes behindern und zur Verschärfung des örtlichen Wohnungsmangels führen.
Gegen den Widerstand von CDU/CSU im Bundestag und Bundesrat wurde das Gesetz im November 1971 verabschiedet. Es trat am 1. Januar 1972 in Kraft. Schon im Februar berichtet der DMB, dass Vermieter nun deutlich weniger Kündigungen aussprechen. Das neue Kündigungsschutzgesetz habe „den Mietern wieder Sicherheit in ihrer Wohnung gegeben“, so Nevermann.
Weil das Gesetz aber bis Ende 1974 befristet war, musste der DMB dafür kämpfen, dass der Kündigungsschutz zum Dauerrecht wird.
Im Oktober 1974 beschloss der Bundestag, dass die Kündigungsschutz-Regelungen in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen werden und damit auf Dauer gültig sind. Das Mieterhöhungsverfahren wurde in einem eigenen Miethöhegesetz festgeschrieben. Neu ist darin, dass zur Begründung einer angemessenen Mieterhöhung neben Sachverständigengutachten und Vergleichswohnungen auch Mietspiegel benutzt werden können. Aus Sicht des DMB war das eine „Sternstunde für die Mieter“.
Jens Sethmann
Sonderfall West-Berlin
In West-Berlin hat das Kündigungsschutzgesetz erst ab 1976 gegriffen, denn wegen der besonders großen Wohnungsnot galt hier das Mieterschutzgesetz von 1923, mit dem die Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters noch bis Ende 1975 stark eingeschränkt waren. Das neue Gesetz galt wiederum nur für privat finanzierte Neubauwohnungen ab Baujahr 1948. Das waren vergleichsweise wenig, denn in Berlin baute man überwiegend mit der Förderung des Sozialen Wohnungsbaus. Für Altbauten galt eine Mietpreisbindung noch bis 1987. Danach etablierte sich auch in West-Berlin das 1972 geschaffene Vergleichsmietensystem.
js
26.10.2021