Die Energiekosten gehen hierzulande wie in ganz Europa durch die Decke. Bezieher niedriger Einkommen stehen damit vor großen finanziellen Problemen. Die Politik muss handeln. Das MieterMagazin hat sich umgesehen, was Verbände jetzt fordern und wie andere Länder mit der Situation umgehen.
Die kalte Jahreszeit ist da. Wer kann, macht es sich zu Hause in der warmen Wohnung auf dem Sofa gemütlich. Doch für immer mehr Menschen werden die steigenden Energiekosten zum Problem. „Der aktuell massive Preisanstieg bei den fossilen Energieträgern Öl und Gas wird das Heizen in diesem Winter massiv verteuern. Hinzu kommt zum 1. Januar 2022 die zweite Stufe der CO2-Bepreisung“, erklärt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV). Dies werde zu deutlichen Heizkosten-Nachzahlungen führen und Mieter mit niedrigem Einkommen stark belasten.
Eine aktuelle Untersuchung des Vergleichsportals Verivox kommt zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel (67,4 Prozent) der Deutschen in diesem Winter weniger heizen wollen. Mehr als 70 Prozent empfinden die gestiegenen Energiekosten als finanzielle Belastung. Zahlreiche Verbände äußern die Sorge, dass viele Menschen im Winter in kalten Wohnungen sitzen könnten, weil die Geldbörse schlicht nichts anderes zulässt. Denn neben den Heizkosten explodieren auch die Strom- und Benzinpreise.
Andere EU-Länder sind noch härter betroffen
Andere Länder trifft die Kostenexplosion noch härter. Deutsche Händler haben meist längerfristige Verträge mit Gaslieferanten geschlossen, in vielen anderen europäischen Ländern ist dies nicht der Fall. Viele Regierungen handeln daher bereits: Insgesamt milderten 19 der 27 EU-Länder die Folgen der gestiegenen Kosten für Haushalte und Firmen ab, schreibt tagesschau.de.
Nach den Erfahrungen mit den „Gelbwesten“-Protesten handelt Frankreich beherzt und will Bürgern, die weniger als 2000 Euro netto monatlich verdienen, pauschal 100 Euro steuerfrei ausbezahlen. Außerdem sollen die Gaspreise das kommende Jahr über gedeckelt werden. Italiens Ministerpräsident Draghi wiederum hat angekündigt, mehrere Milliarden in die Hand zu nehmen, um die von den hohen Energiekosten betroffenen Privathaushalte durch Steuersenkungen zu entlasten. Die polnische Regierung sieht das Hauptproblem im EU-Emissionshandel und fordert ein Umdenken. Auch Spanien sieht die EU in der Pflicht und fordert Maßnahmen, etwa eine Reform des Strom- und Gasmarktes.
Allerdings konnten sich die Mitgliedsstaaten bei einem Treffen im Oktober auf kein gemeinsames Vorgehen einigen – die Energiemärkte in den einzelnen Ländern unterschieden sich laut EU-Energiekommissarin Kadri Simson zu stark. Bei dem Treffen wurde deutlich: Südeuropäische Länder wie Spanien, Griechenland und Frankreich wünschen sich Eingriffe in die Märkte, während Deutschland und die Niederlande dies ablehnen und kurzfristige Maßnahmen für ausreichend halten. Zuvor hatte die EU eine „Toolbox“ mit Maßnahmen vorgestellt und die einzelnen Mitgliedsländer aufgefordert, diese umzusetzen. Dieser Werkzeugkoffer umfasst unter anderem eine Einkommensunterstützung in Form von Gutscheinen oder die teilweise Begleichung von Energierechnungen, Zahlungsaufschübe für Strom- und Heizkosten oder Maßnahmen zum Schutz vor Stromabschaltungen und anderen Netztrennungen.
Mit gut 80 Prozent wünscht sich auch die Mehrheit der Deutschen entsprechende Sofortmaßnahmen der Bundesregierung – zu diesem Ergebnis kommt die Verivox-Erhebung. Die Bundesregierung reagierte auf den aktuellen marktgetriebenen Kostensprung noch nicht, lediglich wegen der CO2-Bepreisung gab es eine Wohngelderhöhung und eine Anpassung der Pendlerpauschale für Fernpendler. Weitere kurzfristige bundesweite Maßnahmen müssten von der neuen Bundesregierung geprüft werden, heißt es.
Steuern auf Brennstoffe senken?
Vielen gehen die Maßnahmen nicht weit genug. Der Städte- und Gemeindebund etwa sieht zwei gangbare Wege: Der Bund könne zeitweise entweder auf die Strom- und Gassteuer und die Umsatzsteuer, die auf Strom, Benzin und Gas entfällt, verzichten. Dies würde sich preislich deutlich bemerkbar machen, denn Steuern und sonstige Abgaben belaufen sich beim Strom auf satte 40 Prozent, beim Gas auf mehr als 30 Prozent. Der Verband vergleicht das Vorgehen mit der Absenkung der Mehrwertsteuer während der Corona-Pandemie. Temporäre Steuersenkungen erhielten auch in der Verivox-Befragung den meisten Zuspruch – knapp die Hälfte der Befragten war dafür. Ein anderer Weg bestünde laut Städte- und Gemeindebund darin, das Wohngeld um einen Energiezuschlag zu erhöhen. Beim Wohngeld setzt auch der Sozialverband VdK an und schlägt vor, diese staatliche Leistung für Geringverdiener jährlich an die steigenden Energiekosten anzupassen.
Beim Berliner Mieterverein sieht man noch eine weitere Möglichkeit. Reiner Wild: „Zur Vermeidung der Energiearmut braucht es ab 2022 einen sinnvoll gestaffelten Zuschuss an Mieterhaushalte bei Vorlage der Heizkostenabrechnung“ – abhängig von Heizkosten, beheizter Wohnfläche und dem Haushaltseinkommen. Er solle unbürokratisch ausgezahlt werden. Vor allem aber fordert der Mieterverein, dass der CO2-Aufschlag künftig nicht mehr von den Vermietern auf die Mieter umgelegt werden kann.
Umlage der CO2-Bepreisung weiter umstritten
Der CO2-Bepreisung gilt seit Anfang 2021 für fossile Brennstoffe wie Öl, Gas und Kohle. Das Ziel der Bundesregierung ist eine „Lenkungswirkung für den Klimaschutz“: erneuerbare Energieträger sollen attraktiver, fossile unattraktiver werden. „Doch die Mieterinnen und Mieter haben keine Chance, den Wärmebedarf eines Gebäudes nachhaltig zu verringern – Dämmung, die Umstellung der Heizanlage oder gar den Einsatz erneuerbarer Energien sind dem Vermieter vorbehalten“, kritisiert der Berliner Mieterverein. Die Bundesregierung prüft aktuell eine Aufteilung der CO2-Pauschale zwischen Mietern und Vermietern.
Umweltverbände warnen davor, dass mit den Preissprüngen auch die Akzeptanz gegenüber dem „Preistreiber“ CO2-Zulage sinken könnte. Soziale Fragen und Klimaschutzaspekte dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Umweltschutzorganisation WWF schreibt: „Wenn die Debatte um hohe Energiepreise jetzt in die falsche Richtung gelenkt wird, könnten wichtige klimapolitische Instrumente, darunter die CO2-Bepreisung, im Streit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zerrieben werden. Das gefährdet auch die Energiewende.“ Kurzfristig brauche es jetzt „wirksame Mechanismen, die die steigenden Energiepreise insbesondere für ärmere Haushalte abfedern“. Langfristig helfe nur der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern gegen Preisspitzen.
Katharina Buri
Warum ist Energie jetzt so teuer?
Die Weltwirtschaft erlebt gerade eine leichte Erholung von den Auswirkungen der Corona-Pandemie, die Nachfrage nach Rohstoffen – vor allem nach Gas – wächst. Gleichzeitig sind vielerorts die Speicher- und Lagerbestände nach dem letzten, kalten Winter niedrig. Instandhaltungsarbeiten an Pipelines, die coronabedingt verschoben werden mussten, führen zu Lieferengpässen.
Hinzu kommt: Russland, eines der wichtigsten Lieferländer, bietet weniger Gas an den Börsen an als bisher. Vielerorts wird der Verdacht laut, Putin wolle die zügige Inbetriebnahme der Gas-Pipeline Nord Stream 2 dadurch vorantreiben – Russland weist dies stets zurück. Die Entwicklungen haben den Großhandelspreis von Erdgas zwischen Januar und Oktober 2021 um 440 Prozent ansteigen lassen.
kb
Welche Mehrkosten sind zu erwarten?
Zu den Mehrkosten gibt es unterschiedliche Modellrechnungen. Der Verbraucherzentrale-Bundesverband rechnet vor, dass auf einen Einfamilienhaushalt in einer 100 Quadratmeter großen Wohnung in der laufenden Heizperiode für Heizung und Warmwasser etwa 210 Euro mehr zukommen als im vergangenen Jahr – 980 statt 770 Euro. Bei einem Einfamilienhaus sind es demnach 1260 statt 990 Euro, wenn man einen Gasverbrauch von 18.000 Kilowattstunden (kWh) zugrunde legt. Betrachtet man sämtliche Energiekosten – Heizung, Strom und Mobilität –, wird der Anstieg noch gravierender. Das Vergleichsportal Verivox kommt dabei auf ein Plus von 35 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Grundlage der Rechnung ist ein Drei-Personen-Musterhaushalt mit einem jährlichen Wärmebedarf von 20.000 kWh, einem Stromverbrauch von 4000 kWh und einer jährlichen Fahrleistung von 13.300 Kilometern. Auf diesen kommen Mehrkosten von 1178 Euro jährlich (4549 Euro statt 3371 Euro) zu. Thorsten Storck, Energieexperte bei Verivox, spricht von einem „historischen Höchststand“ bei den Energiekosten. Eine aktuelle Verivox-Untersuchung kommt außerdem zu dem Schluss, dass Deutschland die teuersten Strompreise der Welt hat.
kb
Tipps zum Senken der Heizkosten unter
www.verbraucherzentrale.de/wissen/energie/heizen-und-warmwasser/heizung-10-tipps-zum-heizkosten-sparen-13892
Welche Stromsparpotenziale gibt es im Haushalt?
Infos unter www.verbraucherzentrale.de/wissen/energie/strom-sparen
27.11.2021