Sie sind in Panik aufgebrochen, haben Tage in Kellern oder Metrostationen zugebracht, nur das Nötigste in eine Tasche gestopft. Sie zwängten sich in überfüllte Züge, reihten sich in endlose Autokarawanen ein und haben es schließlich über die rettende Grenze geschafft. Von einem Tag auf den anderen verloren Millionen von Menschen ihr Zuhause, ihren Besitz und ihr bisheriges Leben. In Berlin öffneten viele Menschen nicht nur ihre Herzen und ihre Geldbeutel für ukrainische Flüchtlinge, sondern auch ihre Wohnungstüren.
Am Morgen des 24. Februar erwachte Olexandra L. von beunruhigenden Geräuschen: „Die Fensterscheiben vibrierten, wieder und wieder“, erzählt sie. Kurz darauf der Lärm von Explosionen – erschreckend nah an dem Kiewer Viertel, in dem die Anwältin mit ihrem Mann und der 16-jährigen Tochter wohnt. Ein Flugplatz der ukrainischen Hauptstadt gehörte zu den ersten Angriffszielen russischer Bomber. In den Wochen und Tagen zuvor hatten sie oft über einen möglichen Krieg gesprochen: „Aber wir haben nicht dran geglaubt.“ Als sie mit der bitteren Realität konfrontiert wurden, war ihnen schnell klar, wie gefährdet sie selbst waren: Ihr Wohngebiet lag am Ufer des Dnepr, dicht bei einem großen Wasserwerk: „Wir sagten uns sofort: Wir müssen weg!“ Innerhalb einer Viertelstunde stopften sie das Allernötigste in eine Tasche, holten die 75-jährige Mutter aus dem Nachbarhaus und setzten sich ins Auto. Erst einmal ohne den Mann, der nachkommen sollte. Olexandras Ziel lag ja auch nur 100 Kilometer entfernt, das Haus einer Freundin in einer ruhigeren Gegend Richtung Westen. Dort könnten sie vielleicht die Ereignisse abwarten. Weil die Freundin jedoch nicht zu Hause war, entschlossen sie sich weiterzufahren bis nach Lwiw (Lemberg), nahe der polnischen Grenze.
„Alles war unwirklich. Es gab erstmal kaum Informationen, im Autoradio lief Musik“, erinnert sich die 45-Jährige. „Wir haben uns gefragt: Ist das jetzt wirklich der Krieg? Sollten wir nicht umkehren?“ Auf jeden Fall wollten sie in Lwiw bleiben, wo Olexandras Firma inzwischen in einem Hotel Zimmer reserviert hatte. Die Juristin könne von dort aus mit ihrem Laptop arbeiten.
„Als wir das Hotel erreichten, waren die schon dabei, alles in den Keller zu verlegen.“ Auch die völlig mit Menschen überfüllte Stadt machte der 45-Jährigen die dramatische Lage endgültig klar. Ihr Mann beschwor sie am Telefon, an die Tochter zu denken und die Ukraine zu verlassen. Also reihten sie sich ein in die Autoschlange Richtung polnischer Grenze. Zwei Tage und zwei Nächte brauchten sie für die Strecke von kaum 80 Kilometern. Immer im Stop-and-go, ohne Schlaf, ohne Toilette, in einer endlosen Karawane mit Tausenden anderen Flüchtenden.
Inzwischen hatten sie sich entschlossen, bis Berlin zu fahren. Olexandra kannte die Stadt schon ein wenig. Sie hatte in Deutschland studiert und mit Tochter Tanja war sie vor zwei Jahren als Touristin dort gewesen. Außerdem hatte sich während der langen Fahrt zur Grenze eine Bekannte ihres Mannes übers Smartphone gemeldet. Jemand vor Ort werde sich um ihre Unterbringung kümmern, versprach sie. Am 28. Februar kamen Großmutter, Mutter und Tochter in Berlin an. Da rollte bereits eine Flüchtlingswelle auf die Stadt zu.
Bis zu 10.000 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, kamen jetzt täglich in Berlin an. Am 9. März berief der Berliner Senat eine Sondersitzung ein, um Beschlüsse zur Bewältigung der Notsituation zu fassen. An diesem Tag erreichte auch Familie Rhimi den Hauptbahnhof: Mutter Alla, die 18-jährige Tochter Karina und der 11-jährige Sohn Kirill. Weil Allas Mann Yasin einen tunesischen Pass hat, durfte auch er das Land verlassen: „Am ersten Tag, als der Krieg begann, sind alle sofort in den Untergrund geflohen“, erzählt der gelernte Flugbegleiter. In Keller, U-Bahnschächte, Tiefgaragen. Alla und ihr Sohn harrten so eine Woche aus, Tochter Karina absolvierte gerade in Lwiw eine Ausbildung zur Kosmetikerin.
Ständig Sirenen und Flugzeuge
„Ich hab es im Keller nicht ausgehalten und bin wieder nach oben, um zu helfen“, berichtet Yasin. Lebensmittel, Kleidung oder auch Hygieneartikel für die eigene Familie und all die anderen Frauen und Kinder mussten besorgt werden. „Die ganze Zeit schlief ich komplett angezogen in unserer Wohnung. Ruhe gab es keine Minute, Du hörst ständig die Sirenen, die Flugzeuge kommen …“
Zu den ersten Gebäuden, die in Kiew zerstört wurden, gehörte die Möbelfabrik, in der Alla als Polsterin arbeitete. Der Angriff galt einem Militärlager ganz in der Nähe. Mit jedem Tag wurde der Beschuss mit Raketen bedrohlicher. So entschloss sich die Familie zur Flucht: „Auf dem Bahnhof war es alptraumhaft“, erinnert sich die 37-jährige Mutter. „So viele Menschen. Da waren auch Männer von 18 bis 60, die weinten wie kleine Kinder. Aus Angst, weil sie ihre Familien wegschickten mussten. Sie selbst durften nicht gehen.“
Die Rhimis fuhren bis Lwiw, um Tochter Karina abzuholen, dann über die Grenze. Weil in Polen die Aufnahmekapazität längst erschöpft war, fuhren sie weiter. Nach endloser Fahrt in überfüllten Zügen kamen sie am Berliner Hauptbahnhof an. „Die ersten zwei Tage habe ich gar nicht verstanden, dass ich in Berlin bin“, sagt Alla. „Und wenn ich einen Hubschrauber höre, denke ich, der Krieg ist jetzt auch hierhergekommen.“
Ein Quartier fanden die Rhimis recht schnell, denn es waren schon Freunde vor ihnen in der Stadt. Deren Gastgeber halfen und suchten auf einer Nachbarschaftsplattform. Die vierköpfige Familie kam erst einmal bei einer Journalistin in Kreuzberg unter. So wie sie öffneten unzählige Berlinerinnen und Berliner ihre Wohnungstüren. Sie räumten Kinder-, Gäste- oder auch Arbeitszimmer frei, rückten selbst oft zusammen, teilten ganz selbstverständlich ihre Küchen und Bäder mit Fremden.
Thomas Beutner und seine Frau Silke aus Rahnsdorf im Bezirk Treptow-Köpenick gehören dazu: „Wir haben uns gesagt: Spenden können wir nicht, weil unser Haus noch nicht abgezahlt ist. Aber wir haben Platz.“ Als die ersten überfüllten Züge am Hauptbahnhof ankamen, standen die beiden Erzieher in einer Reihe mit vielen anderen Gastgebern: „Komnata“, Zimmer, hatten sie auf ein Schild geschrieben. Zwei Frauen kamen auf sie zu. Es sei Intuition gewesen, erklärt Lena B. drei Wochen später. Thomas Beutner und seine Frau haben wohl das Vertrauen ausgestrahlt, das die 38-jährige Buchhalterin und ihre Begleiterin, eine Pianistin, überzeugte. Die beiden Frauen kennen sich aus der Kiewer Metro, in der sie sieben Tage lang Seite an Seite Schutz vor den russischen Bomben gesucht hatten. Sie entschlossen sich, die Flucht nach Deutschland gemeinsam zu wagen und stiegen in einen der überfüllten Züge.
„Die Leute haben sogar in den Toiletten gestanden“, schildert Lena die Zustände während der Fahrt. In ihrer kleinen Tasche steckte auch eine Karte, die sie nun auf der Terrasse des Rahnsdorfer Hauses auf den Tisch legt. Sie kommt aus London von ihrem Freund: „Wir hatten für 2020 schon einen Hochzeitstermin, und er hat überlegt, ganz nach Kiew zu ziehen.“ Erst zerstörte Corona diesen Traum, nun ist es der Krieg. Seit über zwei Jahren hält ihre Verbindung vor allem übers Smartphone. Jetzt überlegt Lena, wie sie von Berlin aus noch den Sprung nach London schafft. Seit Großbritannien nicht mehr zur EU gehört, ist das schwierig geworden. Thomas Beutner kann da kaum weiterhelfen.
Viele Wege für die Neuankömmlinge
Aber er und seine Frau wollen mit dafür sorgen, dass die beiden Kiewerinnen erst einmal so gut wie möglich in Berlin ankommen. Sie helfen ihnen, die vielen Wege zu erledigen, die für die Neuankömmlinge wichtig sind, zeigen ihnen die Umgebung, nehmen sie mit ins Kino und zum Einkaufen. Was die Frauen brauchen, bezahlen die Gastgeber selbstverständlich aus ihrer Tasche. Denn wer nur mit ukrainischem Geld eingereist ist, steht quasi mittellos da. Die Währung wird nicht umgetauscht und ist damit wertlos. Aber die beiden sollen sich trotzdem gut aufgenommen fühlen. Deshalb kochen Thomas Beutner und seine Frau auch jeden Abend für alle zusammen. Ihre Gäste ziehen sich aber oftmals zurück. Auf dem Tisch in ihrem Zimmer liegen Essenspakete, die sie sich an Hilfspunkten für ukrainische Flüchtlinge abholen. „Eigenes Essen zu haben, ist ein gutes Gefühl“, versucht Lena zu erklären – die umfangreiche Unterstützung ihrer Gastgeber macht die Frauen auch etwas beschämt. Die sind angesichts dessen ratlos und auch ein bisschen enttäuscht.
„Sie wollen sich nicht aushalten lassen, ihren Gastgebern nicht zur Last fallen“, erklärt Viktoria Günther die Situation. Die Eventmanagerin mit ukrainischen Wurzeln begann schon am dritten Kriegstag, Hilfslieferungen mit Lebensnotwendigem zusammenzustellen und Transporte zu organisieren. Mit Kleinbussen voller gespendeter Konserven und Hygieneartikeln geht es seitdem wöchentlich über die polnisch-ukrainische Grenze.
Auf dem Rückweg sitzen Frauen und Kinder in den Wagen. Über 80 Familien haben die junge Frau und ihre Helferinnen und Helfer bis Mitte März die Flucht aus den Kriegsgebieten ermöglicht. Der allergrößte Teil von ihnen konnte schon in und um ihren Kiez in Kaulsdorf oder auch Biesdorf untergebracht werden.
Aber allein, dass sie die Aufnahme in Anspruch nehmen müssen, so Viktoria Günther, sei für die meisten schon ein großes Problem„Was ist mit Arbeit?“, sei die erste Frage, die viele stellen.
Auch Nikolai Mukha aus einer kleinen Stadt nahe der rumänischen Grenze sorgt sich um das Auskommen seiner Familie. In der Ukraine war er selbstständig und hat für seine Kunden Laser-Gravuren ausgeführt. In Deutschland fehlt ihm dazu nicht nur sein Equipment, sondern auch die Sprache. Seit dem 1. März ist er mit seiner Frau Ludmilla, der vierjährigen Maja und dem zweijährigen Erik in Berlin. Und Anfang Juni wird das dritte Kind geboren werden.
Mit Kriegsbeginn hat die Familie ihr Zuhause in höchster Eile verlassen. Nikolai Mukha ging noch in den Abendstunden des 24. Februar allein über die rumänische Grenze. Stunden später wurden wehrfähige Männer nicht mehr durchgelassen. Seine Frau kam im Auto mit den Kindern, Gepäck, Lebensmitteln und allem Geld, was sie abheben konnten, am anderen Morgen nach. In vier Tagen durchquerten sie Europa und passierten vier Länder.
Aufnahme fanden sie schließlich in einem Einfamilienhaus in Kaulsdorf. Hier wohnen Simon und Ina Schönhof mit ihren drei Kindern, dem fünfjährigen Ole, dem dreijährigen Mads und der acht Monate alten Maja. „Das Baby braucht noch kein eigenes Kinderzimmer“, erklärt Simon Schönhof. „Es wäre grausam gewesen, das leer stehen zu lassen.“ Er arbeitet im Musikmanagement, seine Frau als Personaldisponentin. Beide waren sich einig, dass sie eine Familie mit Kindern aufnehmen wollten.
Für Familie Mukha sind die Schönhofs ein Glücksfall. Erst einmal, weil Ina russisch spricht. Sie kam selbst als Sechsjährige mit ihren Eltern aus Russland nach Deutschland und kann die ukrainischen Familien in vielem sprachlich begleiten: aufs Sozialamt, bei der Jobsuche, zum Arzt und ins Krankenhaus, wo alles für die Entbindung abzusprechen ist.
Recherchen, Behördengänge, Gespräche am Küchentisch – all das erfordert von den Gastgebern viel Zeit, auch bei den Schönhofs ein oftmals knappes Gut. Für die Mukhas brachte das Hilfe-Netzwerk von Viktoria Günther sogar die Aussicht auf eine eigene Wohnung: Eine private Vermieterin hatte annonciert, weil sie ihre freiwerdende Eigentumswohnung an ukrainische Flüchtlinge vermieten möchte. Bei der Miethöhe hat sie Flexibilität versprochen.
Ungewisse Zukunft nach dem Krieg
Mit der eigenen Wohnung hier und dem unabsehbaren Ende des Krieges und seiner Schäden dort kann es dauern, bis Familie Mukha nach Hause zurückkehrt. So wie sie könnten viele der 100.000 Menschen, die der Senat in der Stadt erwartet, bleiben. Während Lena einen Weg nach London sucht, hat ihre Reisegefährtin in Berlin sogar schon eine Arbeit gefunden. Die Pianistin bewarb sich an einer Musikschule und wurde sofort eingestellt. Die Anwältin Olexandra L. ist noch immer mit ihrem Unternehmen in der Ukraine verbunden und Tochter Tanja erhält Online-Unterricht von einem ihrer Lehrer in Kiew. Sie sind erst einmal gut in der Gästewohnung einer Genossenschaft untergekommen.
Fragt man Alla Rhimi nach ihren Plänen, zeigt sie auf ihrem Smartphone Fotos von bequemen Ledersesseln, einer modernen Couch, schönen Polstergarnituren. Erinnerungen an ihre gute handwerkliche Arbeit. Die Produkte, die in ihrer Kiewer Möbelfabrik hergestellt wurden, waren auch in Deutschland gefragt. Alla will ihren Alltag und ihre Arbeit zurückhaben. Aber sie hat auch Angst heimzukehren. Vielleicht gibt es ja nur noch Hass zwischen den russischen und ukrainischen Frauen und Männern, die vorher so gut miteinander gearbeitet und gelebt haben.
Rosemarie Mieder
Zu finden unter: FAQ zur Aufnahme von Geflüchteten
Aufnahme von Flüchtlingen
Wer privat ukrainische Flüchtlinge aufnehmen möchte, sollte keinesfalls zum Hauptbahnhof oder zum Zentralen Omnibusbahnhof Berlin (ZOB) fahren. Die Vermittlung findet derzeit fast ausschließlich online statt. Hier einige Tipps:
Die Berliner Landesregierung empfiehlt die Onlinebörse
www.unterkunft-ukraine.de
Die Seite wird von der gemeinnützigen Aktiengesellschaft gut.org und dem elinor-Netzwerk betrieben.
Über die Initiative „Zusammenleben Willkommen“ können WG-Zimmer vermittelt werden, allerdings nicht für Kurzaufenthalte, sondern mindestens für eine Dauer von 12 Monaten:
https://zusammenleben-willkommen.de
Außerdem können sich Berlinerinnen und Berliner an Kirchgemeinden und die Wohlfahrtsorganisationen wenden, um in ihrer Wohnung Platz für ukrainische Flüchtlinge anzubieten.
Unter www.berlin.de/ukraine
finden sich wichtige Hinweise und Tipps, die bei der Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen beachtet werden sollten.
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Ukrainisches Berlin
Berlin ist für ukrainische Flüchtlinge ein Hauptzielort in Deutschland. Die Stadt liegt nahe der polnischen Grenze, und hier gibt es eine große ukrainische Community. Bis Kriegsbeginn lebten bereits etwa 24.000 Menschen mit ukrainischer Migrationsgeschichte in der Stadt. Viele von ihnen haben geflüchtete Familienangehörige oder Freunde und Bekannte bei sich untergebracht. Zudem bieten ukrainische Vereine Hilfen an. Meist erfolgt das online und in ukrainischer beziehungsweise in russischer Sprache.
„Vitsche“ ist eine solche Vereinigung vorwiegend junger Ukrainerinnen und Ukrainer. Sie organisiert und koordiniert neben Demonstrationen und Events auch Hilfen bei der Flucht. So bringt sie Flüchtende und ehrenamtliche Fahrer etwa von Hilfstransporten zusammen:
https://vitsche.org
Das Netzwerk „Vika hilft“, das Viktoria Günther ins Leben gerufen hat, arbeitet mit ukrainischen, russischen und deutschen Helferinnen und Helfern zusammen:
https://vikahilft.de
Um Gelder für die akutesten und dringendsten Bedürfnisse in dem vom russischen Angriffskrieg zerstörten Land aufzubringen, hat die Ukrainische Botschaft ein Sonderkonto bei der Deutschen Bank eingerichtet. Die erhaltenen Mittel werden punktuell für einen wirksamen Schutz der Ukraine verteilt.
Informationen über ukrainische Geschichte und Orte in Berlin unter:
https://ukraineverstehen.de/bienert-karte-ukrainische-orte-berlin
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Wohnbesitz in der Ukraine
Zerborstene Fassaden gewaltiger Plattenbauten und ausgebrannte Ruinen ganzer Wohnblöcke in ukrainischen Städten und Dörfern: Deren einstige Bewohnerinnen und Bewohner haben damit nicht nur das Zuhause, sondern auch ihr Eigentum verloren. Denn in der Ukraine befinden sich 96 Prozent aller Wohnimmobilien in Privatbesitz. Das hat historische Gründe: Während der Sowjetzeit gab es zwar überall in den ländlichen Regionen Privathäuser, der Wohnraum in den Städten war jedoch hauptsächlich in staatlichem Besitz. Mit dem Zerfall der Sowjetunion setzte sowohl in Russland als auch in den nun unabhängigen Staaten eine Privatisierung des öffentlichen Wohnraums und eine Deregulierung des Immobilienmarktes ein.
In der Ukraine wurden ab 1993 Wohnungen und Häuser in der Regel kostenlos an die darin wohnenden Mieter übergeben. Der Anteil des öffentlichen Wohnraumsektors sank damit innerhalb von nur zehn Jahren in den Städten von 72 auf 12 Prozent – und öffentlich gebaut wurde immer weniger. Der Staat entledigte sich damit der Verantwortung für dringend notwendige Instandsetzungen der Immobilien und erst recht einer Sanierung und energetischen Ertüchtigung. Die neuen Eigentümer waren oft Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen, neben Familien und Alleinstehenden, Pensionäre mit einer kleinen Rente und Arbeitslose. Die Zerstörungen des Krieges treffen gerade sie nun doppelt hart, denn im Raum steht die Frage, wer für den Wiederaufbau verantwortlich sein wird.
rm
05.10.2023