Vor fast einem Jahr haben circa 59 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die Vergesellschaftung großer profitorientierter Wohnungskonzerne gestimmt. Eine Expertenkommission, die „Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen“ zur Umsetzung des Volksentscheids prüfen soll, trat im März erstmals zusammen. Der Start war holprig, der Ablauf bleibt zäh.
Nach dem Erfolg des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat der rot-grün-rote Senat sich darauf geeinigt, eine Kommission einzusetzen, die ein Jahr lang über die Umsetzung der Vergesellschaftung berät. Das Ergebnis soll dann die Grundlage für die Entscheidung des Senats sein.
Die Kommission setzt sich aus 12 Fachleuten zusammen: SPD, Grüne, Linke und die Enteignungsinitiative nominierten je drei Personen. Hinzu kommt als Vorsitzende die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD). Bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wurde eigens eine Geschäftsstelle für die Kommission eingerichtet.
Lokale Bedingungen nicht allen geläufig
Die erste Sitzung fand noch ohne die Abgesandten der Initiative statt, weil diese sich lange im Unklaren gelassen fühlte. Im April kam die Kommission dann zum ersten Mal vollzählig zusammen. Im Juni folgte eine vierstündige Anhörung von sechs externen Sachverständigen zur Wohnungssituation. Unter anderem sprach der BMV-Geschäftsführer Reiner Wild über die Lage am Berliner Mietwohnungsmarkt. Da die meisten Experten an auswärtigen Hochschulen lehren, sind ihnen nicht unbedingt alle Details der hiesigen Wohnungskrise geläufig.
Meinungsverschiedenheiten bestehen nach wie vor über die Fragestellung, mit der sich die Kommission beschäftigen soll. So will im Senat vor allem die SPD darüber diskutieren lassen, ob eine Vergesellschaftung überhaupt durchgeführt werden kann, während die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ darauf besteht, dass nur noch darüber gesprochen wird, wie die Vergesellschaftung umgesetzt wird – denn das Volk hat bereits darüber entschieden, dass sie kommen soll.
Die Initiative fordert zudem maximale Transparenz. „Die Berliner Bevölkerung hat ein Recht darauf zu erfahren, was mit ihrem Volksentscheid passiert“, sagt die Sprecherin der Initiative Gisèle Beckouche.
Lange gab es nicht einmal Informationen zu den Sitzungsterminen und den Tagesordnungen. Erst am 22. Juli, nach dem vierten Treffen, hat die Geschäftsstelle eine Homepage freigeschaltet, auf der man die geplanten Termine sowie Dokumente und Protokolle der vergangenen Sitzungen finden kann. Die Protokolle werden aber anonymisiert. Als Außenstehender kann man also nicht nachvollziehen, wer in der Diskussion welche Meinung vertreten hat.
Die Kommission will sich nun monatlich bis zum April 2023 treffen, wenn nötig auch noch im Mai und Juni. Ob dann eine eindeutige Empfehlung ausgesprochen wird, ist angesichts der weit auseinander liegenden Positionen fraglich. Am Ende muss der Senat entscheiden, wie er den Auftrag zur Vergesellschaftung umsetzt.
Jens Sethmann
Dokumente eines erfolgreichen Volksentscheids
Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ lässt in einem Buch die erfolgreiche Kampagne noch einmal Revue passieren und dokumentiert die ersten Ideen für das Volksbegehren, Positionspapiere, Gesetzentwürfe, Gutachten und Finanzierungsmodelle. Aktivisten und Unterstützer berichten, warum sie sich für die Initiative einsetzen – darunter auch Reiner Wild vom Berliner Mieterverein. Das Buch legt einen Schwerpunkt auf die bevorstehende Umsetzung des Volksentscheids: Wie können die zu enteignenden Wohnungsbestände rechtssicher bestimmt werden? Wie hoch muss die Entschädigung sein, und wie kann sie finanziert werden? Die Expertenkommission muss bei diesen Fragen nicht bei Null anfangen. Jedem Mitglied wurde ein Vorab-Exemplar des Buchs überreicht.
js
Informationen zur Arbeit der Expertenkommission:
www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/
Deutsche Wohnen & Co enteignen (Hg.): Wie Vergesellschaftung gelingt – Zum Stand der Debatte, Parthas Verlag, Berlin 2022, 296 Seiten, 20 Euro
27.08.2023