Eine Tempelhofer Wohnsiedlung einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft soll modernisiert, die Mieter:innen in Ersatzwohnungen untergebracht werden. Was passiert mit der Einrichtung? Wie verändern sich Schulwege? Die Befürchtungen sind groß, die Stimmung ist gereizt. Ein Einblick.
Es ist Mittwochabend, kurz vor halb sieben, der Saal in der evangelischen Paulus-Kirchengemeinde füllt sich rasant. Einige Helfer:innen tragen weitere Stühle in den Raum, auch diese sind in kürzester Zeit belegt. Nachzügler:innen begnügen sich mit improvisierten Sitzplätzen oder bleiben stehen. Um Punkt halb sieben platzt der Gemeindesaal aus allen Nähten. Mehr als 150 Nachbar:innen haben sich versammelt, um mit unseren Kolleg:innen Axel Tolle aus der Rechtsabteilung und Franziska Schulte aus der Öffentlichkeitsarbeit über die anstehenden (energetischen) Modernisierungen ihrer Wohnungen zu sprechen.
Die Ersten haben bereits eine Modernisierungsankündigung mit zum Teil drastischen Mieterhöhungen erhalten. Dass die Mieter:innen während der Sanierungsarbeiten vorübergehend in eine Ersatzwohnung ziehen müssen, macht bereits die Runde. Der Gesprächsbedarf ist groß. Einige Mieter:innen der Siedlung waren auf uns zugekommen mit der Bitte um Unterstützung zur Organisation einer Mieter:innenversammlung.
Gesagt, getan: Schnell waren Einladungsflyer erstellt und gedruckt. Zusammen mit zwei engagierten Mieter:innen konnten wir rund 300 Flyer in die Briefkästen der Nachbarschaft einwerfen. Seit 2018 können wir mit unserer Koordinierungsstelle Mieter:innengemeinschaften sowohl mit Rechtsrat als auch mit Öffentlichkeitsarbeit unterstützen.
Geteiltes Leid und viele Fragen
Nach der Begrüßung und einem kurzen allgemeinen Überblick zum Mietrecht im Zusammenhang mit energetischer Modernisierung kommen die betroffenen Mieter:innen selbst zu Wort und stellen uns ihre Fragen. Wo bleiben die persönlichen Besitztümer während der Bauarbeiten? Besteht die Gefahr, dass sie beschädigt oder unbrauchbar werden – oder sogar verloren gehen? Was geschieht mit teuren Einbauküchen, die aufgrund der Maßnahmen abgebaut werden müssen? Eine Mieterin befürchtet, dass sie ihre Möbel in einer Ersatzwohnung nicht unterbringen kann, da diese möglicherweise kleiner ist als ihre jetzige Wohnung.
Unklar ist auch, wie lange die Mieter:innen die eigene Wohnung nicht werden nutzen können und ob die Ersatzwohnung in der Nähe sein wird. Ein anderer Mieter befürchtet, den Stromverbrauch der Bauarbeiten in der Wohnung übernehmen und doppelt für das Internet bezahlen zu müssen. Was ist mit der Mietzahlung? Wird es eine Mietminderung geben? Die Fragen fliegen nur so durch den Raum, die Sortierung auf der Redeliste gestaltet sich schwierig. Nicht wenige der Anwesenden sind aufgebracht und wollen rasch zu Wort kommen.
Viele Menschen wohnen bereits seit Jahrzehnten in der Siedlung. Manche sind chronisch krank oder wegen ihres Alters in ihrer Mobilität eingeschränkt und haben sich ihre Wohnungen bedarfsgerecht eingerichtet. Sie fragen sich vor allem, ob sichergestellt ist, dass sie in der Ersatzwohnung zurechtkommen werden und ob ihre Wohnung nach den Bauarbeiten noch genauso nutzbar sein wird wie zuvor. „Ich habe mit Erlaubnis der Hausverwaltung die Badewanne entfernen und eine Dusche einbauen lassen, weil ich zum Duschen nicht in eine Wanne steigen kann. Kann mir jetzt wieder eine Badewanne vorgesetzt werden?“, sorgt sich eine ältere Dame. Die Frage ist berechtigt, denn eine der Sanierungsmaßnahmen sieht den Badewannenaustausch vor.
Was Mieter:innen tun können: Rechtssicherheit schaffen
Unsere Kolleg:innen versuchen, auf die Vielzahl der Fragen einzugehen. Sie weisen auf Mieter:innenrechte hin, erklären Vorgehensweisen und skizzieren Möglichkeiten zum gemeinschaftlichen Handeln, die den besorgten Mieter:innen etwas Sicherheit zurückgeben sollen. Dennoch ist klar: Der Abend ist keine individuelle Rechtsberatung. Vielmehr geht es darum, einen Grundstein zu legen, damit die Nachbar:innen die bevorstehende Zeit gemeinsam besser durchstehen können.
Durchsetzen müssen die jeweiligen Mietparteien ihre zivilrechtlichen Ansprüche dann allerdings einzeln. Denn in Bezug auf energetische Modernisierungen gelten gesetzliche Regeln, die Vermietende einzuhalten haben. Mieter:innen müssen die Maßnahmen zwar dulden – sie müssen aber auch mindestens drei Monate im Voraus über die geplanten Maßnahmen informiert werden. Außerdem können Mieter:innen Einzelheiten beziehungsweise einvernehmliche Lösungen zu Mobiliar, bedarfsorientierten Anpassungen und weiteren Details in einer individuellen Modernisierungsvereinbarung mit Vermieter:innen absichern. Für viele der Mieter:innen sind die kommenden Modernisierungsmieterhöhungen ein Problem: Ein finanzieller Härteeinwand muss fristgemäß und rechtssicher an die Vermieter:innen gestellt werden. Aber auch persönliche Härten, wie gesundheitliche Einschränkungen, hohes Alter oder bevorstehende Prüfungsphasen sollten als persönliche Härte fristgemäß angezeigt werden.
„Vermieter:innen sind gesetzlich verpflichtet, die Kosten für die Ersatzwohnungen und den Umzug zu übernehmen. Auch die Möbel und persönlichen Gegenstände der Mieter:innen müssen geschützt werden“, betont Rechtsanwalt Axel Tolle. Es ist also für eine sichere Aufbewahrung während der Modernisierung zu sorgen. Kommt es zu Beschädigungen, müssen diese reguliert werden. „Dafür ist es wichtig, den Zustand des eigenen Besitzes vorab gut zu dokumentieren“, sagt Tolle. Das schafft Rechtssicherheit.
Rechte und Pflichten kennen, sich gegenseitig unterstützen
Zudem müssen Mieter:innen weder für den Internet- und Stromverbrauch doppelt aufkommen noch den Energieverbrauch der Baumaßnahmen über ihre Stromrechnung zahlen. „Wir raten, den Stromzähler vor Umzug in die Ersatzwohnung abzulesen, um so bei Erhalt von Abrechnungen einen Abgleich vornehmen zu können“, sagt Axel Tolle. Wenn es in der eigenen Wohnung einen Internetzugang gibt, muss dieser auch in der Ersatzwohnung vorhanden sein. Sollte dennoch keine Internetverbindung bestehen, können Mieter:innen vorübergehend zum Beispiel einen Datenstick kaufen und sich die Kosten erstatten lassen.
„Mieter:innen sind während der Modernisierung bestmöglich zu unterstützen“ – das ist die Kernbotschaft an diesem Abend. Wenn Betroffene aus Alters- oder Krankheitsgründen Hilfe benötigen, müssen sie diese erhalten. Darüber hinaus müssen Eigentümer:innen die Wohnungen nach Abschluss der Modernisierung in einem einwandfreien Zustand an die Mieter:innen zurückgeben. Aus Erfahrung wissen wir allerdings, dass es immer wieder zu Ungereimtheiten kommt. Da ist es wichtig, die eigenen Rechte und Pflichten zu kennen und sich gegenseitig den Rücken zu stärken.
Strukturen schaffen, um an einem Strang ziehen zu können
Allen im Raum ist klar, dass ihnen keine einfache Zeit bevorsteht. Unsere Kollegin Franziska Schulte betont deshalb, wie wichtig es ist, dass sich Nachbarschaften in dieser Zeit unterstützen, gemeinsam die Rechtslage im Blick behalten, Musterschreiben des BMV nutzen und sich aktiv für einen erträglichen Ablauf einsetzen.
Erste Nachbar:innen schmieden bereits Pläne, wie sie die Herausforderungen mit Unterstützung des Vereins kollektiv angehen können – zum Beispiel, indem sie eine für alle einheitliche Mietminderung durchsetzen und in den Modernisierungsvereinbarungen festhalten. Die Vernetzung in der Nachbarschaft ist vielen ein Herzensanliegen, raus aus der Vereinzelung und gemeinsam für Mitbestimmung sorgen.
Die Versammlung war für anderthalb Stunden angesetzt, doch um kurz nach acht haben viele noch Gesprächsbedarf. Nicht alles kann heute geklärt werden. Auf die Frage, ob es interessierte Mieter:innen gibt, die sich als eine Art Aktivengruppe zusammenfinden, weitere Treffen arrangieren und im Austausch mit den Mieterbeiräten und uns bleiben wollen, heben sich schnell einige Hände.
Ein Einblick von Vera Colditz
Mietergemeinschaften im BMV
Da die persönliche Mietrechtsberatung einen zentralen Baustein der Interessenwahrnehmung darstellt, lohnt sich neben der Gründung einer Mieter:innen-Initiative auch die Bildung einer Mietergemeinschaft im BMV. Werden zehn Mietparteien einer Wohnanlage Mitglied, reduziert sich der Mitgliedsbeitrag. Nicht immer sind gemeinschaftlich geäußerte Forderungen erfolgreich. Aber eine Gemeinschaft kann Frust, Sorgen und Ängste besser auffangen.
Eine gute mietrechtliche Beratung allein reicht in vielen Fällen allerdings noch nicht aus. Deshalb informieren wir mit diesem Leitfaden über Möglichkeiten, wie Mieter:innen sich gemeinsam organisieren und die notwendige Unterstützung finden.
14.12.2023