Leitsatz:
Die Gebrauchsüberlassung an Kinder des Mieters ist keine Gebrauchsüberlassung an „Dritte“ im Sinne vom §§ 540, 553 BGB, sofern die Wohnung weiterhin auch vom Mieter genutzt wird; es ist jedoch nicht erforderlich, dass der Mieter seinen Lebensmittelpunkt in der Wohnung behält.
LG Berlin vom 30.1.2023 – 64 S 204/22 –
Mitgeteilt von RA Hans-Joachim Gellwitzki
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Aufnahme von nahen Familienangehörigen (Ehegatte, Kinder, Eltern) in die Wohnung ist keine Untervermietung und daher auch nicht erlaubnispflichtig. Von der Aufnahme in die Wohnung ist die selbstständige und vollständige Gebrauchsüberlassung an Verwandte zu unterscheiden. Dem Mieter steht kein Anspruch auf Genehmigung der vollständigen Gebrauchsüberlassung an beispielsweise seinen Sohn oder an die Eltern zu. Dann liegt eine unberechtigte Untervermietung auch beim Einzug von Familienangehörigen vor.
Vorliegend hatte das Landgericht über einen Fall zu urteilen, wo die Eltern die Wohnung an den Sohn nicht „vollständig“ überlassen hatten, was der Vermieter aber trotzdem zum Anlass nahm, zu kündigen und die Räumung der Wohnung zu verlangen. Lag hier eine „unbefugte Gebrauchsüberlassung“ vor?
Das Landgericht verneinte dies. Es fehle an einer vertragswidrigen Überlassung der Wohnung an Dritte im Sinne vom §§ 540, 553 BGB und damit an einem Kündigungsgrund. Der Sohn der Mieter sei nicht Dritter im Sinne der §§ 540, 553 BGB. Denn nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 540 BGB und wegen ihrer engen, unter den ausdrücklichen Schutz der Verfassung (Artikel 6 GG) stehenden persönlichen Beziehung sei die Familie des Mieters hiervon ausgenommen.
Es sei deshalb vorliegend danach zu fragen, ob es sich bei der Gebrauchsüberlassung an den Sohn nach wie vor um eine „Familienwohnung“ handele, wobei hierfür offensichtlich nicht ausschlaggebend sein könne, ob der Vater noch seinen Lebensmittelpunkt in der streitgegenständlichen Wohnung habe. Um einen Mieter, der einen Familienangehörigen aufnehmen will, nicht schlechter zu stellen als einen Mieter, der aus einem sonstigen berechtigten Interesse einen Teil seines Wohnraums einem Dritten überlassen will, wäre von einer „Familienwohnung“ jedenfalls dann noch aus-
zugehen, wenn es sich um eine Teilgebrauchsüberlassung im Sinne vom § 553 Abs. 1 BGB handele. Eine solche Teilgebrauchsüberlassung sei aber auch dann noch anzunehmen, wenn der Mieter weiterhin Mitgewahrsam ausübe, etwa indem er ein Zimmer für sich belege, persönliche Gegenstände in der Wohnung lasse oder im Besitz von Schlüsseln sei.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei von einer solchen Nutzung hier auszugehen, wobei dann zugleich auch eine Teilgebrauchsüberlassung im oben dargelegten Sinne anzunehmen sei. Auf einen gemeinsamen Hausstand komme es dabei nicht an.
Die vom Vermieter ausgesprochene Kündigung sei deshalb unwirksam.
Urteilstext
Zum Sachverhalt:
Gegen das Urteil des Amtsgerichts, welches der Räumungsklage wegen unbefugter Gebrauchsüberlassung in vollem Umfang sowie einer Zahlungsklage auf Ersatz von Detektivkosten teilweise stattgegeben hat, richtet sich die Revision der dort beklagten Mieter.
Die Beklagten machen geltend, entgegen der Annahme des Amtsgerichts liege keine unbefugte Gebrauchsüberlassung an Dritte und damit weder ein Kündigungsgrund noch eine zu Schadensersatz verpflichtende Handlung vor. Das Amtsgericht bleibe mit seiner These, die Wohnung müsse Lebensmittelpunkt des Mieters bleiben, in verfassungsrechtlicher Kollision mit Art. 6 GG und Art. 2 GG hinter der liberalen und zeitgemäßen Rechtsprechung des BGH zur Gebrauchsüberlassung an Dritte zurück und stelle damit unter Nichtbeachtung des Art. 3 Abs. 3 GG die Familie schlechter als Dritte, für die der Mieter bei Vorliegen eines berechtigten Interesses die Gestattung der Gebrauchsüberlassung gern. § 553 Abs. 1 BGB verlangen könne. …
Aus den Gründen:
II. Die … Berufung ist begründet.
Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts fehlt es an einer vertragswidrigen Überlassung der Wohnung an Dritte i. S. v. §§ 540, 553 BGB und damit einem Kündigungsgrund i. S. d. §§ 543 Abs. 1, 2 Nr. 2, 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB. Denn der Beklagte zu 3. als Sohn des Beklagten zu 1. ist nicht Dritter i. S. d. §§ 540, 553 BGB. Denn nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 540 BGB und wegen ihrer engen, unter den ausdrücklichen Schutz der Verfassung (Art. 6 GG) stehenden persönlichen Beziehung ist die Familie des Mieters hiervon ausgenommen (vgl. BGH, NJW 2004, 56 [= WuM 2003, 688]; BGH, NJW 2013, 2507 [= WuM 2013, 485]).
Für Ehepartner hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Ehegatte des Mieters als Familienangehöriger auch dann grundsätzlich kein Dritter i.S.v. § 540 BGB sei, wenn der Mieter anlässlich der Trennung der Ehegatten aus der Wohnung ausziehe und sie dem anderen Ehegatten (zunächst) allein überlasse (BGH, Urt. v. 11.6.2013 – XII ZR 143/11, NJW 2013, 2507 [= WuM 2013, 485]). Maßgeblich sei insoweit allein die Frage, ob es sich nach wie vor um eine Ehewohnung handle. Die Wohnung verliere ihre Eigenschaft als Ehewohnung nicht schon dadurch, dass der (umziehende) Ehegatte die Wohnung dem anderen – ggf. auch für einen längeren Zeitraum – überlassen habe bzw. diese nur noch sporadisch nutze. Erst wenn der Ehegatte, der die Wohnung verlassen habe, diese endgültig aufgebe, verliere sie ihren Charakter als Ehewohnung (BGH, a. a. O.).
Dementsprechend wäre vorliegend danach zu fragen, ob es sich bei der Gebrauchsüberlassung an den Beklagten zu 3. nach wie vor um eine „Familienwohnung“ handelt, wobei hierfür offensichtlich nicht ausschlaggebend sein kann, ob der Beklagte zu 1. noch – worauf das Amtsgericht abgestellt hat – seinen Lebensmittelpunkt in der streitgegenständlichen Wohnung hat. Um einen Mieter, der einen Familienangehörigen aufnehmen will, nicht schlechter zu stellen als einen Mieter, der aus einem sonstigen berechtigten Interesse einen Teil seines Wohnraums einem Dritten überlassen will, wäre von einer „Familienwohnung“ jedenfalls dann noch auszugehen, wenn es sich um eine Teilgebrauchsüberlassung i.S.v. § 553 Abs. 1 BGB handelt. Eine solche Teilgebrauchsüberlassung ist aber auch dann noch anzunehmen, wenn der Mieter weiterhin Mitgewahrsam ausübt, etwa indem er ein Zimmer für sich belegt, persönliche Gegenstände in der Wohnung lässt oder im Besitz von Schlüsseln ist (vgl. BGH, NJW 2014, 2717 [= WuM 2014, 489]). Auch wenn man mit der Klägerin die Entscheidung des BGH vom 12.6.2013 – XII ZR 143/11 – wegen des familienrechtlichen Einschlags für den vorliegenden Fall nicht für unmittelbar einschlägig hält, ergibt sich die privilegierte Stellung der übrigen Familienmitglieder bereits aus Art. 6 GG. Die Klägerin hatte bislang vorgetragen, dass die Beklagten zu 1. und 2. dem Beklagten zu 3. die Wohnung vollständig überlassen hatten und auch die Kündigung vom 7.12.2021 darauf gestützt, dass der alleinige Besitz dem Beklagten zu 3. überlassen worden sei. Sie trägt nunmehr mit Schriftsatz vom 23.1.2023 (hilfsweise) vor, dass dieser die Wohnung nur zum Arbeiten nutze und sich der gemeinsame Hausstand der Beklagten zu 1. und 3. in der …straße befinde, weshalb der Schutz des Art. 6 GG nicht greife. Dies erscheint aber nicht zutreffend. Richtig ist zwar, dass das Recht zur Aufnahme der nahen Verwandten nur besteht, solange der Mieter die Wohnung noch in eigener Person nutzt (LG Berlin, GE 2022, 471). Auf einen gemeinsamen Hausstand kommt es nicht an. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist von einer solchen Nutzung aber auszugehen, wobei dann zugleich auch eine Teilgebrauchsüberlassung im weiter oben dargelegten Sinne anzunehmen ist. …
Mangels feststellbarer Pflichtverletzungen haften die Beklagten zu 1. und 2. daher der Klägerin auch nicht für die geltend gemachten Detektivkosten als Schadensersatz.
…
24.05.2023