In Berlin fallen tausende Wohnungen aus den Sozialbindungen – mit erheblichen Auswirkungen auf die Mieter:innen und die Stadt. Insbesondere Pankow, ein Bezirk, in dem es für Menschen mit durchschnittlichem Einkommen ohnehin nur wenige bezahlbare Angebote gibt, ist betroffen. Wir sprachen mit Ulli Lautenschläger und Daniella Michalek von der Mieterberatung Prenzlauer Berg über die Konsequenzen und mögliche Handlungsoptionen.
Über einen Zeitraum von 13 Jahren, von 1990 bis 2003, hat Berlin im Rahmen des Programms Soziale Stadterneuerung in Sanierungsgebieten insgesamt 17.887 Wohnungen bei der Modernisierung und Instandsetzung nach den jeweils geltenden ModInst-Richtlinien (ModInstRL) gefördert. Über eine Milliarde Euro Fördergelder sind allein in die fünf Sanierungsgebiete im Bezirk Pankow geflossen. Ähnlich wie bei Sozialwohnungen galten auch für diese Wohnungen Mietpreis- und Belegungsbindungen, zum Teil war die Anmietung an einen Wohnberechtigungsschein gebunden. Die Gültigkeit der Bindungen betrug zwischen 20 und 30 Jahren, je nach individuellem Fördervertrag mit der Investitionsbank Berlin (IBB).
Wir berichteten bereits im MieterMagazin, dass diese Sozialbindungen mittlerweile für fast zwei Drittel dieser Wohnungen ausgelaufen sind: Ende 2022 waren noch 6.230 Wohnungen gebunden, doch allein im Verlauf dieses Jahres verlieren weitere 1.914 Wohnungen diesen Schutz. Die betroffenen Mieter:innen sind besorgt.
Liebe Frau Michalek, lieber Herr Lautenschläger, welche Auswirkungen hat das Auslaufen der Sozialbindungen auf die Mieter:innen und die Stadt?
Ulli Lautenschläger (UL): Für die Stadt Berlin bedeutet das den Verlust von Belegungsrechten für tausende bezahlbare Wohnungen. Gerade in den besonders betroffenen Gebieten in Pankow, Friedrichshain und Mitte, in denen das Angebot für Menschen mit geringem Einkommen bereits knapp ist, verschärft sich die Lage weiter. Für die Mieter:innen bedeutet das fast immer Mietsteigerungen. In Häusern, die in Wohnungseigentum umgewandelt wurden, sind ab dem Auslaufen der Bindung sogar Eigenbedarfskündigungen möglich.
Daniella Michalek (DM): Vor dem Auslaufen der Bindungen konnten die Mietpreise für geförderten Wohnraum nur moderat bis zur Höhe der Fördermiete steigen. Nun sind unbegrenzte Anpassungen an die ortsübliche Vergleichsmiete möglich. Das Erhöhungspotenzial ist deutlich größer als zuvor. Jetzt greift allein die Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), nach der Mieterhöhungen auf maximal 15 Prozent alle drei Jahre beschränkt sind.
Können Sie darstellen, wie sich diese Aufhebung der Mietpreisbegrenzung auf die Mieter:innen auswirken wird?
DM: Insbesondere Mieter:innen mit geringem Einkommen, die während der Bindungszeit einen Mietzuschuss von der IBB erhalten haben, sind von sofort wirksamen Mietsteigerungen betroffen. Die Differenz zur bisherigen Miete müssen sie nun selbst tragen. Ein Beispiel aus Prenzlauer Berg, also in sogenannter guter Wohnlage: Zahlte ein Haushalt mit geringem Einkommen bisher 5,15 Euro pro Quadratmeter bei vertraglich vereinbarter Miete von 7,85 Euro pro Quadratmeter (Fördermiete, Berliner Mietspiegel 2021), müssen die Mieter:innen die Differenz in Höhe von 2,70 Euro pro Quadratmeter (bisheriger Mietzuschuss) nun selbst tragen. Für eine 60-Quadratmeter-Wohnung steigt die monatliche Miete dann um 162 Euro. Perspektivisch wäre kurz darauf eine weitere Anpassung an die ortsübliche Vergleichsmiete möglich. Die Obergrenze im Mietspiegelfeld liegt bei 11,04 Euro pro Quadratmeter. Schöpft der Vermieter bei erneuter Mieterhöhung das Potenzial (15 Prozent) voll aus, steigt die Miete auf 9,03 Euro pro Quadratmeter. In unserem Beispiel macht das einen nochmaligen Anstieg der Miete um 70 Euro aus.
Darüber hinaus können weitere Modernisierungsmaßnahmen von bis zu drei Euro pro Quadratmeter zu zusätzlichen Mietsteigerungen führen (gemäß § 559 BGB). Auch bei Neuvermietungen entfällt nach dem Auslaufen der Sozialbindung die Begrenzung des Mietpreises auf die Höhe der Fördermiete. Es greift dann allein die Mietpreisbremse, die eine Überschreitung der ortsüblichen Vergleichsmiete um höchstens zehn Prozent erlaubt. Ausnahmen wie höhere Vormieten oder umfassende Modernisierungen dürften in den meisten Fällen nicht vorliegen. Es ist jedoch wichtig, dass Mieter:innen, die Mietstaffeln vereinbart haben, diese unter Berücksichtigung der Mietpreisbremse überprüfen lassen.
Gibt es aus Ihrer Sicht noch Möglichkeiten, das Auslaufen für die verbliebenen Häuser zu verhindern oder zumindest zu verzögern?
UL: Nein, die Förderverträge bieten keine rechtlichen Möglichkeiten zur Verlängerung der Mietpreis- und Belegungsbindungen. Das Auslaufen der Sozialbindungen ist eine unvermeidliche Entwicklung.
Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für Mieter:innen, die akut betroffen sind?
DM: Mieter:innen, die von den auslaufenden Sozialbindungen betroffen sind, können sich im Rahmen der kostenlosen bezirklichen Mieter- und Sozialberatungen über ihre rechtliche Situation und weitere Unterstützungsmöglichkeiten informieren. Insbesondere Mieter:innen mit geringem Einkommen sollten prüfen, ob sie zu erwartende Mietsteigerungen durch Wohngeld oder Transferleistungen auffangen können. Mieter:innen städtischer Wohnungsbaugesellschaften können zudem eine Härtefallregelung beantragen, um die Nettokaltmiete auf 30 Prozent des Nettohaushaltseinkommens zu begrenzen. Zusätzlich bieten die Mietervereine kostengünstigen Rechtsschutz im Rahmen einer Mitgliedschaft an, was insbesondere bei gerichtlichen Auseinandersetzungen hilfreich sein kann.
Entwickelt die Stadt Berlin Strategien oder ergreift Maßnahmen, um die Auswirkungen auslaufender Sozialbindungen zu mildern? Oder anders gefragt: Wie sollte sie eingreifen?
UL: Bisher ist uns keine explizite Strategie der Stadt Berlin bekannt, um die Auswirkungen auslaufender Sozialbindungen gezielt zu mildern. Es gibt zwar ein kostenfreies Beratungsangebot zu mietrechtlichen und wohnungsbezogenen Fragen, aber keine spezifische und proaktive Beratung vor Auslaufen der Bindungszeit. Dabei wäre es äußerst wichtig, Mieter:innen frühzeitig über ihre Rechte und Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren. Eine transparente und umfassende Aufklärung über die Auswirkungen des Auslaufens der Sozialbindungen sowie über finanzielle Hilfen ist von großer Bedeutung. Nur so können Mieter:innen ihre Situation besser einschätzen und angemessen handeln. Zudem können durch die Milieuschutzsatzungen, die in den betroffenen Gebieten angewandt werden, mietpreistreibende Modernisierungen und Umwandlungen eingeschränkt werden.
Gibt es Pläne, erneut Sozialbindungen in Berlin einzuführen?
UL: Bisher sind uns keine Pläne bekannt, erneut Sozialbindungen in vergleichbarem Umfang im Altbau einzuführen. Sollte die Politik jedoch neue Förderprogramme mit Mietpreis- und Belegungsbindungen entwickeln, ist es wichtig, diese Rechte sehr langfristig und rechtlich durchsetzbar zu gestalten – bis zum Ende der im Fördervertrag vereinbarten Bindungszeit. Außerdem sollte während der Bindungszeit eine Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ausgeschlossen sein, um die Stabilität des bezahlbaren Wohnraums zu gewährleisten.
Das Interview führte Vera Colditz
Ulli Lautenschläger ist seit 30 Jahren Geschäftsführer der Mieterberatung Prenzlauer Berg und hat sich bereits seit Anfang der 1980er Jahre als Mieterberater in SO36 (Kreuzberg) gegen Abriss und Verdrängung engagiert.
Daniella Michalek studierte Geografie an der Humboldt-Universität zu Berlin und arbeitet seit 2010 für die Mieterberatung Prenzlauer Berg. Seit 2021 koordiniert sie den Geschäftsbereich Mieterberatung, darunter die offene Beratung und das Belegungsmanagement für preisgebundenen Wohnraum. Als Wohnungsmieterin in einem bereits umgewandelten Haus hat sie nach Auslaufen der Förderung eine Eigenbedarfskündigungswelle und die Fluktuation in der Nachbarschaft unmittelbar miterlebt.
14.06.2023