In Neukölln sollen rund 400 luxuriöse Eigentumswohnungen auf einem stillgelegten Friedhof entstehen, während dieser über Jahrzehnte zu einem Wald herangewachsen ist. Eine Initiative kämpft für den Erhalt des Naturjuwels inmitten der Großstadt und fordert mit konkreten Vorschlägen alternative Lösungen für bezahlbaren Wohnraum.
In einer Gegend, in der bezahlbarer Wohnraum knapp ist und viele Menschen mit geringen Einkommen leben, plant die Vonovia mit ihrem Projektentwickler Buwog den Bau luxuriöser Eigentumswohnungen auf einer der wenigen verbliebenen naturnahen Grünflächen, die frei zugänglich und für alle nutzbar sind. Das Bauvorhaben wirft Fragen zur sozialen und ökologischen Gerechtigkeit auf. Wir haben mit Judith, einer Aktivistin der Initiative Emmauswald, über die lokalen Gegebenheiten, die Bedeutung des Bauvorhabens für den Kiez und die Forderungen der Initiative gesprochen.
Liebe Judith, was ist der Emmauswald?
Der Emmauswald, ein nahe der Hermannstraße gelegener und seit den 1980er Jahren stillgelegter Friedhof, erstreckt sich über knapp vier Hektar mit mehr als 800 Bäumen, darunter einige, die 200 Jahre und älter sind. Mehr als 250 dieser Bäume sind besonders schützenswert. Die Fläche wurde im letzten Jahr offiziell als Wald nach dem Berliner Waldgesetz anerkannt. Die Waldfläche in Neukölln hat sich durch den Emmauswald verdreifacht. Das ist nur gelungen, weil wir in Zusammenarbeit mit der Bezirkspolitik wiederholt Anfragen bei den Berliner Forsten gestellt und durchgesetzt haben, dass der Bezirk eine erneute Begutachtung des Waldes veranlasst. Heute ist der Emmauswald der größte Wald Neuköllns und dient als Naherholungsgebiet für alle, besonders für diejenigen, die nicht in der Lage sind, entfernte Parks zu besuchen. In dieser Gegend rund um den Kranoldkiez sind Grünflächen rar und umliegende Straßen besonders verschmutzt. Der Wald hat da eine wichtige Ausgleichsfunktion für die Gesundheit der Anwohner:innen. In einem Tunnel unter dem Wald verläuft mit der A100 die zweitmeistbefahrene Straße der Stadt.
Warum habt ihr die Initiative Emmauswald gegründet und wer seid Ihr?
Die Initiative existiert seit Sommer 2022, als bekannt wurde, dass die Buwog im Auftrag von Vonovia den Bau von Luxuseigentumswohnungen auf der Fläche plant. Ursprünglich von einer Einzelperson gestartet, hat sich unsere Bewegung durch eine Petition und eine Messenger-Gruppe schnell zu einer vielfältigen Gemeinschaft aus Menschen unterschiedlichen Alters entwickelt.
Unser Engagement für den Emmauswald hat nicht nur damit zu tun, dass wir in der Gegend leben. Wir halten das Bauprojekt unabhängig davon für bedenklich. Es ist nicht akzeptabel, dass auf diesem Gelände 440 luxuriöse Eigentumswohnungen entstehen sollen, besonders angesichts der Tatsache, dass fast jedes vierte Kind in der Umgebung von Sozialhilfe lebt und bezahlbarer Wohnraum Mangelware ist. Der Bau solch hochpreisiger Wohnungen treibt die Mieten in der Umgebung in die Höhe. Bereits jetzt stehen gegenüber dem Areal rund 50 Wohnungen seit Ewigkeiten leer, weil sich niemand die Mietpreise leisten kann. Es ist absurd.
Welche Bedenken habt ihr ganz konkret hinsichtlich des geplanten Bauprojekts?
Unsere Bedenken sind vielschichtig. Wir befürchten, dass sich das Erscheinungsbild des Kiezes stark verändern wird. Nach unserem Kenntnisstand werden nur etwa 17 Prozent der Eigentumswohnungen von Selbstnutzer:innen bewohnt. 80 Prozent erwerben Investoren. Gegen selbstgenutztes Eigentum haben wir nicht per se etwas, aber bei einem Immobilienerwerb durch Investoren kommt es oft zu problemhaften Vermietungspraktiken mit Auswirkungen auf den ganzen Kiez: Die Wohnungen werden als Ferienunterkünfte genutzt, hochpreisig und möbliert vermietet oder stehen einfach leer.
Was sind eure Forderungen?
Wir wollen, dass Wohnungen gebaut werden, die für alle Neuköllner:innen zugänglich sind. Zudem gibt es geeignetere Flächen. Das geplante Bauprojekt der Vonovia betrifft nicht nur den Wald, sondern auch eine versiegelte Brachfläche davor. Wir fordern eine Bebauung dieser Fläche – und zwar mit preisgünstigen Wohnungen. Und das ist nicht das einzige vorhandene Potenzial: Wir haben festgestellt, dass es in Neukölln noch viele weitere Flächen gibt, die für sozialen Wohnungsbau geeignet wären. Wir verstehen nicht, warum diese nicht genutzt werden, während die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen der Bebauung des Emmauswaldes eine „Dringlichkeit“ zuspricht.
Mitte 2024 will der Senat ein Schneller-Bauen-Gesetz vorlegen. Könnte das auch Konsequenzen für das Gelände des Emmauswalds haben?
Wir sehen ein Gesetz zur Vereinfachung von Bebauung zwiespältig. Einer Aufstockung von Supermärkten beispielsweise stehen wir positiv gegenüber. Da werden aktuell zu viele Steine in den Weg gelegt. Außerdem begrüßen wir es, wenn nicht nur große Unternehmen bauen, sondern stattdessen kleinere Vorhaben gefördert werden. Negativ bewerten wir hingegen, wenn die politisch Verantwortlichen Bauvorhaben – wie im Fall des Emmauswaldes – vorziehen, aber nicht genau hinschauen, was gebaut wird. Wir sagen nicht, dass nichts gebaut werden soll. Aber es sollte sich nach dem Bedarf im Kiez richten. Viele Anwohner:innen haben konkrete Vorschläge, die die gleiche Zahl an Wohnungen schaffen würden und zugleich auch mit der Umgebung verträglicher wären. Das ist aufwendige Einzelfallarbeit. Aber wir glauben, dass die Zeit der einfachen Lösungen vorbei ist. Zu oft haben sie in Berlin zu kopflosen Entscheidungen geführt.
Ihr beschreibt in eurer Petition, dass ihr als Anwohner:innen einbezogen werden wollt, um gemeinsam bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. In Berlin gibt es Leitlinien zur Bürgerbeteiligung, die unter anderem bei Bauvorhaben genau diesem Wunsch entsprechen sollen. Wie sind eure Erfahrungen damit?
Wir möchten, dass die Politik die Stadtbewohner:innen aktiv in den Prozess einbindet, um gemeinsam bezahlbaren und gerechten Wohnraum zu schaffen. Bisher sind wir auf Bezirksebene nicht weit gekommen, obwohl die Kommunikation mit den Verantwortlichen gut verlief. Als jedoch klar war, dass der Emmauswald offiziell als Wald anerkannt ist, hat der Senat für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen das Vorhaben an sich gezogen und den bezirklichen Prozess der Bürgerbeteiligung gestoppt. Wir sehen das auch deshalb kritisch, weil die Planungshoheit für Bauvorhaben eigentlich beim Bezirk liegt.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir haben demnächst einen Termin mit einem Stadtplaner, der die nächsten Schritte erläutert, einschließlich der Bürgerbeteiligung. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen haben wir bereits mehrfach kontaktiert und um Termine gebeten, aber bisher keine zufriedenstellende Antwort erhalten. Auch mit Vertreter:innen von CDU und SPD führen wir regelmäßig Gespräche. Ein Treffen steht zwar noch aus, doch wir werden unsere Forderungen vehement durchsetzen.
Zum Abschluss: Was wünscht ihr euch, welchen Support braucht ihr?
Wir freuen uns über jede Art von Beteiligung, Unterstützung und Engagement. Wir sind schon eine relativ große Gruppe, aber die Arbeit hört nie auf. Vor allem vor Kundgebungen und Festen benötigen wir Menschen, die Flyer verteilen, und solche, die sich für den Wald interessieren und uns bei seinem Schutz unterstützen. Ich engagiere mich seit einem Jahr für die Sache, und es ist ermutigend zu sehen, dass unsere Arbeit Wirkung zeigt. Jede:r mit Interesse kann uns gern per E-Mail kontaktieren, unsere Petition unterschreiben und in unsere Chat-Gruppe eintreten. Lasst uns gemeinsam überlegen, in was für einer Stadt wir leben wollen und wie wir sie aktiv mitgestalten können!
Das Interview führte Vera Colditz
19.02.2024