Pressemitteilung 17/24
„Die Berliner Haushalte können sich überwiegend nicht leisten was von den Eigentümer:innen gefordert wird – das zeigt unsere Studie sehr anschaulich“, sagt Ulrike Hamann-Onnertz, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins (BMV). „Auf Basis der frischen Daten aus dem Mikrozensus Wohnen müssen wir feststellen, dass die derzeit genutzten wohnungspolitischen Instrumente der Landesregierung wesentliche Teile der Berliner Bevölkerung nicht berücksichtigen.“
Mit dem Mikrozensus Wohnen 2022 haben wir die Möglichkeit, die aktuelle Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt und die Lage der Berliner Miethaushalte hinsichtlich ihrer Versorgung und ihren finanziellen Möglichkeiten differenziert und genau zu analysieren. Damit legen BMV und die Stadtforschungsgesellschaft Asum GmbH eine fundierte Grundlage vor, um die aktuellen Maßnahmen der Politik und der Wohnungswirtschaft zu bewerten. Bis jetzt fehlten den politischen Handlungsträgern die Zahlen zum Wohnraumbedarf der Berliner Bevölkerung zur Frage, welche Miethöhen leistbar sind, und in welchem Umfang welche Art von Wohnraum entstehen muss. Bislang sind die Förderrichtlinien im Neubau, der Stadtentwicklungsplan Wohnen 2040 sowie die Kooperationsvereinbarung mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen – wichtige Instrumente der Steuerung der Wohnungspolitik auf Landesebene – jedoch ohne eine solche Grundlage beschlossen worden. Der BMV empfiehlt dringend, hier nachzubessern.
Aufgrund der angespannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt und für zukünftige zielgenaue wohnungspolitische Maßnahmen hat der BMV das Stadtforschungsteam der ASUM GmbH beauftragt, die Daten des Mikrozensus Wohnen Berlin-Brandenburg auszuwerten. Im Fokus stand die Mietbelastung der Berliner Haushalte und die Ermittlung des Bedarfs an sozial reguliertem Wohnraum. Die Ergebnisse zeigen, dass fast zwei Drittel der Berliner Haushalte (61,2%) über ein Einkommen verfügen, mit dem auf dem freien Markt kaum eine bezahlbare Wohnung zu finden ist und die deshalb WBS-berechtigt sind.
Der Berliner Senat hat kürzlich den WBS-Berechtigungskreis erweitert. Die Auswertung zeigt, dass ein großer Teil an Haushalten der mittleren Einkommensgruppe bereits in den WBS-Stufen bis 180% der Bundeseinkommensgrenze (BEG) berücksichtigt war. „Die Erweiterung des Kreises der WBS berechtigten Haushalte ist vor dem Hintergrund der hohen Mietbelastung durchaus zu begrüßen, der Senat hätte jedoch die Stellschrauben bei den Miethöhen sowie den Vermietungs- und Neubauquoten gleichermaßen anpassen müssen“, so Hamann-Onnertz. Durch die Ausweitung kommt es zur weiteren Verknappung von bezahlbaren Wohnungen für rund 700.000 Berliner Haushalte der „alten“ WBS-Stufen. „Ansetzen muss der Senat jedoch vor allem im Wohnungsbestand bei den noch leistbaren Mieten und bei den Mieterhöhungsspielräumen der Landeseigenen. Die Wiedervermietungsquote bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen muss entsprechend dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden. Der Kreis der WBS berechtigten Haushalte ist um 25% angewachsen. Das muss auch durch die Erweiterung der Vermietungsquoten der Landeseigenen Unternehmen abgebildet sein“, so Hamann-Onnertz.
Weiterhin zeigt die Studie, dass besonders kleine und große Haushalte unter hohen Mieten leiden. Miethaushalte der unteren Einkommensklassen haben den geringsten Wohnflächenverbrauch und dennoch die höchsten Mietbelastungen. Die Einsparpotenziale in Bezug auf die Wohnfläche sind hier zumeist ausgeschöpft. Die Modellberechnungen zur Mietzahlungsfähigkeit in der Studie geben Aufschluss darüber, welche Miethöhen für welche Einkommensgruppen tatsächlich leistbar wären.
„Wir brauchen dringend ein ganzheitliches Konzept für die Wohnraumversorgung in Berlin. Mit der jetzigen Situation, die eine Konkurrenz um bezahlbare Wohnungen schürt, steuern wir mehr und mehr auf die soziale Spaltung und soziale Verwerfungen hin“, so Hamann-Onnertz.
Zentrale Ergebnisse der Studie:
- Mindestens ein Drittel der Haushalte können sich am Wohnungsmarkt nicht aus eigener Kraft versorgen, insbesondere kleine und große Haushalte. Diese Haushalte zahlen durchschnittlich 45% ihres Einkommens für die Bruttokaltmiete.
- Die Ausweitung der WBS-Berechtigung auf bis zu 220 % der Bundeseinkommensgrenze hilft vor allem mittleren Einkommen und mittleren Haushaltsgrößen, verschärft jedoch die Wohnungsknappheit für alle WBS-berechtigten Haushalte und fördert die Konkurrenz um die soziale Ressource Wohnung, solange das Angebot nicht ausgeweitet wird.
- Wer viel verdient, nutzt viel Fläche und hat dennoch eine geringe Mietbelastung, während kleine Einkommen schon jetzt (zu) wenig Fläche bei hoher Belastung aufweisen. Die Idee der Reduzierung des Wohnflächenverbrauchs über einen höheren Mietpreis – wie aus wohnungswirtschaftlicher Sicht vorgeschlagen – geht am Problem vorbei. Sie trifft die großen Flächennutzer:innen mit geringer Mietbelastung nicht, verstärkt jedoch Überbelegung und Verdrängung in den unteren Einkommensgruppen.
- Große Haushalte können aufgrund ihrer Struktur nicht dieselbe Mietbelastung tragen wie kleine Haushalte. Aus mehr Personen im Haushalt ist nicht abzuleiten, dass höhere Quadratmeterpreise leistbar sind. Stattdessen wäre es sinnvoll, bei der Betrachtung der Leistbarkeit, eine Mietbelastungsquote für größere Haushalte von 22% anzusetzen.
- Der Neubau von geförderten Wohnungen ist sinnvoll, wird jedoch mittelfristig keine spürbaren Auswirkungen auf das Wohnungsangebot haben, denn die Einstiegsmieten dort sind nach den derzeitigen Förderbestimmungen viel zu hoch.
- Der Neubau verbessert unter den derzeitigen Bedingungen nicht die desolate Lage auf dem Wohnungsmarkt für einen Großteil der Bevölkerung. Er schafft vor allem keine leistbaren Wohnungen. Der große Hebel ist daher, leistbare Mieten im Bestand zu sichern.
Mietbelastung in Berlin: Welche Mieten können sich Berliner Haushalte leisten?
17.10.2024