Wie kann durch Kooperation und Engagement neuer Wohnraum zu moderaten Preisen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen entstehen? Vera Colditz vom Berliner Mieterverein hat die Eröffnung des Miteinander-Hauses im Soldiner Kiez besucht.
Es ist ein sonniger Freitagvormittag Anfang Juni, als ich an der feierlichen Eröffnung des neuen Gebäudekomplexes in der Gotenburger Straße 35 in Berlin-Gesundbrunnen teilnehme. Vor Ort begrüßen uns der Leiter für Gewerbeimmobilien Rainer Uhlig von der Degewo, Vertreter:innen der Kiezquartier gGmbH, Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD), Bezirksstadtrat Christoph Keller (Die Linke), die Referentin für Wohnungsnotfallhilfe und Wohnungspolitik Daniela Radlbeck vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin sowie die neuen Bewohner:innen selbst. Sie haben eingeladen und zeigen bei Hausbegehungen allen Interessierten das hier entstandene Modellprojekt. Schon seit Anfang des Jahres bietet der Gebäudekomplex unterschiedlichen Trägereinrichtungen (Wohn)Raum – bezahlbar, inklusiv und nachhaltig.
Die Hauptmotivation für das Wohnprojekt begründet sich vor allem in der desolaten Situation auf dem Wohnungsmarkt und den besonders erschwerten Bedingungen sowie der sozialen Benachteiligung von Menschen in besonderen Lebenssituationen. Im Soldiner Kiez, in dem das Miteinander-Haus steht, leben viele Arbeitslose, Menschen mit niedrigen Einkommen oder Migrationserfahrung – Bevölkerungsgruppen, denen der Zugang zum Berliner Wohnungsmarkt meist versperrt ist. Auch soziale Einrichtungen haben es schwer, Räume in Berlin zu finden. Immer häufiger werden auch Kitas, Arztpraxen und Jugendzentren Opfer der Verdrängung. Das Miteinander-Haus soll langfristige Autonomie und Sicherheit zu finanzierbaren Konditionen bieten.
Soziale Integration und Gemeinschaft
Mit 58 barrierefreien Wohnungen, verteilt auf 47 Einzimmerwohnungen und 11 Zwei- bis Neunzimmerwohnungen, bietet das Haus Platz für 104 Menschen, die durch die beteiligten Trägervereine unterstützt werden. Die Vermietung der Wohnungen im Miteinander-Haus organisiert die gemeinnützige Kiezquartier gGmbH und unterstützt so gezielt bedürftige Bevölkerungsgruppen. Sie nutzen die Wohnungen ausschließlich für Menschen, die wegen ihrer sozialen oder gesundheitlichen Situation besonderen Unterstützungsbedarf haben – junge Eltern und ihre Kinder, Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, Suchtkranke sowie Menschen mit Migrationshintergrund.
Die Trägervereine bieten spezialisierte Betreuungs- und Beratungsangebote während des Wohnens, um den Bewohner:innen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Es gibt beispielsweise eine Wohneinrichtung für junge Mütter und Väter mit Migrationserfahrung sowie eine queere Wohngemeinschaft. Darüber hinaus finden sich im unteren Teil des Hauses eine Kindertagesstätte sowie Räume für ein Berufsorientierungsprojekt, das 30 jugendliche Schulverweigerer:innen temporär unterstützt.
Kooperation und soziale Unterstützung
Das Projekt entstand durch eine bislang einzigartige Zusammenarbeit zwischen dem landeseigenen Wohnungsunternehmen Degewo und insgesamt sieben sozialen Projekten, die sich während der Entstehung des Miteinander-Hauses zur Kiezquartier gGmbH mit dem Geschäftsführer Stefan Lutz zusammengeschlossen haben. Das Bauprojekt L.I.S.T. Stadtentwicklungsgesellschaft initiierte das Miteinander-Haus – es setzt sich für eine sozial gerechte Entwicklung der Städte und Quartiere ein. Die Degewo übernahm die Verantwortung für die bauliche Infrastruktur, während die Kiezquartier gGmbH sich nun der langfristigen Vermietung und Verwaltung als Generalmieterin annimmt. Für die kommenden 50 Jahre wurde ihnen eine sichere Miete versprochen.
Während meiner Besichtigung berichten die Vertreter:innen, dass die beteiligten sozialen und gemeinnützigen Institutionen schon während der Bauphase ihre Expertise und Wünsche einbringen konnten, um die spezifischen baulichen Bedürfnisse der Bewohner:innen besser erfüllen und die Räume möglichst effizient nutzen zu können.
Daneben war auch die ökologische Bauweise wichtig: Energieeffiziente, moderne Technologien und Materialien sollen dafür sorgen, dass die Gebäude nachhaltig und kostengünstig im Unterhalt sind. Die Gesamtkosten des Projekts belaufen sich auf rund 15 Millionen Euro, finanziert durch Eigenmittel der Degewo, öffentliche Fördermittel und eine Beteiligung des Berliner Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Dachverband für die im Kiezquartier beteiligten Projekte ist.
Die Projekte stehen jedoch nicht nur für sich: Regelmäßige Programme und Events in Gemeinschaftsbereichen sollen den Zusammenhalt stärken und die soziale Integration zwischen den unterschiedlichen Gruppen und innerhalb der Nachbarschaft fördern. Den Trägern ist das ein großes Anliegen, da hier häufig Menschen ein Zuhause finden, die sich in der Vergangenheit sozial isoliert und gesellschaftlich nicht zugehörig fühlen konnten.
Langfristige Ziele und Zukunftsperspektiven
Die Vertreter:innen der Trägervereine betonen, dass die neue Form der Zusammenarbeit zwischen einem städtischen Wohnungsunternehmen und sozialen Trägern demonstrieren und erproben soll, wie solche Kooperationen in Zukunft sozialen und bedarfsgerechten Wohnraum schaffen können. In den kommenden Jahren soll das Konzept auf viele andere Standorte und Wohnprojekte übertragen werden. Am 15. April 2024 hat die Kiezquartier gGmbH den Grundstein für ein zweites Wohnbauprojekt in Altglienicke gelegt. Hier entsteht – wieder mit der Degewo – ein neues Wohnquartier mit 42 Wohneinheiten und einem grünen Quartiersplatz für die gesamte Nachbarschaft.
Die Landeseigenen als bedeutsame Pioniere für die Zukunft?
Das Miteinander-Haus kann als Pionier-Projekt in Berlin ein Exempel statuieren, wenn Degewo und die Kiezquartier gGmbH weiter auf Augenhöhe zusammenarbeiten: Die Degewo hat in letzter Zeit jedoch auch viel Kritik von Mieter:innen bekommen, gerade wenn es um die Themen Mieter:innen-Mitbestimmung, Instandsetzung oder hohe Heizkosten ging. Wir hoffen deshalb, dass sie in Zukunft auf eine gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit der Kiezquartier gGmbH setzt. Diesem Beispiel können weitere landeseigene Wohnungsbaugesellschaften folgen – und vielleicht sogar der eine oder andere private Wohnungswirtschaftler. So entsteht Wohnraum für alle und wächst sozialer Zusammenhalt.
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier.
Vera Colditz
20.06.2024