Wer einmal mit einem Wohnberechtigungsschein in eine Sozialwohnung gezogen ist, muss sein niedriges Einkommen nie wieder nachweisen und kann auch mit höherem Einkommen in der Wohnung bleiben. Bausenator Gaebler (SPD) prüft derzeit Maßnahmen gegen diese „Fehlbelegung“. Der Koalitionspartner CDU fordert höhere Mieten für Betroffene. Eine frühere Fehlbelegungsabgabe scheiterte schon einmal – hat der Senat daraus nichts gelernt?
Immer mehr Sozialwohnungen fallen aus der Mietpreisbindung. Die fortschreitende Entwicklung bedroht zehntausende Berliner:innen akut vor Verdrängung, sei es durch drastische Mietsteigerungen oder Eigenbedarfskündigungen nach Umwandlung in Eigentum. Die Katastrophe hat einen Namen – seit dem Rückgang des geförderten Wohnungsbestands in den 1990er Jahren ist die SPD ununterbrochen in der Landesregierung vertreten und meist hauptverantwortlich für die Wohnungspolitik. Längst spüren nicht mehr nur unterdurchschnittlich verdienende Mieter:innen jeden Monat die Konsequenzen für ihren Geldbeutel und ihre mageren Aussichten auf eine bezahlbare und angemessene Wohnung. Da der Senat in den letzten Jahrzehnten häufig im Sinne der Immobilienwirtschaft agierte, ist zu befürchten, dass sich dies auch unter der schwarz-roten Koalition nicht ändern wird.
Mit steigendem Einkommen soll der Anspruch künftig verfallen
Vor einigen Monaten forderte die CDU, was Bausenator Christian Gaebler (SPD) nun prüft: Wer nach Einzug in eine preisgebundene Wohnung mittels Wohnberechtigungsschein (WBS) heute mehr verdient und keinen WBS-Anspruch mehr hat, soll eine höhere Miete zahlen. Auch die AfD liebäugelt schon seit einigen Jahren mit einer sogenannten „Fehlbelegungsabgabe” und legte dem Abgeordnetenhaus Anfang dieses Jahres ein Gesetz über den Abbau der Fehlsubventionierung im Berliner Wohnungswesen (AFWoG Bln) vor. In Hamburg gibt es ähnliche Pläne, wo das Hamburger Abendblatt jüngst titelte: „Millionär in Sozialwohnung – warum das in Hamburg möglich ist.“
Worauf die Überschrift anspielt: Nach dem Einzug in eine belegungsgebundene Sozialwohnung wird das Einkommen der Mieter:innen nicht mehr überprüft. Während beim Einzug noch die Anforderungen des Wohnberechtigungsscheins gelten, könnte das Einkommen der Mieter:innen danach theoretisch auch in Millionenhöhe steigen – die Miete bliebe dennoch unverändert. Wie oft dies tatsächlich vorkommt, wird mangels Überprüfung der Einkommen nicht erfasst. Allerdings ist es eher selten, dass Menschen, die ursprünglich unter die WBS-Einkommensgrenzen fielen, plötzlich einen wesentlichen Einkommenszuwachs verzeichnen.
Günstige Wohnungen durch Mehreinnahmen fördern
Dass die 79.000 Sozialwohnungen in Berlin viel zu wenig sind, steht außer Frage. Dazu kommt, dass jedes Jahr für tausende dieser Wohnungen die Förderung ausläuft und dadurch marktübliche Mieterhöhungen drohen. Dieser Prozess vollzieht sich am schnellsten im Segment der WBS-140-Wohnungen, für die ein Single-Haushalt maximal ein Einkommen von 1.400 Euro im Monat haben darf. Den auslaufenden Sozialbindungen in allen Fördersegementen stehen über eine Million Berliner:innen gegenüber, die einen Anspruch auf einen WBS haben. Zwar haben nur knapp über 50.000 Menschen tatsächlich einen WBS, doch die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität im sozialen Wohnungsbau ist offensichtlich.
Im vergangenen Jahr führte der Senat den WBS 220 in Berlin ein, für den Single-Haushalte bis zu 2.200 Euro verdienen dürfen – allerdings nur um sich für Wohnungen mit einer nicht gerade günstigen Kaltmiete von 11,50 Euro pro Quadratmeter zu qualifizieren. Damit wird der Markt für die niedrigen Einkommen weiter verengt, wie der BMV berichtete.
Was wollen CDU und SPD nun eigentlich mit der Abgabe bezwecken? Der CDU-Abgeordnete Danny Freymark will die Einkommen der WBS-Mieter:innen nach einigen Jahren überprüfen. Sobald die Personen die Einkommensgrenze für die WBS-Berechtigung überschreiten, sollen sie mehr Miete zahlen: „Ich will nicht, dass die Leute aus ihrer Wohnung fliegen, aber ich möchte, dass die Menschen eine marktübliche Miete zahlen“, sagte er im März dem Tagesspiegel. Mit den Einnahmen solle das Land andere Wohnungen vergünstigt anbieten.
Überprüfungsaufwand hoch, bürokratisch und teuer
Dabei würde sich ein Blick in die Vergangenheit lohnen: Eine Fehlbelegungsabgabe (FBA) gab es in Berlin schon einmal. Bis 2002 mussten Mieter:innen in Sozialwohnungen, die über der WBS-Einkommensgrenze verdienten, eine bis fünf D-Mark pro Quadratmeter mehr zahlen. Dann schaffte der Senat die Regelung ab. Zum einen beliefen sich die Kosten für die Überprüfung der Einkommen laut Abgeordnetenhaus 1999 bis 2001 auf durchschnittlich 40 bis 55 Prozent der gesamten Einnahmen durch die FBA. Zum anderen befürchtete man, die soziale Durchmischung in den Quartieren zu gefährden, wenn Besserverdienende aus den verteuerten Sozialwohnungen ausziehen würden.
Ein Wegzug käme heute selbst bei höheren Mieten wohl für einen Großteil der ehemaligen WBS-Mieterinnen kaum infrage – die Angebotsmieten haben sich zu stark von den Bestandsmieten entkoppelt, der Berliner Wohnungsmarkt ist vor allem im leistbaren Segment stark verknappt. Das Problem, dass durch die Verteuerung der Sozialwohnungen aufgrund der Verwaltungskosten nur ein geringer Nutzen entsteht, ist dagegen noch größer: Als die FBA abgeschafft wurde, gab es noch 430.000 Sozialwohnungen in Berlin, heute sind es nicht einmal mehr ein Fünftel davon. Der zu erwartende Ertrag durch die neue FBA wäre daher entsprechend gering und wäre als Zugabe für neue Sozialwohnungen nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“.
Außerdem würde die FBA quasi Menschen für ihren sozialen Aufstieg bestrafen. Die Forderung spricht also gegen die sonst so stark von CDU und SPD gepriesene Belohnung von mehr Leistung (zumeist gleichbedeutend mit höherem Einkommen), Effizienz und Bürokratieabbau. Wer marktübliche Mieten für Ex-WBS-Berechtigte will, gesteht sich nicht ein, dass diese selbst bis weit hoch in die Mittelschicht viel zu große Anteile des Einkommens auffressen. Zudem erhöht jede weitere Mieterhöhung den Druck auf den Mietwohnungsmarkt.
Mehr sozial gebundene Wohnungen sind der Schlüssel
Um Mittel für den Neubau von sozialem Wohnraum verfügbar zu machen und so gleichzeitig auch die Mietsteigerungen auf dem ungeförderten Wohnungsmarkt zu dämpfen, sollte der Fokus nicht auf den individuellen Einkommen einzelner Mieter:innen liegen. Statt einer Subjektförderung einzelner Menschen, wie etwa durch Wohngeld, sollte der Senat auf die gezielte Objektförderung für den sozialen Wohnungsbau setzen. Denn das Wohngeld, mit seinem in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgeweiteten Berechtigtenkreis, ermöglicht es oft auch privaten Vermieter:innen höhere Mieten zu verlangen, da es den Spielraum für überhöhte Mieten vergrößert. Wenn dagegen mehr Geld in den Bau neuer Sozialwohnungen fließen würde, könnten Vermieter:innen diese langfristig zu günstigeren Mieten anbieten. Dies könnte sowohl den Markt beruhigen als auch langfristig die Ausgaben für das Wohngeld senken.
Angesichts der tausenden Wohnungen, die ihre Förderungen verlieren würden, wären die Einnahmen durch die Wiedereinführung der FBA lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein zur Finanzierung neuer Sozialwohnungen. Daher kann die Debatte um eine Fehlbelegungsabgabe getrost als Symbolpolitik gelten.
ml
13.09.2024