Die Wohnungskrise in Deutschland spitzt sich zu, und es braucht dringend neue Lösungen. Aber wer ist in der Pflicht? Die Antwort könnte überraschen: Wir alle.
Wenn es darum geht, die Lücke zwischen Bedarf und Angebot an Sozialwohnungen zu schließen, taucht immer wieder ein Begriff auf: Sozialwohnungsquote. Während Linke, Grüne und auch Teile der SPD mit diesem Instrument liebäugeln, halten auch Jurist:innen die Durchsetzung für rechtlich machbar. Wir stellen die zentralen Vorschläge sowie die Möglichkeiten für die Umsetzung vor.
Die erschreckende Realität der Wohnungskrise
In Deutschland verschärft sich die Wohnungsnot dramatisch. Während Mieten rasant steigen, insbesondere in Ballungsgebieten, schrumpft der Bestand an Sozialwohnungen stetig – von über zwei Millionen im Jahr 2006 auf 1,07 Millionen im Jahr 2023. Dieser Rückgang macht es für viele Menschen nahezu unmöglich, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Private Haushalte der kleineren und in steigender Zahl auch mittleren Einkommensgruppen trifft es am härtesten. Ein Ende des Abwärtstrends ist nicht in Sicht, da auch in den nächsten Jahren Tausende von Wohnungen aus der Sozialbindung fallen werden. Sozialverträgliches Wohnen wird mehr und mehr zur Utopie. Doch muss das so sein?
Es bedarf eines Umdenkens, um die Lücke zwischen Bedarf und Angebot an Sozialwohnungen zu schließen und den Zugang zu sozialem Wohnraum zu sichern. Die Einführung einer Sozialwohnungsquote kann eine neue, innovative Lösung sein.
Die Sozialwohnungsquote – ein revolutionärer Ansatz?
Die Sozialwohnungsquote ist eine Regelung, die alle Wohnungsunternehmen dazu verpflichten würde, einen bestimmten Anteil ihres Bestandes an Haushalte mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) zu vermieten. Vorteil: Auch privatwirtschaftliche Wohnungsbauunternehmen (WBU) wären in der Verantwortung, sozialen Wohnraum zu schaffen. Diese Pflicht würde in Gebieten mit besonders angespannten Wohnmärkten gelten. Besonders hier muss schnelle Abhilfe geleistet werden, um der Daseinsvorsorge gerecht zu werden und sozialer Entmischung entgegenzuwirken. Die Quote soll sich nach der Unternehmensgröße richten und könnte sich an bereits bestehenden Gesetzen orientieren. Die Rechtsanwältinnen Sarah Lincoln und Mareile Dedekind bringen in ihrem Beitrag auf dem Verfassungsblog beispielsweise eine verpflichtende Sozialwohnungsquote von bis zu 30 Prozent für Wohnungsunternehmen mit einem Bestand von mehr als 1.000 Wohnungen ins Spiel.
Im aktuellen Modell des sozialen Wohnungsbaus entstehen Sozialwohnungen fast ausschließlich im Neubau durch staatliche Förderung. Im Gegenzug für staatliche Zuschüsse erklären sich die WBU bereit, einen Teil der neuen Wohnungen für einen befristeten Zeitraum zu vergünstigten Preisen zu vermieten. Doch nur wenige privatwirtschaftliche Unternehmen nutzen die Förderungen, da längere Mietpreisbindungen oft den künftigen Verwertungsinteressen entgegenstehen. Die Verantwortung bleibt daher überwiegend bei den kommunalen WBU, was häufig unzureichend im Stadtkontext ist. Das Ziel der Bundesregierung, jährlich 100.000 neue Sozialwohnungen zu schaffen, wird deutlich verfehlt – 2023 wurden nur knapp die Hälfte (49.430) solcher Wohnungen errichtet.
Eine Sozialwohnungsquote könnte flexibel gestaltet werden. Auch bestehende Mietverhältnisse wären überprüf- und anpassbar, wenn Mieter:innen nachträglich die Kriterien für eine Sozialwohnung erfüllen. Denn immer mehr Personen auch in Berufen des Mittelstands (Handwerk, Gesundheitswesen oder Dienstleistungssektor) können sich kaum noch Wohnraum auf den lokalen Wohnungsmärkten leisten. In Berlin ist die Situation im bezahlbaren Segment so verknappt, dass auch Personen mit mittlerem Einkommen inzwischen Anspruch auf einen WBS haben. Nachträgliche Anpassungen könnten die Wohnungen im sozialen Segment sichern – die Quote würde schneller erreicht. Vorstellbar sind Übergangsregelungen, um die Anpassung für Wohnungsunternehmen zu erleichtern.
Verfassungsmäßigkeit: Vereinbarkeit mit dem Eigentumsrecht
Sogar das Grundgesetz steht auf der Seite der Mieter:innen. Die Verfassungsblog-Autorinnen Lincoln und Dedekind legen dar, dass eine verpflichtende Sozialwohnungsquote für alle Wohnungsunternehmen rechtlich umsetzbar sei. Sie argumentieren, dass angesichts der Wohnungsnot eine solche Maßnahme verfassungsrechtlich tragfähig wäre. Lincoln erläutert, dass Artikel 14 Grundgesetz zwar das Eigentum schützt, es aber auch an eine soziale Verantwortung bindet.¹ Die Botschaft ist klar: Eigentum verpflichtet. Die rechtliche Grundlage für eine verfassungskonforme Umsetzung ist gegeben. Die Sozialwohnungsquote wäre eine solche Maßnahme, da sie darauf abzielt, den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum für die stetig wachsende Zahl berechtigter Haushalte zu sichern.
¹ Anmerkung: Art. 14 Abs. 2 GG betont, dass Eigentum dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll, was hier als Argument für eine Reform des Wohnungsmarktes herangezogen wird. |
Zwar würde die Quote die unternehmerische Freiheit der Wohnungsunternehmen einschränken, doch diese Einschränkung wäre verhältnismäßig und gerechtfertigt. Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass ein Eingriff in das Eigentumsrecht zulässig ist, wenn das Gemeinwohl – in diesem Fall die Sicherung von Wohnraum – gefördert wird. Außerdem wären die wirtschaftlichen Belastungen für Wohnungsunternehmen nicht existenzbedrohend, da nur ein Teil des Wohnungsbestandes betroffen ist und sie weiterhin Wohnungen zu marktüblichen Preisen vermieten können.
Die Macht der Kommunen
Ein wichtiger Bestandteil der Sozialwohnungsquote wären die sogenannten Benennungs- und Belegungsrechte,³ die den Kommunen mehr Steuerungskompetenz geben würden. Benennungsrechte erlauben es den Kommunen, mehrere potenzielle Mieter:innen für eine Wohnung vorzuschlagen, während Belegungsrechte ihnen die direkte Entscheidungskompetenz darüber geben, wer die Wohnung erhält. Dies wäre besonders hilfreich, um stark benachteiligte Gruppen, wie beispielsweise Obdachlose, in Sozialwohnungen unterzubringen und gleichzeitig eine soziale Mischung der Bevölkerung zu fördern.
Eine flexible Anwendung dieser Rechte würde sicherstellen, dass nicht nur kleine Wohnungen als Sozialwohnungen vermietet werden, was zu einer besseren Verteilung unterschiedlicher Wohnungsgrößen führt.
³ Anmerkung: Der Artikel orientiert sich an § 26 WoFG, der Benennungsrechte der Kommunen regelt, die festlegen, welche Wohnungssuchenden eine Sozialwohnung zugewiesen bekommen. |
Gesetzgebungskompetenz: Die Rolle der Länder
Seit der Föderalismusreform von 2006 liegt die Verantwortung für die soziale Wohnraumförderung bei den Bundesländern. Das bedeutet, dass die Bundesländer eigenständig Regelungen wie eine Sozialwohnungsquote einführen können, ohne dass der Bund eingreifen muss. Besonders in Regionen mit angespanntem Wohnungsmarkt, wie Großstädten, könnten die Länder somit gezielt handeln.
Dem steht auch nicht entgegen, dass das Mietrecht überwiegend dem bürgerlichen Recht unterliegt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Berliner Mietendeckel klargestellt, dass Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierte Wohnungen zwar unter das bürgerliche Recht fallen, Eingriffe zur Sicherung des Gemeinwohls jedoch verfassungsmäßig sein können, da sie der sozialen Daseinsvorsorge dienen.
Pia Lange, Professorin für Öffentliches Recht und Direktorin des Zentrums für Europäische Rechtspolitik, unterstützt diese Auffassung in einem Gutachten für Die Linke Berlin und betont, dass die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer eine verfassungskonforme Einführung einer Sozialwohnungsquote in Regionen mit angespanntem Wohnungsmarkt ermöglichen könnte.
Der Weg in die Zukunft
Die Wohnungskrise ist eine der größten sozialen Herausforderungen unserer Zeit. Die Sozialwohnungsquote könnte ein entscheidender Schritt sein, um sie zu bewältigen. Sie fordert alle – Unternehmen, Politik und Gesellschaft – auf, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Sie bietet eine ausgewogene Lösung, die sowohl die Bedürfnisse wohngeldberechtigter Haushalte und von Haushalten mit Anspruch auf eine gerechte Förderung berücksichtigt, als auch die Rechte der Wohnungsunternehmen wahrt.
Linke und Grüne haben sich bereits intensiv mit der Sozialwohnungsquote und dem Thema bezahlbares Wohnen beschäftigt. Auch innerhalb der SPD wurde das Konzept bereits aufgegriffen. Ziel ist es, sowohl auf die Berliner Landesregierung als auch auf die eigene Partei Druck auszuüben, um konkrete Maßnahmen für mehr bezahlbaren Wohnraum durchzusetzen.
Die Länder müssen jetzt handeln, um der Wohnungskrise wirksam entgegenzutreten. Die Sozialwohnungsquote ist eine Chance für mutige Politiker:innen, echte Veränderungen anzustoßen.
lsw
16.10.2024