Die Kommunikation zwischen Nachbar:innen ist eine sehr spezielle – und manchmal eine „Hochkonfliktzone“. Das wissen unsere Mediatorinnen aus ihrer Arbeit. Yvonne Vita und Hella Fenske erzählen uns die Geschichte vom Nachbarn ohne Hammer und erklären, wie wir im BMV dabei helfen können, mit den Nachbar:innen Konflikte zu lösen und gute Kommunikationswege zu finden.
Yvonne, Hella, wie seid ihr zur Mediation gekommen?
H: Ich bin schon sehr lange mit dem BMV verbunden. 1996 habe ich als Praktikantin angefangen und anschließend neben meinem Studium der Kommunikationswissenschaften in den Beratungsstellen gearbeitet. In den verschiedenen Bezirken habe ich die Menschen mit ihren unterschiedlichen Hintergründen und Problemen kennengelernt. Alles rund um die Wohnung ist sehr existentiell, das heißt, wenn Probleme auftauchen, sind immer viele Emotionen im Spiel. Deshalb ist es wichtig, dass der Mieterverein sachgerecht juristisch beraten kann. Wenn aber zu diesen Problemen noch Konflikte mit den Nachbar:innen, dem Vermieter oder den Mitbewohner:innen dazukommen, dann gerät auch die Rechtsberatung an ihre Grenzen. Ich dachte, es muss doch eine Möglichkeit geben, hier im BMV auch noch eine andere Art von Hilfestellung zu geben. Also habe ich berufsbegleitend die Ausbildung zur Mediatorin angefangen, an den Wochenenden. Das ging etwa ein Jahr und hat mir viel Spass gemacht.
Y: Ich bin Juristin. Bevor ich zum BMV kam, lag mein Fokus in meiner eigenen Kanzlei auf dem Familienrecht. Ein erschütternder Fall rund um ein Trennungspaar und ihr sechsjähriges Kind hat mich zur Mediation gebracht. Damals habe ich gemerkt, dass die Juristerei in sensiblen, existenziellen Bereichen wie im Familienrecht Grenzen hat. So bin ich zur Mediation gekommen und habe ebenfalls berufsbegleitend eine Ausbildung gemacht. Wie beim Thema Familie sind auch Streitigkeiten rund ums Wohnen enorm belastend. Für ein juristisches Vorgehen müssen die Parteien Protokolle führen. Sie richten über einen gewissen Zeitraum ihre ganze Aufmerksamkeit auf den „Störfall“, anstatt sich an einen Tisch zu setzen und gemeinsam eine Lösung zu finden.
Die Geschichte mit dem Hammer
Wie das Zusammenleben eskalieren kann, beschreibt der österreichische Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick (1921–2007) in dieser Situation unter Nachbarn:
Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen ausschlagen? Leute wie der Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht´s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Morgen“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“
(Aus „Anleitung zum Unglücklichsein“ von Paul Watzlawick, Piper Verlag)
Hier im BMV sind es wahrscheinlich zumeist Konflikte unter Nachbar:innen, bei denen ihr vermittelt. Oder gibt es auch andere Fälle?
H: Etwas seltener kommen auch Konflikte zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen vor. Manchmal betrifft es auch Gewerbemieter:innen. Jüngst ging es um einen Konflikt mit einer kleinen Pizzeria, deren Gerüche auf Dauer belastend für die Wohnungsmieter:innen im Haus waren. Auch das abendliche Aufkommen in Spätis kann für andere Mietparteien zum Störfaktor werden.
Y: Wohngemeinschaften sind oft dabei – vor allem 2020 während der Lockdowns und Corona-Beschränkungen. Von einem Tag auf den anderen musste sich alles von Zuhause abspielen, Sport, Uni, Arbeit und Freizeitgestaltung. Da hat sich der Alltag derart verändert, dass sie andere, neue Vereinbarungen miteinander schließen mussten und dafür unsere Hilfe brauchten.
Ist Lärm das häufigste Konfliktthema?
H: Ja, meistens geht es um Alltagsgeräusche wie lautes Fenster und Türen schließen, Fernseher und Musik, Partys oder geräuschvolles Telefonieren. Neuerdings gibt es auch vermehrt Konflikte um Geräuschkulissen durch Soundsysteme oder Spielekonsolen. Viele Altbauten sind in ihrer baulichen Beschaffenheit gar nicht für auf derart professionelle Technik geeignet. Aber auch Gerüche – vor allem Rauchen oder auch Grillen auf dem Balkon – belasten die Nachbarschaft.
Gibt es einen besonderen Fall, der euch in Erinnerung geblieben ist?
Y: Wir hatten einen Fall, da wurde im Mediationsgespräch deutlich, dass es eigentlich gar keinen Spielraum gibt für die jeweiligen Parteien, etwas zu ändern. Hier lag ein ganz durchschnittliches Alltagsverhalten vor: Die Frequenz an Besuchen, das Schließen von Fenstern und Türen, die Lautstärke von Musik und anderen Freizeitgeräuschen war komplett gewöhnlich, also nichts, was in einem normalen Alltag noch hätte verhandelt bzw. verändert werden können. Da gab es auch Hörproben – was bereits ein großer Schritt ist, sich anzunähern, weil Du jemand anderen in Deine Privatsphäre kommen lässt. Stattdessen wurde klar: Wir müssen gemeinsam an den Vermieter herantreten und Änderungen am Schallschutz fordern. Das ist auch ein gutes Ergebnis einer Mediation.
H: In einem anderen Fall hatte ein Vermieter seiner Neumieterin eine ruhige Nachbarschaft versprochen. Für die Mieterin war das Voraussetzung, da sie überwiegend Zuhause ihrem anspruchsvollen Beruf nachging. Die in der künftigen Wohnung über ihr lebende Familie mit kleinen Kindern sowie weitere Kinder im Haus hatte der Vermieter ihr verschwiegen, obwohl sie explizit danach gefragt hatte. Das bot bald heftiges Konfliktpotential. Im Zuge des Mediationsverfahrens vereinbarten die beiden Mietparteien feste Spiel- und Ruhezeiten. Zudem nahmen sie gemeinsam den Vermieter wegen baulicher Mängel in die Pflicht.
Was können BMV-Mitglieder tun, wenn sie Ärger mit den Nachbar:innen haben oder sich gestört fühlen?
Y: Sie können die Mediationsnummer im BMV anrufen oder uns eine E-Mail schreiben. Zunächst besprechen wir dann grob die Situation, um einschätzen zu können, ob das Mediationsverfahren geeignet ist. Manchmal stellen wir fest, dass die Menschen schon im Vorfeld sagen „Unter gar keinen Umständen gehe ich mit diesen Leuten in einen Raum“. Das hatten wir gerade letzte Woche: eine Frau meldete sich, schilderte die Situation aber auch die Angst vor den am Konflikt beteiligten Nachbar:innen. In solchen Fällen kommen wir nicht weiter, dennoch konnten wir helfen. Im Telefonat tat der Mieterin schon das Zuhören gut. Und wir konnten ihr einige Ideen für eine deeskalierende Kommunikation mitgeben.
H: Meistens besprechen wir gemeinsam, wie der Kontakt zu den Nachbar:innen ist. Können die Mediationssuchenden sie selbst ansprechen oder müssen wir die Möglichkeit der gemeinsamen Konfliktlösung anbieten und zum Gespräch einladen? Für diesen Fall haben wir ein Schreiben entwickelt, in dem wir kurz erklären, worum es geht und um gemeinsame Terminfindung bitten. Es macht deutlich, dass das Ziel eine harmonische Streitbeilegung unter unserer Vermittlung ist.
Interessant, ihr übernehmt also schon den Erstkontakt?
Y: Ja, in etwa 90 Prozent der Fälle übernehmen wir die Erstvermittlung. Ungefähr die Hälfte der Angeschriebenen melden sich nicht zurück. Oft bestehen die Konflikte schon zu lange, die Fronten sind verhärtet, dann ist es zu spät.
H: Es ist schade, dass doch recht viele Menschen die Chance nicht nutzen. Einige melden sich zurück, stellen die Situation aus ihrer Sicht dar, lehnen jedoch das Gespräch ab. Ich finde es gut, wenn sie zumindest reagieren. Wir können uns dann ein besseres Bild von der Situation machen. Als Mediatorinnen sind wir neutral und allparteilich, das bedeutet, wir nehmen keine Position für eine der Parteien ein. Jede Partei soll sich gehört und verstanden fühlen.
Was sind die wichtigsten Regeln im Mediationsverfahren?
H: Wir bieten einen geschützten Raum. Was mit uns besprochen wird, dringt nicht nach außen. Mediation ist echte Arbeit für alle Beteiligten. Es ist absolut nicht einfach, sich zu öffnen, gerade der jeweiligen Konfliktpartei gegenüber.
Y: Wenn Angst vor dem Gespräch geäußert wird, können wir gut aufklären. Denn wir haben die Kontrolle über den Gesprächsverlauf, das ist unsere Aufgabe! Und es ist wichtig zu wissen, dass die Teilnahme freiwillig ist, auch für uns. Wenn wir sehen, dass jemand die Regeln für ein gutes Mediationsgespräch nicht akzeptiert, können auch wir entscheiden, das Gespräch nicht weiterzuführen.
Welche Struktur hat das Gespräch?
H: Es ist wichtig, die Mediation nicht in der Hochkonfliktzone der eigenen Wohnung durchzuführen, sondern an einem neutralen Ort. Deshalb führen wir die Gespräche hier bei uns in der Geschäftsstelle Spichernstraße. Das hat den Vorteil, dass sich die Leute wirklich die Zeit nehmen und sich auf den Austausch konzentrieren können. Nach der Begrüßung und der Vorstellung, geben wir einen Ausblick auf die verschiedenen Phasen des Gesprächs und stellen die Mediationsleitlinien vor. Unsere Vorrede bringt Ruhe rein, gerade wenn die Konfliktparteien vielleicht etwas aufgeregt sind. Wir versuchen, uns den Konfliktthemen anzunähern, indem wir sie gemeinsam sammeln. Das nimmt die Emotionalität etwas raus und erfordert zunächst einen sachlichen Umgang. Wir notieren die Themen für alle sichtbar auf einem Flipchart. Damit wird der Konflikt aufgeschlüsselt und die Themen priorisiert.
Y: Zuvor bekommt jede Partei den Raum, ihre Situation zu beschreiben. Wir kündigen vorher an, dass es durchaus schwierig sein kann, der jeweils anderen Partei zuzuhören; es gibt eben immer mehrere Wahrheiten und Wahrnehmungen. Deshalb muss die Situationsbeschreibung wirklich nacheinander erfolgen. Wir wiederholen, was wir von der jeweiligen Person verstanden haben. Daraus leiten sich die Themen sachlich ab.
Wie geht es weiter?
H: Zu jedem Thema schauen wir uns dann Einzelsituationen an, denn es geht nicht um den Gesamtkonflikt der letzten fünf Jahre, sondern um die Ist-Situation. Es ist wichtig, nicht in der Vergangenheit zu verharren, sondern vor allem auf Lösungsoptionen zu schauen: Wie können die Parteien zukünftig mit den Gegebenheiten umgehen? Anhand der konkreten Situationen können wir gut die Interessen, Bedürfnisse und Wünsche herausarbeiten. Was braucht die Person wirklich, worum geht es ihr? Das ist die emotionalste und intensivste Phase, die auch die meiste Zeit in Anspruch nimmt. Häufig kommen wir in dieser Phase auch auf Gemeinsamkeiten und Lösungsmöglichkeiten.
Y: Das ist sehr spannend. Die Mediant:innen dürfen alles aussprechen, was ihnen als Lösung in den Sinn kommt. Auch absurde Forderungen wie „Sie soll ausziehen!“. In der folgenden Phase streichen wir dann die unrealistischen Ansätze und arbeiten uns von außen nach innen vor.
Das alles hört sich nach einer starken Moderationsleistung an.
Y: Aber das ist ja unsere Aufgabe. Das kann mitunter auch für uns anstrengend sein. Umso schöner, wenn es dann zu Absprachen und Vereinbarungen kommt. Wir sind verantwortlich für den Prozess, die Konfliktparteien sind verantwortlich, an einer Lösung zu arbeiten. Kein anderer kann so gute Lösungen finden, wie die beiden Parteien gemeinsam, denn nur sie haben die Ressourcen. Das ist die Grundlage für eine gute Vereinbarung.
H: In der Regel dauert eine Mediation zwei Stunden, aber es können auch mal vier Stunden werden. Komplizierter wird es auch mit dem Grad der Emotionalität. Einige Male mussten wir Folgetermine vereinbaren. Wichtig ist, sich bei uns zu melden, solange die Fronten noch nicht total verhärtet sind.
Was steht am Ende einer erfolgreichen Mediation?
H: Die von den Medianten gemeinsam erarbeitete Vereinbarung. Es ist großartig, wenn das klappt, weil es Verbindlichkeiten für das nachbarschaftliche Miteinander sind.
Y: In einer WG konnten wir beispielsweise eine Vereinbarung schließen, die eine nicht verlässliche Mitbewohnerin dazu verpflichtet, jeweils 15 Euro in die WG-Kasse zu zahlen, wenn sie ihren Putzdienst nicht rechtzeitig verrichtet.
Wer kann sich bei euch melden und wie viel kostet die Mediation?
H: Das ist ein Angebot für unsere Mitglieder, eine der Konfliktparteien muss Mitglied im BMV sein. Die Kosten für die Mediation übernimmt der BMV.
Was wünscht ihr euch im nachbarschaftlichen Miteinander?
Y: Andersartigkeit als Gewinn zu erleben. Zu kommunizieren und Wege zu finden, um Konflikte zu vermeiden. Auch das eigene Konfliktverhalten zu hinterfragen und immer wieder an einer Verbesserung der Kommunikation zu arbeiten.
H: Ich wünsche mir, dass wir Wohnverhältnisse schaffen, in denen vieles möglich ist: Ein Miteinander von Jung und Alt, insgesamt viel mehr Miteinander als Nebeneinander.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Franziska Schulte
16.02.2023